Russland, Rußland, Rusland, das Rußische Reich

Historisch-Politisch-Geographischer Atlas der gantzen Welt, 1748 Band 9
Autor: Heinsius, Johann Samuel der Ältere (1686-1750) Pfarrer und Buchhändler, Erscheinungsjahr: 1748
Themenbereiche
Russland, Rußland, Rusland, das Rußische Reich, Lat. Russia, Imperium Russicum, Frantz. Russie, oder Empire Russien, welches sonst auch Groß-Reussen, Lat. Russia Magna, oder Schwarz-Reussen, Lat. Russia Nigra, genant wird, ist das größte Reich in Europa, und führte sonst auch den Nahmen Moskau von der ehemaligen Haupt- und Residenz-Stadt der Zaren. Den Nahmen Russland hat es von seinen alten Einwohnern, den Russis oder Rhossis, die sich schon in dem IX. Jahrhunderte hervor getan. In der Esthischen Sprache wird Russland Wennamah genannt, welches Wort ein Land guter Freunde und Brüder bedeuten soll, indem die benachbarten Völker sich um die Freundschaft der Russen bewarben. In den folgenden Zeiten wurden die Russen von dem Baltischen Meere weiter entfernet, und ihren Nachbarn etwas unbekannter. Jedoch gedenken die Dänischen und Norwegischen ältesten Chroniken, daß ein Russischer König, Alexander, noch um das Jahr 1251, um die Tochter Haquini, Königs in Norwegen, angehalten habe. Zu dieser Zeit wurden die Russen von häufigen Anfällen der Tartarn nicht wenig geplagt, und hat diese Nation viele Abwechslungen des Glücks gehabt, davon unten mehr zu gedenken Gelegenheit seyn wird. Was den gegenwärtigen Zustand von Russland anbetrifft: so sind die Grenzen dieses mächtigen Reichs gegen Abend Litauen, Pohlen und Schweden; gegen Mittag die Europäische Tartarey, und das schwarze Meer bis an das Kaspische; gegen Morgen die große Tartarey; gegen Mittag das Eis-Meer, allwo Russland und Nova Zembla durch eine Meer-Enge unterschieden wird, welche insgemein Waigatz genannt wird. Die Länge von Russland soll von Reval bis an den Fluss Oby in die 400. Meilen; die Breite von Kola Lappland bis Poltawa, 280. Meilen betragen. Andere rechnen die Länge von der Litauischen Grenze unter dem Zirkel der Breite von 62. Graden, bis an das Ost- oder Japonische Meer, an der Chinesischen Grenze, so über 700. Meilen ausmacht. Die Breite von der Meer-Enge Waigatz, bis an das Mare Caspicum, beträgt 350. Deutsche Meilen. Also ist der Bezirk dieses Reichs fast von unglaublicher Größe, und begreift nicht nur einen großen Teil von dem äußersten Europa in sich; sondern es erstreckt sich auch durch das Obere und Nördliche Asien, bis an den Orientalischen Oceanum Nach Peter von Havens Anmerkung gehet dieses Reich gegen Süden und Norden etwa von dem 46. Grad der Polhöhe gerade hinauf in dem Circulum Arcticum: aber gegen Westen und Osten von den 45. Grad der Länge gerade aus zu dem stillen Meere zwischen Asia und Amerika. Daher man sich über die Weitläufigkeit des Russischen Titels nicht verwundern darf, welcher von dem Kayser Petro I. in der Canzeley ehe dessen also abgefasst worden: Wir Petrus Alexiewitz von Gottes Gnaden, großer Herr, Zar und Groß-Fürst des ganzen großen, kleinen und weißen Russlands, Selbsthalter zu Moscow, Kiow, Wolodimer, Novogorod, Czaar zu Casan, Astracan u. Sibirien, Herr zu Pleskow, Groß-Fürst zu Smolensko, Severien Tweer, Jugoria, Permia, Wiatke, Bolgoria, &c. Herr und Groß-Fürst zu Novgrod des niedrigen Landes, zu Czernigow, Rezan, Rosdow, Jaroslaw, Bialosera, Udoria, Oledoria, Condinia, und der ganzen Nord-Seiten Gebieter, Herr des Iverischen, Cartalinischen, Grustinischen und Carbatinischen Landes, Cyrcasser und Gorischen Fürsten, und anderer vieler Ost-Westlichen und Nördlichen Herrschaften und Länder, Väter- und Groß-Väterlicher Erbe, auch Herr und Beherrscher. Zu welchem allen hernach noch in dem Jahre 1711. der Kaiserliche Titel gekommen ist, welcher von gedachtem Zar angenommen; auch von ihm und dessen Nachfolgern von einigen Europäischen Staaten zugestanden worden.

Es begreift also Russland eine gute Anzahl von Königreichen, Groß-Herzogtümern, Herr- und Landschaften in sich, welche man sich nach ihrer Lage folgende Gestalt vorstellen kann: Das Hertzogtum Pleskow liegt an den Liefländischen Grenzen; das Groß-Hertzogtum Groß-Novogrod darüber am Ilmen-See; das Hertzogtum Tweer; die Landschaft Rzeva oder Rzowa, unter Groß-Neugard; das Fürstentum Biela an der Polnischen Grenze, woran auch das im Jahre 1686 von Polen an Moskau abgetretene Groß-Herzogtum Smolensko stößt, wie auch die Herzogtümer Severien, Czernikow nebst der Ukraine, ein recht gesegnetes Land an Ackerbau und Vieh-Zucht, und Sitz der Zaporovischen Cosacken. Das Herzogtum Worodin liegt unten an der Europäischen Tartarey; das Herzogtum Rezan, Süd-Östlich von Moskau, und ist das allerfruchtbarste Land im ganzen Russischen Reiche, indem daselbst jedes Korn 2 bis 3 Ähren zeugt, und das Getreide so dicke wächst, daß weder die Pferde durchlaufen, noch die Wachteln ein, oder ausfliegen können. Die Landschaft Pole liegt weiter zur Rechten; die Landschaft Mordua darüber; das Herzogtum Woladomir hat einen sehr fruchtbaren Boden; das Herzogtum Niesen-Novogrod war sonst ein Stück von Woladomir und ist von dem Czaar Basilio I. angebaut worden. Zur Lincken liegt das Herzogtum Susdal. Das Herzogtum Moskau war ehemahls das Hertz des ganzen Reichs; die Landschaft Rosthaw und Jareslaw liegen darüber, und waren diese beiden Provinzen in den vorigen Zeiten, den jüngsten Prinzen der Groß-Fürsten zugeeignet, daher noch etliche alte Familien vorhanden, die sich Jaroslawsky nennen. Die Landschaft Biela Jezora liegt darüber an der weißen See, worauf das Herzogtum Wologda folgt. Die Landschaft Dwina stößt an das weiße Meer, wo der Fluss Dwina hinein fällt, und liegt in dieser Provinz die Handel-Stadt und Hafen Archangel. Die Landschaft Juborsky, Pezora, Condinsk, und Groß-Permia folgen auf einander. Inder letzten ist Solikamskoi die Hauptstadt, in deren Gegend viele Salz-Koten anzutreffen. Die Landschaft Wollost Usoi, oder das Syrener-Land, wird von einer Nation bewohnt, welche sich zwar zu der Griechischen Kirche bekennet, aber seine eigene Sprache hat. Das Herzogtum Wiadsky liegt an dem Cama-Flusse. Die Landschaft Czeremissi enthält ein Volk, welches sich in 2 Teile abgeteilt. Die über der Wolga wohnen, nennen sich Lagowoy, weil viel Heu daselbst wächst; die aber unter der Wolga, wegen der vielen Berge Nagarnoy. Die Landschaft Nagarnay liegt zwischen den beiden Strömen Wolga und Jaik, und begreift das Königreich Astracan in sich. Über diesem Königreiche zur Rechten liegt das Königreich Olgaria, oder Kalmuchi. Das Königreich Casan liegt darüber, um den Fluss Kamm, zur Linken der Wolga nach Norden, und geht bis an das Königreich Siberien, welches sich auf 200 deutsche Meilen in die Länge und in die Breite erstreckt. Es grenzt gegen Morgen mit dem Lande der Ostiacken, einer heidnischen Nation, welche einen Götzen, Sactan genannt, verehret, deren viel 1000 durch die Vorsorge des Kaisers Petri I. zum Christlichen Glauben bekehrt worden. Diesen zur Rechten liegt die Landschaft Jenizeskoi, an welche die Niscovi Tungusi stoßen, so Heiden sind, mit denen die Buratti, auch Heyden, ebenfalls grenzen. In dieser Landschaft findet man das Muscus-Tier. Dauria ist das äußerste Land an China, und wird teils von Russen, teils von Heiden bewohnt, welche sich Nonni Tunguzi, und Oleeni Tunguzi nennen. In dieser Landschaft liegt Argunskoi, die letzte Festung und äußerste Grenze von denen gegen Morgen gelegenen Landen des Russischen Kaisers. Sie liegt an dem Flusse Argum, welcher aus Süd-Westen nach Nord-Osten fließt, in den Amur-Strom fällt, und das Russische Reich und China von einander scheidet, so, daß auf der andern oder Ost-Seiten die große Tartarische unbewohnte Wüste ihren Anfang nimmt. Die Herrschaft Samojede liegt zu äußerst oben an dem Eis-Meere, an dem Freto Weigatz, und wird von wilden Völkern bewohnt. Das Russische Lappland liegt über dem weißen Meere, und ist der größte Teil wegen seiner Rauhigkeit unbekannt. Die Kalmücken haben das ganze weite Land zwischen Mongue und der Wolga, bis nach Astracan inne.

Sonst hat Moskau oder Russland IV. Teile; 1) Moskau gegen Westen, oder West-Russland, Lat. Moscovia Occidentalis, an den Polnischen Grenzen; 2) Moskau gegen Osten, oder Ost-Russland, Lat. Moscovia Orientalis, liegt besser zur Rechten, unter dem Freto Weigatz; 3) die Russische oder Moscowitische Tartarey, Lat. Tartaria Moscovitia, liegt an den Asiatischen Grenzen, um den Oby, und um das Mare Calpicum; 4) das Moscowitische oder Russische Lappland, Lat. Lappia Moscovitica, liegt um das Mare Album, an den Schwedischen Grenzen.

In West-Russland sind folgende Landschaften: Pleskow, Novogorod, Tweer, Reschow, Bielsky, Smolensko, Severien, Czernichow, Worotin, Rezan, Pole, Mordia, Nisi-Novogorod, Wolodimir, Susdal, das Herzogthum Moscau selber, Rosthow, Jeroslaw, Riele-Jezora, Wologda, Kargapol und Dwina. In Ost-Rußland liegen die Landschafften: Juboritzky, Petzora Condinsky, Permsky, Oustiuch, Wiabsky und Czeremissi. In der Rußischen Tartarey liegen die Königreiche: Astracan Bulgar, Casan und Syberien, wie auch die Landschafft Samojede. Das Rußische Lappland besteht in 3. Landschafften: Muremanskoi Leporie, Terskoy-Leporie, und Bella-Morenskoy-Leporie.

Das Königreich Casan gibt viel Getreide, und werden auf der Wolga jährlich viele 1000. Lasten Getreide nach Tweeer geschickt, welches die rechte Stapel von dem Korn-Handel ist. Von dannen aber wird alles auf Schlitten vor die Arméen, und nach Petersburg geschafft. Dieses Land bringt auch viel Wolle, und hat der Kayser Petrus I, 20. Schäfer aus Schlesien nach Casan geschickt, welche den Russen die Handtierung mit der Wolle zeigen sollten; wiewohl es mit dieser Manufactur nicht recht fort wollte, und ward die meiste Schuld der spröden Wolle, und weil die Schaaf- und Ziegen-Heerde sich seit langen Jahren vermengt gehabt, beigeleget. Hingegen hat die eine halbe Meile von Petersburg angelegte Linnen-Weberei einen solchen guten Fortgang, daß die aus Russischem Flachs darinnen verfertigte Linnen, den feinsten Holländischen nichts nachgibt. Von Tweer ist das Land bis nach der Stadt Moskau fast ganz sandig. Man sieht auch auf dem Wege nichts, als Tannen-Holz. Weil nun um diese Gegend die Mühe durch die Ernte nicht belohnet wird: so wird die Bauung der Erde an vielen Orten unterlassen. An Heu ist hier ein großer Überfluss. Der Hopfen wächst von sich selbst häufig in den Wäldern. Der Bauersmann lebt in großer Armut, zu welcher er von Kindes-Beinen an gewohnt ist. Derjenige Teil von Russland, welcher an die Polnische Grenze stößt ist sehr fruchtbar. Das Getreide trägt an verschiedenen Orten 20 bis 30 fach, auch in einigen Gärten werden Melonen gezogen, welche 30 bis 40 Pfund wiegen sollen. Der Mangel der Wirtshäuser ist den Reisenden höchst beschwerlich, weil man sich mit nötiger Zehrung bis Moskau versehen muss. Bei der Stadt Solikamsky in Sibirien sind 32 Salz-Brunnen, die meisten 50 Faden tief, woraus ein Schneeweiß Salz gesotten wird. In der Gegend der Stadt Jenisleitska wird eine wunderbare Art von Knochen, welche an den Ufern der Revier, und andern eingefallenen Höhlen gefunden werden, und dem Elfenbein ähnlich sind, ausgegraben. Es sollen Hörner von einer Art erschrecklich großer Schlangen sein, welche unter der Erde sind. Mit diesen ihren Hörnern graben sie sich aller Orten unter dem Moraste in der lockern Erde fort, bis sie in den harten Sandbänken feste sitzen bleiben. Den Weinwachs hat der Kaiser Petrus I. zu befördern sich angelegen sein lassen, und sind einige Weinberge in Astracan mit Französischem Weine gepflanzt worden. Bey Alonitz hat sich, vor nicht gar zu langen Jahren, ein Gesundbrunnen von martialischer Krafft hervorgetan, welchen der Russische Monarch selbst zu besuchen gewohnt war. Von dem Heckerlinge haben die Russen noch zu Anfange dieses Jahrhunderts nichts gewusst. Gegen Schlüsselburg, an dem Neva-Strom sind verschiedene Mahl-, Säge-, und Schmiede-Mühlen, und näher bey Petersburg, auch in Moskau Pulver-Mühlen, Salpeter- und Schwefel-Hütten angebaut, und alle diese Materialien fallen in Russland so wohl, als aller Hanf zu der Seiler-Arbeit. Die Eisen-Erze bricht man zu Alonitz in großer Menge, und wird an Stücken, Mörsern, Haubitzen und kleinen Schießgewehr unablässig gearbeitet. Vor Anlegung der Bergwerke trug Petrus I. viel Sorge. In Sibirien sollen gute Örter seyn, wo Kupfer- und Silber-Gruben können gebaut werden. Im Jahre 1714 brachte der Statthalter in Sibirien, Fürst Gagarin, einen Gold-Sand nach Petersburg, da man von einem Pfunde solches Sandes 28 Lot feines Gold bekommen. Man hat denselben an der Kaspischen See, bei dem Einflusse der Dauria entdecket. Die Kalmücken aber haben aus Neid für einiger Zeit denselben ab und an einem andern Orte in die See geleitet, wodurch derselbe bei dem Einflusse so seichte gemacht worden, daß die Russen mit keinem Schiff hineinkommen können. Im Jahre 1718 ward ein Berg-Collegium angelegt, in Petersburg auch ein kleines Hüttenwerk, mit 2 Schmelz-Öfen, und übrigen Zugehör erbauet, und damit der Nation die Begierde zu Bergwerken erweckt. Von wilden Tieren sind unter andern viel Auer-Ochsen, Renntiere, Marder, weiße und schwarze Füchse, Hermelin, Wiesel, u.s.f. Auch ist der sogenannte Vielfraß, so auf Russisch Rosomacha heißt, hier nicht unbekannt, welches nicht eher zu fressen aufhöret, bis es zerbersten will. Denn zwingt es sich zwischen 2 Bäume, und wenn es alles von sich gegeben, fängt es wieder an zu fressen. Sibirien giebt kostbares und vortrefflich Pelzwerk, unter dem die Zobeln sonderlich berühmt sind, welche dem Statthalter geliefert, von ihm mit einem Siegel bezeichnet, und dem Senat zugeschickt werden. Das Tier Behemoth wird bisweilen an der Küste des Tartarischen Meeres gefangen, aus dessen Zähnen das schönste Elfenbein, so das von Elefanten-Zähnen noch bei weiten übertrifft, gemacht wird. Diese Vorteile, welche die gütige Natur den Russischen Landen gegeben hat, machen diese Nation bequem, mit Auswärtigen die wichtigsten Commercia anzufangen, und hat der Kayser Petrus I. vor derselben Aufnehmen unermüdet gesorgt; auch die Nation zu allen Manufakturen angehalten, seine Reiche dadurch in den Stand zu setzen, damit sie ausländischer Hilfe nicht so sehr benötigt sein. Auf den Handel nach China und Persien hat man ein wachsames Auge gerichtet. Es gehen beständig Caravanen aus Moskau nach China. Der Chinesische Kayser oder Cham traktiert alle mit Russland habenden Handlungen mittelbarer Weise durch den Statthalter in Sibirien. Die nach China handelnden Kaufleute haben nicht die Erlaubnis, länger als 3 oder 4 Monate im Lande zu bleiben, wenn sie nicht die ganze Zeit ihres Lebens darinnen zubringen wollen. Die in Russland zubereiteten Juchten sind durch ganz Europa bekannt, und man hat die Kunst, dergleichen nachzumachen, lange Zeit nicht entdecken können; doch hat es nicht angehen wollen, daß sich der Monarch das Monopolium dieser Fabrique, wie einige mal versucht worden, anmaßen könne.

Was der Russen Sitten und Gebräche betrifft, so wird man in denselben einen ungemeinen großen Unterschied antreffen, wenn man die gegenwärtige Beschaffenheit gegen die vorigen halten sollte. Die rühmlichen Anstalten des Kaisers Peter I, wie auch seiner Nachfolger, und die von denen Russen in die Europäischen benachbarten Lande geschehene Reisen; so wohl als die Menge der nach, nach und nach dahin berufenen Ausländer haben dieser Nation eine gänzliche Veränderung verursachet. Die alten Kleidungen sind durchgehends abgelegt, und die Manier zu leben nach der übrigen Europäischen Nationen Sitten eingerichtet. Indessen sind doch viele besondre Gewohnheiten anzutreffen, welche auch größten Teils mit der Russischen Religion …