Zweite Fortsetzung

Der Glanz und die Pracht der Reise Katharinas erregten das Staunen der Zeitgenossen. Nur Wenige indessen waren geneigt, der Kaiserin in so reichlichem Maße dasselbe Lob zu spenden, wie Zimmermann, welcher in einem Schreiben an Katharina bemerkt, die Reise lenke die Aufmerksamkeit Asiens und Europas auf sich und biete dem Philosophen ein höchst merkwürdiges Schauspiel. Es erschien ihm bewunderungswürdig, dass Katharina, nachdem sie ihre Untertanen mit Wohltaten überschüttet, noch selbst zu sehen gewünscht habe, was etwa noch zu tun übrig bliebe. Er meinte, diese Reise werde allen Teilen Russlands neue Kraft und neues Leben verleihen, die Schlechten würden dadurch in Schrecken versetzt werden, die Tugendhaften in günstigem Lichte erscheinen; die Geschichte, so schließt Zimmermann sein hochtrabendes Schreiben, werde alle großen und durch Menschenliebe veranlassten Taten der Kaiserin aufzeichnen, diejenigen Fürsten aber, welche in träger Ruhe in ihren Palästen zu verweilen liebten, würden mit Zittern aus diesem Beispiele lernen, dass der Ruhm, eine Krone zu tragen, nichtig sei im Vergleich mit dem Ruhm, derselben würdig zu erscheinen.

Der Aufwand, mit welchem diese Reise verbunden war, übertraf das gewöhnliche Maß. Man erzählte, Katharina habe für diesen Zweck die Summe von zehn Millionen bestimmt, doch habe dieselbe nicht ausgereicht. Eine solche Ziffer ist nicht irgendwie verbürgt. Die Berechnung der Reisekosten ist schon darum nicht möglich, weil zu den direkten Ausgaben während der Reise der Aufwand hinzugerechnet werden müsste, welcher durch Potemkins großartige Vorbereitungen für die Reise veranlasst war. Er ließ zu dem Ende Wege und Brücken bauen, Paläste aufführen, Gärten anlegen, Märkte veranstalten. Die Geldopfer hierbei sind gar nicht, auch nicht annäherungsweise zu veranschlagen.


In Betreff der Vorbereitungen für die Reise sind u. A. folgende Angaben von Interesse: Auf der Strecke zwischen Kaidaki und Chersson (etwa 50 geographische Meilen, ungefähr der siebente Teil der ganzen Entfernung zwischen St. Petersburg und der Krim) mussten auf 25 Stationen nicht weniger als 10.480 Pferde, 5.040 Kutscher und 9.636 Sättel bereit gehalten werden. Auf denjenigen Halteplätzen, wo keine Paläste aufgeführt werden sollten, mussten erhöhte und bedeckte Bühnen oder Galerien erbaut werden; hier standen Tische mit allerlei Speisen und Getränken. Auf jeder Station hatten mehrere Edelleute über das zahlreiche Personal nebst Pferden die Aufsicht zu führen. Ferner mussten auf jeder Station ein Zimmermann und ein Schmied mit den nötigen Werkzeugen aufgestellt sein, um sogleich die etwa erforderlichen Ausbesserungen besorgen zu können. Zur Beleuchtung jedes Schlosses, in welchem Katharina nächtigte, mussten 500 Näpfe mit Talg, 10 Laternen und 6 leere Teertonnen vorhanden sein. In jeder Stadt, durch welche die Reisenden passierten, gab es für das Gefolge der Kaiserin fünfundzwanzig vollständig eingerichtete Wohnungen. Alle Schifffahrt auf dem Dnjepr sollte für die Zeit der Reise aufhören, um jeden etwa möglichen Aufenthalt zu vermeiden. Es wurde darauf gesehen, dass alle Ruderer, welche auf dem Dnjepr zur Zeit der Reise erschienen, gut gekleidet wären. Für die Zeit des Aufenthaltes der Kaiserin in Krementschug mussten sehr viele Edelleute mit ihren Familien zur Stadt ziehen, so wie reiche Kaufleute und angesehene Bürger, um den Hof der Kaiserin verherrlichen zu helfen. In allen Städten, welche die Kaiserin berührte, gab es kostspielige Illuminationen und Feuerwerke. Zu beiden Seiten der Straßen, welche die Städte und Dörfer verbanden und welche Katharina passierte, brannten Abends große Holzstöße. Alle Wohnungen, welche für die Kaiserin auf der ganzen Route hergerichtet waren, mussten mit ganz neuen Möbeln versehen werden. Bei jeder Mahlzeit wurde neues Tischzeug gebraucht und dann sogleich verschenkt. Als man in Kijew sich drei Monate hindurch aufhielt, wollte Katharina nicht gestatten, dass ihre ausländischen Gäste selbst für ihren Unterhalt sorgten; jeder derselben erhielt für diese Zeit ein vollständiges Haus mit einer großen Anzahl von Lakaien, Köchen, Kutschern, Equipagen, mit Silber- und Porzellangeschirr, eine Menge Wäsche und bedeutende Vorräte von kostbaren Weinen zur Verfügung.

Bis Kijew bedienten sich die Reisenden verschiedener Fuhrwerke. Es waren im Ganzen 14 Wagen, 124 Schlitten und 40 Reserveequipagen. Von Kijew an standen den Reisenden zu der Fahrt auf dem Dnjepr 50 bis 80 große, für diesen Zweck erbaute, außerordentlich elegant eingerichtete und mit allem erdenklichen Komfort und Luxus ausgestattete Galeeren zur Verfügung.

Nur heitere Bilder sollten sich der Kaiserin auf ihrer Reise darbieten. Sie sollte sich davon überzeugen, dass Südrussland reich und glücklich sei. Die Ausländer erzählen nicht ohne Ironie von den großen Volksmassen, welche, zum Teil zwangsweise, an denjenigen Orten erschienen, durch welche. Katharina zu fahren hatte. Der Fürst von Ligne berichtet, die Kaiserin habe wohl, auf dieses Menschengewühl blickend, ihre Reisegefährten gefragt, ob der ausländische Schriftsteller Abbe Chappe, welcher Russland eine Wüste genannt hatte, auch bei diesem Anblick wohl seine Behauptung aufrecht erhalten könnte. Da gab es liebliche Gruppen von singenden Landleuten am Ufer und in schön geschmückten Kähnen auf dem Flusse; alle Häuser waren mit Blumen und Kränzen geschmückt; an vielen Stellen sah man am Ufer gewaltige Viehherden; große Märkte mit den verschiedensten Waren, künstlich als momentanes Schauspiel veranstaltet, sollten das Auge der Kaiserin erfreuen. Alles, was einen minder günstigen Eindruck hervorzubringen geeignet war, wurde sorgfältig entfernt. Ein unverdächtiger Zeuge, der bekannte Historiker Fürst Schtscherbatow berichtet, dass bei Gelegenheit der Rückreise der Kaiserin nach St. Petersburg, als in Moskau gerade eine ungewöhnliche Teuerung herrschte, alle Bettler, welche von den Bewohnern Moskaus Almosen erhielten und sich auf diese Weise, wenn auch kümmerlich ernährten, aus der Stadt fortgejagt worden seien, damit der Anblick solcher Bettler das Herz der Kaiserin während ihres Aufenthaltes in der zweiten Hauptstadt nicht betrübe. Einen grellen Gegensatz hierzu bildet Lignes Erzählung, er habe wiederholt während der Reise der Kaiserin in ihrem Namen mit vollen Händen Goldmünzen unter die Volkshaufen werfen müssen, die den Wagen Katharins umdrängten.

Wie viel Gemachtes, von den Verwaltungsorganen künstlich Veranstaltetes der Reise Katharinas die gewünschte Wirkung sichern sollte, ist u. A. aus einem Aktenstück zu ersehen, welches recht eigentlich uns in die ganze Situation einen Einblick gewährt. Es ist ein Befehl des damaligen Gouverneurs der Statthalterschaft von Charkow, Wassilij Tschertkow, welcher erst vor Kurzem durch den Druck veröffentlicht worden ist und eine große Zahl von Vorschriften enthält, wie die verschiedenen Elemente der Bevölkerung sich bei Gelegenheit der Durchreise der Kaiserin zu verhalten hätten. So wird bestimmt, in welcher Ordnung alle Würdenträger, die Kreisvorsteher, die Adelsdeputierten und sonstige Beamte, so wie das Publikum sich zum Empfange der Kaiserin aufzustellen hätten. Sehr streng wird befohlen, dass Alle ihre besten Kleider anziehen und die Mädchen mit recht stattlichem Kopfputz und Blumen geschmückt erscheinen sollten. Es erschien so wünschenswert, dass Niemand in unsauberer oder zerrissener Kleidung, oder gar in betrunkenem Zustande sich den Blicken Katharinas aussetzte, dass in der Verordnung Tschertkows die diese Punkte betreffenden Ermahnungen und Drohungen nicht weniger als dreimal wiederholt werden. Es wird ferner vorgeschrieben, dass Alle in dem Augenblick der Vorüberfahrt der Kaiserin sich tief bücken sollen; die „besten Einwohner" sollen „Brot und Salz" darbringen; die Frauen und Mädchen aber sollen den Weg der Kaiserin mit Blumen bestreuen und alle Anderen müssen ihr Entzücken durch anständige Handlungen und Begrüßungen ausdrücken". Die ganze Straße entlang, durch welche der Zug der Reisenden voraussichtlich gehen sollte, mussten, einer ferneren Vorschrift gemäß, alle Häuser frisch gestrichen, alle Dächer und Zäune ausgebessert, an allen Türen und Fenstern aus Tannenzweigen und Blumen Verzierungen angebracht werden; aus allen Fenstern sollte man möglichst kostbare Stoffe und Teppiche aushängen; ausdrücklich wird gesagt, dass alles dieses in allen auf der Reiseroute gelegenen Ortschaften, auch in den Dörfern geschehen müsse. Alle Musikanten und Kirchensänger mussten mit neuen Uniformen versehen, alle Häuser mit Anstalten zu glänzender Beleuchtung ausgestattet werden. Überall mussten „auf alle Fälle" große Teertonnen bereit gehalten werden. Außer den von der Zentralverwaltung vorschriftsmäßig geforderten, auf jeder Station bereit zu haltenden Pferden sollten, wie der Gouverneur befiehlt, auf jeder Station nicht weniger als 200 Pferde als Reserve sich befinden. „Ferner hoffe ich", so fährt derselbe in seiner Verordnung fort, „dass die Herren vom Adel sich bemühen werden, auf jeder Station für den Wagen der Kaiserin zwölf besonders schön und gut eingefahrene Pferde mit gutem Anspann und vier Vorreitern in Bereitschaft zu halten. Die letzteren müssen rote Jacken mit roten stehenden Kragen und grünen Rabatten an den Ärmeln, weiße Westen und ebensolche Beinkleider, schwarze Mützen haben u. s. f. Überall wird, wie ich hoffe, der Adel sich die Ehre geben, die allerhöchste Person der Kaiserin zu bewirten, und in der Stadt Charkow wird die Kaufmannschaft nicht unterlassen, sich daran zu beteiligen". Die ganze Bevölkerung, wird ferner vorgeschrieben, soll sich während der Reise der Kaiserin gesittigt betragen, allen Lärm und Zusammenrottungen vermeiden; Niemand dürfe um ein Almosen bitten, Niemand einen Rausch haben; Tag und Nacht sollten in den Städten und Dörfern Wachen patrouillieren, um darauf zu sehen, dass überall Stille, Reinlichkeit und Sicherheit herrsche. Außerdem hielt der Statthalter es für angemessen, der Bevölkerung ein Gesetz vom 19. Januar 1765 in Erinnerung zu bringen, demzufolge Niemand die Kaiserin mit Überreichung von Bittschriften zu behelligen sich erdreisten dürfte, bei Strafe der Verurteilung zum Soldatenstande, zur Zwangsarbeit, zur Knute und zur Verschickung nach Nertschinsk. Auf das Allerstrengste wurde verboten, auf dem Wege, den die Kaiserin nehmen sollte, derselben entgegenzufahren oder gar in derselben Richtung mit der Kaiserin fahrend, den Wagen derselben zu überholen Sollte es indessen doch geschehen, dass Fuhrwerke der Kaiserin begegneten, so mussten die Insassen derselben, wenn es ihnen nicht gelang, zeitig in eine Nebenstraße abzubiegen, sogleich stehen bleiben und aus ihren Wagen steigen. — Allen Stadtverwaltungsbehörden schrieb der Statthalter vor, darauf zu achten, dass keinerlei Preissteigerung, namentlich keine solche von Lebensmitteln und Getränken stattfinde, dass nur solche Lebensmittel zum Verkauf erschienen, welche von tadelloser Beschaffenheit seien, dass die Kaufleute und Krämer reinlich und wohlanständig gekleidet seien, mit unbeschmutzten Schürzen, dass nirgend schmutzige Matten hängen, um irgend etwas zu verdecken, dass in den Schenken zu der Zeit Niemand sich betrinke, in welch letzterem Falle die Inhaber solcher Schenken verhaftet und des Rechtes, einer solchen Schenke vorzustehen, verlustig erklärt, auch wohl je nach Maßgabe der Schuld körperlich gezüchtigt werden sollten, u. dgl. m. so.

So sollte denn die Kaiserin, wie die Behörden es einrichten zu können hofften, Alles in günstigster Beleuchtung, in gefälligster Form und Farbe sehen. Die unnachsichtliche Strenge, mit welcher obige Verhaltensregeln eingeschärft werden, zeigt deutlich, dass Wohlstand, Reinlichkeit, Sauberkeit, Nüchternheit, Anständigkeit von den Behörden selbst zu sehr seltenen Ausnahmen gerechnet wurden, während eben diese Behörden die Kaiserin glauben machen wollten, dass solche Erscheinungen eine Regel bildeten. Eine solche Handlungsweise der Administration hat dann zu dem, auch in die historische Literatur übergegangenen Gerücht Anlass gegeben, dass auf dem ganzen Wege der Kaiserin geradezu Theaterdekorationen, Dörfer und Häuser auf Leinwand gemalt, aufgestellt gewesen seien. Wenn man indessen auch eine solche Annahme nicht buchstäblich für wahr halten darf, so wird man aus den oben angeführten Tatsachen doch ersehen, dass das, was die Kaiserin sehen sollte und sah, weit davon entfernt war, dem wirklichen Zustande Russlands zu entsprechen. Sehr Vieles war nur mehr äußere Tünche und nicht geeignet, der Kaiserin einen richtigen Begriff von der eigentlichen Wohlstands- und Kulturstufe ihrer Untertanen zu geben.

Der Fürst von Ligne, welcher viel mehr sah, als Katharina selbst, bemerkt, es sei lächerlich, an die Fabel zu glauben, als seien gemaltes Papier und gemalte Leinwand unterwegs aufgestellt gewesen, aber er gibt zu, dass die Kaiserin, welche nie zu Fuße ging, manche Städte für vollendet hielt, während dieselben „keine Straßen hatten, die Straßen keine Häuser und die Häuser keine Dächer, Fenster und Türen". Man zeigte, erzählt Ligne, in der Regel der Kaiserin nur solche Häuser, Buden, Regierungsgebäude, welche vollende waren und welche, wie die Paläste der Generalgouverneure, deren jeder bei Gelegenheit der Reise der Kaiserin Silbergeschirr für je hundert Personen zum Geschenk erhalten hatte, sich stattlich präsentierten.

Der Fürst Schtscherbatow drückt es mit einem nicht zu übersetzenden russischen Bonmot aus, wie die Kaiserin wohl viel gesehen und doch wenig betrachtet habe und wie eben darum ihr Zeugnis und ihr Lob in Betreff des Gesehenen gar nichts bedeute und nur geeignet wäre zu zeigen, dass Monarchen gut tun, nichts zu loben, wovon sie nichts verstehen.

Wir werden noch bei der Erzählung des Herganges der Reise Gelegenheit haben wahrzunehmen, dass der äußere Glanz nicht eigentlich der oben erwähnten Medailleninschrift entsprach und gehen jetzt zu der Darstellung der Reise selbst über. Diese zerfällt in folgende Abschnitte: die Winterreise bis Kijew, der Aufenthalt in der letzteren Stadt, die Fahrt auf dem Dnjepr und die Begegnung mit dem Könige von Polen, Stanislaus August Poniatowski und mit dem Kaiser Joseph II, die Reise nach Chersson und in die Krim, die Rückreise nach St. Petersburg.

Unter den Personen, welche die Kaiserin auf ihrer Reise begleiteten, waren die bedeutendsten: der französische Gesandte, Graf Segur, der englische Gesandte. Fitz-Herbert, der kaiserliche Gesandte, Graf Cobenzl, der Kanzler Graf Besborodko und der damalige Günstling der Kaiserin, Graf A. M. Dmitrijew-Mamonow. Katharina hatte, den Wunsch gehegt, auch den Großfürsten Konstantin, welcher damals acht Jahre zählte, mitzunehmen, doch erkrankte derselbe kurz vor der Reise und musste in St. Petersburg zurückgelassen werden. Katharina hatte sich bereits wiederholt mit dem Gedanken beschäftigt, diesen ihren Enkel dereinst auf dem Throne von Byzanz zu erblicken. Segur bemerkt, es habe den Unmut der Kaiserin erregt, dass sie nun verhindert war, den Großfürsten an die Grenze des ihm bestimmten Reiches mitzunehmen.

Die Reise begann in der kältesten Jahreszeit, am 6/17. Januar, von Zarskoje-Sselo aus. Dorthin hatte die Kaiserin die Gesandten Englands, Frankreichs und Josephs II. aufgefordert; dort war noch am Vorabend der Reise der kleine Hofzirkel bei Katharina versammelt, welche, verstimmt durch ein vorübergehendes Unwohlsein Mamonows und durch die Erkrankung des Großfürsten, sich früher als sonst in ihre Gemächer zurückzog.

In den Morgenstunden brach man auf. Die vornehmsten Reisenden fuhren in vierzehn, auf Schlitten gesetzten, mit allen Bequemlichkeiten ausgestatteten Wagen. Alle waren in prächtige Zobel-, Bären- und Biberpelze gehüllt. Katharina hat sich mit ihrem Günstling in diesem stattlichen Reisekostüm malen lassen. Einen Stahlstich, das Portrait der Kaiserin darstellend, hat Segur dem dritten Bande seiner Memoiren beigefügt. Während der ganzen Fahrt befand sich in dem Wagen der Kaiserin stets Fräulein Protassow, das Kammerfräulein der Kaiserin, und der Graf A. M. Dmitrijew-Mamonow.

Außerdem wurde bald der eine, bald der andere der übrigen Reisenden, namentlich aber die obengenannten Diplomaten aufgefordert, der Kaiserin in ihrem Wagen Gesellschaft zu leisten. Obgleich es empfindlich kalt war — bei der Abreise zeigte das Thermometer 17 Grad Frost und die Kälte stieg später auf 20 bis 25 Grad — litten die Reisenden nicht von der niedrigen Temperatur. Die Schlittenbahn war ausgezeichnet. Die Ausländer waren überrascht durch das außerordentlich schnelle Tempo beim Fahren, über die verschwenderische Beleuchtung der Landstraße während der Abendstunden. Man lebte sehr regelmäßig während der Reise. Die Kaiserin pflegte um 6 Uhr Morgens aufzustehen, mit Besborodko, Chrapowitzki u. A. zu arbeiten, worauf sie frühstückte und die ausländischen Gesandten empfing. Um 9 Uhr pflegte man aufzubrechen. Die Fahrt wurde dann bis 2 Uhr fortgesetzt, wo man anhielt, um zu speisen. Nach Tische reiste man wieder bis gegen 7 Uhr Abends, wo man dann ein für diesen Zweck hergerichtetes Schloss erreichte. Hier erschien dann Katharina von ihren Mitreisenden umgeben, scherzte und spielte besonders liebenswürdig mit den Gesandten, zog sich in der Regel gegen 9 Uhr zurück und arbeitete dann noch ein Paar Stunden, ehe sie sich zur Ruhe begab. Für die Kaiserin selbst waren überall Schlösser und prächtige Häuser zum Empfange hergerichtet; die Gesandten und anderen Personen des Gefolges erhielten in den Städten, durch welche man reiste, bequeme Wohnungen bei reichen Einwohnern. In den Dörfern richtete man sich, so gut es eben gehen wollte, in den Bauernhäusern ein.

Sowohl im Wagen der Kaiserin als auf den Halteplätzen war die Unterhaltung meist lebhaft, geistreich und witzig und bewegte sich auf den allerverschiedensten Gebieten. Da gab es politische Winke und diplomatische Andeutungen, Bonmots und Verse, Calembours und Anekdoten. Man sprach von Mythologie und Geschichte, Literatur und Philosophie, Statistik und Landwirtschaft, erzählte einzelne Züge aus dem Leben Voltaire's, Diderot's, Mercier de la Riviere's und anderer Großen der französischen Literatur. Abends spielte man Karten oder gab Rätsel und Charaden auf. Ségur zeichnete sich im Dichten von bouts-rimés aus; Fitz-Herbert glänzte durch geistreiche und tiefe Bemerkungen, die er mit englischem Phlegma, aber nicht ohne einen Anflug von Sentimentalität vortrug; Cobenzl, einer der Vertreter der prinziplosen Vergnügtheit, an denen jene Zeit bis 1815 besonders reich war, tat sich durch stets gute Laune hervor, durch unverwüstlichen Humor, durch sein Talent Abendgesellschaften mit allerlei drolligen Einfällen zu unterhalten, lebende Bilder zu inszenieren u. dgl. m. Die Gesandten reisten ohne ihre Büros, ohne ihre Sekretäre, nur von einigen Dienern begleitet. Die Geschäfte sollten ruhen, die Etikette schien in ihren strengsten Formen beseitigt zu sein, das Hofzeremoniell war auf ein Minimum beschränkt. Man schwelgte in dem Genuss der Umgangsformen, in dem Zauber der Konversation, welche Talleyrand, einer der größten Meister in dieser Kunst, als das größte Glück pries, das dem Menschen in diesem Leben zu Teil werden könne. Aus den Memoiren Ségurs, den Briefen de Lignes, den Bemerkungen Katharinas kann man ersehen, welche ausgezeichnete Anlagen die Reisenden für einen solchen Genuss mitbrachten.

Mit unnachahmlichem Takt verstand es Katharina die Konversation zu leiten, zu beleben, die übermütigen Einfälle de Ligne's, der in Kijew sich zu den Reisenden gesellte, die gern in das Frivole, Equivoque hinüberschweifenden Anekdoten Ségurs in gewissen Schranken zu halten. Mit großer Geschicklichkeit verstand sie es, über Russland, russische Verhältnisse, russische Politik zu reden, Alles in günstigstem Lichte darzustellen. Mit Beredtsamkeit schilderte sie den angeblichen Volkswohlstand im Wolgagebiet, welches sie auf einer früheren Reise besucht hatte, die Fruchtbarkeit des Bodens, die Ertragsfähigkeit der Fischereien, die Leichtigkeit, unter so günstigen Bedingungen zu verwalten, zu reformieren, zu regieren. Je genauer sie davon unterrichtet war, dass man im Westen die russischen Zustände sehr ungünstig beurteilte, desto mehr war sie bemüht, wenigstens das Unheil der Gesandten günstiger zu stimmen. Mit studierter Bescheidenheit nannte sie ihr großes Reich wohl „ihren kleinen Haushalt".