Vierte Fortsetzung

Ein Paar Tage, nachdem die Reisegesellschaft von Kijew aufgebrochen war, fand die Begegnung zwischen der Kaiserin und dem Könige von Polen, Stanislaus August Poniatowski, statt. Bei den damaligen Verhältnissen Polens musste das Erscheinen der Kaiserin an der polnischen Grenze, welche vom Dnjepr gebildet wurde, als ein bedeutendes Ereignis gelten. Der König und seine Anhänger wünschten den Abschluss eines Bündnisses mit Russland, welches besonders für den Fall eines Bruches zwischen der letzteren Macht und der Pforte von der größten Wichtigkeit sein musste. Aber auch die Gegner des Königs, die Mitglieder der Reichstagsopposition, wünschten eine Annäherung an Katharina und Potemkin, wollten indessen zugleich die Gelegenheit wahrnehmen, den französischen Gesandten Segur für Polen zu interessieren. Ignatius Potozki erzählte dem Grafen Segur, der König habe nur darum eine Zusammenkunft mit der Kaiserin Katharina zu veranstalten gewünscht, um dieselbe zum Kriege gegen die Türkei zu reizen.

Bereits am 28. Februar hatte der König Stanislaus Poniatowski Warschau verlassen und erwartete mehrere Wochen hindurch in Kanew die Ankunft der Kaiserin. Einige der polnischen Großen, welche in Kanew den König umgaben, reisten wiederholt aus Kanew nach Kijew — die Entfernung betrug nur wenige Meilen — und kehrten wieder zum Könige zurück. Noch ehe der König nach Kanew kam, hatte er, in Chwostow, ein Gespräch mit Potemkin, bei welchem er sich über die Haltung seines Hauptgegners, Branickis, beklagte. Einige russische Würdenträger, der Sohn des Feldmarschalls Rumjanzow, der Oberstallmeister Naryschkin, die Generale Lewaschow und Schuwalow, der Graf Besborodko, statteten dem Könige Besuche ab. Es wird erzählt, der König habe bei dieser Gelegenheit dem Grafen Besborodko die Frage vorgelegt, ob ein Krieg Russlands mit der Pforte in der nächsten Zukunft zu erwarten sei. Besborodko antwortete: „der Bruch ist nicht so nahe bevorstehend, wie man glaubt." Durch den russischen Gesandten in Polen, den Grafen Stackelberg, hatte er der Kaiserin ein Memoire über die polnischen Verhältnisse unter dem Titel: „Soahaits du roi" überreichen lassen und erwartete die Antwort. Er hatte darin der Kaiserin ein polnisches Bündnis angetragen und hoffte dadurch seine Stellung in Polen zu befestigen. Katharina schickte dem Könige ein Antwortschreiben, aber er zeigte dasselbe Niemandem und hielt es wohlverwahrt in seiner Schatulle. Unter allerlei Vorwänden verhinderte man russischerseits einen Besuch des Königs in Kijew. Man fürchtete, er werde seinen Neffen als polnischen Thronerben anerkannt wissen wollen.
So wartete denn der König mehrere Wochen hindurch in dem am Dnjepr gelegenen polnischen Städtchen Kanew, bis dann endlich am 25. April die Galeerenflotte der Kaiserin an den Mauern der Stadt, auf denen reich gekleidete Krieger Wache hielten, vor Anker ging. Graf Besborodko und Fürst Barjatinski begaben sich zum Könige, um denselben zu einer Zusammenkunft mit Katharina einzuladen, worauf sich dann der König in einer prächtig geschmückten Schaluppe zu der Galeere der Kaiserin verfügte. In die Schaluppe einsteigend, sagte er zu den russischen Würdenträgern: „Meine Herren, der König von Polen hat mir den Auftrag gegeben, Ihnen den Grafen Poniatowski zu empfehlen".


Es waren dreiundzwanzig Jahre seit der Zeit vergangen, da Katharina und Stanislaus August Poniatowski in einem näheren Verhältnisse zu einander gestanden hatten. Damals, in den letzten Jahren der Regierung der Kaiserin Elisabeth, als gerade ein allgemeiner Angriff auf Friedrich den Großen geplant wurde, im Jahre 1756, hatte Poniatowski am russischen Hofe eine Zeit lang als polnischer Diplomat fungiert. Er war von der Großfürstin, welche gerade diese Zeit in ihren Memoiren etwas ausführlicher behandelt, ausgezeichnet worden. Seitdem hatten Beide einander nicht gesehen. Mit großer Spannung beobachteten die Anwesenden, denen jene Episoden aus der Jugendzeit Katharinas und des Königs nicht unbekannt sein konnten, wie die Kaiserin den letzteren empfing. Sie tat es mit großer Würde, geleitete ihn dann in ihr Kabinett, wo sie mit demselben etwa eine halbe Stunde allein blieb. Als die beiden hohen Personen wieder erschienen, glaubten die Anwesenden eine Spur von Verwirrung in den Mienen der Kaiserin wahrzunehmen. Der König war nicht ohne einen Anflug von Traurigkeit, bewahrte aber eine ruhige und feste Haltung und sprach mit großer Sicherheit.

Der Fürst Potemkin, welcher den König erst in diesem Augenblicke kennen lernte, soll sehr befriedigt gewesen sein von der Erscheinung des Königs; man meinte sogar es diesem Umstände zuschreiben zu müssen, dass Stanislaus noch mehrere Jahre auf dem polnischen Throne blieb. Es ist nicht unmöglich, dass Potemkins persönliches Interesse zum Teil von seinen Beziehungen zum König abhing. Es wird erzählt, als habe der König dem Fürsten Potemkin den Vorschlag gemacht, dessen große im Königreich Polen befindliche Güter in ein Fürstentum zu verwandeln, dessen Beziehungen zu Polen in der Weise geregelt sein sollten, wie diejenigen Kurlands; der Fürst aber, wie weiter berichtet wird, habe diesen Antrag abgelehnt, wie er auch schon früher den Besitz Kurlands zurückgewiesen habe".

Während der Unterredung des Königs mit Katharina soll der Erstere der Kaiserin eLi eigenhändiges Memoire über die Lage Polens überreicht haben. Es waren darin Klagen über die Haltung der in Polen befindlichen russischen Truppen enthalten. Potemkin suchte den König zu begütigen, indem er ihm bedeutende Vorteile in Aussicht stellte ""'. Es scheint, dass hierbei des Königs persönlicher Vorteil im Spiele gewesen sei. Wenigstens wurde später dem Könige seine Handlungsweise während der Zusammenkunft mit der Kaiserin zum Vorwurf gemacht. Es galt die Annahme, dass der

König im Verein mit einigen Polen eine Art Verschwörung gegen das Königreich geplant habe. Von einem in Kanew abgeschlossenen Vertrage ist nur in Herrmanns „Geschichte des russischen Staats" die Rede, wobei auf die Berichte der sächsischen Diplomaten aus Warschau und St. Petersburg als Quelle hingewiesen wird. In der Beilage zum sechsten Bande seines Werkes teilt Herrmann den Entwurf eines solchen Vertrages mit. In demselben wird die Menge der Truppen bestimmt, welche Polen im Falle eines Krieges zu stellen habe und ebenso die Subsidien, welche Polen dafür von Russland erhalten solle. Ferner sollte Kurland, diesem Entwürfe zufolge, dem Fürsten Potemkin abgetreten werden; dem Könige wird eine Erhöhung seiner Einnahmen um 2 Millionen sowie die Bezahlung seiner Schulden in Aussicht gestellt. Außerdem sollte die Kaiserin einige Verstärkung der monarchischen Gewalt gestatten, insofern als der König seine Minister ernennen und absetzen, die Reichstagsbeschlüsse genehmigen oder verwerfen dürfte u. s. w. Die Existenz eines derartigen Vertragsentwurfs, auf welchem sogar bemerkt ist, welche Punkte von der russischen Regierung genehmigt worden seien und zu welchen Punkten die Kaiserin ihre Zustimmung verweigert habe M, beweist nur, dass um die Zeit, in welcher die Zusammenkunft stattfand, Verhandlungen gepflogen wurden, nicht aber, dass es in Kanew zum Abschluss eines Vertrages gekommen sei. Die späteren Ereignisse enthalten keine Bestätigung der Annahme, dass ein Vertrag geschlossen Wurde. Dagegen kann man mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, dass das von dem Könige der Kaiserin in Kanew überreichte Memoire mit dem von Herrmann mitgeteilten Vertragsentwurfe, dessen Abschrift sich im sächsischen Archiv befindet, im Zusammenhange gestanden habe Kostomarow bemerkt, dass Katharina damals den förmlichen Abschluss eines Vertrages mit Polen gar nicht für dringend halten konnte; der Krieg mit der Türkei wurde gar nicht als so nahe bevorstehend für wahrscheinlich gehalten; die kaiserlichen Höfe wünschten nicht in so unmittelbarer Zukunft die Türkei zum Bruche zu veranlassen; ein derartiger Vertrag mit Polen konnte, wenn derselbe bekannt wurde, als ein arger Ausfall gegen die Pforte gelten. Ebenso konnte der Abschluss eines solchen Vertrags die europäischen Mächte reizen; nicht bloß die preußische Regierung wäre damit höchst unzufrieden gewesen, auch Joseph hätte ihn gemissbilligt. So hätte denn ein solcher Vertrag, statt Russland zu nützen, leicht nachtheilbringend sein können.

Die Zusammenkunft hatte vorwiegend den Charakter eines Höflichkeitsbesuches. Von Politik kann nur wenig gesprochen worden sein. Man suchte die Zeit mit Scherzen und Lustbarkeiten hinzubringen. An der Mittagstafel, welche auf der Galeere „Dessna" abgehalten wurde, ging es lebhaft her, so berichtet ein Augenzeuge. Ein Anderer berichtet, man habe wenig gesprochen, wenig gegessen, aber um so mehr beobachtet. Es wurde auf die Gesundheit des Königs getrunken. Nach Tische stattete der König in Potemkins Gesellschaft den russischen Würdenträgern und Generalen in der Eigenschaft eines Grafen Poniatowski Besuche ab und verbrachte den Abend bei der Kaiserin. Zusammen mit Katharina vertrat er die Patenstelle bei der dabei veranstalteten Taufe eines Kindes des Grafen Tornowski und machte sodann mit der Kaiserin, dem Grafen Stackelberg, dem Fürsten Potemkin und dem Grafen Mamonow eine Kartenpartie. Endlich gab die Kaiserin das Zeichen zum Aufbruch. Stanislaus August soll leise den Fürsten Potemkin gefragt haben: „Ist einige Hoffnung auf längeren Aufenthalt vorhanden?" Potemkin verneinte es. In einem Nebengemach sagte die Kaiserin zu Stanislaus August: „Es ist spät; ich weiß, dass Sie Besuch haben zum Abendessen; meine Reise ist lang; ich muss zu meinem Bedauern von Ew. Majestät Abschied nehmen." Der König beklagte lebhaft, nur so kurze Zeit mit der Kaiserin habe verbringen zu können. „Lassen Sie keine trüben Gedanken aufkommen", tröstete Katharina, „rechnen Sie auf meine Freundschaft, auf meine Ihnen und Ihrem Reiche wohlwollenden Absichten."

Segur erzählt noch die Anekdote, dass, als der König, sich zum Fortgehen anschickend, seinen Hut suchte, Katharina ihm denselben reichen ließ, worauf Stanislaus August bemerkte, „er habe schon einmal einen Hut aus Katharinas Händen empfangen, und zwar einen schöneren als diesen — nämlich die polnische Krone." Katharina schmückte den König mit dem Andreasorden, blieb aber indessen in etwas kühler Haltung.

Hierauf folgte in den Gemächern des Königs in Kanew ein glänzender Ball und ein Abendessen, zu welchem das Gefolge der Kaiserin geladen war. Aus den Fenstern sahen die Gäste des Königs ein prachtvolles Feuerwerk, welches den Ausbruch des Vesuv darstellte.

Damit waren die Festlichkeiten in Kanew zu Ende und am andern Morgen lichtete die Galeerenflotte die Anker, um die Reise flussabwärts fortzusetzen. Aus einer von glaubwürdiger Seite mitgeteilten Äußerung der Kaiserin ersehen wir, dass sie „froh war, von der Unruhe des vergangenen Tages erlöst zu sein." Sie klagte: „Der Fürst Potemkin sprach kein Wort; ich musste fortwährend sprechen: die Zunge ist mir ganz trocken geworden; fast würde ich ärgerlich durch die Bitte, länger zu verweilen; der König versuchte zu feilschen: er verlangte drei Tage, dann zwei, dann wollte er sich schließlich begnügen, wenn ich nur bis zum Mittag am andern Tage bliebe."