Sechste Fortsetzung

Einige Tage nachdem die Reisegesellschaft von Krementschug aufgebrochen war, fand die Begegnung zwischen Katharina und Joseph II. statt.

Schon im Jahre 1781, als Joseph der Kaiserin von seiner Absicht, nach Florenz zu reisen, geschrieben hatte, drückte Katharina den Wunsch aus, den „Grafen Falkenstein" einmal in Chersson begrüßen zu können. In sehr verbindlicher Weise erwiderte Joseph, dass er eine Reise nach Mohilew, nach St. Petersburg oder nach Chersson und überhaupt dahin, wo er die Kaiserin sehen könne, viel lieber unternehmen würde, als eine Reise nach Italien. Seitdem hatten die türkischen Angelegenheiten eine hervorragende Stelle in dem Briefwechsel Josephs mit Katharina eingenommen. Hin und wieder spricht Katharina die Hoffnung aus, den Kaiser in Südrussland zu sehen, indem sie mit Entzücken sich der Begegnung mit Joseph in Mohilew im Jahre 1780 erinnert.


*) S. d. „Russische Archiv" 1864. S. 967. Über den Aufenthalt in Krementschug finden sich einige Einzelheiten bei Castera. u A. eine Anekdote von Sumarow, eine Schilderung der blühenden Dörfer am Dnjepr. In dem offiziellen Bericht der Reise ist eines Orchesters erwähnt, das aus 186 Leibeigenen Potemkins bestand. Über die Reform in der Uniformierung der Truppen spricht Engelhardt in seinen Memoiren, S. 51, und erwähnt dabei lobend des Fürsten Potemkin. Auch Ségur lässt einige Erfolge der administrativen Tätigkeit Potemkins gelten, wie er denn u. A. das Zunehmen der Bevölkerung erwähnt.

Am 10. August 1786, nachdem sie in einem recht ausführlichen Briefe an Joseph über die beständigen Einfälle der türkischen Untertanen und Bundesgenossen in das Gebiet des kaukasischen Fürsten und russischen Vasallen Heraklius Klage geführt hatte, fügte sie in einem Postskriptum hinzu: „Gestatten mir Ew. Majestät Ihnen mitzuteilen, dass ich gesonnen bin im nächsten Jahre eine Reise zu unternehmen, in Betreff welcher sich Ew. Majestät in Ssmolensk in so freundschaftlicher Weise ausgesprochen haben. Im Januar reise ich nach Kijew, wo ich bis zur Hälfte des April bleibe; hierauf reise ich auf dem Dnjepr bis zu den Stromschnellen, und von da über Chersson, nach der Krim. Ich wage es nicht, meine Hoffnungen weiter auszudehnen und habe es nur für meine Pflicht gehalten, Ihnen von meinem Vorhaben Nachricht zu geben."

Eine solche Andeutung konnte noch nicht als eine Einladung gelten, doch darf man vermuten, dass der kaiserliche Gesandte in St Petersburg schon früher von Katharina ersucht worden war, den Kaiser zu einer Reise nach Südrussland aufzufordern. Es findet sich nämlich in einem Handbillet des Kaisers an Kaunitz vom 9. August 1786 die Bemerkung, er erwarte in der allernächsten Zeit eine solche Einladung, es werde nicht leicht sein der Kaiserin zu antworten, indem er lebhaft wünsche, unter irgend einem Vorwande diese Einladung abzulehnen. Indem er nun wenige Tage später dem Fürsten Kaunitz jenes Schreiben Katharinas mit dem die Reise betreffenden Postskriptum zusandte, bemerkte Joseph, er finde eine solche Art einzuladen sehr seltsam und habe nicht übel Lust, klar und kurz dieser in eine Katharina von Russland verwandelten Prinzessin von Zerbst (à la Princesse de Zerbst Catherinisee) anschaulich zu machen, dass es sich nicht zieme, in dieser Weise über ihn, den Kaiser, zu verfügen. In einem Postskriptum, der Kaiserin hierin nachahmend, bemerkte Joseph in einem Schreiben an Katharina am 10. September, dass er, obgleich seit 1780 die Verhältnisse sich wesentlich geändert hätten, insofern als er der Sklave vieler Pflichten geworden sei, doch die Hoffnung hege, mit der Kaiserin zusammenzutreffen, vorausgesetzt, dass nicht andere wichtige Angelegenheiten ihn von einer solchen Reise abhalten würden 9B- Offenbar dachte der Kaiser daran, die Einladung im letzten Augenblicke abzulehnen. Indessen erwähnt er in einem Schreiben an Kaunitz der bevorstehenden Reise, die er möglichst abzukürzen und nicht vor dem Frühling anzutreten wünscht. Dabei spricht er sich etwas gereizt und verwundert darüber aus, dass man in St. Petersburg auch nicht im Mindesten an seinem Kommen zweifle. Kaunitz dagegen stellte dem Kaiser vor, wie notwendig es sei. sich die Freundschaft Katharinas zu erhalten, indem man gar nicht wissen könne, von wie großem Nutzen die energischen Entschlüsse der Kaiserin sein würden. Er erwartete, dass eine zweite Zusammenkunft Josephs und Katharinas entscheidend sein werde für den Rest des Lebens des Kaisers; eine solche Zusammenkunft werde gelingen, wie auch die erste gelungen sei, nur müsse man Katharina in Zukunft ebenso rücksichtsvoll behandeln als bisher; es komme darauf an, dass die Kaiserin in Joseph denselben Grafen Falkenstein wiederfinde, der ihre Eroberung gemacht habe.

So entschloss sich denn Joseph zu reisen und bei dieser Gelegenheit, wie schon früher, oft der Kaiserin zu schmeicheln. Er schrieb derselben am 22. Dezember 1786 in den überschwänglichsten Ausdrücken, wie entzückt er sei, die Kaiserin wiederzusehen und wie er der Kaiserin zu zeigen hoffe, dass Graf Falkenstein seit 1780 sich nicht verändert habe. *) In ähnlicher Weise antwortete Katharina am 26. Dezember 1786 (6. Januar 1787). Am 4. (15.) Februar schrieb Joseph der Kaiserin, er könne kaum den Augenblick des Wiedersehens erwarten, nur werde Katharina den Grafen Falkenstein sehr gealtert finden, eine Perücke entstelle ihn, er sei nicht mehr so heiter wie früher und dgl. Noch mehrere derartige Briefe wurden vor der Zusammenkunft gewechselt. Es werden die Tage und Stunden bis zum Wiedersehen gezählt, die stets abnehmende räumliche Entfernung mit Freude beobachtet. Katharina schenkt seiner Versicherung, er habe sehr gealtert, keinen Glauben. Er beteuert, dass die bloße Nennung des Namens Chersson, wo er Katharina treffen werde, ihm Herzklopfen verursache. Sie ist sehr zufrieden, dass endlich einmal ein ganz unbefangener und gerechter Zeuge, ein erfahrener und unparteiischer Richter, über Russland urteilen werde. Er verspricht der Kaiserin allen Glanz der Kaiserwürde in Brody abzulegen und als einfacher Edelmann zu erscheinen, um tausendmal der Kaiserin, seine Verehrung auszudrücken u. dgl. m."

*) Im J. 1780 lebte Marie Theresia noch und Joseph hatte weniger Regierungssorgen.

Die letzten Briefe des Kaisers sind schon unterwegs geschrieben. Auf dem Wege zwischen Brody und Chersson traf Joseph, auf der Poststation in Korssun, mit dem Könige Stanislaus August Poniatowski zusammen. Er hatte ihn noch nie gesehen, behandelte ihn aber sehr wohlwollend und freundlich als alten Bekannten. Joseph sagte ihm u. A.: „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort und Sie können es der ganzen Welt wiederholen, dass ich von Polen nichts will, verstehen Sie, nichts — nicht einen einzigen Baum. Übrigens muss Ihnen die Kaiserin schon dasselbe gesagt haben ". An Kaunitz schrieb Joseph über diese Begegnung: „Ich schied von ihm mit Beteuerungen der Freundschaft und dass ich die Verträge achten und die Verfassung Polens schützen würde."

Bereits am 3. (14.) Mai traf Joseph II. in Chersson ein, wo er von dem Sohne des Feldmarschalls Grafen Rumjanzow empfangen wurde. Mittlerweile war die Kaiserin Katharina in lebhafter Besorgnis, dass sie den Kaiser warten lasse. Am 5. Mai schrieb sie an denselben, sie trage keine Schuld an dem Aufenthalte, aber sie habe mit allzu großen Schwierigkeiten auf dem Wege zu kämpfen und könne nicht so rasch fortkommen, als sie wünsche. Ebenso schrieb sie an Jerozkin, sie erwarte jeden Augenblick die Ankunft des Grafen Falkenstein, bei welchem sie sich wegen des durch die Hindernisse der Reise verursachten Aufenthaltes entschuldigt habe. Sie wisse, mit wem sie zu tun habe und sei überzeugt, dass ein solcher Zwischenfall ihr Verhältnis nicht trüben werde.

Während seines 36stündigen Aufenthaltes in Chersson besichtigte Joseph in Begleitung des Feldmarschallleutnants Grafen Kinski die neuen Festungsbauten, die Werften, die Magazine u. s. w. und brach dann auf, um Katharina entgegenzufahren. Kaum hatte Katharina auf ihrer Galeere durch den Grafen Rumjanzow von der Ankunft des Kaisers in Kaidaki Nachricht erhalten, als sie sich sogleich ans Ufer begab und im Wagen dem Kaiser entgegenfuhr. Im Gefolge der Kaiserin befanden sich der Fürst Potemkin, Graf Branicki, der Prinz von Nassau-Siegen. Die Begegnung fand einige Werst weit vom Dnjepr statt. Einige Zeit verbrachte die kleine Gesellschaft in der Hütte eines Kosaken, wo die genannten Begleiter der Kaiserin, weil es an anderer Bedienung fehlte, ein Mittagsessen bereiteten. Die Speisen waren recht schlecht und ungenießbar, doch herrschte bei der Tafel die größte Heiterkeit, weil Katharina es verstand, ihren Gast mit großer Liebenswürdigkeit zu bewillkommnen und zu unterhalten.

Nach Tische fuhr man zu den Galeeren, wo sich dem Kaiser ein lebhaftes Bild der Verwirrung bot. Indem man die Reise zu Lande fortzusetzen gedachte, musste Vieles von den Schiffen auf die Wagen umgeladen werden. Dies war mit großen Schwierigkeiten verbunden. Die unbeholfenen Fahrzeuge konnten nur mit großer Mühe hart ans Ufer gebracht werden. Bei der Menge des Gepäcks und der fortzuschaffenden Vorräte, bei der Zahl der Reisenden fehlte es an Fuhrwerken. Viele der letzteren brachen und dann lag alle Bagage — Matratzen, Kissen, Silberzeug, Lebensmittel — auf der Steppe um her. Joseph war verwundert über eine solche „Confusion" und wünschte sich Glück zu dem Umstande, dass er sein gesamtes Gepäck auf einer Kalesche untergebracht hatte. Er fand überhaupt den Mangel des Komforts auf der Reise sehr unbehaglich und bemerkt, es habe sehr viel zu essen gegeben, doch seien die Speisen meist schlecht, kalt und hart gewesen. „Ohne die Kaiserin und einige Herren, die recht angenehm sind", schrieb Joseph, „wäre eine solche Reise eine Höllenstrafe." An Luxus fehlte es nicht, wohl aber oft an dem Notwendigsten. Auf der Galeere des Fürsten Potemkin befanden sich 120 Musikanten, aber, als ein Offizier sich die Hände verbrannte, suchte man vier Tage einen Arzt, ohne einen zu finden, so dass Joseph II. die Rolle eines Chirurgen spielen und den Verunglückten verbinden musste, und als endlich ein Arzt im Gefolge der Kaiserin sich fand, stellte sich heraus, dass es an den nötigen Arzneimitteln fehlte.

Mittlerweile war, um das Unbehagen zu erhöhen, eine Veränderung des Wetters eingetreten: es wurde empfindlich kalt. In Kaidaki, wo für die Reise der Kaiserin ein prächtiger Palast aufgeführt worden war, saß man Abends vor dem brennenden Kamin, um sich zu erwärmen, und hüllte sich in warme Kleider.

Hierauf fuhren die Reisenden nach Chortiza. Auf dem Wege dorthin erfolgte die denkwürdige Grundsteinlegung der Stadt Jekaterinosslaw.