Neunte Fortsetzung

Die Reise von Perekop nach Moskau währte einen Monat. In Krementschug, wo Katharina sich zwei Tage aufhielt, trennte sich Prinz Nassau von der Reisegesellschaft und begab sich nach Frankreich. In Poltawa veranstaltete der Fürst Potemkin ein großes Truppenmanöver, welches die Schlacht vom Jahre 1709 vorstellte. Der Graf Ségur bemerkt, dass dieses Schauspiel der Kaiserin ausnehmend gefallen habe. Sie wandte sich an den Fürsten Ligné und bemerkte, jener Katastrophe Karls XII. gedenkend, dass das Schicksal großer Staaten sich sehr rasch verändere und dass die von den schwedischen Feldherren bei Poltawa gemachten Fehler verhängnisvoll geworden seien für die Stellung Schwedens in Europ.

Über Charkow, Kursk und Orel reiste die Kaiserin nach Moskau. In Charkow verabschiedete sich der Fürst Potemkin von Katharina, welche ihm hier den Beinamen des „Taurischen" verlieh, und begab sich in seine Statthalterschaft zurück. Man reiste langsam und Katharina schrieb an Ssaltykow am 11. Juni 1787: „Ich kann unmöglich schneller reisen, als es dem Programm entspricht, weil Alle gesättigt sein und Ruhe haben müssen. Wenn man mit einem Gefolge, wie ich es habe, täglich vier Stationen zurücklegt, so genügt das; wir können so wenigstens damit prahlen, dass Alle gesund und unverletzt sind, trotz der großen Entfernung und des Geschwätzes der Leute, welches in Verleumdung ausartet. In allen Städten wiederholten sich die üblichen feierlichen Audienzen, die Adressen, Reden, Bälle u. s. w. Ségur bemerkt, dass man in diesen reichsten Gegenden die Kaiserin besonders herzlich empfing“. In Orel veranstalteten Dilettanten eine dramatische Vorstellung. Es wurden ein Lustspiel und eine Oper aufgeführt". In Tula besichtigten die Reisenden die Gewehrfabrik. Der Fürst Ligné und Graf Ségur erzählen mancherlei von der geistigen Frische der Kaiserin auch während der Rückreise, von den Einfällen Katharinas, wohl auch von ernsteren politischen Gesprächen, wie denn u. A. recht eingehend über die Bedeutung des nordamerikanischen Freiheitskrieges gesprochen wurde.


*) Katharina schrieb an den Großfürsten Alexander von dieser Darstellung der Schlacht bei Poltawa; s. ihr Schreiben an Ssaltykow vom 9. Juni 1787 im „Russischen Archiv" 1864. S. 973.
**) Dass Potemkin erst hier den Beinamen erhielt, ist zu ersehen aus dem Tagebuch Chrapowitzkis und der Biographie Katharinas von Kolotow III, 152.

Am 28. Juni traf Katharina in Moskau ein. Sie pflegte anzunehmen, dass die zweite Hauptstadt nicht eigentlich besonders loyal gesinnt sei. In Moskau begann eine neue Reihe von Festen, welche von reichen Edelleuten veranstaltet wurden. Den größten Luxus entfaltete der Graf Scheremetjew bei einem zu Ehren der Kaiserin veranstalteten Balle und Souper. Diesen Festen aber machte der Umstand plötzlich ein Ende, dass Katharina zufällig von der in vielen Gegenden des Reiches herrschenden Hungersnot erfuhr. Man hatte ihr bis dahin absichtlich von dieser Kalamität nichts mitgeteilt. Jetzt hielt sie es für unangemessen, an weiteren Lustbarkeiten Teil zu nehmen, während das Volk Mangel litt, und eilte nach St. Petersburg, wo sie am 11. Juli eintraf.

Es gewährte der Kaiserin Vergnügen, sich ihrer Reise zu erinnern. Sie schrieb am 1. Juli 1787 an Zimmermann, sie habe die herrlichsten Gegenden, den klimatisch glücklichsten Himmelsstrich der Erde gesehen; besonders das Klima der Krim lobte sie. Als am 5. August ein Bericht des Admirals Greigh über die Notwendigkeit einer Vertiefung des Hafens von Kronstadt verlesen wurde, scherzte Katharina, man müsse auch noch den Hafen von Ssewastopol tiefer machen. Als schlechtes Herbstwetter eintrat, klagte sie, jetzt sei es südlich von Krementschug ganz anders, viel freundlicher; ,,ma seconde pensée y est toujours", seufzte sie. „Hier", bemerkte sie ein andermal, ,,warten wir unser Lebelang auf gutes Wetter, wie ganz anders ist die Lage von Jekaterinosslaw".

Nicht so günstig urteilte Joseph II. über die während der Reise empfangenen Eindrücke. Er schrieb sehr ausführlich darüber an den Feldmarschall Grafen Lacy, über den Verfall der Städte in der Krim, über die Unzufriedenheit der Tataren, welche jeden Augenblick sich von Russland freizumachen» wünschten, über die schlimme Lage der Ausländer, die sich in der letzten Zeit in der Krim angesiedelt hatten, über einige starke Fehler in der Verwaltungsweise des Fürsten Potemkin. Der Kaiser fand, dass vor allen Dingen überall Wege gebaut und die Südküste bevölkert werden müsste, dass man sich die Entwickelung einer Handelsflotte angelegen sein lassen müsse; diese, meinte Joseph, wäre dann die beste Schule für die Bemannung der Kriegsschiffe; nur so werde Russland das ersehnte Ziel erreichen — die Verjagung der Türken aus Europa.

Die Reisenden konnten oft nicht umhin, die Früchte der Wirksamkeit Potemkins zu bewundern. Der Fürst Ligne, Ségur u. A. waren in einzelnen Augenblicken überrascht, optimistisch gestimmt, aber besonders aus den Unterredungen Ségurs mit Joseph II. ist zu ersehen, dass eine ruhige Betrachtung die Oberhand behielt und dass man von Potemkins administrativer Tätigkeit keineswegs sehr große Resultate zu erwarten geneigt war. U. A. sagte Joseph II.: ,,Ich sehe in allem Diesem mehr Effekthascherei, als inneren Wert. Potemkin versteht es anzufangen, aber nicht zu vollenden. Da man weder Geld noch Menschen schont, so erscheint Alles leicht ausführbar. Wir in Deutschland oder in Frankreich würden nie das zu unternehmen wagen, was man hier wagt. Der Sklavenbesitzer befiehlt — die Sklaven arbeiten; man bezahlt hier entweder gar nicht oder schlecht; man füttert sie schlecht; sie klagen nicht, und ich weiß doch, dass in den neuerworbenen Gouvernements im Laufe von drei Jahren gegen 50.000 Menschen der Erschöpfung, dem sumpfigen Klima erlegen sind; Niemand ließ eine Klage laut werden; Niemand sprach auch nur davon". Ein andermal sagte Joseph: „Sie sehen, dass man hier das menschliche Leben und die menschliche Arbeit nicht achtet, man baut hier Kunststraßen, Kriegshäfen, Festungen, Paläste in Morästen, lässt in der Steppe Wälder anlegen und zahlt dabei keinen Arbeitslohn. Die Arbeiter klagen nicht, sind von Allem entblößt, haben kein Bett, leiden Hunger“. Ségur sagte: ,,Alles wird begonnen, nichts vollendet. Sehr oft lässt Potemkin das ruhen, was soeben erst angefangen war, nicht ein einziger Entwurf wird solide gemacht, geschweige denn ausgeführt. — In Jekaterinosslaw haben wir eine Stadt gesehen, die nie bewohnt worden, eine Kathedrale, in welcher nie die Messe gelesen werden wird; die für Jekaterinosslaw gewählte Örtlichkeit ist wasserarm; Chersson ist von einer sumpfigen Fieberluft umgeben. In den letzten Jahren sind die Steppen öder geworden als sie es früher schon waren. Die Krim hat zwei Dritteile ihrer Bevölkerung verloren. Kaffa ist herabgekommen und wird sich nie wieder emporraffen. Nur Ssewastopol ist in der Tat ein wunderbarer Fleck Erde, aber es wird noch lange währen, ehe dort eine wirkliche Stadt bestehen wird. Man hat nur Alles zur Ankunft der Kaiserin zeitweilig aufgeputzt. Sie ist fort und aller Zauber schwindet. Ich kenne den Fürsten Potemkin, sein Stück ist ausgespielt und der Vorhang ist gefallen; er wird sich jetzt mit anderen Dingen beschäftigen, mit Polen oder mit der Türkei. Eine wahrhaft tüchtige Verwaltungsweise, welche Beharrlichkeit erfordert, ist unverträglich mit seinem Charakter". Joseph schloss die Unterredung, indem er die ganze Reise als eine „Halluzination" bezeichnete .

Und nicht bloß Ausländer urteilten so. Auch in Russland dachte man in ähnlicher Weise, wie u. A. aus den Bemerkungen des Fürsten Schtscherbatow zu ersehen ist. Die Unzulänglichkeit der Administration Potemkins, der Gegensatz von Schein und Sein in Allem, was Katharina im Süden bewundert hatte, stellte sich heraus, als der Krieg mit der Türkei ausbrach. Obgleich Potemkin als ein Haupturheber des Bruches mit der Pforte gelten konnte, erwiesen sich seine Vorbereitungen zum Kriege als höchst mangelhaft. Dies zeigen die auf die Reise Katharinas folgenden Ereignisse.
A. BRÜCKNER.