Dritte Fortsetzung

Die Gesandten schienen entzückt; sie überhäuften die Kaiserin mit Lobsprüchen darüber, dass es ihr so schnell gelungen sei, die rohen Sitten ihres Volkes zu mildern, die Kultur Russlands zu heben. Daran knüpften sich dann Erörterungen über Russlands Geschichte; man sprach über Peter den Großen, die Kaiserin Anna, über Biron. Von Peter, dessen Bildnis die Kaiserin stets bei sich hatte, sagte sie, dass dies geschehe, damit sie stets sich fragen müsse, was jener große Monarch an ihrer Stelle getan, gedacht, verboten, gestatte haben würde.

Und doch, sagt Ségur, wäre in allem Diesem nichts natürlich, Alles geschminkt, offiziell, geschraubt gewesen. Man habe mehr Theater- als Reiseeindrücke gehabt; statt zu beobachten, sei man beobachtet worden; in dem Rausch von Festen, Bällen, Ovationen habe man keine Zeit gehabt zu ruhiger Überlegung, zur Sammlung. Russland erschien den Reisenden wie durch eine Zauberlaterne magisch beleuchtet, kaleidoskopisch, buntschillernd. Alle Eindrücke waren künstlich berechnet; die Ungezwungenheit eine gezwungene; obgleich man erklärt hatte, die Etikette sei beseitigt, behauptete sich dieselbe. Man war im Wagen der Kaiserin oder auf einer beliebigen Station dasselbe, was man in dem kleinen Hofzirkel der Eremitage oder im Lustschlosse von Zarskoje-Selo gewesen war. Dieselben Personen, welche während der Reise in scheinbarer Unbefangenheit scherzten und allerlei Kurzweil trieben, mussten dazwischen denn doch immer wieder an einen etwa bevorstehenden Bruch Russlands mit der Pforte, an die in Frankreich sich vorbereitende Krisis, an die Intrigen Englands und Frankreichs in ihren Beziehungen zu einander, an das Streben Friedrich Wilhelms II., einen entscheidenden Einfluss in Europa zu gewinnen, denken. Jeder fühlte sich als der Vertreter ganz bestimmter politischer Interessen; Jeder empfand die Verantwortlichkeit für jedes Wort, das gesprochen wurde. Nur äußerlich feierte die Politik. In fast Allem war politische Tendenz, diplomatische Berechnung, das Streben, einander zu durchschauen, zu beeinflussen. Schmeicheleien und Lobsprüche, Winke und Andeutungen, ein Brillantfeuerwerk von witzigen Einfällen, von gelegentlichen Apercus—alles Dieses waren Waffen in dem Kampfe politischer Interessen; wie ein roter Faden zieht sich der Gedanke an die Hauptfragen der europäischen Politik durch das Quodlibet von pikanten Spielereien hochstehender historischer Personen, welche sich eben so sehr der geistreichen Causerie als dem Ernst der Geschäfte gewachsen zeigten.


Diese Plaudereien wurden unterwegs von den Feierlichkeiten unterbrochen, welche mit dem Erscheinen der Kaiserin in den verschiedenen Städten verbunden waren. Es gab Reden und Adressen, Audienzen, Illuminationen, Festzüge. In Nowgorod-Sjewersk wurde ein glänzender Ball gegeben; ein prächtiges Mittagessen veranstaltete der Feldmarschall Graf Rumjanzow, bei welchem die Kaiserin auf dessen Gute Wischenki einige Stunden verweilte. Einige Tage verbrachte man in Ssmolensk, wo unaufhörlich eine unübersehbare Menschenmenge das Haus umgab, in welchem Katharina wohnte. Auf diese Massen blickend, sagte sie lachend: ,,Auch wenn ein Bär gezeigt wird, läuft das Volk in hellen Haufen zusammen".

Eine derjenigen Reden, welche an die Kaiserin gerichtet wurden, zeichnet sich durch ganz besonders gespreizte Rhetorik aus. Sie wurde in Mstislawl von einem Geistlichen gesprochen, welcher bemerkte, es sei wohl bewiesen worden, dass die Erde um die Sonne kreise; die Sonne der Russen dagegen bewege sich um ihre Trabanten zu dem Wohle der letzteren; auf der Reise der Kaiserin vom baltischen Meere bis zum Pontus Euxinus würden alle Untertanen erwärmt von dem Strahle der Gnade Katharinas; wie die Pflanze sich dem Lichte zuwendet, so wendeten sich Aller. Blicke der Kaiserin zu; mit Riesenschritten solle die Kaiserin ihre Reise fortsetzen, nur dem Abend ihres Lebens solle sie nicht rasch zueilen. In diesem Falle würden Alle flehen: die Sonne solle stehen bleiben, bis alle Feinde besiegt seien u. s. w.

Die Reise von St. Petersburg über Luga, Porchow, Welikije-Luki, Uswjat, Poretschje, Ssmolensk, Mstislawl, Tscherikow, Pxopoisk, Tschetschersk, Starodub, Nowgorod-Sjewersk, Mischenki, Ssosniza, Beresna, Tschernigow, Njeshin, Kosary, Koselez nach Kijew nahm 23 Tage (vom 6. bis 29. Januar) in Anspruch.

Der Aufenthalt in Kijew dauerte nahezu drei Monate, vom 29. Januar bis zum 22. April. Katharina schrieb an Jerozkin: „Mit unserer Ankunft in Kijew haben wir den fünften Teil unserer Reise vollendet und zwar den anstrengendsten. Wenn Gott uns gesund erhält, so werden wir hier ausruhen und das Aufgehen der Flüsse hier erwarten, wo man bisweilen schon im März zu pflügen beginnt".

Der Eindruck, welchen Kijew auf die Kaiserin machte, war kein günstiger. Das ganze Gebiet, dessen Verwaltung dem Feldmarschall Grafen Rumjanzow anvertraut war, bot eine weniger glänzende Außenseite, als manche andere Gegenden, durch welche die Kaiserin auf ihrer Reise gekommen war. Die Häuser in den Dörfern erschienen unansehnlich; die Straßen in Kijew waren unsauber und schlecht gepflastert; die Gebäude waren in schlechtem Stande und zeugten von wenig Geschmack. Unmutig bemerkte Katharina, dass man es in Kijew an dem Aufputze hatte fehlen lassen, welcher anderswo zum Empfange der Kaiserin, selbst in kleinen Städten, ein so freundliches Bild geboten hatte. Sie trug dem Grafen A. M. Dmitrijew-Mamonow auf, dem Feldmarschall ihre Unzufriedenheit auszudrücken. Mamonow entledigte sich dieses Auftrages in möglichst zarter Weise, indem er dem Grafen Rumjanzow sagte, die Kaiserin habe erwartet, Kijew in besseren Stand gesetzt vorzufinden. Rumjanzow hörte diese Bemerkung ruhig an und erwiderte: „Sagen Sie Ihrer Majestät, dass ich Feldmarschall bin; meine Sache ist es, Städte zu nehmen, nicht Städte zu bauen und noch weniger Städte aufzuputzen". Die Kaiserin soll, nachdem sie von dieser Äußerung Rumjanzows erfahren hatte, bemerkt haben: „Er hat Recht; mag Rumjanzow fortfahren, Städte zu nehmen; ich dagegen werde mir angelegen sein lassen, Städte zu bauen"

Auch Ségur bemerkte den auffallenden Gegensatz zwischen der Physiognomie der von Rumjanzow verwalteten Gouvernements und derjenigen anderer Provinzen. Als Ursache eines solchen Kontrastes bezeichnet Ségur eine Intrige Potemkins, welcher den Grafen Rumjanzow ohne die Geldmittel lies, die zur Instandsetzung der von ihm verwalteten Gebiete erforderlich waren. Je weniger Pracht und Komfort, je weniger Wohlstand und Stattlichkeit Katharina in Kijew fand, desto mehr Anerkennung musste sie später, wenn sie sich in Potemkins Statthalterschaft befand, der allerdings weit kostspieligeren Verwaltung des Fürsten zollen. Potemkin beutete seine Machtstellung aus, um seinem Gegner, dessen Ruhm ihm verhasst war, zu schaden und sein eigenes Licht um so heller leuchten zu lassen.

Katharina machte sich das Vergnügen, jeden der Gesandten zu fragen, wie ihm Kijew gefalle. Der stets zu hohlen Phrasen und Schmeicheleien bereite Cobenzl antwortete: ,,Majestät, ich habe nie eine Stadt gesehen, die schöner, prächtiger, großartiger wäre, als Kijew". Fitz-Herbert bemerkte offenherzig: „Aufrichtig gestanden: das ist ein trauriger Ort; man sieht nur Trümmer und elende Hütten". Mit Feinheit sagte Ségur: „Majestät, Kijew bietet die Vergangenheit und die Zukunft einer großen Stadt".

Katharina, für welche übrigens ein Palast vollständig eingerichtet worden war, suchte den Mängeln der Stadtverwaltung in Kijew abzuhelfen. Sie wies u. A. beträchtliche Summen an zur Ausbesserung der Kirchen und zum Aufbau verschiedener öffentlicher Gebäude 3S. Am 21. April schrieb sie an Zimmermann: „Kijew hat eine landschaftlich sehr schöne Lage. Von der früheren Herrlichkeit sind nur die Kirchen erhalten. Die vier Teile der Stadt, welche auf Hügeln und im Tal liegen, sind sehr umfangreich, aber nur unvollkommen ausgebaut. Nie hat hier ein solcher Mangel an Wohnungen bestanden, wie zur Zeit meiner Anwesenheit. Die Zahl der hier anwesenden Fremden ist enorm“.

In der Tat, gab es ein furchtbares Gedränge in Kijew. Sehr farbenreich schildert Fürst de Ligne das bunte Durcheinander von Staatsmännern und Militärs, Adel und Geistlichkeit, Polen, Kaukasiern und Anderen, welche die Kaiserin umgaben. Er bemerkt, Ludwig XIV. mit seiner Prachtliebe hätte leicht neidisch werden können, wenn er den Hof Katharinas in Kijew gesehen hätte.

Besonders viele Polen kamen nach Kijew, um die Kaiserin und den Fürsten Potemkin sich günstig zu stimmen. Sie glänzten durch ihren Reichtum und großen Aufwand, durch ihre Gastfreundschaft und durch zahlreiches Gefolge. Allein Schtschensny-Potocki hatte in Kijew ein Gesinde von nicht weniger als zweihundert Köpfen. Es kamen der Großgeneral Branicki, die Lubomirskis, Sapieha u. A. Besonders wohlwollend wurde Schtschensny-Potocki von der Kaiserin empfangen. Potemkin stand in näherer Beziehung zu Branicki. Es waren die verschiedenen Parteien der Polen vertreten. Die oben genannten gehörten zu der Opposition auf dem Reichstage. Aber auch die Neffen des Königs Stanislaus August Poniatowski befanden sich in Kijew und wurden der Kaiserin vorgestellt 39. Tatarische, Kalmückische, Kirgisische Gäste umdrängten die Kaiserin zugleich mit den Vertretern Westeuropas. Scherzend schrieb Katharina am 8. März 1787 an Ssaltykow: „Täglich treffen neue Gäste bei uns ein und zwar nicht bloß aus der Umgegend, sondern auch aus den mittäglichen Völkern stammende. Nennen Sie irgend ein beliebiges Volk und wir werden Ihnen sogleich eine Probe davon aufweisen können; ich habe noch nie so viele verschiedene Menschen gesehen, obgleich ich doch gewöhnt bin, mit den Vertretern von allerlei Nationalitäten zusammenzukommen". Einige Tage später schreibt sie: „Wir haben hier vier spanische Granden, die deutschen Reichsfürsten sind hier zahllos, an Polen gibt es eine Unmasse, ferner Engländer, Amerikaner, Franzosen, Deutsche, Schweizer; Seiten lang könnte man schreiben, ohne das Verzeichnis zu erschöpfen; nie habe ich so viele Ausländer gesehen; sogar die Kirgisen sind erschienen, und Alle leben in Hütten; es ist unbegreiflich, wie noch Alle Platz finden.“ An Zimmermann schrieb die Kaiserin: „Die Zahl der Angereisten ist sehr groß. Es ist schwer zu erraten, was denn Alle veranlasst hat herzukommen, weil man doch nicht annehmen kann, dass Alle den Zeitungen Glauben schenkten, welche mit aller Gewalt meine künftige Krönung in Taurien oder hier meldeten, woran ich auch nicht im Entferntesten gedacht habe." Es war, wie Segur bemerkt, als seien die Vertreter der orientalischen Völker herbeigeeilt, um die neue Semiramis die Huldigungen des Abendlandes entgegennehmen zu sehen. Wie auf einem Zaubertheater sah man in engster Mischung Altertum und Neuzeit, Barbarei und Zivilisation, die merkwürdigsten Gegensätze in Sitten und Formen, in Physiognomien und Sprachen, in Kostümen und Gebärden.

Die Kaiserin veranstaltete in ihrem Palaste häufig Gesellschaften. Da gab es unter anderem einen von fünfhundert Personen besuchten Ball, kleine Diners im Kreise der Gesandten, welche mehrmals wöchentlich bei der Kaiserin zu speisen pflegten. Besondere Pracht wurde bei dem Besuche der Kaiserin im Höhlenkloster entfaltet, und bei dem Gottesdienst am Ostersonntag. Es gab vielerlei Zerstreuungen. Man spielte Billard, machte Verse. Besonders häufig versammelte man sich in Cobenzl's Wohnung, welche besonders geräumig war und, wie Ségur bemerkt, die Bezeichnung „cafe" de l'Europe", hätte erhalten können. Bald gab es ein glänzendes Feuerwerk, welches, wie de Ligne erzählt, 40.000 Rubel kostete, bald einen Ball bei dem Grafen Cobenzl zur Feier des Namenstages Josephs II. Die Kaiserin studierte in dieser Zeit die Schriften Blackstones, welche das englische Staatsrecht betreffen, war in der Gesetzgebung u. A. in Betreff der Zweikämpfe tätig, beobachtete die ausländischen Gesandten, suchte womöglich ihre in das Ausland abzusendenden Briefe kennen zu lernen, korrespondierte fleißig und beschäftigte sich gelegentlich mit der orientalischen Frage.

Unter den Ausländern, welche nach Kijew kamen, waren die hervorragendsten: Dillon, Lameth, Nassau-Siegen und der Fürst von Ligne. Lafayette wurde erwartet, konnte indessen nicht erscheinen, weil er an der Nationalversammlung teilnehmen musste.

Katharina bedauerte sehr, den berühmten Helden des amerikanischen Freiheitskrieges nicht kennen lernen zu können. — Der Prinz von Nassau-Siegen war erst vorkurzem in russische Dienste getreten. Ein großer Ruhm ging ihm voraus. Er kämpfte später mit abwechselndem Glücke im türkischen und schwedischen Kriege und wurde in Spanien und Frankreich bei den Emigranten als Diplomat verwendet und zeichnete sich überall durch persönliche Tapferkeit und Unternehmungslust aus.

Zu den interessantesten Figuren des Hoflagers der Kaiserin in Kijew gehörte unstreitig der Fürst von Ligne, welcher damals 52 Jahre zählte, aber jünger erschien; sprudelnd von Witz und Humor, reich an drolligen Einfällen, gutmütig, Alle neckend, aber harmlos und gemütlich, geistreich, ohne Grundsätze, ein Bild der hohen Gesellschaft jener Zeit, ritterlich und tapfer, brauchbar im Kriege wie im Salon, zu ungründlich zum Feldherrn, zu flach zum Staatsmann, unübertrefflich als Gesellschafter und Korrespondent. Er konnte als eine militärische Celebrität gelten: zehn Feldzüge hatte er bestanden, zwölf Schlachten mitgemacht. Er hatte etwas Kosmopolitisches und war, wie er selbst sagte, Franzose in Österreich, Österreicher in Frankreich, Beides in Russland und fand darin ein Mittel überall zu gefallen und seine Unabhängigkeit zu wahren. Er gab zu, dass er nichts von den Geschäften verstehe, und nannte sich einen „diplomatischen Jockey", der zum Tross der Armeen und Gesandtschaften gehöre, einen Ratgeber auf Reisen, einen Quasilegationssekretär. Er verglich sich mit den Günstlingen, Maitressen und Beichtvätern, welche Einfluss ausübten, ohne irgendwie verantwortlich zu sein.

Katharina sagte von ihm, unter der Maske der Frivolität sei in ihm der scharf und richtig urteilende, tief denkende Philosoph verborgen gewesen, Segur, von dem Talente de Ligne's entzückt, bedauerte, dass solche Grazie in der Unterhaltung, so viel Urbanität und Gewandtheit immer seltener und seltener angetroffen werde. Seine Ankunft in Kijew, erzählt Segur weiter, sei von durchschlagender Wirkung gewesen. Er habe Frische und Bewegung in das etwas langweilige Hofleben gebracht, allen Vergnügungen einen neuen Aufschwung gegeben; er war unerschöpflich im Erzählen von Anekdoten, im Rezitieren von allerlei Liedern und Epigrammen; seihe oft beißenden Witze hatten doch nichts eigentlich Verletzendes; spielend verstand er es, seinen Madrigalen und Charaden ein wenig Politik beizumengen. Obgleich seine Lustigkeit bisweilen zur Ausgelassenheit wurde, konnte er doch beim Klappern und Klingen seiner Narrenkappe manche tiefe, treffende, Moralpredigt halten. Er war Höfling aus Gewohnheit, Schmeichler mit System, gut von Charakter, Philosoph von Geschmack, Alle möchten ihn gern leiden ". Mit großer Liebenswürdigkeit verbesserte er Katharina in ihrer Aussprache des Französischen, scherzte er über die Hypochondrie Cobenzl's und Ségurs, machte mehr oder weniger gewagte Späße über Alle und brachte Abwechslung in die Einförmigkeit, welche in den Hofkreisen herrschte.

Als die bedeutendsten unter den Russen, welche nach Kijew gekommen waren, konnten Ssuworow, Kamenski, der russische Gesandte in Polen, Graf Stackelberg, und Potemkin gelten. Der letztere bildete gewissermaßen einen Gegensatz zum Fürsten von Ligne, indem er sich durch Unliebenswürdigkeit, Mangel an Feinheit, üble Laune hervortat. Er hatte lange auf sich warten lassen, indem er in seiner Statthalterschaft, dem eigentlichen Süden, beschäftigt gewesen war, Alles zum Empfange der Kaiserin und für die Reise auf dem Dnjepr vorzubereiten. Sobald er endlich in Kijew angelangt war, erschien er, obgleich allerseits gehasst und gefürchtet, doch von einem Haufen von Schmeichlern umgeben. Er hatte seine Wohnung in dem Höhlenkloster aufgeschlagen und erteilte Audienzen in der Haltung eines Veziers in Konstantinopel. Bagdad oder Kairo. Eine unheimliche Stille herrschte um ihn her. Seine bizarre Art äußerte sich u. A. darin, dass er bald im glänzendsten Staat und Schmuck erschien, bald halbnackt und unbehost, mit ungeordnetem Haar, in Pantoffeln auf einer Ottomane liegend die größten Würdenträger des Reiches oder des Auslandes empfing, wobei er höchst selten Jemand zum Sitzen aufforderte. Asiatischer Hochmut, bengelhafte Nonchalance, Menschenverachtung waren der Grundzug seines Wesens. Mit eisiger Kälte behandelte er den Grafen Rumjanzow und den Grafen Stackelberg. Es gehörte Ségur's ungewöhnliche diplomatische Gewandtheit dazu, sich nicht irgendwie von Potemkin demütigen zu lassen. Besonders die Polen suchten seine Gunst und waren glücklich, einen seiner Blicke zu erhaschen, wurden aber von dem Fürsten barbarisch und grob behandelt. Als Branicki einmal hartnäckig eine von ihm aufgestellte Ansicht behauptete, schrie Potemkin ihn streng an und drohte ihm mit der Faust. Er gebrauchte oft Schimpfwörter, wenn er mit den Polen sprach, nannte sie „Schurken", „Lügner" u. dgl.

Von der Politik scheint in Kijew nur wenig die Rede gewesen zu sein. Obgleich Katharina möglichst sich darüber zu unterrichten bemüht war, was die Gesandten dachten, sprachen und taten, hatte sie doch selbst mit ihnen keinerlei ernstere politische Unterhaltung. Sie wusste wohl, dass man in Europa ihre Reise mit einiger Spannung verfolgte und geneigt war, derselben eine große politische Bedeutung zuzuschreiben. Sie ließ eben darum ein offizielles Referat über den Fortgang ihrer Reise drucken, wie sie sagte, „um das Publikum in Atem zu erhalten, in den Hauptstädten leeres Geschwätz zu verhindern und den politischen Kannegießern etwas zum Wiederkäuen zu geben. Als an Josephs II. Namenstage auf dem Balle beim Grafen Cobenzl Katharina sich erhoben und die Gesundheit ihres Freundes, des Kaisers, ausgebracht hatte, sorgte sie dafür, dass die Erwähnung davon in dem offiziellen Reiseberichte fortblieb. Die politischen Rücksichten standen trotz des Rausches von Vergnügungen doch in erster Reihe. Nur scherzweise erwähnte sie im Gespräch mit den Gesandten ihrer Beziehungen zur Türkei. Indem sie u. A. erzählte, dass ein russischer Seeoffizier eine Negerin geheiratet habe, bemerkte sie lachend, man könne daraus sehen, wie weit ihre ehrgeizigen Absichten gingen, da es sich ja dabei um eine Vermählung der russischen Flotte mit dem Schwarzen Meere handelte. Im Gespräch mit Ségur, dem sie für den Abschluss eines russisch-französischen Handelsvertrages dankbar war, pflegte sie dazwischen recht scharfe Bemerkungen über die Türken zu machen, indem sie auf die Weichlichkeit der in ihren Harems erschlaffenden Sultane hinwies, welche, ganz in den Händen der Janitscharen, unfähig seien zu denken, zu handeln, zu regieren, zu kämpfen und bis in ihr Alter hinein gewissermaßen unmündig zu bleiben pflegten. „Sie wollen mir nicht erlauben", sagte sie einst scherzend zum französischen Gesandten, „Ihre Schützlinge, die Türken, fortzujagen; ein sauberes Volk das; es macht Ihnen Ehre. Wenn sie in Piemont und Savoyen solche Nachbaren hätten, die alljährlich durch Hungersnot und Pest und durch Wegführung ganzer Tausende von Grenzbewohnern in die Gefangenschaft gefährlich werden, was würden Sie da sagen, wenn es mir einfiele, sie zu verteidigen? Nicht wahr, Sie würden das als ein Intrigenspiel bezeichnen?". So lange derartige Bemerkungen nur leichthin im Scherz hingeworfen wurden, hatte Ségur keine Veranlassung, in ernsterem Tone zu antworten. Er half sich ebenfalls mit allerlei Späßen und Witzen.

In engstem Kreise, wenn Katharina etwa mit ihrem Geheimschreiber Chrapowitzki allein war, da erwähnte sie die Türkei in anderem Tone. So bemerkte sie einmal, ihr Gedächtnis sei so schwach geworden, zumal jetzt, wo sie sich „mit der Pforte beschäftige"; ein andermal klagte sie über die europäischen Kabinette, welche die Türken zum Kriege reizten und fügte hinzu, Russland habe in den Streitigkeiten in Betreff des Kaukasus und der Donaufürstentümer einen hinreichenden Vorwand „anzufangen". Dass man damals im Publikum einen nahe bevorstehenden Krieg mit der Türkei für wahrscheinlich hielt, ist u. A. aus einem Brief Johann Jakob Sievers' an dessen Bruder vom 9. April 1787 zu ersehen, worin die Besorgnis vor einem solchen Kriege ausgedrückt und darüber geklagt wird, dass die Großen des Reiches oft, um persönlicher Interessen willen, in leichtsinniger Weise Kriege herbeizuführen pflegten.

Als Katharina in Kijew eintraf, herrschte eine strenge Kälte. Das Thermometer zeigte 20 Grad unter Null. „Indessen", schrieb Katharina an Jerozkin, „ist die Luft hier nicht so scharf; obgleich so viele Menschen beisammen sind, ist doch nicht bemerkt worden, dass irgend Jemanden die Ohren oder die Nase erfroren seien." — Am 16. Februar schrieb sie an Ssaltykow: „Wenn wir von Kijew werden aufbrechen können, weiß Gott allein; in der Regel pflegt der Dnjepr nach den hiesigen Beobachtungen im Laufe des März vom Eise frei zu werden, bisweilen, aber selten, schon im Februar, noch seltener aber im April. Ich hoffe, wir werden Mitte April auf dem Dnjepr sein. Nach Taurien komme ich im Mai und werde auch im Mai von da abreisen. Meine Berechnungen in Betreff der Reise stellen sich bisher als durchaus richtig heraus".

Es gab aber in jenem Jahre einen besonders kalten und langen Winter. Obgleich die Kaiserin noch am 20. Februar in einem Brief an Ssaltykow über die warme Luft, die starke Wirkung der Sonnenstrahlen, die unbedeutende Dicke des Eises geschrieben hatte, klagt sie schon am 26., es wehe ein scharfer Nordwind und es gebe 10 Grad Frost. Am 8. März schreibt sie abermals, das Wetter sei abscheulich und fügt hinzu, sie fürchte sehr, dass sie bis Ostern nicht werde abreisen können, obgleich sie wünschte, rasch weiterzugehen. Mochte der Winter in Kijew der Kaiserin auch im Vergleich mit dem Winter in St. Petersburg als auffallend milde erscheinen, ja meinte sie sogar, dass man das, was in Kijew noch Winter genannt werde, gar nicht so bezeichnen dürfe, so musste sie doch ihre Abreise des kalten Wetters wegen immer weiter hinausschieben. Wiederholt klagt sie in ihren Briefen an Ssaltykow und Joseph II. über den durch die Kälte und die Stürme verursachten Aufenthalt. „Wir sind hier, wie die Krebse auf dem Trockenen", schrieb sie. An eine Landreise, fügte sie hinzu, sei erst recht nicht zu denken, um der schlechten Wege willen.

*) Der Dnjepr wird durchschnittlich am 14. März vom Eise frei. Im Jahre 1787 geschah dies am 23. März. Die Tataren behaupteten, dass seit der Besitznahme der Krim durch die Russen die Kälte im Winter zugenommen habe. Pallas hielt es für wahrscheinlich, dass es in jenen Jahren wirklich besonders strenge Winter gegeben habe. In der Krim fiel das Thermometer im Winter 1786—87 bis zu 18° unter Null. Der Bosporus, das Asowsche-Meer u. dgl. waren mit Eis bedeckt. Pallas, Reisen II. 388.

Am 4. April 1787 notiert Chrapowitzki in sein Tagebuch, die Kaiserin wolle baldmöglichst reisen, ungeachtet dessen, dass Potemkin noch gar nicht Alles in Bereitschaft habe und den Zeitpunkt der Abreise zu verschieben bestrebt sei. Allerdings war er diese Zeit über noch mit den umfassendsten Vorbereitungen zum Empfange der Kaiserin beschäftigt. Die Galeerenflotte auf dem Dnjepr, Chersson, Ssewastopol, Baghtschissarai — Alles sollte einen möglichst günstigen Eindruck machen, und da war denn noch bis zum Augenblicke des Erscheinens der Kaiserin viel zu tun.

Endlich, am 22. April, traten die Reisenden die Fahrt auf dem Dnjepr an. Die zu diesem Zwecke erbauten Galeeren waren schwimmende Hotels oder Paläste, sehr groß, aber schwerfällig, im römischen Geschmack verziert, mit allem nur erdenklichen Luxus ausgestattet. *)

*) S. d. Schreiben der Kaiserin im „Russischen Archiv" 1864. S. 955-963 Arnets Briefwechsel Joseph II. mit Katharina II. S. 288. Wenn Katharina sie darüber wundert, dass der Dnjepr 1787 zwei Tage später vom Eise freiwurde, als der Ladogasee, so ist das wohl ein Irrtum. Das Eis auf dem Dnjepr ging am 27. auf (s. Chrapowitzki), die Newa wurde am 13. April frei vom Eise. — Die Wege sind in jenen Gegenden im Frühling auch jetzt noch so unfahrbar wie damals. Golizyn musste damals mit 12 Ochsen reisen.

Auf der Galeere „Desna" befand sich ein ungeheurer Speisesaal, in welchem Katharina große Tafel zu halten pflegte. Sonst befand sie sich in der Regel auf der Galeere „Dnjepr". — Die Schifffahrt auf dem Dnjepr war nicht ganz ungefährlich. Obgleich der Fürst Potemkin zum Zwecke der Reise viele Riffe und Steine hatte sprengen lassen, so ging doch die Fahrt nicht ohne mancherlei Fährlichkeiten ab und dauerte mehrere Tage länger, als man vorausgesetzt hatte. In einem Briefe an den Kaiser klagt Katharina über die Widerwärtigkeiten während der Fahrt. Der Fürst von Ligne schreibt von einem Sturme, welcher drei Galeeren auf eine Sandbank geschleudert habe. M. Ségur bemerkt, das schlechte Wetter und andere Ursachen hätten jeden Augenblick sehr bedeutenden Aufenthalt zur Folge gehabt. Sogar die Galeere, auf welcher sich die Kaiserin befand, war in einiger Gefahr und wurde von der starken Strömung sehr hart an das Ufer gedrängt. Chrapowitzki erzählt, die Kaiserin habe befohlen, die Erwähnung dieses Unfalls aus dem offiziellen, in den Tagesblättern der beiden Hauptstädte abzudruckenden Reiseberichte zu streichen, weil dieselbe sonst viel unnützes Gerede zur Folge haben könne. Dennoch erfuhren die in St. Petersburg zurückgebliebenen Diplomaten genug von dieser Episode, um in ihren Darstellungen der Reise von einer großen Gefahr zu sprechen, in welcher sich die Kaiserin befunden haben solle. Man sprach von schrecklichen Stürmen, von arger Beschädigung der Fahrzeuge, von der Unfähigkeit der Matrosen, von der Unerfahrenheit der Befehlshaber. So berichtet Sacken, der sächsische Gesandte, von den stattgehabten Unfällen Folgendes: „Alle Schiffe trennten sich; die Galeere der Kaiserin war dem Scheitern nahe; die Grafen Anhalt und Besborodko entgingen mit Mühe dem Ertrinken; das eine Küchenschiff verbrannte, während das andere von einem mit neuen Lebensmitteln ankommenden Fahrzeug beinahe übersegelt worden wäre. Wie allgemein die Unordnung war, konnte man u. A. daraus ersehen, dass die Kaiserin genötigt war, die Mittagstafel Abends um 9 Uhr und die Abendtafel Morgens früh um 5 Uhr zu halten." Der sächsische Legationssekretär Helbig schrieb: „Der Graf Tschernyschew, ein besserer Admiral zu Lande wie zu Wasser, zeigte jedenfalls bei dieser Gelegenheit seine Kenntnisse in keinem vorteilhaften Lichte". Mochte nun Vieles bei dieser Schilderung auch übertrieben sein, so ist denn doch nicht zu zweifeln, dass die Reisenden mit allerlei Hindernissen zu kämpfen hatten. So musste die Kaiserin, weil am Tage vor ihrer Begegnung mit Joseph II. ihre Galeere gestrandet war, ihren Freund und Bundesgenossen auf festem Lande begrüßen. Der Fürst von Ligne erzählt, dass der Verkehr zwischen den Galeeren auf kleinen Boten bewerkstelligt wurde, und dass, wenn die Gäste der Kaiserin Abends auf ihre Galeeren zurückkehrten, dies wohl mit einiger Gefahr verbunden zu sein pflegte.

Auf den 50 oder, nach anderen Nachrichten, 80 Fahrzeugen befanden sich nahezu 3.000 Menschen. Die Verpflegung einer so großen Anzahl von Personen mochte große Schwierigkeiten bieten. Der Kaiser Joseph II. schildert die Verwirrung, welche bei der Behandlung des Gepäcks herrschte. Von anderer Seite wird berichtet, wie die Speisen selbst bei der Tafel der Kaiserin kalt und unschmackhaft gewesen seien. Es ist zu verwundern, dass bei so mancherlei Unbeqemlichkeiten, bei der langen Dauer der Reise, dieselbe den Charakter einer Vergnügungstour behaupten konnte. Dass dieses dennoch der Fall war, erfahren wir aus den Memoiren Ségurs und den Briefen de Ligne's.

Die Lebensweise der Reisenden auf der Fahrt zwischen Kijew und Krementschug, welche acht Tage dauerte, war folgende: Morgens war Jedermann so zu sagen bei sich zu Hause. Man beschäftigte sich mit Lektüre, machte Konversation, stattete guten Freunden und Bekannten wohl auch von Galeere zu Galeere Besuche ab und ging am Ufer des Flusses spazieren, was bei der langsamen Bewegung der Fahrzeuge wohl möglich war. Um 1 Uhr war Tafel bei der Kaiserin, wo die gute Laune mit einer bewunderungswürdigen Spannkraft sich erhalten zu haben scheint. Man wurde nicht müde zu scherzen und zu witzeln, einander mit Anekdoten zu regalieren, hier und da ein Wort von Politik fallen zu lassen, einander Artigkeiten zu sagen. Weil einige der Hauptpersonen, welche Katharina umgaben, das Kartenspiel nicht mochten, verzichtete die Kaiserin auf die sonst bei Hofe herrschende Sitte, Karten zu spielen. Dagegen gab es dazwischen in der Kajüte der Kaiserin kleine dramatische Aufführungen, bei deren Vorstellung Graf Cobenzl ein großes Talent an den Tag legte. Hier und da kam man, vielleicht aus Langeweile, zu recht seltsamen Einfällen. So produzierte einmal der Stallmeister der Kaiserin, Naryschkin, ein bekannter Witzbold, einen ungeheuren Brummkreisel, welchen er mitten in der Gesellschaft in Schwung brachte, so dass der Kreisel, zwischen dem Fürsten von Ligne und der Kaiserin hindurchtreibend, an einige Gäste stieß, den Prinzen von Nasau-Siegen anrannte und zum Schluss mit gewaltigem Knall und Zischen in mehrere Stücke auseinanderbrach. Es herrschte dabei eine außerordentliche Heiterkeit. Die Kaiserin selbst war in derartigen Dingen so unternehmend, dass sie einmal, drollig genug, den Vorschlag machte, das „Sie" in der Unterhaltung abzuschaffen und ein allgemeines „Du" einzuführen. Der Fürst von Ligne bemerkte, dass das „Sie" in Bezug auf Gott auch abgeschafft sei, indem u. A. J. B. Rousseau sage: „Seigneur, dans ta gloire adorable" und es in einem Gebete heiße: „Nunc demittis servum tuum, Domine".—,,Nun", erwiderte die Kaiserin, „dann begreife ich nicht, warum man mit mir mehr Umstände macht". Damit begann sie sogleich ihre Gäste zu duzen, worauf diese untereinander, ja sogar im Gespräche mit der Kaiserin, ein wahres Kreuzfeuer von „Du's" eröffneten, wobei sich natürlich der Fürst, von Ligne durch besondere Unbefangenheit auszeichnete. Man lachte herzlich und de Ligne versichert, dass die Kaiserin bei aller Gewagtheit eines solchen Scherzes die Würde einer Selbstherrscherin aller Reussen, „ja sogar fast aller Weltteile", auf das Entschiedenste behauptete ("'a. Nur gelegentlich streifte man das Gebiet der Politik. Katharina scherzte u. A.: ihre Reise sei für ganz Europa außerordentlich gefährlich, da, wie man sage, sie und Joseph II. die ganze Türkei, ganz Persien und wahrscheinlich auch Indien und Japan zu erobern beabsichtigten.

Das Wetter war meist sehr schön, sodass die Reisegesellschaft sich im Freien aufhalten konnte. Hier und da sah man an den Ufern Truppen manövrieren. Überall erschien eine geputzte Bevölkerung. Böllerschüsse erschütterten die Luft. Katharina gedachte der Zeiten Wladimirs des Heiligen, da die Gegenden, durch welche man jetzt reiste, der Schauplatz großer historischer Ereignisse waren. Sie sprach ihr Bedauern darüber aus, dass St. Petersburg nicht am Dnjepr erbaut sei, es gebe jetzt keine Tataren in diesen Gegenden und die Nachbarschaft der Türkei sei nicht gefährlich, weil es nicht mehr die Türken von ehemals seien.

An Pohlmann schrieb Katharina am 29. April 1787: „Jetz seynd wir mitten auf dem Dnepr; das linke ufer ist. das russische, das Rechte das Polnische, . . . die beyde ufer des Flusses seynd grün und alle Weiden und Birken haben schon ziemlich grosse Blätter. Die endten und anderes Flügel Wild fliegt uns fielfältig um die ohren. Die Polnische seite ist hoch, die Russische meist flach. Aber so ein Geschrei von Frösche habe ich noch niemals gehört wie hier" u. s. f. 72.
A. BRÜCKNER.

(Schluss folgt.)