Achte Fortsetzung

Auch auf dem Wege nach Chersson hielt die vortreffliche, optimistische Stimmung der Kaiserin an. Sie schrieb u. A. am 12. Mai aus Berislaw an Jerozkin: „Es ist schön diese Gegenden mit eigenen Augen zu sehen: man hat uns gesagt, wir würden in eine unerträgliche Hitze geraten, aber die Luft ist warm, der Wind frisch, aber angenehm und ganz frühlingsmäßig; allerdings ist die Steppe baumlos, aber die Ackerkrume ist vortrefflich, sodass ohne viel Mühe alles Mögliche produziert werden kann; man meinte, es sei dort Mangel an Wasser, aber wir haben überall Bäche und Flüsschen gesehen, an denen zahlreiche Dörfer gelegen waren. Wenn wir dieses Gouvernement, das zur Zeit des Friedens von Kainardschi mit Ausnahme der Kreise Jelissawetgrad, Krementschug und Poltawa noch nicht bestand, mit dem Zustande St. Petersburgs nach dessen sechs- bis zehnjährigem Bestehen vergleichen, so meine ich, dass hier Alles nicht so gewaltsam, und mit geringeren Opfern und Unkosten gefördert wird als dort; wie in allen großen Unternehmungen, so wird auch hier der Nutzen und Vorteil erst später sich herausstellen; jetzt begreift die Menge noch nicht, welchen Gewinn man erwarten kann. Das St. Petersburger Gouvernement liefert den achten Teil der Einkünfte des Reiches: aber dasselbe besteht bereits vier und achtzig Jahre und der Hof hat dort seinen Aufenthalt. Wir werden sehen, wie bedeutend in kurzer Zeit die Einkünfte der hiesigen Häfen sein werden; noch muss ich bemerken, dass alle Einwohner ohne Ausnahme hier ein viel frischeres und] gesunderes Aussehen haben, als die Leute im Kijewschen Gouvernement, und sie scheinen mir überhaupt arbeitsamer und frischer. Alles Dieses schreibe ich Ihnen ausdrücklich, damit Sie von meinen Bemerkungen gelegentlich Gebrauch machen, um jene bisweilen so arg in den Köpfen der Menschen hausenden Vorurteile zu widerlegen. Alles Obengesagte kann nur etwa von Leidenschaftlichen oder Schwachsinnigen oder Unkundigen geleugnet werden".

Ein feierlicher Empfang wurde der Kaiserin in der Nähe von Chersson durch den Oberen eines Klosters zu Teil. Die Mönche dieses Klosters waren mit ganz neuen Anzügen ausgestattet worden und hatten sich paarweise mit Kreuzen, Lichtern, Heiligenbildern in den Händen aufgestellt. Auf mehreren Tafeln standen Erfrischungen bereit für die Kaiserin und deren Gefolge.


Ihren Einzug in Chersson hielt die Kaiserin auf einem prächtigen Wagen, in welchem sie mit dem Kaiser Joseph II. und dem Fürsten Potemkin Platz genommen hatte. Das Volk spannte die Pferde aus und zog den Wagen in die Stadt. Etwa 30.000 Mann Soldaten bildeten Spalier.

Chersson machte einen günstigen Eindruck und erregte sogar die Bewunderung der Ausländer im Gefolge der Kaiserin; die Kasernen, in denen etwa 24.000 Mann Soldaten Platz finden konnten; die Admiralität mit großen Vorräten, das Arsenal mit etwa 600 Kanonen; zwei Linienschiffe und eine Fregatte, welche so eben vollendet vom Stapel laufen sollten; einige Regierungsgebäude und Kirchen; gegen zweitausend Privathäuser; eine Menge Kaufläden mit ausländischen Waren — alles Dieses genügte von einem raschen Aufschwunge Südrusslands im Allgemeinen und von Chersson insbesondere. Es ist damals von einem Ausländer, einem österreichischen Konsul, welcher 1786 sich in der Krim aufhielt, die Ansicht ausgesprochen worden, Chersson werde ein zweites Amsterdam werden. Sogar Joseph IL, welcher im Einzelnen an Chersson viel auszusetzen hatte, bemerkte über den Gesamteindruck, dass die Stadt wirklich „nach Etwas aussehe".

*) S. d. Schriften Katharinas III, S. 344, 345. Über die Steuerkraft Südrusslands schrieb Potemkin am 4. Oktober 1786: „Dieser Teil des Reichs steuert drei Millionen bei zum Bau der Festungen und anderer Gebäude in Taurien", s. d. „Russische Archiv" 1865. S. 394.
**) S. über die Bauten in Chersson, welche zum großen Teil von Soldaten ausgeführt wurden, die Erzählung Ssamoilows im „Russischen Archiv" 1867 S. 1216, sowie die Memoiren Ségur's III. 142. — In vielen Werken, bei de Ligne, Ségur, Castera, Volney (Considératien sur la guerre actuelle des Tures) u. s. w., findet sich die Geschichte von einer angeblich in Chersson auf einem Wegweiser angebrachten Inschrift: ,,Weg nach Byzanz." Einer Tradition zufolge hat es damit folgende Bewandtnis: Als Katharina einst eine griechische Inschrift erblickte, welche keiner ihrer Begleiter zu übersetzen vermochte, soll der Fürst von Ligne sich mit der ihm eigenen Geistesgegenwart dadurch geholfen haben, dass er bemerkte, die Inschrift heiße: „Straße nach Byzanz."


Katharina war sehr zufrieden. Sie schrieb an Ssaltykow am 14. Mai: „Mit Staunen und Vergnügen haben wir gesehen, wie viel hier geschaffen worden ist. Wir kamen hierher zu Lande, über die Steppen, welche keineswegs totalen Mangel an Wasser leiden und überall produktiv erscheinen — wo man auch etwas säet oder pflanzt Alles kommt gut fort und gedeiht rasch. Ich bitte zu bedenken, dass vor sechs Jahren hier noch gar nichts war. Die Festung wird in diesem Sommer ganz vollendet sein; sie ist unvergleichlich besser als die Festung in Kijew. Ich wohne gegenüber der Admiralität und sehe aus dem Fenster drei Kriegsschiffe, welche morgen vom Stapel laufen sollen; ich habe schon fünf steinerne Kirchen gesehen. Die Privathäuser sind der Art, dass sie die besten Straßen St. Petersburgs nicht verunzieren würden; die Kasernen sind besser als diejenigen der Gardesoldaten". An Jerozkin schrieb sie: „Wir sind in Chersson. Dies Kind lebte vor acht Jahren noch nicht. Zuerst sahen wir im Vorüberfahren steinerne Kasernen für sechs Regimenter; hierauf bogen wir rechts ab und fuhren in die Festung ein, welche sich gut halten wird. Viele Gebäude in der Festung sind vollendet; einige werden es bald-sein; eine steinerne Kirche ist besonders schön. Nachdem wir die Festung verlassen hatten, kamen wir zur Admiralität, wo alle Vorratsräume und steinernen Gebäude mit Eisen gedeckt sind. Auf der Schiffswerft trafen wir ein ganz fertiges Linienschiff von 80 Kanonen, welches, so Gott will, Sonnabend vom Stapel laufen soll; daneben ist ein Schiff von 66 Kanonen ebenfalls fertig, und ferner noch eine Fregatte mit 50 Kanonen. . . . Ich darf sagen, dass meine Erwartungen hier in einem Maße erfüllt sind, dass ich mein Lob nicht zurückhalten kann: überall sieht man Eifer, und die Wahl tüchtiger Menschen ist eine glückliche."

Welchen Eindruck Chersson auf die Kaiserin gemacht hatte, ist noch aus einem späteren, aus Baghtschissarai geschriebenen Briefe zu ersehen: „Diejenigen", schrieb Katharina, „welche mit Geringschätzung von der Erwerbung dieser Gegenden sprechen, wissen überhaupt das Gute nicht zu schätzen. Chersson und die Krim werden nicht bloß die Opfer, welche zu ihrer Erwerbung nötig waren, wieder einholen; diese Gebiete werden viele andere an Fruchtbarkeit und Ertragsfähigkeit übertreffen. Man hat das hiesige Klima geschmäht, mich mit Zweifeln erfüllen wollen. Indem ich selbst hier bin und Alles sehe, begreife ich solche Vorurteile gar nicht. Ich habe gehört, dass Peter der Große in Betreff St. Petersburgs ähnlichen Schwierigkeiten begegnet ist; ich erinnere mich, dass jene Gegend anfangs auch Niemandem zusagte; der Süden aber ist viel besser und allmählich schwindet alle Furcht vor den Tataren, deren Raubzüge noch in Aller Erinnerung fortleben. Mit diesen Gedanken und nicht ohne große Genugtuung dieses schreibend, gehe ich heute zu Bette und bin überzeugt, dass ich nicht bloß keinen Schaden verursacht, sondern meinem Reiche großen Gewinn gebracht habe".

Auch in Chersson gab es Festlichkeiten der verschiedensten Art, einen glänzenden Ball bei der Kaiserin, mit Prunk und Luxus bei Gelegenheit des Vom-Stapellaufens der Kriegsschiffe. Alle Dekorationen, Draperien u. s. w. waren das Werk von Soldaten deren Anstelligkeit besonders der Fürst von Ligne bewunderte. Auch die Umgegend Cherssons lernten die Reisenden kennen. Der Graf Besborodko gab der ganzen Reisegesellschaft auf seinem, fünfzehn Werst von Chersson entfernten Gute ein Mittagsmahl 12S. Es kamen noch mehrere Personen nach Chersson, welche die Reise dorthin nicht mitgemacht hatten. So erschienen aus Konstantinopel der russische Gesandte Bulgakow und der österreichische, Baron Herbert; so kam auch ein Gesandter des Königs von Neapel, Marquis de Gallo, um der Kaiserin zu ihren Erfolgen Glück zu wünschen und Handelsverbindungen zwischen dem Königreich Neapel und Südrussland anzuknüpfen.

In Chersson ist dann auch die Politik zur Sprache gekommen. Aber die Weltlage erschien damals nicht so verhängnisvoll, als sich dieselbe später herausstellte. Es ereignete sich allerdings, dass Katharina sogar bei Tische in Aller Gegenwart den Kaiser Joseph halb scherzend in ein politisches Gespräch zu ziehen suchte; allerdings machte die türkische Flotte eine Demonstration, indem sie sich in der Mündung des Dnjepr sehen lies, so dass die Kaiserin einen Ausflug nach Kinburn aufgeben musste; allerdings fanden zwischen den Diplomaten Russlands, Frankreichs, Englands, des Kaisers in Chersson geschäftliche Besprechungen statt; dennoch spielte die Politik in Chersson eine Nebenrolle, Niemand vermutete, dass schon wenige Wochen später der Krieg ausbrechen werde. Joseph II. und Katharina erschienen auch in Chersson nur mehr als Touristen; nicht die gemeinsame Feindschaft gegen die Türkei, sondern eine innige Freundschaft schien sie zusammengeführt zu haben.

Nicht günstig war der Eindruck, den Chersson auf Joseph II., auf Ségur und andere Begleiter der Kaiserin machte. Joseph hatte noch vor seinem Zusammentreffen mit der Kaiserin Zeit gehabt, Alles in Chersson genau in Augenschein zu nehmen. Am meisten hatte er an den Fortifikationsarbeiten und der Militärverwaltung auszusetzen. Er schrieb über diesen Gegenstand ausführlich an seinen Freund, den Feldmarschall Lacy. Manchen missfiel die Lage Cherssons ausnehmend. Sie erschien hygienisch ungünstig, politisch gefährlich, kommerziell ohne Vorteile. Auch eine Autorität wie Pallas erwähnte um diese Zeit der um Chersson im Sommer herrschenden Morastluft. Joseph äußerte, der Handel Cherssons sei vorläufig ganz unbedeutend und man hätte die Stadt dreißig Werst näher zum Meere bauen müssen, während jetzt die Türken jeden Augenblick die Möglichkeit hätten, die Verbindung zwischen Chersson und dem Meere abzuschneiden. Nie, meinte Joseph, werde in Chersson der Handel blühen.

Fünf Tage hatte der Aufenthalt in Chersson gedauert; dann wurde die Reise in die Krim angetreten. Der Weg führte über Kisikerman und Perekop. Es war zwischen den beiden letzteren Punkten für die Reise der Kaiserin eine neue Straße gebaut worden. Potemkin hatte befohlen, die Straße solle so schön gemacht werden, dass sie den Kunststraßen der alten Römer nichts nachgeben sollte: er werde sie die Straße Katharinas nennen 133.

Unterwegs scherzten Joseph II. und Ségur über den abenteuerlichen Charakter der Reise; der letztere nannte den Kaiser Harun-al-Raschid und sich selbst Giafar. Beide erfreuten sich an dem Anblick der Steppe, der Kamele, der Tataren und der tatarischen Zelte. Besondere Beobachtung schenkte Joseph den unterwegs manövrierenden Kosaken. Bei Perekop besichtigte der Kaiser die Spuren des Walles, welcher zur Verteidigung der Krim gebaut worden war und unternahm mit dem Grafen Kinski, auf Kosakenpferden reitend, einen Ausflug zum Siwasch, indem er sich lebhaft die Ereignisse vergegenwärtigte, welche wenige Jahrzehnte zuvor sich in diesen Gegenden zugetragen hatten. Die anderen Reisenden staunten über eine solche Beweglichkeit und Spannkraft des Kaisers, welcher sogar den trägeren und mehr auf Komfort bedachten Genossen dazwischen lästig wurde. Der Sekretär der Kaiserin, Chrapowitzki, schrieb am 20. Mai: „Der Graf Falkenstein und der Graf von Anhalt lassen Niemandem Ruhe: sie stehen schon früh auf und gehen schon um sechs Uhr spazieren." Dabei teilt Chrapowitzki eine Äußerung der Kaiserin mit: „Ich sehe und höre Alles, und laufe doch nicht so viel umher, wie der Kaiser". Fast scheint es, als habe Katharina sich über die Vielgeschäftigkeit Josephs aufgehalten.

*) Auch seinem Bruder Leopold schrieb Joseph über die empfangenen Reiseeindrücke und dieser entgegnete, dass die Briefe des Kaisers — Josephs Urteil über die Fortifikationsarbeiten, welches um so mehr Berücksichtigung verdienen dürfte, als er dieselben in Begleitung eines Fachmannes besichtigte, gedenken wir in einem späteren Aufsätze, in welchem überhaupt von den der russischen Regierung beim Ausbruche eines Krieges mit der Pforte zu Gebote stehenden Mitteln die Rede sein wird, mitzuteilen. — Nicht ohne Interesse ist der Umstand, dass Katharina während ihres Aufenthaltes in Chersson in dem an ihre Gemächer anstoßenden Garten eigenhändig einen Aprikosenkern pflanzte und dass später ein herrlicher Baum daraus entstand. Im Jahre 1844 betrug der Umfang des Stammes am Fuße des Baumes 7 Fuß 7 Zoll. Es ist der einzige Aprikosenbaum in Chersson; längs der ganzen Südküste findet sich kein Exemplar, das an Größe und Umfang sich mit dem von Katharina gepflanzten Baum, welcher 10 bis 12 Pud Früchte jährlich zu liefern pflegte, vergleichen ließe. Der Baum wurde mit einem Gitter umgeben und mit einer passenden Inschrift versehen. S. d. Schriften der Odessaer Gesellschaft I, 608.

Bei den Salzseen in Perekop gab es ein solennes Frühstück, bei welchem Salzproben vorgezeigt wurden. In Aibar wohnte die ganze Reisegesellschaft, die Kaiserin nicht ausgeschlossen, in Zelten. Katharina scherzte darüber, dass Fitz Herbert und Segur, die Vertreter zweier Mächte, welche oft mit einander in Hader lebten, friedlich in einem Zelte hausten und darin an einem und demselben Tische ihre Depeschen an ihre Regierungen, wahrscheinlich in sehr verschiedenem Tone, abfassten.

Auf dem Wege zwischen Aibar und Baghtschissarai ereignete sich folgende Episode: Es erschienen plötzlich etwa tausend Tataren zu Pferde und umringten den Wagen der Kaiserin. Es war ein Ehrengeleite, von dem Fürsten Potemkin veranstaltet, um der Kaiserin einen Beweis zu geben von der loyalen Haltung ihrer neuen Untertanen. Der Fürst de Ligne bemerkte im Gespräch mit Ségur bei dem Anblick einer so großen Anzahl Bewaffneter, es wäre ein sehr wunderliches Ereignis und würde in Europa viel Sensation machen, wenn plötzlich diese Tataren, die gesamte Reisegesellschaft zu einem beliebigen Hafen in der Krim zu bringen, die Majestäten Katharina und Joseph auf einem Schiffe als Gefangene nach Konstantinopel zu schaffen und damit dem Sultan Abdul-Hamid ein besonderes Vergnügen zu bereiten den Einfall hätten. Nicht einmal, fügt der Fürst hinzu, würde man eine solche Tat ein Verbrechen nennen dürfen; die Tataren könnten, meinte er, ohne alle Gewissensbisse einen solchen Handstreich gegen zwei fürstliche Personen ausführen, welche allem Völkerrecht und den bestehenden Verträgen zum Hohn ihnen ihr Land geraubt und ihren Fürsten vom Thron gestoßen hätten. Die Mitreisenden wollen in der Tat bei dem Kaiser Joseph, welcher an der Loyalität der Tataren zweifelte, einige Unruhe bemerkt haben.

Als man sich der Hauptstadt der Chane, Baghtschissarai, näherte, befand sich plötzlich die Kaiserin in großer Gefahr. In einer tiefen und steil abfallenden Schlucht konnten die Pferde die schwere Reise-Equipage der Kaiserin nicht aufhalten und waren bereit, in wilder Hast den Abhang hinunterzustürzen, als die den Wagen umgebenden Tataren noch im letzten Augenblick, mit Aufbietung aller Kraft, den Wagen zum Stehen brachten und damit einem Unfälle vorbeugten, welcher sehr schwere Folgen hätte haben können. Die Mitreisenden bewunderten die Kaltblütigkeit der Kaiserin in diesem Augenblick.

In Baghtschissarai gab es ein buntes, echt orientalisches Bild: ein wirres Durcheinander von H?usern, Moscheen, Trödelbuden, Kaffeehäusern, Tieren und Menschen. Hier hatte Alles Kostüm und Physiognomie. Hier hätte man überhaupt in Kabul oder Buchara zu sein glauben können. Man stieg im Palaste der Chane ab, vor dessen Toren auch jetzt noch eine Inschrift an die Reise der Kaiserin erinnert, und welcher auch jetzt noch ein buntschillerndes Bild echt orientalischen Luxus darbietet. Große und kleine Höfe, umgeben von, mit Arabesken verzierten, Gebäuden und von Galerien mit zeltstangenartigen Säulen, Minaretts, Springbrunnen, sorgfältig gepflegte Gärten, dunkel beschattete Marmorbassins, eine teppichartige Ornamentik der Gebäude, ein Labyrinth von Sälen, Stuben, Türmen, Galerien, Gärten und Verandas, überall eine stillose Spielerei mit geometrischen Figuren, dazu die seltsamen Formen der religiösen Gebräuche, das Tanzen der Derwische, das Rufen der Mullahs — alles Dieses wirkte wie berauschend auf die Reisenden. Mit Entzücken berichtet der Fürst von Ligne, dass es ihm geglückt sei, eines von den Frauengemächern als Wohnung angewiesen zu erhalten und spottet darüber, dass Ségur im Gegensatze hierzu eine ehemals von den hässlichen Wächtern der schönen Frauen bewohnte Stube inne hatte. Von dem Styl der Gebäude bemerkte der Fürst, es sei eine Mischung von maurischer, arabischer, chinesischer, türkischer Architektur. Einige für die Kaiserin bestimmte Gemächer waren in europäischer Weise möbliert. Alle übrigen waren völlig in dem Zustande verblieben, in welchem sie noch einige Jahre zuvor, in der Zeit der Chane, gewesen waren. Joseph fand einige Ähnlichkeit zwischen der Lage Baghtschissarais und derjenigen Genuas. Ihm gefiel die Buntheit der Trachten, das Gewimmel auf den Straßen, das Leben in den zahlreichen Kaufläden. Die Bauart des von einer hohen Mauer umgebenen Palastes erinnerte den Kaiser an ein Karmeliterkloster, das er einmal besucht hatte. Die grotesken Formen der die Stadt umgebenden, fast völlig kahlen Felsen erschienen Abends, nachdem die Reisenden angekommen waren, von einem großartigen Feuerwerk auf das Prächtigste beleuchtet.

Katharina war in gehobener Stimmung. Es war, wenn man sich frühere Epochen der Geschichte Russlands ins Gedächtnis zurückrief, kein geringer Triumph, dass die Kaiserin jetzt den Palast derjenigen Tatarenchane bewohnte, welche so oft Russland mit ihren Raubzügen sehr schwer heimgesucht hatten. In liberaler Weise und als Vertreterin des Toleranzprinzips lies sie Summen zum Bau von Moscheen anweisen, unterhielt sich freundlich und wohlwollend mit vornehmen Tartaren und erzählte mit Genugtuung, dass viele Tataren die ganze Nacht hindurch mit Gebeten für eine glückliche Reise der Kaiserin zugebracht hätten. Sie hielt streng darauf, dass die religiösen Gebräuche und sonstigen Sitten der Tataren geachtet wurden; sie lies ferner eine neue Ausgabe des Korans anfertigen und war stolz darauf, dass die Korreckheit des Druckes von verschiedenen Seiten gelobt wurde; der Nichte des ehemaligen Chans erteilte Katharina eine Audienz, welcher der Fürst von Ligne und Ségur hinter einem Schirme verborgen, durch eine Spalte blickend, beiwohnen durften; sie lies sorgfältige Angaben über alle tatarischen Umstände sammeln. Mit Eifer begann sie die Europäisierung dieser orientalischen Gebiete. Über die hohe Bedeutung der Besetzung der Krim äußerte sie sich folgendermaßen: „Diese Erwerbung ist sehr wichtig; unsere Vorfahren hätten viel darum gegeben, um die Krim zu besitzen. Aber es gibt leider noch immer Leute, welche darüber jammern, dass Peter I. die Bärte scheren lies. Graf A. M. Dmitrijew-Mamonow"— vermutlich hatte dieser nicht sehr optimistische Äußerungen in Betreff der Krim getan — „ist noch jung und sieht den Gewinn nicht, der nach einigen Jahren daraus erwachsen muss. Der Graf Falkenstein sah Alles mit ganz andern Augen an, Fitz-Herbert folgt den englischen Grundsätzen, welche England zu dem gegenwärtigen kläglichen Zustande herabgebracht haben. Graf Ségur sieht ein, wie mächtig Russland ist, aber das französische Ministerium, von seinen Emissären getäuscht, glaubt ihm nicht und macht sich ganz falsche Vorstellungen von der Macht der Pforte". Offenbar wusste sich die Kaiserin in Bezug auf diese Fragen im Widerspruche mit den Ansichten mancher ihrer Reisegefährten.

Der Aufenthalt in Baghtschissarai dauerte nur anderthalb Tage, aber in dieser kurzen Zeit beschäftigte sich die Kaiserin u. A. auch mit der Kunst, Reime zu schmieden. Es war eine bei Hofe sehr beliebte Spielerei, in welcher manche der Begleiter Katharinas eine nicht unbedeutende Fertigkeit an den Tag legten. Um so größer war die Heiterkeit, wenn es ihr selbst nie recht gelingen wollte, etwas einem Gedichte Ähnliches zu machen. Schon in Kijew hatte sie einmal einen Anlauf genommen, um Verse zu fabrizieren, war aber nicht weiter gekommen, als zu den Zeilen:

                Ci git la duchesse Anderson (— eine Hündin —)
                Qui mordit Mr. Rogerson (Leibarzt der Kaiserin).

Sie war von ihren Begleitern wegen ihres Mangels an Dichtertalent ausgelacht worden. Jetzt, in Baghtsschisarai, schloss sie sich ein und gedachte ein Gedicht zur Verherrlichung Potemkins zu produzieren. Aber auch diesmal kam sie über die zwei Anfangszeilen nicht hinaus:

                „Sur le sopha du Khan, sur des coussins bourrees,
                Dans un kiosque d'or, de grilles entoure . . . ."

und wurde auch diesesmal ein Gegenstand der schmeichelhaften Spöttereien Ségurs und Lignes. Sowohl aus dem Tagebuche Chrapowitzki's als aus dessen zum Teil bekannt gewordenen nachgelassenen Papieren ist zu ersehen, dass der unermüdliche, stets zu literarischen Handlangerdiensten bereite Geheimschreiber es übernahm, das Gedicht der Kaiserin in russischer Sprache fortzusetzen.

Am 22. Mai brach man von Baghtschissarai auf. Die Straße nach Inkerman über das Kalkgebirge zwischen der Katscha und dem Belbek, obgleich für die Reise der Kaiserin vorbereitet, war sehr beschwerlich und besonders wegen des steilen südlichen Abfalls übel zu befahren 151. Indessen langte man glücklich in Inkerman an.

In Inkerman, am östlichsten Teile der Bucht von Ssewastopol gelegen, genoss die Kaiserin den Anblick des herrlichsten Kriegshafens der Welt. Sogleich nach der Ankunft in dem für die Kaiserin errichteten Schloss war die Reisegesellschaft, ohne die Bucht gesehen zu haben, zu Tische gegangen, als plötzlich während des Essens die Vorhänge von den Fenstern des Speisesaals hinweggezogen wurden und der überraschende Anblick einer stattlichen Flotte sich darbot. Es waren drei Linienschiffe, zwölf Fregatten, zwanzig kleinere Fahrzeuge, drei Bombardierboote und zwei Brander; auf allen diesen Schiffen und Fahrzeugen wurden in diesem Augenblick sämtliche Kanonen gelöst. Bei diesem Anblicke erhob Katharina ihr Glas und trank auf die Gesundheit ihres besten Freundes, Josephs II, indem sie bemerkte, dass sie diesem zu einem bedeutenden Teile die Erwerbung der Krim verdanke.

Potemkin hatte für die Kaiserin in Konstantinopel eine prächtige Schaluppe bauen lassen. Sie war genau nach dem Muster eines dortigen Fahrzeuges angefertigt, welches dem Sultan gehörte. Dieses Boot bestiegen die Reisenden nach Tische, um nach Ssewastopel zu fahren. Als man sich der Flotte näherte, salutierten alle Schiffe. Joseph war entzückt von dem Hafen und bemerkte in einem Schreiben an Kaunitz, einen besseren finde man nirgends; 150 Linienschiffe könnten bequem darin Platz finden. Es gab zu jener Zeit bereits viele Häuser in Ssewastopol, ein Arsenal, eine Admiralität, ein Lazarett. Die Reisenden staunten darüber, dass Potemkin in so kurzer Zeit dieses Alles ins Werk zu setzen vermocht hatte. Sogar Joseph II. zweifelte nicht daran, dass diesem Punkte eine große Zukunft bevorstehe. Sowohl ihn als den Grafen Ségur beschäftigte der Gedanke, dass man aus Ssewastopol in etwa 36 bis 48 Stunden nach Konstantinopel fahren könne. Joseph äußerte in einem Schreiben an Lacy, der französische Gesandte habe bei dem Anblicke des neuen russischen Kriegshafens recht finster dreingeschaut. „Und nun stellen Sie sich vor", fährt Joseph fort, „was sich der Sultan dabei denken muss; er erwartet täglich, dass diese braven Burschen kommen und mit dem Donner ihrer Kanonen ihm die Scheiben an den Fenstern seines Palastes zertrümmern. Die Kaiserin ist entzückt über einen solchen Machtzuwachs Russlands. Der Fürst Potemkin ist jetzt allmächtig und man kann sich keine Vorstellung davon machen, wie Alle ihm schmeicheln". Joseph gab zu, dass der Besitz eines solchen Hafens zu verschiedenen Handstreichen verlocken könne und wunderte sich darüber nicht, dass Ségur durch diese Vorgänge in einige Besorgnis geriet.

*) S. d. Tagebuch Chrapowitzkis und Josephs Schreiben an Lacy hei Arneth a o.O. S. 363. Am folgenden Tage schreibt Chrapowitzki, jener Toast der Kaiserin, dessen in dem Entwurf zum offiziellen Reisebericht erwähnt worden war, sollte mit Stillschweigen übergangen werden. Man hielt es offenbar nicht für angemessen, der Welt die Freundschaft Österreichs mit Russland in Erinnerung zu bringen.

Auch in Ssewastopol war für den kurzen Aufenthalt der Kaiserin ein Palast gebaut worden. Hier empfing sie in feierlicher Audienz den russischen Geschäftsträger aus Malta, Capitain Taro, welcher im Auftrage des Großmeisters des Ordens der Kaiserin einen mit Siegestrophäen geschmückten Palmzweig überreichte, als Zeichen der Beglückwünschung zur Besitznahme der Krim. Katharina überreichte diesen Palmenzweig dem Fürsten Potemkin, als dem Gründer des Hafens von Ssewastopol, und dieser schickte denselben an Bord des Schiffes „der Ruhm Katharinas".

Joseph wünschte die Umgegend Ssewastopols kennen zu lernen und unternahm einen Ausflug nach dem später so berühmt gewordenen und zur Zeit der Genuesen so bedeutenden Hafen Balaklawa. Von dort reiste Joseph über die Berge der Kaiserin entgegen, welche von Ssewastopol aus durch das Baidar-Tal die Südküste erreichte. Der Prinz von Nassau-Siegen und der Graf Segur, welche einen Ausflug nach dem nur wenige Werst von Ssewastopol gelegenen St. Georgskloster unternommen hatten, kehrten nach Ssewastopol zurück und begleiteten die Kaiserin. Der Fürst von Ligne, welcher sehr reiselustig gewesen zu sein scheint und von Baghtschissarai aus einen Ritt bis auf den Tschatyr-Dagh unternommen hatte, bereiste von Ssewastopol aus die ganze Südküste der Halbinsel. Hier hatte ihm die Kaiserin zwei Güter geschenkt, Parthenit und Nikita, hier schrieb er seine farbenreichen, phantastischen „Lettres de Crimee", hier unternahm er durch die damals noch sehr unwegsamen, steil ins Meer abfallenden Küstengegenden zu Pferde die Tour bis nach Karassubasar, wo er mit der übrigen Reisegesellschaft wieder zusammentraf.

Auch im Baidartal war für die Reise der Kaiserin eine Kunststraße angelegt worden ist. Die herrlichen Berglandschaften gefielen der Kaiserin außerordentlich. Sie schrieb an Ssaltykow aus Borislaw und Krementschug: „Der bergige Teil Tauriens und die dortigen Täler sind sehr schön. Ich erinnere mich, dass mir früher die Hügel bei Waldai schon hoch erschienen, aber nach dem Taurischen Berge, den wir sechs Werst hinauf und sechs Werst hinuntergefahren sind, können jene Hügel nur als kleine Warzen erscheinen". Bei Skeli traf Joseph mit Katharina wieder zusammen und musste sich damit begnügen, die landschaftlich herrlichste Gegend der Krim, die Südküste, nur aus einiger Entfernung von Laspi aus zu betrachten, weil der Mangel einer Straße das Reisen im Wagen unmöglich machte. Recht unwillig äußert sich Joseph darüber, dass Potemkin, um den Reisenden auf einem seiner Güter zwei Angoraziegen zu zeigen, dieselben auf sehr schlechten Wegen einen Umweg machen lies. Bei dieser Gelegenheit gerieten die Reise-Equipagen in Unordnung und erst um 1 Uhr Nachts traf die ganze Reisegesellschaft sehr ermüdet in Baghtschissarai ein. Dort blieb man einen Tag, um zu rasten.

Von Baghtschissarai reiste man nach dem damaligen Ak-Metschet, dem jetzigen Ssimferopol, wo Potemkin einige Häuser hatte erbauen und einen Garten im englischen Geschmack hatte herstellen lassen. Dann ging es weiter nach Karassubasar, wo Potemkin einen herrlichen Palast nebst englischem Garten mit Wasserkünsten besaß. In etwas höherer Lage war ein Palast für die Kaiserin erbaut worden. Der Abends glänzend erleuchtete Garten entzückte Alle. Das bei dieser Gelegenheit abgebrannte Feuerwerk bestand aus 300.000 Raketen, aber noch bezeichnender für das Maß des dabei entfalteten Luxus ist der von Joseph II. berichtete Umstand, dass Potemkin zur Veranstaltung der Illumination und des Feuerwerkes in Karassubasar eine Compagnie der Preobrashenskischen Garde aus St. Petersburg in die Krim hatte kommen lassen, wo diese Soldaten 100.000 Lampen anfertigten, welche mit von Moskau hergebrachtem Talg gespeist wurden, um des andern Tages die Rückreise nach St. Petersburg (2.000 Werst) abermals zu Fuß anzutreten. Die für drei Infanterieregimenter bei Karassubasar erbauten Kasernen erwiesen sich als auf einer hygienisch sehr ungünstigen Stelle errichtet.

Anderen Tages schon reiste man über Stary-Krim nach Feodosia, wo Katharina und Joseph übrigens nur wenige Stunden verweilten; sie nahmen die Münze in Augenschein, wo während ihres Aufenthaltes eine Medaille mit passender Inschrift zum Andenken an diesen Besuch geprägt wurde, und gedachten nicht ohne Wehmut der Größe und Berühmtheit dieser unter den Genuesen so bedeutenden Handelsstadt. Jetzt war die Stadt in Verfall geraten und litt besonders durch die Nachbarschaft von Taganrog. Segur will gesehen haben, dass der Kaiserin beim Anblick der ehemaligen, jetzt größtenteils in Trümmern liegenden Größe Kaffas die Tränen in die Augen traten. Joseph II. bemerkte, dass es in Kaffa zur Zeit der Besetzung der Krim durch die Russen 30.000 Einwohner gegeben habe, während Joseph und Katharina bei ihrem Besuche im Jahre 1787 nur 400 Einwohner mehr dort angetroffen hätten. Segur gibt indessen für die letztere Ziffer 2.000 an.

Mit einigen Gefährten bereiste Ségur noch die Halbinsel bis Kertsch. Am 31. Mai waren alle Reisenden schon wieder in Perekop. Der ganze Aufenthalt in der Krim hatte nur zehn Tage gedauert. Die Kaiserin beabsichtigte noch die Städte Mariupol, Taganrog, Tscherkassy und Asow zu besuchen, aber sie gab diesen Entwurf einer solchen Ausdehnung ihrer Reise bald wieder auf. In Borislaw trennte sich Katharina von ihrem Freunde, Joseph II. Derselbe hatte inzwischen die Nachricht von den in den Niederlanden ausgebrochenen Unruhen erhalten und eilte nun nach Wien, um in dieser Angelegenheit die entsprechenden Maßregeln zu ergreifen. Er gab der Kaiserin das Versprechen, sie in St. Petersburg noch einmal besuchen zu wollen, ein Versprechen, das er nicht erfüllen konnte. Noch waren nicht drei Jahre nach der Zusammenkunft im Süden vergangen, als Joseph II. starb.