Zur Reform des Unterrichtswesens.

Bürgerglück
Wird dann versöhnt mit Fürstengröße wandeln,
Der karge Staat mit seinen Kindern geizen.
Und die Notwendigkeit wird menschlich sein.
                                    Schiller

Vor uns liegen drei so eben im Druck erschienene Entwürfe neuer Reglements: für die allgemeinen Bildungsanstalten im Ressort des Unterrichtsministeriums; für die Volksschulen; für die Universitäten.


Der erstere enthält die neueste Bearbeitung eines im Auftrage des Ministeriums von dem beratenden Ausschuss der Hauptschulverwaltung (dem „gelehrten Komitee") unternommenen und im Februar 1860 nach vielfältigen Abänderungen zum Abschluss gelangten Entwurfes.

Bedeutsam genug datiert jener Auftrag vom Jahre 1856, demselben Jahre, in das, wie oben mitgeteilt wurde, die Berufung Pirogoffs zur Wirksamkeit eines Kurators fiel. Der Leser erinnert sich, dass als der Kern von Pirogoffs epochemachendem Aufsatz „Die Fragen des Lebens" das Geltendmachen allgemeinmenschlicher Bildung gegen ein ausschließendes Fachsystem bezeichnet wurde. Genau dasselbe ist von Anfang an die leitende Idee des neuen Reglements. Sie ist ihm in der gegenwärtigen Bearbeitung des Entwurfes, einer wesentlich modifizierenden und ergänzenden, geblieben, und erscheint hier als seine oberste These. Die Übereinstimmung zwischen den in dieser Hinsicht von Pirogoff aufgestellten Grundsätzen und den motivierenden Prinzipien des neuen Reglements ist so groß, dass wir uns nicht versagen können, aus jenem Aufsatz Pirogoffs ein paar Stellen anzuführen:

„Alle, die sich dazu bereiten, nützliche Bürger zu werden, müssen zuerst lernen Menschen sein.

Daher haben Alle bis zu einer gewissen Lebensepoche, in der ihre Neigungen und Fähigkeiten sich herausstellen, an einer und derselben sittlich-wissenschaftlichen Ausbildung Teil zu nehmen. Nicht umsonst werden gewisse Kenntnisse von Alters her die „humaniora" genannt; d. h. sie sind jedem Menschen unentbehrlich. Diese Kenntnisse, so sehr auch ihre Gestalt mit der Vernichtung des Heidentums, der Vervollkommnung der Wissenschaften, der Entwicklung des bürgerlichen Lebens verschiedener Nationen, sich verändert hat, bleiben doch für immer dieselben Leuchten auf dem Lebenswege des neuen wie des alten Menschen.

Demnach ist die Richtung, der Weg, auf welchem allgemein-menschliche Bildung zu erzielen, für Jedermann, der diesen Namen verdienen will, klar vorgezeichnet. Sie ist eine sehr natürliche, ungezwungene, sie ist die vorteilhafteste für die Regierungen wie für die Untertanen.

Für die Regierungen, weil dann alle Zöglinge bis zu einem gewissen Alter in einer und derselben Richtung, in einem Geiste, zu einem und demselben Zwecke gebildet werden. Mithin ist die sittlich-wissenschaftliche Erziehung aller künftigen Bürger in dieselben Hände gegeben. Alle Absichten, alle heilsamen Vorsätze der Regierungen zur Förderung der Kultur können dann konsequent ausgeführt werden, mit gleicher Energie, von Leuten derselben Kompetenz.

Für die Untertanen, weil alle Zöglinge bis zu ihrem Eintritt in die Zahl der Bürger gemeinschaftlich gleiche Rechte und gleiche Vorteile der Erziehung genießen.
Das Vorteilhafte dieser Identität der Erziehung, dem Geiste und den Rechten nach, muss man nicht daraus erklären, dass etwa die aus der Verschiedenheit derselben hervorgehende Teilung der Gesellschaft in Korporationen für die letztere etwas Schädliches wäre. Nein, im Gegenteil; ich sehe in der Aufmunterung der Korporationen ein Mittel, die moralische Existenz verschiedener Klassen und Stände zu heben, ihnen Achtung vor ihren Beschäftigungen und dem ihnen vom Schicksal angewiesenen Wirkungskreise einzuflößen. Allein um aus dem herrschenden Corporationsgeiste Nutzen für die Gesellschaft zu ziehen, darf man dessen Entwicklung nicht eher fördern, als bis alle geistigen Fähigkeiten des jungen Mannes vollständig entwickelt sind. Sonst ist zu befürchten, dass eben diese Mittel falsch verstanden und zur Unzeit angewendet werden.

Indessen lässt sich das Vorhandensein von Fachschulen in allen Ändern und bei allen Völkern aus nicht unerheblichen Gründen rechtfertigen.

Dahin gehört die für einige Nationen fast zum Lebensbedürfnis gewordene Notwendigkeit einer speziellen Ausbildung ihrer Bürger in mancherlei Wissens- und Kunstzweigen, die für die Wohlfahrt und sogar für die Existenz des Landes unentbehrlich sind; zumal wenn dieses fortwährend in der Lage ist, von den Resultaten der Bildung junger Spezialisten einen möglichst schnellen und umfassenden Gebrauch machen zu müssen.

Allein erstens gibt es für ein Land, es sei wie es wolle, kein wesentlicheres und unentbehrlicheres Bedürfnis; als „echte Menschen". Die Quantität hält nicht Stich vor der Qualität. Und hätte sie auch die Überhand, so wird sie doch früher oder später mit all ihrer Massenhaftigkeit sich unwillkürlich der geistigen Macht der Qualität unterordnen.

Das ist ein historisches Axiom.

Zweitens schließt die allgemeinmenschliche oder Universitätsbildung keineswegs das Bestehen solcher Fachschulen aus, die sich mit der praktischen, angewandten Bildung junger Leute zu beschäftigen haben, nachdem letztere durch die allgemeinmenschliche schon vorbereitet sind.

Ja, die Fachschulen, wie die ganze Gesellschaft gewinnen ungleich mehr dabei, wenn sie moralisch und wissenschaftlich in Einem Geiste und Einer Richtung vorbereitete Schüler zu ihrer Disposition haben.

Die Lehrer an diesen Schulen erhalten zur Aussaat ein schon kultiviertes und bearbeitetes Feld. Die Schüler können leichter das Empfangene sich aneignen.

Endlich wird bei jungen Leuten von hinreichender allgemeinmenschlicher Vorbildung auch der Korporationsgeist, der Begriff von der Ehre und Würde jener Stände, für welche die Fachschulen vorbereiten, zu einer rechtzeitigen und bewussten Entwicklung gelangen.

Und dann, was für Gegenstände sind denn auch das wesentlichste Ziel in den Fachschulen?

Sind es nicht eben solche, deren Erlernung schon vollständig entwickelte geistige Fähigkeiten, physische Kräfte, Talente und besonderen Beruf erfordern?

Also wozu, frage ich, diese Hast und Eile mit Fachbildung? Wozu sie vor der Zeit beginnen?

Ich weiß recht wohl, dass die Riesenfortschritte der Wissenschaften und Künste in unserem Jahrhundert den Spezialismus zu einem unabweislichen Bedürfnis der Gesellschaft gemacht haben; allein ich weiß auch, dass echte Spezialisten einer vorbereitenden allgemeinmenschlichen Bildung zu keiner Zeit so sehr bedurft haben, wie in der unseren."

So weit Pirogoff. Ganz in gleichem Sinne fasst der Entwurf des neuen Schulreglements seine Aufgabe.

Er will, dass der Zweck der Schulen kein anderer sei, als die Erziehung zum Menschen, was er dahin erläutert, dass „alle geistigen, moralischen und physischen Kräfte der lernenden Jugend, zu jener allseitigen und gleichmäßigen Entwicklung gebracht werden, aus der allein eine vernünftige, der Menschenwürde entsprechende Anschauung und ein richtiger Gebrauch des Lebens hervorgehen können."

Ganz im Sinne Pirogoffs behandelt der vorliegende Entwurf die Allgemeinbildung im Gegensatze zum Spezialismus als Ausgangspunkt aller Schulreformen in Russland. Nachdem er dargetan, wie die Elementar- und Kreisschulen nicht einmal den niedrigsten Anforderungen des Unterrichts entsprächen, weshalb sie gänzlich in Misskredit gekommen, macht er auch über die den Interessen wahrhafter Kultur widersprechende Verfassung der Gymnasien klar, und charakterisiert dieselben nicht viel anders, als unser Korrespondent aus der Provinz. Bei dem Mangel an tüchtigen, pädagogisch vorbereiteten Lehrern, seien die Lektionen und nicht die Ausbildung der Schüler Hauptsache geworden. Die besonderen Privilegien solcher Schulen hätten die meisten Zöglinge zur Beamtenkarriere hingedrängt. Der Entwurf weist nach, dass die russischen Kreisschulen und Gymnasien den Charakter von Anstalten angenommen, die rein spezielle Zwecke verfolgen, dass sie lediglich Vorbereitungsanstalten für künftige Beamte geworden, und fährt fort:

„Jetzt, wo die Leibeigenschaft aufgehoben ist und damit Allen ohne Ausnahme bürgerliche und Menschenrechte verliehen worden, kann eine solche Richtung der Erziehung nicht länger bestehen. Jetzt zeigt sich mehr als jemals die dringende Notwendigkeit, die jungen Leute zu jeder Laufbahn und jedem Wirkungskreise vorzubereiten. Damit von den Menschenrechten ein vernünftiger Gebrauch gemacht werde, muss in den Massen ein Bewusstsein dieser Rechte, Liebe zu vernünftiger Arbeit entwickelt, muss Jedem Achtung vor sich selbst und vor dem Menschen überhaupt eingeflößt werden. Dadurch allein ist es möglich, die bei uns noch herrschende Trennung der Stände zu beseitigen und eine weise Verteilung aller in der Gesellschaft wirkenden Kräfte herbeizuführen.

Aus diesen Gründen hält das Komitee es für notwendig, allen unseren niederen und mittleren Lehranstalten einen lediglich allgemeinbildenden Charakter zu geben, d. h. nicht die Vorbereitung von Spezialisten, sondern die Erziehung des Menschen zu ihrer Hauptaufgabe zu machen."

Dem durch die Schulen begünstigten Drängen zur Beamtenkarriere soll nun durch Verordnungen begegnet werden, die den hierbei wirkenden Reiz sowohl äußerlich als innerlich entfernen.

Art. 165 und 212 des Entwurfs bestimmen, dass die Gymnasialschüler keine Uniform mehr zu tragen haben. Diese Bestimmung wird folgendermaßen motiviert:

„Die Uniformierung trägt viel dazu bei, in den Schülern den Gedanken festzusetzen, dass sie zum Beamtenstande gehören. Mit dem Anlegen der Uniform entfremdet sich der Bürgersohn der Tätigkeit seines Vaters und denkt nur an seinen Austritt aus dessen Stand."

Alle Schulprärogative, die anderweit nur im aktiven Dienst zu erlangen sind, fallen weg; dagegen bietet die Beendigung des vollständigen Schulkursus Rechte (bei der Aufnahme auf Universitäten, Anstellungen u. s. w.), die jedem Stande zu Gute kommen, und daher geeignet sind, die niederen Stände durch Bereicherung mit gebildeten Mitgliedern zu heben. So bestimmt Art. 216. §. 7, dass die in niederem Stande Verbleibenden ein Jahr nach Beendigung des Schulkursus das persönliche Ehrenbürgerrecht erlangen, sofern sie sich während dieser Zeit unbescholten erhalten haben (keinem entehrenden gerichtlichen Erkenntnis; unterlagen).

Die Schulen teilen sich bei gleichem Zweck der Allgemeinbildung, je nach der Zahl und Beschaffenheit ihrer Bildungsmittel oder auch der materiellen Kenntnisse, welche ihre Schüler erhalten, in drei Kategorien:

Volksschulen für Knaben und Mädchen.

Progymnasien und Mädchenschulen zweiten Ranges.

Gymnasien und Mädchenschulen ersten Ranges.

Die Progymnasien sind eine neue Schöpfung des vorliegenden Entwurfes, als Ersatz für die zu schließenden Kreisschulen in größeren Städten, während die in kleineren Städten und Flecken durch bloße Volksschulen ersetzt werden sollen. Das Progymnasium wird in gewissem Grade unsern deutschen Bürgerschulen entsprechen. Es tritt an die Stelle der in Wegfall kommenden unteren Gymnasialklassen und bereitet demgemäß zu den höheren vor, aus denen allein die Gymnasien nunmehr bestehen sollen. Vor den Volksschulen hat es ein umfassenderes Unterrichtsmaterial voraus. Zu einem vollständigen Kursus der Religion, der Muttersprache, der Mathematik, Naturgeschichte, Geographie und Weltgeschichte kommen hier noch fremde Sprachen (die deutsche und französische), ohne jedoch obligatorisch zu sein, aus Rücksicht teils auf solche Schüler, deren Kräfte die Menge von Gegenständen übersteigt, teils auf solche, die in ihren Verhältnissen jener Sprachen auch wohl entraten können. Dagegen werden Gesang und Gymnastik, die bis jetzt selbst in den höheren Schulen nur ausnahmsweise vorkamen, in allen obligatorisch. Eingedenk seiner Aufgabe, aus eine Erziehung hinzuwirken, welche auch die vollständige Entwicklung der physischen Kräfte bezweckt, hebt der Entwurf den Wert und die Unerlässlichkeit der Gymnastik, besonders in Städten, wo die Bewegung der Kinder im Freien so sehr beschränkt ist, nachdrücklich hervor.

Bei der Einrichtung der Gymnasien war von vornherein die Vielartigkeit der Gegenstände in Betracht zu ziehen, die gleichermaßen zur Allgemeinbildung gehören. Hier begegnet uns sofort der Dualismus der humanistischen und Realstudien. An dem Beispiel Englands und Deutschlands wird in dem Entwurf erhärtet, wie in einer und derselben Anstalt nur das Übergewicht der einen oder der andern Studien möglich ist. Es wird darauf hingewiesen, dass sie in Deutschland sich zwischen Gymnasien und Realschulen teilen; dass in den ersteren die alten Sprachen, in den letzteren Mathematik und Naturkunde nebst ihren Hilfswissenschaften vorwalten.

Eine Teilung gleicher Art ist in dem Entwurfe auch für Russland als notwendig angenommen; und darauf gründet sich die Doppeleinrichtung: von philologischen und Realgymnasien. Der Unterschied zwischen beiden ist aus das Studium der alten Sprachen einerseits und der Naturwissenschaften andererseits zurückgeführt; so zwar, dass diese Gegenstände im Allgemeinen beiderlei Gymnasien zufallen, in Maß, Behandlung und Spezialisierung aber nach dem Charakter dieser Anstalten wechseln. In den philologischen Gymnasien tritt das Studium der alten Sprachen (der lateinischen und griechischen) dergestalt in den Vordergrund, dass es die Hälfte der Unterrichtszeit einnimmt. Mathematik ist bedeutend reduziert und aus den Naturwissenschaften nur Physik, physische und mathematische Geographie herausgehoben. Das Realgymnasium dagegen kann bei gleichem Prinzip der Allgemeinbildung die Kenntnis der alten Sprachen nicht mehr als gelehrten Zweck, sondern nur als Bildungsmittel behandeln. Insofern genügt die Beschäftigung mit dem Lateinischen allein, und das nicht einmal in dem Maße, als es für die Bedürfnisse des Philologen erforderlich ist. Das Griechische muss, da es sich hier um erweiterten Raum für ein umfassendes Studium der Naturwissenschaften handelt, ganz weichen. Der Entwurf verkennt keineswegs die hohe geistige Bedeutung dieser reichsten von den alten Sprachen; allein er hält sie nicht für unentbehrlich zur Allgemeinbildung, ja, nicht einmal unter allen Umständen zu einer gelehrten Bildung. — Gemeinsame Unterrichtsgegenstände beider Gymnasien sind: Religion, Weltgeschichte und politische Geographie; deutsche und französische Sprache. Auch das Studium der neueren Sprachen soll in den philologischen Gymnasien mehr Umfang und Tiefe haben, als in den Realgymnasien.

Für diese letztere Bestimmung können wir uns in so fern nicht erklären, als wir nicht einsehen, warum in den Realgymnasien die neueren Sprachen eine geringere Rolle spielen, als in den philologischen. Das „philologische" Moment kann hier nicht in dem weiten Sinne der Sprachwissenschaft überhaupt genommen werden. Das hieße die Gymnasialaufgabe auf den Standpunkt der Universitäten hinaufschrauben, und in dem Falle, der ein unmöglicher ist, kämen ja noch viel andere Sprachen, vor Allem Sanskrit in Frage. Ist aber mit dem „Philologischen", wie es wohl auch gemeint sein soll, nur die Gelehrtenbildung betont, während das Realgymnasium die praktische Allgemeinbildung vertritt, so bedenkt uns, dass umgekehrt in dieser die neueren Sprachen eine größere Rolle spielen, als in jener. Jedes gelehrte Fach kann ihrer mehr entraten, als irgend ein praktischer Beruf, wenn er eben aus dem Gesichtspunkte höherer Bildung aufgefasst ist. Demnach glauben wir, wenn in einer der beiden Kategorien das Studium der neueren Sprachen erweitert werden soll, so müsste es gerade in den Realgymnasien geschehen.

Auch dagegen haben wir eine Einwendung zu machen, dass der Entwurf, indem er zwei neuere Sprachen (Französisch und Deutsch) in den Lehrplan der Gymnasien aufnimmt, den Schüler nur zu einer verpflichtet, was er in folgender Weise motiviert:

„Die Zeit ist vorüber, wo man das ganze Wesen der Bildung in die bloße Kenntnis neuerer Sprachen setzte und in die Fertigkeit sich gewandt in demselben auszudrücken. Wir haben keine Ursache zu bedauern, dass sie vorüber ist. Jetzt machen sich andere Forderungen geltend, Forderungen einer gründlichen, die geistigen Kräfte des Schülers entwickelnden Bildung etc."

Verstehen wir das recht, so soll mit dem Sprachunterricht keine bloße Redefertigkeit mehr, sondern ein allseitiger Geistes- und Wissensinhalt erlangt werden. Der Entwurf nimmt also an, dass die Muttersprache allein dazu nicht ausreicht. Genügt es, dass die deutsche allein hinzutritt? Wir dürfen das nicht bejahen, da es von unsrer Seite parteilich erscheinen könnte. Genügt es, dass die französische allein hinzutritt? Man wird uns keine Parteilichkeit vorwerfen, wenn wir das nicht bloß entschieden verneinen, sondern weiter gehen und behaupten, dass die französische Sprache ungleich weniger dazu angetan ist, als die deutsche. Wir stellen damit ihren Wert und ihren Reichtum nicht in Abrede; aber dass sie lediglich Ausdruck des französischen Geistes, dass sie durchaus exklusiv ist, lehrt ein Blick auf die gesamte französische Übersetzungsliteratur. Von allen europäischen Sprachen dient die französische durch ihre allgemeine Konversationsgültigkeit, durch die Vorzüge, die ihr zu dieser verholfen, dem Interesse des Weltverkehrs sicher am meisten; von allen aber ist sie am wenigsten zur Vermittlerin jener humanistischen Allgemeinbildung geeignet, die der Gegensatz nationaler Exklusivität ist. Es ist freilich wahr, dass nationaler Exklusivität nichts besser entgegenwirkt, als die Kenntnis möglichst vieler Nationaleigentümlichkeiten. Wenn aber auf den Gymnasien nicht viele neuere Sprachen neben einander getrieben werden können, wenn einmal angenommen wird, dass ihre Zahl auf zwei zu beschränken ist, so ist einerseits die französische als Welt- und Umgangssprache nicht zu entbehren, anderseits eine Sprache geboten, die eben möglichst viele Nationaleigentümlichkeiten vermitteln kann. Dass die deutsche Sprache dies, wie keine andere, vermag, werden uns weder romanische noch slawische Gegner abstreiten. Wir sind deshalb vollkommen damit einverstanden, dass in dem Entwurf des neuen Reglements die Wahl auf diese zwei Sprachen fällt; allein wir finden es durch nichts begründet, dass die Schüler von der einen oder der andern sich dispensieren dürfen, da nur von einer Vereinigung beider das angestrebte Resultat zu erwarten ist.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Russische Revue. Band 01