Erste Fortsetzung

Wir übergehen die Erörterungen, die der Entwurf in Ausführung des obersten Grundsatzes der Allgemeinbildung von administrativer Seite anstellt, und verweilen bei einem Punkte, der ein so glänzender Lichtpunkt des projektierten Reglements ist, dass er jene pädagogischen Ideen von Menschenwürde, die noch an vielen Instituten des zivilisierten Europa herrschen, in beschämendes Dunkel stellt, und in Wahrheit ein hocherfreuliches Zeugnis von den Prinzipien ablegt, die jetzt in den gouvernementalen Sphären Russlands sich Bahn brechen. Wir meinen den Protest gegen die bisherige Disziplin, der nicht schneidender sein konnte. Die wirksamsten Mittel der Disziplin erblickt der Entwurf in dem guten Beispiel des Erziehers und dessen humanem Benehmen gegen die Zöglinge. Die körperliche Züchtigung wird auf sämtlichen Lehranstalten im Ressort des Ministeriums der Volksaufklärung, und zwar auf Grund nachstehender Erwägungen abgeschafft:

„Die Prügelstrafe bildet das schlechteste und unzuverlässigste Mittel zur Erziehung des Menschen. Es lohnte sich durchaus nicht der Mühe, die Verwerflichkeit eines solchen Mittels darzutun, würde dessen Gebrauch von rohen und gemeinen Naturen allein aufrecht erhalten. Aber es gibt auch sehr erfahrene und gewissenhafte Pädagogen, welche die Prügelstrafe für unentbehrlich halten, obwohl sie die Anwendung nur auf die äußersten Fälle beschränkt sehen wollen; denn sie ziehen dieselbe der Exklusion vor, die an deren Stelle treten soll. Exklusion, sagen sie, wäre härter in ihren Folgen und zeige von Schwäche der Anstalt. Allein wer zur Prügelstrafe seine Zuflucht nimmt, bezeugt nicht minder seine pädagogische Schwäche, und rettet daher nicht den Ruf der Anstalt. Also bliebe nur eins, was die Prügelstrafe voraus Hätte: dass sie nämlich nicht von so schweren Folgen sein soll. Darauf lässt sich entgegnen:


Erstens beruht die körperliche Züchtigung beim Menschen nicht einmal auf jener rohen, aber richtigen Kombination, die den Kutscher beim Gebrauch der Peitsche leitet. Der Knabe wird offenbar nicht geprügelt, um schneller zu laufen. Man will ihn strafen, mithin ihm eine Lektion, eine Zurechtweisung, eine Ermahnung geben, die ihn in Zukunft von der Wiederholung schlechter Streiche abschrecken soll. Das merkt er allerdings. Die Prügel jagen ihm wirklich Furcht ein, regen seinen Instinkt auf; er wird sich in Zukunft ganz gewiss in Acht nehmen — aber wovor in Acht nehmen? Vor der Wiederholung der Strafe, keineswegs vor der Wiederholung seines Vergehens. Kann er es nur vor seinen Erziehern verbergen, also nur prügelfrei bleiben, so scheut er weder Faulheit noch schlechte Streiche. Daraus entsteht erheuchelte Demut und überhaupt die Neigung zu Täuschungen aller Art.

Zweitens bildet sich in den Lehranstalten, in denen das Prügelregiment besteht, eine traurige Moral, welcher der Bestrafte als ein bemitleidenswertes Opfer erscheint. Lässt sich nun hiernach behaupten, dass Exklusion schwerere Folgen nach sich zieht? Sie reinigt nur die eine Anstalt und versetzt den Exkludierten auf einen andern Boden, wo seine Besserung wahrscheinlicher wird. Dagegen hebt die Prügelstrafe, namentlich bei fähigeren Kindern, sehr oft alle Möglichkeit der Besserung auf, weil Prügel die edle menschliche Natur erniedrigen.

Endlich selbst zugegeben, dass Prügel als Strafe von Bedeutung wären, so tritt eine neue Schwierigkeit entgegen:

Wer kann bestimmen, wie weit an den üblen Neigungen des Zöglings dieser selbst oder der Erzieher schuld ist, dessen Unerfahrenheit und Schwäche sie nährte? Ist es auch gerecht, den Zögling für etwas zu bestrafen, wovon man nicht weiß, ob er es allein verschuldet hat? Darf man das Strafgesetzbuch des Staates auf die Schule anwenden? Wäre es von Seiten des Erziehers nicht gerechter und humaner, jedes Vergehen des Schülers als einen Teil seiner eigenen Schuld zu betrachten und durch verdoppelte Aufmerksamkeit, durch verdoppelten Eifer in seinem Amte abzubüßen?

Sodann kann Niemand dafür stehen, dass schlechte Pädagogen nicht in jedem Falle die Prügelstrafe als ein wenig kostspieliges und für sie selbst ganz ungefährliches Mittel vorziehen und sehr freigebig damit sein werden.

Alles dies wohl erwogen, findet das Komitee das einzige Besserungsmittel darin, dass das Kind mit moralischer Kraft ausgestattet werde, die in ihm selbst wach bleibe und es auf dem Wege des Guten fest halte, damit solchergestalt jedes der Stimme seines eigenen Gewissens folgend, und nicht aus Furcht vor physischem Schmerz oder Anderen zu Gefallen sittlich sei. Da nun die Prügelstrafe nicht allein einen solchen Zweck nicht erreicht, sondern geradeswegs zu entgegengesetzten Resultaten führt, so ist ihre völlige Abschaffung von dem moralischen Vorteil der Lehranstalten geboten." —

Diese Aufstellungen*) dürften auch bei uns manchem schulweisen Kopfschütteln begegnen. Abgesehen davon, dass auch Deutschland sein pädagogisches Kontingent zu den „rohen und gemeinen Naturen" liefert, sind überall nur zu Viele aus gedankenloser Rechthaberei auf Seiten des Schlendrians. Wir hören sie schon dazwischen rufen: „Das sind Phrasen." Bei diesem vergassenhauerten kritischen Ausruf möchte man einmal stehen bleiben und die strengen Herren und Damen fragen (denn auch das schöne Geschlecht hat ihn unseren Feuilletonisten abgelernt, und er ist salonfähig geworden): „Was sind Phrasen?" — , Es sollte ihnen schwer werden, das zu erklären, da sie keine Ahnung davon zu haben scheinen, dass jene kritische Redensart, die sie allaugenblicklich anwenden, eben die abgegriffenste aller Phrasen ist. Kommen wir ihnen zu Hilfe. Als Phrase darf nur die Rede bezeichnet werden, der es an innerer Wahrheit fehlt, an jener Wahrhaftigkeit, wie sie Lessing der absoluten, reinen Wahrheit gegenüber stellt, die für Gott allein sei. Wer dieser letzteren näher ist — ob Diejenigen, welche die Prügelstrafe als das erste Gebot pädagogischer Weisheit ansehen, oder die Anderen, die alles in die moralische Wirkung setzen — das wird die künftige Geschichte der Menschheit schon an den Tag bringen, wenn es die vergangene noch nicht getan. Aber die Wahrhaftigkeit ist in den Vertretern geistiger und moralischer Mittel zu jedem Erziehungszwecke so sehr über allen Zweifel erhaben, dass der Schimpf des „Phrasentums" auf diejenigen zurückfällt, die sie damit abfertigen wollen.

*) Wir wollen nicht unerwähnt lassen, dass dieselben sich gleichfalls in fast wörtlicher Übereinstimmung mit einem vor Jahren erschienenen Aufsatz von Pirogoff zeigen: „Muss man Kinder prügeln, und dies in Gegenwart anderer Kinder?" Eine Argumentation, im Sinne der obigen, energisch, feurig, nicht ohne Bitterkeit. Gerade in diesem Augenblicke steigert sich die kulturhistorische Bedeutung jenes Aufsatzes, so dass wir nicht umhin können, ihn unseren Lesern im nächsten Hefte der Russischen Revue vollständig mitzuteilen.

Beruft man sich auf die Salomonischen Ermahnungen zu väterlicher Zucht, so sind wir weit entfernt, ihren heiligen Wert zu leugnen. Ein Anderes ist die Zucht im elterlichen Hause, ein Anderes die Züchtigung in der Schule. Der Schlag von Vaterhand erniedrigt nicht, schändet nicht, erregt nicht das leiseste Gefühl jener Brutalität, welche der Körperstrafe von fremder Hand immer anhaftet. Gleichwohl sind wir nicht der Ansicht, dass die „Rute" in den Salomonischen Ermahnungen so buchstäblich zu nehmen ist. Auch im Elternhause kann allein das gute Beispiel zum Menschen erziehen. Wie selten wären die kleinen Sünder, welche die Schule abzustrafen hat, ohne die großen Sünder zu Hause! Vor seinen Kindern sich schämen, wenn diese noch so klein sind, ist die goldene Sittenregel, die wir aus dem Munde des Heiden Juvenal eben so heilig achten, als käme sie direkt aus der Bibel:

        „Maxima debetur puero reventia; si quid
        Turpe paras, ne tu pueri contemseris annos:
        Sed peccaturo obstet tibi filius infans."

Nachdem der vorliegende Entwurf alles zusammengefasst, womit die Einrichtung des Schulwesens auf das Prinzip allgemeinmenschlicher Bildung zurückzuführen ist, bestimmt er im Interesse einer darauf zu basierenden einheitlichen Verwaltung:

„Sämtliche allgemeine Bildungsanstalten müssen im Ressort des Ministeriums der Volksaufklärung zentralisiert werden."

Unser deutsches Publikum möchte nicht ohne eine gewisse Verwunderung erfahren, dass dies erst geschehen soll. Es macht sich schwerlich eine Vorstellung davon, wie viele Unterrichtsanstalten in Russland der Kompetenz des Unterrichtsministeriums entrückt sind. Den Einfluss, den diese bürokratische Teilung auf das gesamte Schulwesen, insbesondere aber auf die Volksschulen hat, weist der Entwurf in der betreffenden Erörterung so genau nach, dass wir am besten tun, wir geben letztere in ihrem ganzen Wortlaut wieder.

„Gegenwärtig existiert bei uns keine Ministerialverwaltung, zu deren Ressort nicht auch gewisse Lehranstalten gehörten — Anstalten, welche die Allgemeinbildung so mit der Fachbildung vereinigen, dass sie in dieser aufgeht.

Bei solcher Einrichtung bringen die Eltern ihre Kinder in die eine oder die andere Anstalt, je nachdem sie dieselben für das eine oder das andere Fach auszubilden beabsichtigen. Auf die natürlichen Neigungen der Kinder wird meistenteils gar nicht geachtet; auch wäre es nicht einmal möglich, diese hochwichtige Frage zu entscheiden, da in dem Alter, in welchem die Kinder auf jene Fachschulen kommen, ihre Neigungen und Fähigkeiten sich noch nicht deutlich zeigen können. Auf diese Weise wird der Knabe zu einer gewissen Tätigkeit gewaltsam vorausbestimmt; und wenn ein tüchtiger Spezialist aus ihm wird, so sind dergleichen Fälle als Ausnahmen anzusehen. Meist pflegt es umgekehrt zu sein. Wenn sich statistisch ermitteln ließe, wie viel Prozent von diesen Spezialisten Leute ausmachen, die eben zu ihrem Fache untauglich sind, es käme ohne allen Zweifel eine so große Ziffer heraus, dass man unwillkürlich über die nutzlos verschwendeten Kapitalien und ertödteten Fähigkeiten nachdenklich werden müsste. Das ist übrigens schon eine fast von Allen anerkannte Wahrheit, und daher sucht man in vielen Lehranstalten, die zu verschiedenen Ressorts gehören, den Schülern erst eine Allgemeinbildung beizubringen, ehe man zur Fachbildung übergeht. Allein auch diese Maßregel ist nach der Ansicht des Komitees nur eine halbe Maßregel zu nennen, die noch lange nicht ihren Zweck erreicht und dabei sehr kostspielig wird. Nehmen wir z. B. an: auf eine gewisse Fachschule kommen 30 Knaben im Alter von zehn Jahren. Nachdem sie sieben bis acht Jahre auf den allgemeinen Kursus verwendet, und nun zu dem Fach übergehen sollen, zeigt es sich, dass nur drei von ihnen wirklichen Beruf dazu haben — die Übrigen müssen sich wider Willen damit beschäftigen. Es kann sich auch noch ungünstiger herausstellen: von allen dreißig erweist sich kein einziger tauglich, und dann gewinnt die Regierung in ihnen keine zuverlässigen Leute für das Fach, zu dem sie vorbereitet worden, während sie Leute in ihnen verliert, die bei freier Berufswahl in einer andern Laufbahn hätten nützlich werden können.

Zur Beseitigung eines solchen Übels bleibt nur ein einziges Mittel: auch in diesen Anstalten nur eine Allgemeinbildung zu geben, und für das Fach allein die Befähigten und Berufenen auszuwählen. Wie aber, wenn deren nur wenige sind, verliert die Anstalt nicht ihren Spezialcharakter? Ist dem so, dann gelangen wir zu dem unausweichlichen Schluss, dass es notwendig ist, um den Verlust an Zeit und Kapitalien zu vermeiden, die Allgemeinbildung ganz und gar den allgemeinen Lehranstalten, wie den Volksschulen, Progymnasien und Gymnasien, zu Überlassen. Die Fachschulen nehmen dann, je nach den Bedingungen des Faches, befähigte junge Leute auf, die den Kursus in einer jener Anstalten beendet, und deren Neigungen sich mehr oder minder entschieden haben, so dass sie eine ungleich größere Bürgschaft für erfolgreiche Erlernung des von ihnen gewählten Faches bieten und somit, auch für den Nützen, den ihre Tätigkeit der Gesellschaft bringen kann. Wer die Sache der Allgemeinbildung mit Erfolg betreiben soll, muss sich eigens dazu vorbereitet, muss seinerseits sie zu seiner Spezialität, zu seiner Lebensaufgabe gemacht haben; von den Herren aber, die unseren Fachschulen vorstehen, lässt sich fast ohne Ausnahme sagen, dass dies — nicht ihre Spezialität ist.
Nur eine solche Radikalreform kann den Unterricht in die rechte Bahn bringen, ihn für die ganze Gesellschaft fruchtbar machen und den Kapitalien, deren jetzt eine so bedeutende Menge für die Fachschulen verbraucht wird, dadurch eine produktive Kraft geben, dass sie zur Gründung einer größeren Zahl von allgemeinen Lehranstalten auch an den entfernten Enden Russlands verwendet werden, die noch aller Mittel zu allgemeinmenschlicher Bildung entblößt sind.

Wenn es sich aber immerhin noch einigermaßen sollte begründen lassen, warum eine so wünschenswerte Einrichtung gegenwärtig noch nicht getroffen ist, wonach die Allgemeinbildung von den Fachschulen anderer Ressorts ausgeschlossen und dem alleinigen Ressort des Unterrichtsministeriums zugewiesen wird, so ist es vollends seltsam, dass sogar allgemeine Lehranstalten, wie Volksschulen, zu verschiedenen Ministerien gehören, statt sämtlich unter dem Ministerium der Volksaufklärung zu stehen.

Eine derartige Erscheinung lässt sich nur aus dem Umstand erklären, dass die Idee von der ernsten Bedeutung der Volksschulen, als solcher Anstalten, deren Aufgabe die sittliche Erziehung des Volkes ist, von unserem Gesamtleben bis jetzt noch nicht entwickelt worden, und dass sie erst in letzter Zeit angefangen hat, ins Bewusstsein zu treten. Die Pfarr- (Elementar-) Schulen wurden, wie wir bereits dargetan, als Anstalten betrachtet, die zur Not einige Kenntnisse verschafften; der Unterricht in ihnen hatte nicht den geringsten bildenden Charakter und bestand in einer mehr oder minder glücklichen Dressur der Lernenden. Lehrer für dieselben wurden nicht vorbereitet, sondern allenthalben hergenommen, wenn sie nur den Kursus — und nicht einmal den vollständigen — der Kreis- (Bezirks-) Schulen inne hatten. Zur Beglaubigung ihrer pädagogischen Fähigkeit erachtete man es für hinreichend, wenn sie in Gegenwart des Gymnasialkollegiums (russ. „Pädagogischer Rat") eine gewöhnlich zehn Minuten dauernde Probelektion geben konnten. Kenntnis der Unterrichtsmethoden und überhaupt des Schulwesens, die z. B. in Deutschland eine ganze Wissenschaft bildet, wurde von ihnen gar nicht verlangt.

Eine so leichte Anschauung von den Volksschulen macht es denn auch allein erklärlich, warum letztere gegenwärtig unter alle Ministerien verteilt sind, und dem Unterrichtsministerium nur eine geringe Anzahl von ihnen zufällt, nämlich die Elementarschulen in den Städten und auf den Privatgütern, die selten eine Schule haben. Von den übrigen stehen die meisten unter dem Ministerium der Reichsdomänen, andere unter dem Ministerium der Apanagen — endlich auch unter dem Bergamt.

Im Ministerium der Volksaufklärung selbst haben die Elementarschulen, da ihre Zahl so klein, ihre Bedeutung so gering geachtet, keine besondere Verwaltung. Der Direktor des Gouvernementsgymnasiums, der ihnen vorsteht, und verpflichtet ist, sie wenigstens einmal in zwei Jahren persönlich zu besichtigen (Verordn. vom 8. Dez. 1828. H. 175.), lässt sie durch Kreisschulinspektoren verwalten, deren Obliegenheit es ist, die in derselben Stadt befindlichen Elementarschulen jede Woche — die anderen nicht weniger als zweimal des Jahres zu besichtigen. Dieses System erweist sich schon darum nachteilig, weil selbst der gewissenhafteste Direktor, der seine Aufmerksamkeit fast ausschließend auf das Gymnasium konzentrieren muss, zu den Kreis- und insonderheit zu den Elementarschulen kein anderes Verhältnis haben kann, als dass er die äußerst komplizierte Schriftführung besorgt und dann und wann eine rein formelle Besichtigung jener Schulen unternimmt. Zudem sind die Volksschulen, als die niedrigste Stufe unserer allgemeinen Bildungsanstalten, eine von den Gymnasien so ganz verschiedene Welt, dass sie ein besonderes, sorgfältiges Studium, ein spezielles Eingehen erfordern, wenn man mit Erfolg darin wirken soll; den Gymnasialdirektoren aber fehlt es an Zeit und Mitteln, sich ausschließend diesem Geschäfte zu widmen, das allein sie ganz absorbieren könnte. In gleichem und noch höherem Grade ist der Mangel an pädagogischer Vorbereitung zur Verwaltung der Volksschulen auch bei den Inspektoren bemerkbar. Wie für die Direktoren die Gymnasien, so stehen für sie die Kreisschulen und die Aktenführung in erster Linie; die in den Dörfern befindlichen Elementarschulen hingegen besuchen sie nur bisweilen der Form halber, um die Sache los zu sein.

Eine noch unerfreulichere Erscheinung bietet die Visitation und Hauptverwaltung der Elementarschulen in den anderen Ressorts. Dort sind diese wichtigen Obliegenheiten Beamten übertragen, die vollends gar keine pädagogische Vorbildung haben, die niemals im Lehrfache gedient und daher bei all ihren guten Vorsätzen den Schulen gar keinen Nutzen bringen können, des wesentlichen Umstandes nicht zu gedenken, dass die Schulverwaltung bei ihnen durchaus Nebensache ist. Die in der Residenz befindlichen gelehrten Comites jener Ressorts sind es hauptsächlich, die den Unterricht bestimmen. Unstreitig bestehen dieselben aus aufgeklärten Männern, aber größtenteils leider auch nicht aus praktischen Pädagogen, weshalb ihr Einfluss auf die Schulen unbedeutend bleibt. Ja, bei noch so glücklicher Zusammensetzung sind diese Komitees doch außer Stande, ein solches Geschäft zu versehen, das an Ort und Stelle einen erfahrenen Pädagogen verlangt, wie er allein geeignet ist, die Schulen dem vorgeschriebenen Ziele entgegenzuführen.
Allerdings macht die Verwaltungsinstruktion für Elementarschulen in den Dörfern der Reichsbauern es den Schuldirektoren und Inspektoren zur Pflicht, die Dorfschulen zu revidieren und über die Ergebnisse dieser Revision Bericht zu erstatten — Erstens an die örtlichen Reichsdomänenhöfe, Letztere an die Kreisdirektionen —; allein dieser indirekte Einfluss von Vorgesetzten aus dem Unterrichtsressort auf Volksschulen, die zum Ressort des Reichsdomänenministeriums gehören, führt eben so wenig zu irgend einem Resultate. Die Berichte werden zu den Akten gelegt und bleiben ruhen. Wie könnte es auch anders sein! Die eine Seite teilt mit; die andere hört an und zieht bloß in Erwägung, wobei sie sich das Recht vorbehält, das Bemerkte zur Ausführung zu bringen oder nicht. Hieraus erhellt, welche Seite im Nachteil ist, und was die Schulen von solchen Bemerkungen gewinnen. Dabei ist noch ein friedlicher Verlauf solcher Visitationen angenommen. Wenn aber der Visitator die Schulen in schlechtem Zustande findet, und darauf besteht, dass die Fehler und Vernachlässigungen gut gemacht werden, so bleiben Konflikte nicht aus. Die gekränkte Eigenliebe setzt sich in Opposition, und der Visitator muss, da er ohne alle wirkliche Macht ist, wohl oder übel zurücktreten. In den Schulen des Apanagenressorts ist der Einfluss einer Schulobrigkeit des Ministeriums der
Volksaufklärung gänzlich ausgeschlossen.

Bei solcher Lage der Dinge ist es kein Wunder, dass alle unsere Elementarschulen sich in einer elenden Verfassung befinden. Das Übel ist zu augenfällig und erfordert eine rasche, gründliche Heilung, welche in einer Radikalreform jener Schulen hinsichtlich des Unterrichts, in deren Umgestaltung zu allgemeinen Lehranstalten von bildendem Charakter bestehen muss. Eine Aufgabe, die nur dann zu lösen ist, wenn sämtliche Volksschulen in dem alleinigen Ressort des Unterrichtsministeriums zentralisiert sind, wenn sie in jedem Gouvernement eine besondere Verwaltung haben, wenn diese in die Hände von Fachmännern gegeben ist, und der Unterricht in die von wirklichen Pädagogen, die sich ausschließend zu ihrem wichtigen Berufe vorbereitet.

Eine solche Maßregel ist um so notwendiger in der Gegenwart, wo 22 Millionen einer fast nicht lesen und schreiben könnenden Landbevölkerung, die bis jetzt ihr ganzes Leben einer mechanischen Fronarbeit gewidmet haben, in den Besitz der bürgerlichen Rechte treten und damit das Recht erhalten, für sich selbst zu arbeiten, zu einer freien Tätigkeit übergehen, zu deren Erfolg sittliche und geistige Bildung unerlässlich ist. In dem allerhöchsten Reskripte vom 19. Februar 1861 an Seine Kaiserliche Hoheit, den Großfürsten Konstantin ist bereits die Absicht ausgesprochen, die gesamte Landbevölkerung des Reiches auf allgemeinen und gleichmäßigen Grundlagen zu organisieren. Schon darum allein ist eine Zersplitterung der Volksschulen in den verschiedenen Ressorts nicht zulässig. Sollen sie ja doch eines der Hauptmittel sein, die heilsame Idee des Monarchen zu verwirklichen: die materielle und moralische Vereinigung sämtlicher Landleute zu einem Stand. Das neue Schulreglement sei der erste Schritt zu diesem Ziele. Deshalb werden nach dem Entwurf (Art. 11.) in jedem Gouvernement sämtliche Volksschulen einem Direktor untergeordnet, dem Hilfsinspektoren zur Seite stehen, und die Verwaltung der Volksschulen wird von jener der Gymnasien und Progymnasien getrennt."

Mit all diesen Vorschlägen und Anordnungen ist indes nur der Plan des neuen Gebäudes hingezeichnet, in welches der feste Herd einer volkstümlichen Kultur gelegt werden soll. Der Entwurf behandelt nun das Material, aus dem es aufzuführen ist, und kommt auf die eigentlich lebendigen Faktoren, ohne die selbst das beste Schulreglement ein toter Buchstabe bleibt: auf entsprechende Lehrkräfte und genügende Lehrmittel.

Zu guten Schulen gehören vor Allem gute Lehrer. Dass es an solchen in Russland fehlt, ist die erste und größte Schwierigkeit, auf welche jeder Versuch einer Reform stößt. Sie zu überwinden, ist die nächste Lebensfrage für das russische Schulwesen.

Das Bedürfnis einer speziellen Vorbereitung für das Lehrfach wurde zu jeder Zeit anerkannt; aber die Art, wie man demselben begegnete, zeigte entweder ein vollständiges Verkennen der Hauptsache, auf die es ankam, oder das Streben, sich nur äußerlich damit abzufinden, statt es innerlich zu befriedigen. Unter dem Namen „Pädagogische Institute" existierten mancherlei Anstalten; zum Teil aber erreichten sie, zum Teil bezweckten sie nicht einmal eine vorzugsweise pädagogische Ausbildung. Aus der ersten Anstalt dieses Namens wurde 1819 die Universität in Petersburg; sie war eben von vornherein auf eine hohe Schule angelegt. Denselben allgemeinwissenschaftlichen Charakter erhielt das von 1828 bis 1857 bestehende pädagogische Hauptinstitut, obgleich dieses den ausgesprochenen Zweck hatte, Lehrer für die mittleren Schulen zu bilden. Eine Art praktische Vorbereitung wurde hier nur einige Jahre hindurch in einer eigens dazu eingerichteten Schülerabteilung versucht. Die letztere bestand nämlich aus den Schülern, welche auf Kosten der Krone erzogen wurden, gegen die Verpflichtung zu späterem Staatsdienst im Lehrfache. Da dieselben bei ihrer Aufnahme in die Anstalt noch Kinder waren, so zeigte es sich erst später, ob sie Fähigkeit und Beruf zum Lehramt hatten. Es zeigte sich nur zu oft, dass sie beides nicht hatten — und da schloss man die praktisch vorbereitende Abteilung. Hiernach behielt das Institut den Kreis der üblichen akademischen Studien, nur mit Hereinziehung von etwas pädagogischer Doktrin. Darauf beschränkte sich auch an den Universitäten die Vorbildung zum Lehrfach für die auf Staatskosten unterhaltenen Studenten. Das günstigste Ergebnis war eine Summe wissenschaftlicher Kenntnisse, und danach taxierte man denn auch allein die Kandidaten des Lehramtes.

Doch selbst eine Stufe wissenschaftlicher Bildung angenommen, welche diese Kandidaten in Russland selten oder niemals erlangten, so folgt daraus noch keineswegs, dass sie ihren Beruf zu erfüllen geeignet waren. Man kann sogar gelehrt sein, ohne lehren zu können. Eine Erfahrung, die man in Russland allerdings selbst bei den angehenden Gymnasialprofessoren selten zu machen Gelegenheit hatte. Reduzierten sich also die Anforderungen an den Lehramtskandidaten auf ein bestimmtes Maß von Wissen, so kann man sich leicht denken, wie illusorisch dieses bei den Volksschullehrern wurde.

Und doch ist gerade für die Volksschulen eine gründliche Vorbereitung des Lehrers von äußerster Wichtigkeit, weil sich hier aller bildende Einfluss in seiner Person konzentriert. Daraus legt der Entwurf mit Recht den größten Nachdruck.
„In der Volksschule ist der persönliche Wert des Lehrers von besonderer Bedeutung. In den Gymnasien und Progymnasien, wo es einen Schulrat gibt, können die verschiedenen fungierenden Personen den schädlichen Einfluss des einen oder des andern Lehrers entkräften. In der Volksschule sind dagegen meist alle Funktionen in der Person des Lehrers vereinigt. Er ist der Leiter und Ordner in Hinsicht der Erziehung und zugleich der einzige Vortragende, wirkt also auf die geistige wie auf die sittliche Ausbildung der Kinder. Eine vernünftige Vorbereitung zu solchem Beruf gilt deshalb für eine der wichtigsten Aufgaben der Unterrichtsbehörden in allen europäischen Staaten; sie muss es auch bei uns sein, wenn wir beweisen wollen, dass die Aufklärung des Volkes uns teuer, dass es unsere Überzeugung ist, nur auf dieser könne das Gebäude der Volkswohlfahrt dauerhaft errichtet werden."

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Russische Revue. Band 01