Dritte Fortsetzung

Noch immer gehe dort die Gründung aller Schulen, nicht bloß der öffentlichen, sondern auch der privaten, von der Regierung allein aus. Ihr gutes Recht dazu könne Niemand bestreiten; für das Wohl des Volkes verantwortlich, sei sie auch verpflichtet, dessen hauptsächlichste Grundlage, die Erziehung, in besondere Obacht zu nehmen. Allein um die Bildung leichter zu verbreiten, müsse sie Privaten und Gemeinden eine größere Beteiligung daran zugestehen, als bis jetzt. Die Regierung habe bei allen guten Vorsätzen nicht die materielle Möglichkeit, überall Schulen zu errichten, wo solche notwendig sind, daher es denn komme, dass die Zahl der Schulen in Russland so klein sei im Verhältnis zum Raum und zur Bevölkerung. Das einzige Mittel, diesem Mangel abzuhelfen, liege darin, dass man die Mitwirkung von Privaten und Gemeinden herbeiziehe, wie in England und den Vereinigten Staaten Nordamerikas, wo die Mehrzahl der Schulanstalten ohne Subvention der Regierung bestehe. Freilich mache sich das in jenen Ländern, wo das Bewusstsein von dem Nutzen der Bildung im ganzen Volke entwickelt, leichter als in Russland, wo die Masse des Volkes dagegen gleichgültig sei; aber auch hier könne man das Prinzip des Privatschulwesens durchführen, und mit der Zeit würde es schon die erwünschten Früchte tragen. Vorerst genüge es, mit Elementarschulen den Anfang zu machen; dann kämen Volksschulen, Progymnasien und sogar Gymnasien an die Reihe. Auch solcher Anstalten werden viele dann von Privatpersonen gegründet, einige vielleicht noch mit einer gewissen Subvention der Regierung, andere auch ganz ohne diese. Deshalb wird in dem neuen Reglement Privatpersonen nicht allein gestattet, Volksschulen und selbst Progymnasien und Gymnasien zu errichten, sondern, um dies mit mehr Erfolg zu tun, werden solchen Schulen gleiche Rechte wie den Staatsanstalten der Art verliehen. Dieses System werde der Volksbildung außerordentlichen Nutzen bringen, und die Regierung spare dabei bedeutende Kapitalien, während sie über den Geist der Erziehung in solchen Anstalten die Kontrolle doch behalte.

Damit nun aber Private und Gemeinden, die solche Schulen errichten, sich auch lebhaft und unmittelbar an ihnen beteiligen, sollen für die Volksschulen einzelne Kuratoren, für die Progymnasien und Gymnasien ganze Kuratorien bestellt werden. Beide sind aus den Ortsbewohnern zu wählen, und haben, ohne eigentliche administrative Bedeutung, das Recht der Kontrolle vorzugsweise im ökonomischen Fach. Von den Ehrenvorstehern, die man heutzutage an mancherlei russischen Lehranstalten findet, und die zum Teil nur durch Geldbeiträge, zum Teil nur dem Namen nach als Protektoren der betreffenden Schulen figurieren, unterscheiden sie sich darin, dass ihr Amt eben kein bloßer Titel ist, sondern ihnen eine positive, für die Anstalten sehr ergiebige Tätigkeit anweist. In Rücksicht darauf verlangt denn auch der Entwurf, dass sie, obwohl keine Staatsdiener, doch gewisse Vorrechte erhalten, wie sie jeder andere Gemeindedienst bietet, welchem der ihrige vollkommen gleich zu achten sei.


Die Eröffnung solcher Privatschulen soll an keine erschwerende Formalität gebunden, und keine besondere Konzession dafür einzuholen sein, bei der es niemals an bürokratischen Weitläufigkeiten fehlen würde. Die Regierung hat nur darauf zu sehen, dass die anzustellenden Lehrer den gesetzlichen Forderungen entsprechen. Der Entwurf tritt der Ansicht entgegen, als ob durch eine solche Freigebung jedes Schulunternehmens die Regierung an ihrer Autorität einbüße; an sich erscheine es seltsam, dass ein so edles Werk, wie die Errichtung einer Volksschule oder eines Gymnasiums erst der Konzession bedürfe. Die Regierung gewinne nur dabei, moralisch wie materiell, wenn sie die Bildungsmittel nach allen Seiten hin zugänglich mache. Für Elementarschulen soll eine noch größere Erleichterung stattfinden. Hier werde nicht bloß die Eröffnung, sondern auch das Recht zu lehren Jedem freigegeben. Missbräuchen ist damit vorgebeugt, dass die Elementaranstalten, sowohl die alltäglichen als die Sonntagsschulen, der vollständigen Aufsicht der Unterrichtsbehörde unterliegen, und Individuen, die sich unzuverlässig zeigen, entfernt, sogar strafrechtlich verfolgt werden sollen.

Bei dieser allgemeinen Freiheit der Schulgründung hält jedoch das Komitee eine gewisse Beschränkung solchen Privatinstituten gegenüber für unerlässlich, deren Einrichtung von der normalen der übrigen Lehranstalten abweicht. Diesen abweichenden Lehrplan muss der Direktor der Volksschulen erst geprüft und genehmigt haben, ehe solche Institute eröffnet werden dürfen. Eine Beschränkung, die der Umstand rechtfertigt, dass möglicher Weise sich ganz widersinnige Lehrkurse dabei auftun können. Hier ist deshalb die vorhergehende Prüfung eben so notwendig, wie sie bei den normalen überflüssig und als leere Formalität erscheint, da die üblichen Lehrkurse von dem Schulreglement selbst bestimmt sind.

Wie unsere Leser gesehen haben, finden in diesem Reglement für allgemeine Bildungsanstalten die Volksschulen eine ganz besondere und eingehende Berücksichtigung. Der zweite uns vorliegende Entwurf, der sich speziell mit den letzteren beschäftigt, entwickelt aus denselben Gesichtspunkten einen neuen Plan zur Einrichtung der russischen Volksschule.

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Von verschiedenen Seiten war im vorigen Jahre die Frage der Volksbildung angeregt worden. Die Berichte des Senators Duhamel über das Treiben der Altgläubigen im Gouvernement Olonez, die Erörterungen der Gemeindeverhältnisse auf Grund der Bauernemanzipation hatten Vorlagen in Betreff des Volksschulwesens an den damaligen Unterrichtsminister E. P. Kowalewsky veranlasst. Dieser, ein Mann, dem seine Teilnahme für das Volk, seine Biederkeit und Überzeugungstreue in den Herzen aller besonnenen Freunde des Fortschritts in Russland ein dankbares und dauerndes Andenken sichern, übersah die ganze Tragweite der Volksschulinteressen und ergriff die Gelegenheit, eine allseitige Prüfung derselben hervorzurufen. Seinem Antrag gemäß erfolgte auf Kaiserlichen Befehl die Einsetzung eines besonderen Komitees — in dessen Mitgliedern die Ministerien der Reichsdomänen, der Apanagen, des Innern, der Finanzen und der Volksaufklärung, so wie der obersten geistlichen Behörde vertreten waren — zur Abfassung eines allgemeinen Planes für die im ganzen Reiche befindlichen Dorf- und sonstigen Elementarschulen, die zu verschiedenen Ressorts gehörig, in Bezug auf den Unterricht insgesamt unter das Ministerium der Volksaufklärung gestellt werden sollten. Die Redaktion wurde dem Gymnasialdirektor Geh. Rat Latüschew übertragen.

Von den in diesem Plane entworfenen Bestimmungen können die meisten, Angesichts des erst neu zu ordnenden Gemeindewesens nur provisorisch sein, einige hingegen auch als Grundlagen für spätere definitive Verhältnisse gültiger Statuten dienen. Die Hauptpunkte sind: Verteilung der Schulen; ihre Unterhaltung auf Gemeindekosten; Sicherung eines Einflusses der Gemeinde auf das Wohlgedeihen der Volksschule; der Lehrkursus; Anstellung der Lehrer; Herbeiziehung entsprechender Lehrkräfte durch Gewährung positiver Rechte und Vorteile; Verbreitung und Förderung des Volksunterrichtes; die Administration. Wie schon bemerkt, ist dieser neue Volksschulplan auf dieselben Prinzipien basiert, wie das Reglement für die allgemeinen Bildungsanstalten. Wir können daher die Einzelheiten der Ausführung, nach allem, was wir bei jenem bereits erörtert, füglich übergehen.

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Nicht so weit gediehen, wie in den obigen zwei Entwürfen, erscheinen die Grundlagen der Reform in dem dritten, der das Universitätsreglement enthält. Indes sowohl das geringere Maß als die weniger scharfen und bestimmten Züge der Neugestaltung erkl?ren sich hier aus der Natur der Sache. Erst die veränderten Verhältnisse der allgemeinen Volksbildung können die Voraussetzungen geben, auf die sich eine wirklich neue Organisation der russischen Universitäten gründen lässt. Eine solche bleibt nicht allein wünschenswert, sie ist unerlässlich; nicht bloß das Interesse höherer Kultur wird sie gebieterisch verlangen, sie ist, wenn anders die vorgeschlagenen Reformen des gesamten Schulwesens zu den erwarteten Resultaten führen, eine unausweichliche Konsequenz derselben. Aber diese Resultate müssen erst gewonnen, die allgemeine Volksbildung, die der Unterbau der Universitäten ist, erst eine Wahrheit geworden sein, bevor in Russland jene akademische Freiheit, jene wissenschaftliche Entwicklung wahr werden kann, die nicht allein den schwärmerischen Träumen, sondern auch — wer fühlte das nicht mit! — den wohlberechtigten Wünschen der Jugend und dem idealen Streben erleuchteter Geister dort vorschwebt.

Eines der ersten Postulate nach dieser Richtung hin, sind im Bereich der Fakultätsstudien die philosophischen Vorlesungen. Ihre Erweiterung ist in dem Entwurf angedeutet. Aber gerade bei diesem Punkte hätte es uns größere Befriedigung gewährt, wenn er schärfer, wenn er deutlicher als durch ein bloßes Verzeichnis; der betreffenden Gegenstände hervorgehoben wurde. Gerade hier hätten wir es gern gesehen, wenn auch dieser Entwurf, wie der erste, das Verderbliche des früheren Systems klar machte; gerade hier war jene beredte Motivierung am Platze, in der wir den raschen Pulsschlag der Zeit fühlten und als sicheres Symptom des Erstarkens, des Erwachens zu neuem Leben begrüßten. —

Dass wir es laut verkünden — zur Warnung vor den Übergriffen des Realismus auch unter uns: nichts hat sich an der geistigen Entwicklung Russlands so schwer gerächt, als die Vernachlässigung und vollends die Restriktion philosophischer Studien auf den Hochschulen. Zwar dass die Philosophie nicht sowohl abstrakt getrieben, als in ihrer Anwendung erst wahrhaft fruchtbar wird, das hat man schließlich auch in dem philosophierenden Deutschland eingesehen; und hier ist es ein Glück, dass man endlich dahin gekommen. Aber die Anwendung der Philosophie ist ohne ihr Studium nicht zu erzielen. Und was heißt denn eigentlich: die Philosophie anwenden? Den philosophischen Geist wirken lassen. Der Geist ist es überall, der allein lebendig macht, und daher bleibt ohne philosophischen Geist die Behandlung jeder Wissenschaft leblos. Auch bei den deutschen Hochschulen kann man sich überzeugen, dass in dem Maße als philosophische Studien an ihnen dominieren, sich in allen Fakultäten der Geist echter Wissenschaftlichkeit regt. Wo sie zu sehr vor dem Fachwesen, vor den sogenannten Brotstudien zurücktreten, da mögen noch so glänzende und mächtige Pfeiler anderer Fakultäten dastehen, das wissenschaftliche Leben fehlt. Namen sind gehässig; Beispiele liegen jedem Kundigen nahe.

Die Beschränkung der philosophischen Studien in Russland, die einer förmlichen Verbannung glich, hat sich aber auch dadurch gerächt, dass sie den philosophierenden Dilettantismus hervorrief, den gefährlichsten Gegner nicht bloß der wissenschaftlichen, sondern auch aller politischen und gesellschaftlichen Entwicklung, der jetzt schon eine Macht errungen, dass man einen Kampf auf Tod und Leben mit ihm wird durchzuführen haben. Bedenke man an entscheidender Stelle, woher die ecclesia pressa, der auf eigene Faust hegelisierenden Radikalen sich gebildet hat; bedenke man, dass aus jener ecclesia pressa die heutigen Feld- und Gassenprediger in den Journalen hervorgegangen, die aller Geschichte und allem Wissen Hohn sprechen; dass es die Sendlinge jener ecclesia pressa sind, die mit ihren tollen Abstraktionen die Welt durchrasen; bedenke man das und erziehe sich an den Hochschulen gegen all diese Gefahren die einzig siegreichen Kämpfer — die Kämpfer des Geistes! Gebe man den Jünglingen auf der Universität einen offenen, geweihten Umgang mit der Philosophie; so behütet man den jugendlichen Genius vor wilder Ehe mit ihr. Eine solche erzeugt immer Ausgeburten jener Art, der wir mit vollem Rechte zurufen:

„Du bist und bleibst ein Lügner, ein Sophiste."

Von den Studien (auf deren umfassende Feststellung in den andern Fakultäten wir nicht aufmerksam zu machen brauchen) zu den Vortragenden übergehend, bemerken wir in dem Entwurf die für Russland neue Funktion von Dozenten (älteren und jüngeren) und Privatdozenten. So sehr sie an die deutsche Einrichtung erinnert, der sie offenbar entlehnt ist, scheint sie doch nicht aus demselben Gesichtspunkte genommen zu sein. Bis jetzt bestanden nächst den außerordentlichen Professoren noch Adjunktprofessoren; für die letzteren treten, wie es scheint, die Dozenten ein. Aber gleich den Privatdozenten, werden sie nur auf drei Jahre angestellt. Ihr Weiterbleiben im Dienste hängt von erneuter Wahl und Bestätigung durch den Kurator ab. Der Grund dieser Bestimmung wird nicht recht klar. Soll es mit dem ganzen Dozententum nur auf ein Probedozieren abgesehen sein? Dazu ist dem Dozenten doch ein viel zu großer Wirkungskreis eingeräumt. Er hat die Befugnis zu lehren, wie jeder Professor; wo ist die Grenze zwischen seinem geistigen Einfluss auf die Studierenden und dem des letzteren? Übt er ihn zum Nachteil, so ist schon ein Jahr eine viel längere Zeit, als man ihn darf gewähren lassen; übt er ihn günstig, so reicht schon ein Jahr hin, seine Befähigung zu bleibendem Dienst der Hochschule darzutun. Warum würde er denn nach drei Jahren entlassen? Ist er überflüssig geworden? Wenn er gut ist, kann er es nie werden; wenn untauglich, so wird er es nicht erst in drei Jahren. Lieber die venia legendi erschweren und sehr streng nehmen, als sie auf eine dreijährige Probezeit hin erteilen. Etwas Anderes wäre es noch, wenn man in den Dozenten eine akademische Lehrerklasse annehmen wollte, deren definitive Anstellung in gewissem Sinne von den Studierenden selbst, von ihrem indirekten Votum abhängig gemacht würde, da bei der Wahl aller Anderen nach dem Urteil der Studenten in keiner Weise gefragt wird. Wir möchten auch keineswegs, dass überall nach ihrem Urteil gefragt würde. Die Art, wie in letzter Zeit Studenten nach ihren Sympathien und Antipathien über Professoren zu Gerichte saßen, gehört unstreitig zu den bedenklichsten Erscheinungen burschikoser Willkür, die an einzelnen Universitäten Russlands austauchte. Junge Bursche nahmen sich heraus, über das Bleiben und Gehen ihrer akademischen Lehrer und Vorgesetzten mit einer Anmaßung zu entscheiden, die kein Theaterdirektor sich von seinem Publikum gefallen lässt. So wenig es uns beikommen kann, dieser Anmaßung irgend ein Zugeständnis zu machen, glauben wir doch, dass in dem Eindruck, welchen die jugendlichen Hörer von akademischen Vorlesungen erhalten, ein Urteil liegt, auf das man achten darf, sogar achten muss. Ob ein Dozent die Fähigkeit hat, seine Hörer zu gewinnen und für seinen Vortrag zu interessieren, oder ob er ihnen Abneigung einflößt, das ist in vielen, wenn auch nicht in allen Fällen, ein sehr wichtiges Kriterium seines Wertes; nicht immer, vielleicht sogar nur selten, seines gelehrten, aber meist seines Lehrerwertes. Hätten also die Studierenden gegenüber den Dozenten volle Hörfreiheit, so könnte immerhin eine dreijährige Probezeit angenommen werden, in der es sich herausstellte, wie weit ein Dozent Zuhörer zu gewinnen und zu fesseln gewusst, und die dabei sich ergebenden, freilich mit großer Umsicht und Unparteilichkeit zu prüfenden Tatsachen möchten als Maßstab für dessen fernere Anstellung gelten. Auf eine solche Annahme deutet jedoch nichts in dem Entwürfe.

Über die Verhältnisse der Studierenden finden wir so ziemlich dieselben Anordnungen, die nach und nach schon in letzter Zeit, und zwar mit vielfacher Berücksichtigung der inzwischen hervorgetretenen geistigen und sozialen Ansprüche getroffen worden.

Im Allgemeinen als neu anzusehen, obgleich der Usus an einzelnen Orten, wie in Kiew, schon vorkam, ist die Bestimmung der Maturität durch ein Gymnasialexamen: bei den Gymnasiasten durch das gewöhnliche der Abiturienten, bei den Schülern anderer Anstalten durch eine besondere an einem Gymnasium zu bestehende Prüfung. Sonst entschied darüber erst das Ausnahmeexamen an der Universität. Ganz aufgehoben wird das letztere noch immer nicht. Auch nach glücklich bestandener Gymnasialprüfung hat der zu Immatrikulierende in der Universität schriftliche Themen auszuarbeiten und sie mündlich zu erläutern. Neben den Studenten werden auch Privatpersonen zum Besuche der akademischen Vorlesungen zugelassen, gegen Erlegung eines Honorars, entweder in gleichem Betrage wie das von den Studenten zu entrichtende Kollegiengeld, wenn sie an dem vollständigen Kursus teilnehmen, oder in entsprechendem und von den Universitäten zu normierendem Verhältnis, wenn sie nur einzelne Vorlesungen hören.
Das Kollegiengeld der Studierenden ist für Petersburg und Moskau auf 50 Rubel, für die übrigen Universitäten auf 40 Rubel jährlich festgesetzt, und in halbjährlichen Raten pränumerando zu entrichten.

Seit den russischen Studenten ihre frühere Honorarfreiheit genommen wurde, hat in gewissen Kreisen gegen diese, wie sie behaupten, illiberale Maßregel eine grollende Widerrede und der empfindlichste Tadel nicht aufgehört. Einmal im Zuge der Opposition, achtete man weder darauf, dass auswärts die Honorarverpflichtung gerade unter den liberalsten Institutionen besteht, noch auf den Umstand, dass die Honorarfreiheit in Russland von sehr zweideutigem liberalen Werte sein musste, weil sie in Zeiten sich forterhielt, wo jede andere Freiheit an den russischen Universitäten verpönt war. Wir meinen, dieser Umstand sollte die Widerredner im Sinne des Liberalismus ein wenig nachdenklich machen. Auch ist ja sonst selfgovernment, und selfgovernment, ihr drittes Wort. Wie soll es aber dahin kommen, wenn man nicht damit den Anfang macht, dass die Einzelnen direkt an den Kosten der Gesamtheit mittragen? Je weiter die Auslagen des Staates reichen, desto weiter greift natürlicher Weise auch das Recht seiner Vormundschaft, und desto ferner rücken die persönlichen Interessen dem Staatsinteresse. Nirgends geht man mit dem Besitztum öffentlicher Anstalten so nachlässig, so verschwenderisch, so gewissenlos um, wie in Russland, weil man sich gewöhnt hat, alles, was „Krongut" ist, was auf „Kronkosten" erhalten wird, für etwas anzusehen, das Niemandem weiter gehört, weshalb es für den Einzelnen nur ein Gegenstand der Ausbeutung, nicht der Sorge und Pflege ist. Es fehlt der wahrhaft bürgerliche Gemeinsinn, und wird so lange fehlen — mit ihm ein wahrer Bürgerstand — als man sich einer Staatsidee hingibt, welche die unmittelbare, individuelle Mittätigkeit der Einzelnen an allen öffentlichen Institutionen zurückdrängt.

Uns erscheint daher die Honorarverflichtung der Studenten vielmehr als ein Fortschritt in liberalem Geiste, als ein Fortschritt zur Selbstverwaltung. Mit diesem Steuerverhältnis der Studierenden beginnt eigentlich in Russland das akademische Bürgertum.

Steuerverhältnis? werden die Gegner ausrufen. Wo es noch zu kolonisieren gebe, lege man keine Steuern auf. In Deutschland, wo auch die Wissenschaft an Übervölkerung leide, könne man die Absicht vielleicht billigen, durch Honorarverpflichtung den Andrang zu den Studien abzuwehren — denn schließlich werde doch nur dies damit erzielt — in Russland, wo man die Wissenschaft erst anzusiedeln habe, sei diese Absicht nichts als Feindseligkeit gegen alle Bildung.

Ja, wenn wir diese Absicht zugeben. Allein weder in Deutschland noch in Russland können wir sie Jemand anders als der borniertesten Reaktion zutrauen, und Gott sei Dank, mit der haben wir es in diesem Augenblicke nicht zu tun. Die Anerkennung wissenschaftlichen Reichtums für Deutschland lassen wir uns gern gefallen. Doch ebenso sind wir überzeugt, dass auch bei uns die traurigste Verarmung eintreten muss, sobald man aufhört, ihn täglich neu zu erwerben. Die Geistesarbeit braucht bei uns so gut wie anderswo immer neue Kräfte, und nur ein kurzsichtiger staatsökonomischer Philister könnte sich einbilden, dass sie jemals überzählig würden. Auch in Deutschland wäre es eine barbarische Torheit, wollte man Unbemittelten die Studien erschweren. Denn Geist und Fähigkeit waren nie ein Vorrecht der Reichen, und weit mehr große Männer sind aus der Dürftigkeit als aus dem Schoße des Wohlstandes hervorgegangen; das lehrt die deutsche Geschichte wie irgend eine. Auch haben die Kollegiengelder niemals Unbemittelte an den Studien gehindert. Ein Armutszeugnis bewirkt an allen deutschen Universitäten Stundung oder gänzliche Erlassung des Honorars; Gleiches gilt für die russischen nach dem vorliegenden Entwurf. Berücksichtigt man die lokalen Verhältnisse, so sind in letzterem die Bestimmungen über den Betrag und die Erhebung des Honorars sogar weit milder. Vierzig bis fünfzig Rubel in russischen Universitätsstädten, selbst der Provinz, sind kaum so viel wie dreißig Thaler in Berlin. Welcher honorarzahlende Student in Berlin aber wird, wenn er viel Vorlesungen hört, mit dreißig Thalern für das ganze Jahr reichen? Das Doppelte kann oft für ein Semester erforderlich sein. In unserm eignen Kollegienbuch finden wir, dass wir in Leipzig, wo die Honorare meist um die Hälfte niedriger als in Berlin angesetzt waren, in einem Semester für sechs Collegia 28 Thaler zu erlegen hatten. — In Betreff der Einziehung des Honorars herrscht an manchen deutschen Hochschulen ein etwas harter Usus. Dem Studierenden, welcher den Vorlesungsbogen unterzeichnet und keine Stundung erlangt hat (wegen mangelnden Armutszeugnisses, oft nur in Folge besonderer Umstände), ist eine kurze Frist gestellt, nach welcher er bei Nichtzahlung Exemtion zu gewärtigen hat. Dagegen nach dem neuen russischen Reglement werden die honorarpflichtigen Studierenden, die zwei Monate im Rückstand bleiben, mit Anfang des neuen Semesters von der Universität entlassen, bis sie ihrer Verpflichtung nachkommen.

Übrigens kann und soll das Armutszeugnis nicht das Einzige sein, was dem Unbemittelten die Universitätsstudien zugänglich macht, wie ja auch der Honorarbetrag nur der kleinste Teil von dem sein kam, was er in seinem Universitätsleben zu bestreiten hat. Unterstützungen in jeder Form sind die Hauptsache. Sie haben selten gefehlt, aber auch selten so weit genügt, dass nicht fort und fort von allen Seiten ihre Herbeischaffung erstrebt werden müsste. Die Opposition gegen die Honorarverpflichtung hat unter Anderem in der russischen Presse auch den Ausdruck gefunden, dass zu Geldsammlungen aufgefordert wurde, um den Honorarbedarf armer Studenten zu decken. Damit sind wir vollkommen einverstanden. Wir finden eine solche Art, sie von ihrer Honorarlast zu befreien, unter Umständen weit angemessener, als durch ein Armutszeugnis. Noch mehr, wir wünschen, dass die Geldsammlungen sich auch auf den sonstigen Bedarf der Studierenden erstrecken. Erleichterung, Erweiterung aller Bildungsmittel stellt ja auch das Komitee, das diese neuen Schulentwürfe ausgearbeitet, als Notwendigkeit hin. Zeitungskorrespondenten — sie sind bereits in deutschen Blättern laut geworden — meinen zwar, alle diese Entwürfe wären bloße Theorien, mit denen nichts getan sei; und wir zweifeln nicht, in der russischen Gesellschaft werden viele sein, die das wiederholen. Wohlan denn, die Gesellschaft erwerbe sich ein Recht, über Theorien achselzuckend zu sprechen — sie führe das praktisch aus, was jene verlangen; sie mache das Wort zur Tat.

Wir unserseits glauben, dass es auch Worte gibt, welche die große Bedeutung von Taten haben. Und solchen Wert messen wir diesen Entwürfen zur Reform des russischen Unterrichtswesens bei. Sie sollen von offizieller Seite bald den pädagogischen Autoritäten Deutschlands zur Begutachtung vorgelegt werden *). Mögen diese teilnehmend sie als bedeutungsvolle Dokumente für den Geist der neuen Zeit erkennen, die in Russland aufgegangen; mögen sie den rückhaltlosen Wahrheitseifer, das lautere Kulturinteresse, die warme Menschenliebe würdigen, die aus diesen Dokumenten spricht, und aus der Fülle deutscher Kenntnis und Erfahrung ein Werk fördern, das der ganzen Menschheit zu Gute kommen wird!
W. W.

*)Mit dieser Sendung betraut ist Herr S. v. Tanejeff, der sich auch, wie Wenige, dazu eignet. Nachdem er frühe schon einen sehr scharfen Blick für die Missstände der russischen Verwaltung gezeigt und darüber die freimütigsten Gedanken ausgesprochen hatte, benutzte er einen jahrelangen Aufenthalt in Deutschland, das Volksschulwesen, insbesondere das in Preußen und Sachsen, gründlich zu studieren. Er behandelt diesen Gegenstand in einem ausführlichen Werke, von welchem wir nächstens in unserer literarischen Chronik berichten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Russische Revue. Band 01