Die Realisten (Naturalisten). — Die Westlinge. — Die Slawophilen

§ 44. „Die naturalistische Schule". So wurden Gogol und seine Anhänger zunächst spöttisch von der Kritik genannt. Der Spott hörte bald auf.

Gogol 79) (1809 — 1852) ist der größte Humorist Russlands gewesen, ein wehmütiger Humorist; sein Lachen ist ein Lachen unter Tränen, denn was er schreibt, ist eigentlich furchtbar traurig, ist zum Weinen; es wird nur durch den darüber hinflutenden Humor erträglich.


Gogol ist der Vater des russischen Realismus Auch Puschkin ist Realist, aber Puschkin malt nicht, wie er, nur die Schattenseiten des Lebens, im Gegenteil, er bevorzugt die Sonnenseiten. Gogol dagegen zeichnet, vor Dostojewskij und lange vor Zola und Gorkij, mit Vorliebe den Abhub der Gesellschaft, das menschliche Laster, die menschliche Schande. Freilich werden die Schärfen, das Bittere, das Herz und Seele Zermürbende solcher Gemälde durch den über alles und alle hinströmenden Humor milder, sanfter, versöhnlicher, wie es annähernd etwa nur Dickens versteht.

Der junge Gogol ist ein anderer als der Gogol der mittleren Jahre und gar als der spätere. Der junge war, bevor er sich und seine Eigenart fand, Romantiker, deutscher Romantiker. Seine ersten Werke sind direkt dem Deutschen entlehnt. Er hat die Deutschen nie geliebt, aber vor deutscher Bildung und deutschem Wissen großen Respekt gehabt. „Schlözer, Müller, Herder", schreibt er in seinen „Arabesken" (1832), „sind die großen Baumeister der Weltgeschichte". Ebenso nahe stehen ihm Goethe und Schiller, und sein erster literarischer Versuch ist das von ihm nachher wegen erfolgter schlechter Kritik verbrannte romantische Idyll „Hans Küchelgarten" (1827), das nicht allein den Stoff, sondern die einzelnen Personennamen direkt aus Voß' „Luise" entnommen' hat; Voß' „Luise" war 1820 in russischer Übersetzung erschienen. Ebenso ist seine Novelle „Das Porträt" (1834), das die Seelentragödie eines jungen Künstlers schildert, welcher Verrat an der echten, reinen Kunst übt, E. T. A. Hoffmann.

Romantisch sind auch die „Abende auf dem Meierhof bei Dikanka" (1832) und ihre Fortsetzung, die Sammlung „Mirgorod" (1834), mit mehreren Erzählungen, unter denen die besten „Altmodische Gutsbesitzer" und die historische Erzählung aus dem 16. Jahrhundert „Taraß Bulba“ sind: die ersteren — Schilderungen des idyllischen kleinrussischen Lebens 80) mit alten Sagen und Legenden durchwoben j die letzteren — Gemälde voll dramatischer Kraft vom alten Kosakentum und seinen wilden Kämpfen für Land und Glauben mit den Tataren, Türken, Polen, auch sie mit poetischen Volkssagen durchzogen. In allem, in der Charakteristik der Personen wie in der Naturbetrachtung, regiert das Träumerisch-Phantastische der Romantik.

Land und Menschen in diesen Bildern sind Gogols Heimat, sind seine Landsleute. Gogol wurde im Gouvernement Poltawa geboren; sein Vater war da ein wohlhabender kleiner Gutsbesitzer. Hier hörte er von den alten Bauern und Bäuerinnen die Volkslieder und Volkssagen der Ukraine; hier beobachtete er die Natur Kleinrusslands, die Sitten und Gewohnheiten seiner Bewohner. Der Humor leuchtet auch schon golden in diese Frühwerke hinein; wie launig zeichnet er in den „Altmodischen Gutsbesitzern" die eigenen Eltern, mit welcher Wehmut verweilt er bei ihnen!

Verlassen wird jedoch bald die Romantik, verlassen auch die kleinrussische Heimat, und es tritt an ihre Stelle der Realismus in den „Petersburger Erzählungen" (1836). Der Realismus steigert sich noch in seinem Lustspiel „Der Revisor" (1836). Das Stück hatte einen gewaltigen Erfolg; es wird noch heute gern gespielt, auch bei uns. Es geißelt die Bestechlichkeit und die Borniertheit der russischen Beamtenwelt mit rücksichtsloser Schärfe. Alle Häupter einer Provinzstadt haben vieles auf dem Gewissen und sind daher in Angst vor einer Revision. Sie halten einen unbedeutenden Menschen für diesen Revisor, sie erweisen ihm die größten Ehrenbezeugungen, sie umwedeln ihn, geben ihm Geld; zu spät sehen sie ein, dass sie von einem Windbeutel betrogen sind.

Das Stück hat wenig Inhalt, auch eine dürftige Verwicklung, aber es ist voll sprudelnden Humors und eine bittere, sehr bittere Satire, und dabei hat sich Gogol, wie er selber versichert, noch manchen Zwang auferlegen müssen, um es vor der Zensur zu retten 81).

Gogol hat sich noch in einigen Komödien versucht: „Die Spieler" — „Das Lakaienzimmer" — „Die Hochzeit"; sie hatten wenig oder gar keinen Erfolg.

Neben dem sehr großen Beifall, den „Der Revisor" fand, entstanden ihm aber auch Unannehmlichkeiten, die ihn bei seiner krankhaften Veranlagung empfindlich trafen. Der gesunde Gogol wäre darüber hinweggekommen, waren doch seine äußeren Verhältnisse keineswegs misslich — Shukowskij und Puschkin hatten ihm eine Professur für Literatur an der Petersburger Universität verschafft — , aber den krankhaft gereizten ließ es nicht mehr im Vaterland, er ging ins Ausland, und von nun ab führt er ein ruheloses Dasein. Er nahm Aufenthalt in Rom, besuchte andere Städte Europas, war in Marienbad, in Wien. Seine Gesundheit besserte sich nicht, seine Gemütsverfassung wurde schlimmer. Er kehrte nach Russland zurück, verließ es wieder und fuhr nach Jerusalem. Von da ging er nach Konstantinopel, dann zurück nach Odessa, nach Moskau. Hier starb er, in geistiger Umnachtung, 1852.

Obwohl er krank war, hat er noch mehrere große Werke geschrieben; den meisten ist der Stempel der Krankheit aufgedrückt.

In Rom hat er sein unvollendet gebliebenes Sittengemälde „Die toten Seelen" begonnen (1835 — 1842). Es ist ein Buch voll köstlicher, satirischer Typen. Der äußere Rahmen ist: Tschitschikov, ein armer Beamter, will reich werden; in seinem Steuerdienst ist das nicht möglich. Er beschließt nun, bei mehreren Gutsbesitzern die „toten Seelen" aufzukaufen, d. h. Bauern, die nach der Volkszählung, die in Russland nur alle zehn Jahre stattfand, gestorben sind. Mit den Kaufpapieren will er dann in irgendein wenig bevölkertes Gouvernement gehen und sie dort zur Ansiedlung verkaufen. Deshalb reist er in Russland herum, verkehrt mit den verschiedensten betrügerischen Gutsbesitzern, kauft sehr billig natürlich diese Seelen und verkauft sie teuer wieder. Endlich verfällt er dem Gericht.

Den Gedanken hierzu wie zu seinem „Revisor“ hatte ihm übrigens Puschkin gegeben; Puschkin selbst war einmal fiir einen solchen Revisor gehalten worden.

Die „toten Seelen" erregten ungeheures Aufsehen; von einzelnen Kritikern wurde Gogol neben Homer und Shakespeare gestellt. Auch Puschkin war entzückt; freilich fühlte er zu seinem größten Schmerz heraus, dass „ganz Russland so aussah". Natürlich gab es auch Tadler, die Gogol vorhielten, er verstehe nur schlechte Menschen hinzustellen^ und nun passierte das, was nur seine Krankheit erklärlich macht, er kam auf die Idee, den „toten Seelen" eine Fortsetzung in einem 2. und 3. Bande zu geben, wo diese Leute, durch die Religion und den Glauben geläutert, in Tugend glänzen. Dieser Gedanke wurde tiefgründig theologisch, mystisch durchgeführt; er selber gefiel sich als Heiland. Als das Buch fertig war, schien es ihm nicht religiös genug, er warf es ins Feuer, schrieb ein neues und warf es wieder ins Feuer. Wir haben heute nur Entwürfe. Damit seine Freunde aber ja seine Umkehr sähen, veröffentlichte er „Ausgewählte Stellen aus einer Korrespondenz mit Freunden" (1847), eine mystische, finstere, trübselige Arbeit. Das Resultat war, dass er alle Freunde verlor; selbst der Kritiker Bjelinskij, der ihn einst vergöttert hatte, sagte sich von ihm los.

Gogols Zustand wurde immer schlimmer; er starb, wie gesagt, in geistiger Umnachtung 82).

§ 45. Wie die Romantiker ihre Kritiker hatten, durch die sie erst ihre richtige Wertung beim Publikum erlangten, so wird der Herold des Realismus (Naturalismus) Bjelinskij.

Bjelinskij und Herzen, die Häupter der „Westlinge", kamen aus dem „aufgeklärten" Moskau. Es zeigt sich wieder, wie schon öfters, ein tiefgehender Unterschied zwischen Petersburg und Moskau. Moskau war weit vom Zaren, und daher lastete hier der Druck nicht so wie am Sitze der Regierungsmaschinisten. Wir sind in der Zeit, wo Wissenschaft und Kunst unter Obhut und Fürsorge einer hohen Petersburger Polizei standen, wo diese die Philosophie nur von Theologen lehren ließ, wo die Zensur allen, nur sich keine Schranken auferlegte, wo man nicht ins Ausland reisen durfte, als Ersatz dafür aber auch von ausländischen Büchern ferngehalten wurde, und wenn im Lande etwas gedruckt werden konnte, es seine Au&ahme in der von den Regierungsredakteuren Bulgarin und Gretsch geleiteten „Nordischen Biene" finden musste.

Moskau ist, ohne Eisenbahn, weit von Petersburg; außerdem lag es da ganz hinten, in der „Provinz", besonderer Beachtung weiter nicht wert. Da lehrte man denn ruhig Schelling, Fichte, besonders Hegel. Nadjeshdin, Dawydov, Schewyijov trugen über die „revolutionäre" Romantik und die neuere Literatur und Geschichte vor. Zu ihren Schülern zählten Bjelinskij und Herzen.

Bjelinskij hatte schon einen Vorgänger gehabt, der auch nach dem Westen blickte und der russischen Zivilisation und Intelligenz mit dem größten Skeptizismus gegenüberstand, Tschaadajev; seine „Philosophischen Briefe", von denen nur der erste gedruckt wurde, im „Teleskop" 1836, zeigen das; aber er sah die Hilfe nur im westlichen Katholizismus, also sehr einseitig. Anders Bjelinskij.

Bjelinskij 83) (1811 — 1848) gilt als der bedeutendste Kritiker Russlands, wegen der Schärfe und der Folgerichtigkeit seines Urteils. Das ist natürlich kein starres gewesen und geblieben. Als Jünger Schellings und als Schüler Nadjeshdins vertrat er zunächst den idealen Standpunkt beider, der, auf die russische Literatur angewendet, die glückliche Verbindung von Romantik und Klassik, wie sie durch Puschkin repräsentiert wurde, forderte. In diesem Geleise laufen die Aufsätze, die er für Nadjeshdins „Moskauer Teleskopen" schrieb, laufen seine „Literarischen Träumereien".

Bjelinskij war eine Kampfnatur, er suchte den Kampf — wo konnte er den besser haben als in Petersburg? Selbst das Schicksal des verarmten, verspotteten, verfehmten Polevoj 84) (1796 — 1846) — das war dessen Los nach dem Eingehen des „Moskauer Telegraphen" — schreckte ihn nicht zurück; er selber kannte Not zu genau, seitdem er von der Universität wegen seines Dramas „Dmitrij Kalinin", in dem er gegen die Leibeigenschaft geeifert hatte, relegiert war; er hatte auch einen siechen, schwindsüchtigen Körper. Das alles hinderte ihn nicht; er ging nach Petersburg, und nun wurde hier aus dem Romantiker-Klassiker der Naturalist. Nicht gleich; zunächst nahm er nur den Kampf gegen die Regierungsredakteure Bulgarin und Gretsch in den „Vaterländischen Annalen“ auf, mit Erfolg. Dann rückt er aber so nach und nach von Schelling ab; er beschäftigt sich unter dem Einfluss Bakunins mit Fichte, darauf mit Hegel („das Wort Wirklichkeit wurde mir gleichbedeutend mit Gott"), und als er nun Gogols Werke in sich aufgenommen hat, kämpft er in aller Leidenschaft in seinem „Zeitgenossen" für diesen, für Dostojewskij , Gontscharov, Herzen, für ihren Naturalismus, für ihren Realismus. Von diesem Standpunkt aus — er ist ja einseitig — versteht man, dass er Puschkin, den er einst vergöttert hatte, jetzt vorwarf, er habe nicht genug Bezug auf die Gegenwart genommen, und dass er den Gogol der „Korrespondenz mit den Freunden" vollkommen fallen ließ, wenn auch schweren Herzens. Der Schwindsüchtige starb schon 1848.

Herzen 85) (1812 — 1870) hatte sich, genau wie Bjelinskij, als Student an den Freiheitsdichtungen Schillers berauscht, obwohl seine Erziehung eigentlich französisch gewesen war; die deutsche Mutter hatte auf deutsche Erziehung wenig Gewicht gelegt — übrigens eine etwas sonderbare Ehe, diese elterliche; sein Vater, der reiche Fürst Jakowlev, hatte die Stuttgarterin, die er gern mein „Herz(ch)en" nannte, in Russland nicht legitimiert. Herzen hatte weniger als Bjelinskij sich an Schelling angeschlossen; er war Hegelianer — Hegel stand damals in Russland auf der Höhe seines Rufes — und vor allem Naturwissenschaftler, aber noch keineswegs Atheist. Selbst nach jahrelanger Internierung in Pjerm und in Wjatka wegen Verdachtes der Zugehörigkeit zu einer Saint-Simonistischen Gesellschaft schrieb er noch religiöse Dramen. Auch sein Roman „Wer ist schuld?" steht dem noch fern. Er entwickelte sich erst nach und nach dazu. Der Roman ist der erste einer langen Reihe von Romanen, die den Leser zum Kampf aufrütteln wollen nicht allein gegen die herrschenden Gesellschaftszustände, die sozialen Verhältnisse, sondern vor allem gegen den russischen Charakter. Der Held — vielleicht Herzen selber — ist ein guter, ehrenhafter, geistreicher Mensch, aber ein „überflüssiger", weil er keine einzige edle Absicht verwirklicht, aus Mangel an Tatkraft, an Arbeitsfreude. Wer ist schuld, fragt der Verfasser, nämlich an unserm Unglück? Die russischen Verhältnisse, der russische Mensch, das russische Herz, der russische Charakter. Und wodurch kann man dem Elend entgehen? Nur indem man schafft, wirkt, arbeitet, wie es die — Deutschen tun.

Angewidert von den russischen Verhältnissen, verließ er seine Heimat, ging nach Deutschland, Italien, Frankreich, endlich nach London. Aus dem Romandichter, dem philosophisch-ästhetisierenden Schriftsteller — er hatte inzwischen wieder zwei sehr hübsche, vom Publikum verschlungene Werke „Vom andern Ufer" und „Briefe aus Italien und Frankreich", die beide zuerst deutsch erschienen (Hamburg 1850), veröffentlicht — entwickelte sich nun der Politiker. Neben mehreren Einzelschriften hat vor allen seine Zeitschrift „Die Glocke", mit dem Schillerschen Motto Vivos voco, von 185 1 ab ungeheures Aussehen überall hervorgerufen; sie griff die sozialen russischen Missstände, die Verbrechen der Leibeigenschaft in so scharfer und dabei so überzeugender Art an, dass deren endliche Aufhebung zu einem guten Teil auf ihr Konto zu setzen ist. Die Politik wurde von jetzt Herzens Beruf, und in ihr hat er auch seine schönsten Lorbeeren geerntet, aber er hat dabei nie den Ästheten vergessen. Wir verdanken seiner Londoner Tätigkeit die ersten Veröffentlichungen von Puschkin, Lermontov usw. ohne die Lücken der Zensur. Herzen, der Flüchtling, übrigens vielfach in der „Glocke" von der nächsten Umgebung des Thrones unterstützt, beherrschte in Wirklichkeit Jahre hindurch ganz Russland; erst als er in seinem Gerechtigkeitssinn zur Zeit des polnischen Aufstandes sich auf die Seite Polens stellte, schwanden seine „Glocke" und sein Ansehen. Herzen wanderte wieder, nach Genf, nach Paris; er konnte sein Ansehen nicht herstellen. Er starb in Paris, 1870.

Herzen war aus Russland entflohen, mit der größten Hoffnung auf den Westen. Der Westen hatte ihm ja auch die Freiheit gegeben, zum Segen des Vaterlandes. Aber er sah auch hier Verhältnisse, die ihm bald das Wort vom „faulenden" Westen eingaben, die ihn so wenig glücklich machten, dass manche seiner Äußerungen ein Zurücksehnen nach dem verlorenen heimatlichen Boden verraten, dass manche seiner Äußerungen auch ein Slawophile getan haben könnte. Diese Gedanken, ein Bekenntnis seines innersten Herzens über Kunst, Wissenschaft, Religion, Politik, über Hohes und das Alltäglichste, sind in seinem sprachlich wie gedanklich gleich hochstehenden Buche „Die Vergangenheit und Gedanken darüber" (1852 — 1855) niedergelegt.

Alle Schriften Herzens bis in die fünfziger Jahre hinein erschienen unter dem Pseudonym Jskander.

Noch einen bedeutenden Schritt weiter geht Michael Bakunin (1814 — 1876), der Apostel des Anarchismus. Er war wie Herzen Moskauer Student gewesen, hatte Schelling, Kant, Fichte, besonders Hegel studiert, den letzteren persönlich in Berlin gehört. Von der Philosophie ging er jedoch bald zur Politik über. Eine Reihe teilweise deutsch geschriebener Bücher bekundet den extremen Kommunisten, den Anarchisten.

§ 46. Auf der Moskauer Universität war von derselben Mutter, von der Romantik, der feindliche Bruder der Westlinge, der Slawophilismus, geboren. Die Romantik hatte das Nationale betont. Das taten die Slawophilen auch, nur betonten sie es zu scharf, fassten sie es zu einseitig auf, setzten sie neben das heimische Glück den Hass des Fremden. Bei den Slawophilen tritt bald ganz die Politik in den Vordergrund, übrigens nicht so unberechtigt, denn Alexander I. hatte unbedingt die Deutschen bevorzugt, und Nikolaus I. schützte und unterstützte bewusst zwar das Altrussentum, unbewusst aber machte er es wie Alexander; nur war er weniger einseitig, er schätzte alles Fremde.

Der Chorführer der Slawophilen war der Moskauer Akademieprofessor für Theologie und für Sprachen Chomjakov 86) (1804 — 1860), der Schwager Jasykovs. Er ist Romantiker; sein Gedicht „Begeisterung" wurde vom Moskauer Boten ab der Typ deutscher Romantik bezeichnet. Sein Hauptfeld ist, wie gesagt, das Nationale. „Der Grund seiner Poesie und seiner ganzen Tätigkeit war der unerschütterliche Glaube an die welthistorische Bedeutung der rechtgläubigen Kirche und Russlands. Seine Verse sind Hymnen auf das Christentum und das russischslawische Volkstum." Dieses Geistes sind seine „Lyrischen Gedichte" (1844), die seinen Namen weit über die Grenzen Russlands getragen haben, auch seine Dramen „Jermak" (1833 — Jermak war der Eroberer Sibiriens) und der „Pseudo-Dmitrij" (1833). Chomjakov vertrat das Allslawentum — er fordert die Bulgaren, Serben, Kroaten auf zum Kampf gegen das türkische Joch — übrigens nicht bloß in Liedern, sondern er focht 1818 selber mit gegen die Türken. In späteren Jahren war er Vorsitzender der „Gesellschaft der Liebhaber der russischen Poesie", einer der vielen Vorkämpferinnen für die „neue" Poesie.

Ein sehr eifriger Slawophile, Gründer des Moskauer Slawenkomitees, ist auch der angesehene Moskauer Geschichtsprofessor Michael Petrowitsch Pogodin 87) (1800 — 1875) gewesen. Er war literarisch außerordentlich tätig. Der „Moskauer Bote" stand gerade in den schwersten Kampfesjahren der „neuen" Poesie unter seiner Leitung (1827 — 1830). Welche Bedeutung man ihm beimaß, zeigt eine andere Zeitschrift „Der Teleskop": „Die neue Poesie war da mit Puschkins „Boriss Godunov", mit Sagosskins Romanen und mit Pogodins „Marfa Possadniza" (1831). Denselben Stoff, d. h. die mutige Verteidigung Novgorods gegen Iwans IV. Anschläge, hatte auch Karamsin behandelt. Pogodin wusste in der deutschen Literatur sehr gut Bescheid; er übersetzte Goethes „Götz" (1838). Zahlreich sind seine historischen Schriften.

Die Politik bei Konstantin Akssakov dem Sohn. Schon SSergej Akssakov (1791 — 1856) ist slawophil. Aber da lies noch in liebenswürdiger, ruhiger, humorvoller Form aus; der (1856) herausgegebene „Familienchronik" ist ein Meister . . . schen Familienlebens, auf den alten Herrensitzen im Südrussland. Ebenso bieten seine „Kinderjahre Bagrows des ist poetische Bilder aus der eigenen Kindheit. Meisterhaft zeichnet er auch das geheimnisvolle Leben und Weben in der Natur in seinen „Aufzeichnungen eines Jägers im Gouv. Orenburg" (1852). In der Landschaftsmalerei, kann man sagen, hat ihn weder Gogol noch Turgenjev erreicht.

Ein anderer ist Konstantin Akssakov (1817 — 1861). Konstantin war gleichfalls von der Romantik ausgegangen; er hat mehrere Schillersche Gedichte gut übersetzt. Die eigenen lyrischen Gedichte zeigen gleichfalls gedankenvollen, stimmungsvollen Ernst. Sein Beruf, sein Kampffeld wurde aber die Politik. Von 1846 ab ist er Mitarbeiter aller Zeitschriften slawophiler Richtung, gibt er den Ton für alle Versammlungen und Beschlüsse der großen slawophilen Partei an und predigt die Kulturmission des slawischen Volkes für alle übrigen Völker. Selbst seine wissenschaftlichen Arbeiten, z. B. seine Schrift über „Das Leben der alten Slawen überhaupt und der Russen insbesondere“ (1852), zeigen seine ausgesprochene Kampfesnatur.

Nicht so scharf tritt sein Bruder Iwan Akssakov hervor; er wirkte aber auch mit seiner panslawistischen Zeitung „Der Tag" (1861) ganz im Sinne Konstantins.

Der reaktionärste unter allen ist Katkov (1818 — 1887). Ursprünglich Moskauer Universitätsprofessor für Philosophie, Schellingianer, — er hatte übrigens auch in Deutschland, in Königsberg und in Berlin, studiert und sich in letzterer Stadt besonders für Schelling und Werder interessiert — hatte er sein Amt quittieren müssen und wurde nun mit der Monatsschrift „Der russische Bote" und dann mit der „Moskauer Zeitung" einer der ersten Streiter für die Russifizierung Polens, Litauens, der Ostseeprovinzen, und trotz seiner einsägen Verehrung deutschen Wissens ein wütender Feind alles Deutschtums.

Als Führer der Slawophilen traten auch noch der Dichter Tjuttschev (S 43) und ein etwas zweifelhafter Charakter, aber sehr begabter Mensch, Kirejewskij, hervor, der erst in seinem „Europäer" (1832) ganz Westling gewesen war und wenig Zutrauen zur russischen Intelligenz gehabt hatte, nach Verbot seiner Zeitschrift jedoch ins entgegengesetzte Lager gezogen war.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Russische Literaturgeschichte