Russische Kulturbilder.

Erlebnisse und Erinnerungen.
Autor: Zabel Eugen (1851-1924) deutscher Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1907
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Moskau, Russische Kulturbilder, Iwan Turgenjew, Maxim Gorki, St. Petersburg, Krim, Kaukasus
Inhaltsverzeichnis
  1. K. S. Stanislawski-Alexejew, dem Begründer und Leiter des „Künstlerischen –Theaters“ in Moskau zugeeignet.
  2. Nikolaus II.
  3. Der russische Mushik.
  4. Anfang und Ende der russischen Flotte.
  5. Vom fernen Osten.
  6. P. I. Tschaikowsky.
  7. „Weiße Nächte“ in St. Petersburg.
  8. Erinnerungen an W. W. Wereschtschagin.
  9. Russische Schauspielkunst und das Moskauer künstlerische Theater in Berlin.
  10. Eine Begegnung mit Maxim Gorki.
  11. Anton Tschechow.
  12. Iwan Turgenjew in seinem französischen Briefwechsel.
  13. Zur Erinnerung an Anton Rubinstein.
  14. Leonid Andrejew.
  15. Wassili Shukowski zu seinem fünfzigsten Todestage.
  16. Krim und Kaukasus in der Literatur.
  17. Stimmungsbilder aus St. Petersburg.
  18. D. W. Grigorowitsch.
Einleitung.

„Iwan Wassiljewitsch!“
„Wassili Iwanowitsch!“

Mit diesen Worten begrüßten sich an einem der letzten Oktobertage dieses Jahres auf der Strandpromenade in Biarritz inmitten des lebhaften lustigen Verkehrs, der dort vor den Hotels, Restaurants und Cafes herrschte, zwei Männer in auffallender und drolliger Weise. Sie schüttelten sich kräftig die Hände, fielen sich um den Hals und küssten sich den Mund und beide Wangen. Die eleganten Pariser, die stolzen Spanier, die Damen der Halbwelt drehten sich schmunzelnd nach dem wunderlichen Paar um. Es waren zwei Russen, die sich seit mehr als einem Jahrzehnt nicht gesehen, auch wenig voneinander gehört hatten. Sie fühlten sich aber bei diesem unerwarteten Zusammentreffen sofort wieder als alte Freunde, die sich viel zu erzählen hatten. Arm in Arm gingen sie durch die Galerie des „Casino municipal“, aus dem gerade zwei zierliche weibliche Gestalten, in einen nicht zu langen Bademantel gehüllt, hervortrippelten, die lustigen und listigen Augen blitzschnell nach links und rechts schweifen ließen und mit reizend gespielter Verlegenheit zum Strand hinunterliefen. Das Wetter war wundervoll. Die Sonne leuchtete auf den Gesichtern der Menschen, den hohen Gebäuden, von deren Dächern bunte Fahnen im Winde flatterten und den Welten, die feine weiße Schaumkämme an das Ufer warfen. Die gewaltigen Schwarzen Felsblöcke im Meere erschienen wie ungeheure vorweltliche Tiere, die aus der Flut aufgetaucht waren, um das warme Licht begierig einzusaugen.

Wassili Iwanowitsch war ein kleiner dicker Herr, dem man wegen seiner sauberen, aber altmodischen Kleidung und seinem erstaunten und vergnügten Wesen auf den ersten Blickt die „breite russische Natur“ anmerkte. Er hatte buschige Augenbrauen, einen vollen viereckigen Bart und zeigte einen sich schwerfällig wiegenden Gang. Aus dem Innern Russlands war er von seinen Gütern nach dem Westen gereist, um sich nach einer Reihe von Jahren wieder einmal die Luft der europäischen Kultur ums Antlitz wehen zu lassen. Er hatte fast ohne Unterbrechung die lange Eisenbahnfahrt über Moskau, Warschau und Berlin nach Hamburg gemacht, um sich dort an Bord des „Meteor“ zu begeben und der Vergnügungsreise nach ,,berühmten Badeorten“ anzuschließen. Er hatte Ostende, Scheveningen und Trouville besucht, war zwei Tage in San Sebastian gewesen und von Bayonne, wo der Dampfer vor Anker ging, mit der Eisenbahn nach Biarritz gefahren. Iwan Wassiljewitsch war dagegen von Paris mit dem Expresszug nach Biarritz gereist. Man hätte ihn, wenn er nicht Russisch sprach, für einen echten Franzosen halten können. Er war lang und schlank gewachsen, vorsichtig in seinen Bewegungen und zeigte überhaupt die Manieren der großen Welt. Auf seinem Gesicht drückte sich etwas nachdenkliches und Melancholisches aus, namentlich wenn er seinen wohlgepflegten Spitzbart mit den Fingern seiner rechten Hand streichelte.

Die Männer waren Enkel jener beiden Reisenden, die der russische Erzähler Graf Sollohub in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts zu Helden seines köstlichen Romans „Tarantaß“ gemacht hat. Mit behaglichem Humor schildert uns der Dichter das vorsintflutliche Fuhrwerk, das diesen Namen führt. Es besteht aus einem ungeschlachten Gestell, das von zwei langen schwebenden Stangen getragen wird, wodurch zwischen den beiden Teilen eine unsagbar einfache Verbindung entsteht. In den bedeckten Wagen wird alles hineingestopft, was man bei langen Reisen durch einsame Steppengegenden braucht, Bekleidungsgegenstände jeder Art, Schinken und Würste, Samowar und Teekasten, Brot und Schnäpse, sogar Betten, auf denen man liegen und schlafen kann.

Die Insassen dieses Tarantaß sind zwei Gutsbesitzer, die von Moskau über Kasan nach einem entfernt gelegenen Gut reisen und während der Fuhrt Beobachtungen über Land und Leute anstellen. Der eine, Iwan Wassiljewitsch, rechnet sich zu der Klasse der Neuerer, die sich mit westländischen Ideen erfüllt haben und sich über die Entwicklung Russlands allerlei phantastischen Vorstellungen hingeben. Der andere, Wassili Iwanowitsch, ist ein Konservativer der alten Schule, der nicht über ,,Mütterchen Moskau“ hinausgekommen ist und sich nur dann wohlfühlt, wenn alles in dem gewohnten Gleise schlecht und recht weiter trottet. Die Reisenden werden auf der nächsten Station wegen angeblichen Mangels an Pferden aufgehalten und lernen in dem Aufseher einen unverschämten und unredlichen Patron kennen, der die Leute auf alle Weise zu ärgern und zu schröpfen sucht. Die beiden Freunde betrachten die Einrichtungen in den Gasthäusern mit ihrer Armseligkeit und ihrem Schmutz, lernen Menschen und Dinge aller Art kennen, den Edelmann, den Beamten, den Kaufmann und den Bauern, das häusliche und kirchliche Leben, Literatur und Kunst, Städtische und ländliche Verhältnisse. Iwan Wassiljewitsch spielt dabei gewissermaßen die Rolle des Don Quixote, der alles in idealistischer Übertreibung betrachtet und Wassili Iwanowitsch die des Sancho Pansa, dem das Glückt des gesättigten Magens über alles geht. Während dieser eines Abends in seliger Selbstzufriedenheit fest eingeschlafen ist, lässt sich jener von seiner phantastischen Überschwänglichkeit immer weiter hinreißen. Der Tarantaß verwandelt sich für ihn in einen bunten Vogel, die nächtliche Fahrt in einen Flug zu allem Schönen und Guten, das er längst erträumt und in dem Heft seiner Reiseeindrücke sorgfältig aufbewahrt hat. Plötzlich gibt es aber einen schrecklichen Ruck. Der Tarantaß liegt mit den Rädern nach oben im Graben und die beiden Reisenden wälzen sich im Schmutz und Schlamm der Landstraße, während der Rutscher, der sich langsam aus den Strängen herausgewickelt hat, die stöhnenden und ächzenden Fahrgäste mit den köstlichen Worten zu trösten suchte: „Hat
nichts zu bedeuten, Euer Gnaden!“

Die Enkel dieser Männer, die sich in Biarritz trafen und die von ihren Großvätern auch die Rufnamen geerbt hatten, waren unter lebhaftem Gespräch bis zum früheren Schloss der Kaiserin Eugenie gelangt, in dessen Räumen gegenwärtig die Hotelgäste unaufhörlich kommen und gehen. Die Freunde setzten sich auf eine der dort befindlichen Ruhebänke, von wo man eine wundervolle Aussicht auf das Meer, das Leben am Strande und die schroffen Felspartien genießt. Die beiden fanden sich wenig verändert, und doch lag etwas zwischen ihnen, über das sie sich klar werden mussten, bevor eine vertrauliche Aussprache möglich war, die gegenwärtige Lage Russlands mit der revolutionären Bewegung, die das Reich im Innersten erschüttert und zur Umgestaltung aller Verhältnisse hinzudrängen sucht. Iwan Wassiljewitsch begann von seiner Frau und seinen Kindern zu sprechen, die er in Petersburg zurückgelassen hatte, als er plötzlich stockte und mehrmals kurz hustete.

„Was hast du, Brüderchen?“ fragte ihn der andere. „Bist du erkältet?“

,,Ein Vergissmeinnicht, ein unangenehmes an den 9. Januar vorigen Jahres,“ antwortete jener. „Ich ging ruhig auf dem Newski Prospekt spazieren als ich plötzlich von weitem Geschrei und Schießen hörte. Ein Haufen Männer, Weiber und Kinder, die von Kosaken mit ihren Knuten vorwärts getrieben wurden, drängte sich mir in atemloser Hast entgegen. Ehe ich wusste wie wir geschah wurde ich an die Mauer des Stroganow’schen Palais, wo ich gerade stand mit solcher Gewalt gedrückt, dass mir alle Glieder im Leibe knackten. Ich fühlte in der Brust einen heftigen Schmerz und musste sofort Blut spuckten. Seitdem kommt dieser abscheuliche Husten immer wieder. Eh!“

„Bestrafte Neugierde,“ meinte Wassili Iwanowitsch. „Was hast du dich unter den Pöbel zu mischen. Wenn etwas auf der Strafe los ist, bleibt man als vernünftiger Mensch zu Hause.“

„Was Pöbel!“ antwortete ihm sein Freund. „Harmlose, gutmütige, bittende Menschen waren es, die ich gesehen habe und die niemandem Schaden zufügen wollten. Sogar ihre Taschenmesser hatten sie zu Hause gelassen, damit kein Blut fließe. Aber da hat man sie behandelt wie wilde Tiere, die aus dem Käfig ausgebrochen sind. Wäre doch nur der Kaiser im Winterpalais geblieben und hätte ein Dutzend von ihnen empfangen! In die Knie wären die andern gesunken - Gott erhalte den Zaren! hätten sie gesungen!“

„Was du da sprichst!“ meinte Wassili Iwanowitsch, indem er sich mit der linken Hand selbstbewusst über den Bauch fuhr. „Hinter dem allen steckten ja nur die Juden und die ausländischen Verführer. Die ganze Revolution haben sie gemacht und unser armes Land vergiftet. Ordentlich dreinschlagen muss man! Was wollen uns solche Dummheiten wie Duma? Hast du nicht gelesen, was Tolstoi darüber gesagt hat?“

,,Du bist doch der alte Steppensohn wie vor zehn Jahren geblieben,“ sagte Iwan Wassiljewitsch. „Willst du denn nicht begreifen, daß in unserem Russland seitdem alles anders geworden ist. Der Schreckliche japanische Krieg hat die Menschen bei uns zum Nachdenken gebracht, wie man solche Misswirtschaft beseitigen könne. Du siehst doch wie es überall gärt und brennt!“

,,Willst du dich etwa an den lettischen Bauern begeistern, die ihren Gutsherren Haus und Hof über dem Kopf ansteckten, oder an den Hooligans, die lärmend durch die Strafen ziehen und sich den brauen so lange drohend in den Weg stellen, bis Sie von ihnen ein paar Rubel erhalten? Oder an den Räubern, die unsere Banken und Eisenbahnzüge plündern. Ich spucke darauf!“

Sie waren inzwischen vom Strand nach der Stadt gegangen und in die Avenue de la Reine Victoria eingebogen, wo ihnen die elegante Welt von Biarritz vor den Schaufenstern der Juweliere und Modewarengeschäfte begegnete. Die beiden Männer gingen nicht mehr Arm in Arm, sondern nachdenklich und jeder für sich nebeneinander einher. Sie waren am Garten des Hotel Continental angelangt, wo Iwan Wassiljewitsch wohnte. Er führte seinen Freund auf sein Zimmer.

Auf dem Tisch lagen die Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig Hohenlohe, die er am Tage vorher vom Buchhändler bekommen und sofort gelesen hatte. Er schlug den zweiten Band und darin die Stelle auf, wo Turgenjew dem Fürsten im Jahre 1879 sagte, dass die Regierung die Bewegung in den gebildeten Ständen nicht verstehe, die schon damals eine konstitutionelle Verfassung verlangten. Iwan Wassiljewitsch wies mit dem Finger auf folgende Zeilen hin: ,,Dem Kaiser würde es leicht sein, das Volk durch Konzessionen zu gewinnen und einen ungeheuren Enthusiasmus für sich hervorzurufen. Der Augenblick sei jetzt günstig. Allein der Kaiser, dem man stets vorhalte, daß Ludwig XVI. durch Konzessionen auf die Guillotine geführt worden sei, wolle davon nichts wissen.“ und weiter: „Wenn matt behaupte, es gebe in Russland keine Männer, die zur Leitung der Geschäfte fähig wären, sei das ganz falsch, und nannte verschiedene tüchtige Beamte und Advokaten aus der Provinz.“ Hohenlohe schließt leine Betrachtung damit, daß er sagt: „Wenn ich der Kaiser Alexander wäre so würde ich Turgenjew beauftragen ein Ministerium zu bilden.“ Der Dichter meinte: „Le peuple russe est frémissant.“

„Glaube das nicht, Brüderchen!“ meinte Wassili Iwanowitsch gutmütig lächelnd, indem er sich setzte. „Es wird alles so bleiben wie es ist. Weshalb Sollen wir uns unnütz aufregen? Jeder für sich und Väterchen Zar für alle. Auch ich habe schwere Zeiten durchgemacht. Auch bei uns wurde geplündert und geschossen, daß ich dachte, es würde kein Stein auf dem andern bleiben. Aber man gewöhnt sich an alles. Jedesmal, wenn ich einen Schuss hörte, schlug ich mit der Faust auf den Tisch und rief ,Bumm!‘ und es ging vorüber.“

Iwan Wassiljewitsch richtete sich in seinem Sessel auf und fuhr sich mit der Hand an die Stirn. Auf Seinem Gesicht stieg die Röte des Zorns auf, den er so lange mühsam unterdrückt hatte. Wütend schrie er: „Das ist nicht zu ertragen. Blind bist du und taub geblieben dein ganzes Leben! Weißt nicht, was um dich vorgeht! Ganz Russland fiebert und leidet im Kampf um seine Ideale. Die Morgenröte der jungen Freiheit ist bereits überall sichtbar und die Geister eilen dem neuen Tag entgegen. Aber du sitzest nach immer wie unsere Großeltern in ihrem Tarantaß und fühlst dich wohl bei dieser Fahrt auf schmutzigen Landstraßen. Aber pass auf, wie du eines Tages mit deiner Kibitka umwerfen wirst.“

Er redete sich in immer größere Erregung hinein, wobei er im Zimmer auf und nieder ging und lebhaft gestikulierte. Vor seinen Augen stand leuchtend das Bild seines Vaterlandes, befreit vom Druck seines bestechlichen Beamtentums, von der Willkürlichkeit seiner Justizpflege, geklärt und erleuchtet durch die immer weiter schreitende Bildung, die sich durch unzählige laufende Adern als belebendes, frisches Blut überall dem Körper des ungeheuren Volkes und Landes mitteilt. So redete er weiter ohne auf seinen Freund zu achten, wohl eine Viertelstunde lang. Er fand Worte wie ein Priester, wie ein Prophet und Dichter.

Eine Weile hatte ihm Wassili Iwanowitsch ruhig zugehört. Dann begann er den Kopf langsam auf die Brust sinken zu lassen und tiefer zu atmen. Die Augen schlossen sich bereits, aber noch horte er einzelne Worte und versuchte zu antworten. ,,Ta - ran – taß!“ rief er leise. „Ta - ran - taß! Schöne Zeit! . . . Die verfluchten Westlinge . . . Mit der Knute sollte man . . .“ Dann versank er in tiefen Schlaf.

Als Iwan Wassiljewitsch bemerkte, welchen Eindruckt seine Beredsamkeit gemacht hatte, wurde er wütend, rüttelte ihn bei den Schultern und schrie ihn an: „Du alter Teekessel, willst du nicht Vernunft annehmen? Willst du denn ewig schlafen, wenn auch die ganze Welt um dich erwacht? Aber pass auf! Sie werden dich ordentlich bei den Beinen packen und dich zausen, dir Vernunft beibringen, weil du immer nur an dich und niemals an deine Mitmenschen gedacht hast. Erwache, zum Teufel, so erwache doch!“

Mühselig reckte sich Wassili Iwanowitsch in seinem Sessel, schlug die Augen auf und rief. „Waaas?“ Man klopfte. Ein Kellner mit roten Frackaufschlägen trat herein und fragte, ob die Herrschaften nicht frühstücken wollten. Diese Worte machten Wassili Iwanomitsch wieder lebendig, als ob ihm ein elektrischer Schlag durch die Glieder gefahren wäre. „Komm Bruder, komm!“ rief er. „Was sollen wir uns streiten! Wir sitzen ja nicht im Tarantaß und werden nicht umkippen. Wir sind ja hier in Biarritz und wollen lustig sein. Zuerst das Frühstück und abends reden wir weiter. Weiber gibt es hier, sage ich dir, Weiber!“ Er schnalzte mit der Zunge und zog seinen Freund, der ihm widerwillig folgte, mit in den Speisesaal . . .

Abends um elf Uhr erschienen die beiden Freunde wiederum Arm in Arm auf der Strandpromenade in Biarritz. Iwan Wassiljewitsch hatte seine müde, grüblerische Hamletmaske abgelegt und betrachtete mit sichtlichem Wohlgefallen das bunte, genussfrohe Treiben, das ihn im Glanz der elektrischen Lichter umschwirrte. Wassili Iwanowitsch befand sich in seliger Champagnerstimmung, und auf seinem geröteten Antlitz zeigte sich jenes echt russische Lachen, das Alexander Herzen einmal als „krankhaftes Grinsen“ bezeichnet hat. Sie hatten Mühe, durch das Gewühl der Badegäste, die sich aus aller Herren Länder hier trafen, und der vorbeirollenden Automobile ihren Weg zu finden. Das Meer war unruhig geworden, die Welten überschlugen sich und am Rocher de la Vierge spritzte der Schaum wie aus einer Riesenfontäne in die Luft. Die Freunde begaben sich in das nächstgelegene Kasino, wo die Musik gerade einen Straußschen Walzer angestimmt hatte und die Menge sich unter lebhaftem Gespräch und Lachen durch einander drängte. Aber schon nach einer Viertelstunde sagte der Dicke zu seinem Freunde: „Hier ist es langweilig. Komm, gehn wir weiter!“

Sie kamen zu einer Tür, die von mehreren Herren in Frack und weißer Halsbinde bewacht wurde. Ein Sekretär saß an einem Tische und trug in ein großes Buch die Namen derer ein, die würdig befunden wurden, zum Allerheiligsten Zutritt zu erlangen.

„Ihren Namen, mein Herr! Führen Sie einen Pass bei Sich.“ fragte einer von den Türhütern des Spieltempels und fügte hinzu: „Bitte um zwanzig Franks für die Person.“

Die Tür öffnete sich und ein heißer, süßlich betäubender Duft drang aus dem Salon hervor, wo man sich um die Spieltische drängte. Die Männer starrten mit blassen, verlebten Gesichtern auf die Karten, während ihre Begleiterinnen ihnen mit kalt berechnendem Lächeln aus den gefüllten Sektgläsern zutranken.

Einen Augenblick zögerte Iwan Wassiljewitsch einzutreten. Er wurde wieder ernst, denn er erblickte gerade ein Paar von seinen Landsleuten, die es am tollsten trieben. Aber Wassili Iwanowitsch zog seinen Freund am Arm in den Salon hinein und sagte lachend: „Du sollst sehen, dass ich nicht mehr im Tarantaß sitze, sondern ein moderner Mensch geworden bin und ich will dir zeigen, wie das russische Volk ,erbebt‘. Ha, ha!”

Turgenjew, Iwan

Turgenjew, Iwan