Ausblick

Am 4. Dezember 1917 schrieb ich:
„Russland wird in den Fangarmen eines einzigen grundlegenden und anscheinend unlösbaren Wider Spruchs aufgerieben. Verwildert, verlottert, wie es ist, musste es zuerst die Fahne des Aufruhrs gegen das sinnlose Morden erheben, das die Menschheit vernichtete. Objektiv war es gewissermaßen der Höhepunkt der ganzen neueren Geschichte. Aber vom subjektiven Standpunkt aus betrachtet wirkte hier bloß eine blinde und träge Naturgewalt. Für eine Angelegenheit, welche die größte Anspannung aller seelischen und physischen Kräfte erforderte, mobilisierte die Weltgeschichte das schlechteste Menschenmaterial, dessen sie habhaft werden konnte, und ließ seine geringe Tragfähigkeit außer acht.

Wir konnten die bürgerliche Revolution nicht durchführen, denn ,je weiter nach dem Osten zu, um so elender das Bürgertum’ (wie Karl Marx einmal ingrimmig bemerkte). Wir aber scheinen in dieser Hinsicht die äußerste östliche Grenze erreicht zu haben. Allein auch eine sozialistische Revolution geht über unsere Kraft, denn ihr Träger, das Proletariat, liegt bei uns gleichfalls erst in den Windeln. Die Arbeiterklasse besitzt weder Erfahrung, noch Wissen, noch — was sicherlich den endgültigen Ausschlag gibt — materielle Anhaltspunkte für ihre reformatorische Tätigkeit. Großindustrie, zentralisierter Nationalkapitalismus sind nicht vorhanden. So die objektive Sachlage. Sie ist ihrem Wesen nach widerspruchsvoll. Indessen würde unsere Revolution diese Prüfung mit Ehren bestehen können, wenn die Geschichte ihr Zeit gelassen hätte. So aber, unter dem glühenden Hammer des Krieges, war sie gezwungen, ein viel zu stürmisches Tempo einzuschlagen und gelangte an den Rand des Abgrunds.


Jetzt ist sie in derselben Lage, in welcher — dem, Kommunistischen Manifest zufolge — sich die Bourgeoisie nach 1789 befand: sie fühlt sich außerstande, die Kräfte zu bändigen, die sie selbst ins Leben rief. Ihre eigene Entwicklung wächst ihr über den Kopf und sie erstickt in ihrem eigenen Blut.

Der Weltkrieg ging in die Brüche an jener Stelle, die von Anfang an am wenigsten geeignet war, seine Spannung zu tragen. In diesem Zusammen prall nationaler Industrien und hoher Formen wirtschaftlicher Verknüpfung spielte Russland von Anfang an die Rolle des Landsknechts, der seine materielle Kraft fremden Herrschern zur Verfügung stellt. Eine solche Rolle war jedoch nur im Mittelalter möglich. Unter der Herrschaft des Kapitalismus musste dergleichen früher oder später mit vollständigem Zusammenbruch enden.

In die somit entstandene Bresche begannen nunmehr die Fluten aller sozialen Gewalten zu schlagen, die sich von jahrhundertelanger Knechtung befreit fühlten. Und das Staatsschiff geht in tobender Brandung unter; man sieht den Kapitän nicht, man hört nicht die Matrosen. Freilich mag diese Behauptung unwahrscheinlich klingen, jetzt, wo auf dem Verdeck Vertreter der radikalsten von unseren Parteien Umschau halten und wir uns den Luxus einer Regierung leisten können, an deren Spitze Lenin und Trotzki stehen. Aber es ist nur eine optische Täuschung. Diese Regierung ist selbst die Gefangene ihrer Opfer, der Spielball ihrer Erfolge. Sie behauptet sich auf den Trümmern der sozialen Ordnung, weil sie die letzte Partei vertritt, die nichts zu verlieren hat, Ihr Unglück besteht indessen darin, dass sie auch nichts gewinnen kann. Aus dem Nichts, welches sie in die Welt setzte, kann nichts entstehen.

Als Trotzki zum ersten mal nach dem Oktober-Umsturz die Tribüne Smolnijs bestieg, hatte er ein unklares Bewusstsein jener Tatsache, dass die ganze Zukunft Russlands und unserer Arbeiterbewegung auf dem Spiele standen. Die sozialistische Revolution im Westen war damals in seinen Händen der Trumpf, mit dessen Hilfe er sowohl sich selbst als auch seine Mitspieler aufzumuntern versuchte. Und nicht von ungefähr! In ihm sprach der soziale Selbsterhaltungstrieb. Aus den Fangarmen unlösbarer Widersprüche könnten wir uns nur dann befreien, wenn es uns gelingen würde, an die Entwicklungsmöglichkeit des revolutionären Westens Anschluss zu bekommen, und von dort aus dasjenige zu empfangen, woran wir selbst so bitterlich Mangel leiden: Erfahrung, Organisation, wirtschaftliche Grundlage, — wobei wir unsererseits die gewaltige Stoßkraft unserer Massen in das Tauschgeschäft gesteckt haben würden. Auch in diesem Falle, ebenso wie im Krieg, wären wir Lieferanten lebendigen Menschenmaterials. Mit dem Unter schied allerdings, dass die Geschichte uns diesmal die Opfer tausendfach vergelten würde.

Aber leider, um ein Hasenragout zu bereiten, braucht man einen Hasen! Um sich mit Hilfe des revolutionären Westens zu retten, braucht man eine Revolution im Westen. Wir aber laufen die Gefahr, weiß zu bluten und zu ermatten, bevor von dort aus die erlösenden Zeichen kommen. Wir selbst haben die Schraube lockergemacht, deren sachte, unaufhaltsame Pression die Volksmassen des westlichen Europa unter Umständen aufrütteln könnte. Wir verließen das Schlachtfeld nicht in voller Rüstung der revolutionären Bereitschaft, sondern mit panischem Schrecken im Auge. Und indem wir sie im Stich ließen, erweckten wir in den Arbeitermassen Europas nur einen einzigen Wunsch: den Krieg sofort zu beenden, jene Lücke nützend, die nunmehr dort klaffte, wo wir einst gestanden haben.

Solange der Frieden unerreichbar war, war es klar, dass man ihn nur, über die Köpfe der Regierungen hinweg' schließen könne. Und es ist sehr gut möglich, dass es soweit gekommen wäre. Jetzt aber, da der Frieden auf Kosten Russlands sich sozusagen von selbst aufzwingt, können ihn die Regierungen auf einem goldenen Teller ihren Völkern präsentieren. Später werden die europäischen Völker allerdings einsehen, dass dieses Geschenk aus der Kiste der Pandora kam. Aber wer weiß, was mit uns inzwischen geschehen wird?" (Vgl. „Wochenschrift für sozialistische Kultur und Politik", Petersburg, 1917, Nr . 1, S. 8-10.)

Jetzt weiß es jedermann. Und die Frage, die 1917 gestellt wurde, kann 1923 beantwortet werden. Was inzwischen mit Russland geschehen ist, liegt klar und eindeutig vor unseren Augen. Wir brauchen nur hin Zusehen. Das Volk hat in unsäglichen Leiden, in heldenmütigem Kampfe einen neuen Abschnitt seiner Geschichte begonnen. Es ist zu historischer Aktivität erwacht, und keine Macht auf Erden wäre nunmehr imstande, es in das frühere Stadium bewusstlosen Vegetierens zurück zu versetzen. Aber eben so wenig war dieses Volk imstande, jenen neuen Abschnitt seiner Geschichte aus eigener, selbständiger Kraft heraus mit positivem Inhalt zu füllen. Es blieb auch nach der revolutionären Umwälzung dem ursprünglichen Zustand seiner Rohheit preisgegeben. Dieser. Tatsache soll man beileibe nicht mit moralischer Entrüstung oder ethischer Wertung begegnen. Sie ist einfach das naturhaft Gegebene, womit die russische Geschichte von 1917 an zu rechnen hatte.

Die Revolution liegt nunmehr abgeschlossen vor uns. Was weiterhin auch kommen mag, das erste Stadium ist beendet und man kann schon die Bilanz ziehen, die endgültige Inventur i hr er Errungenschaften aufnehmen. Der oberflächlichen Betrachtung scheint allerdings sich nichts geändert zu haben: dieselbe Unwissenheit herrscht auf dem flachen Lande, dieselbe Trunksucht und Gewalttätigkeit in der Stadt. Die Beamtenschaft ist ebenso korrupt, borniert dünkelhaft, wie sie es seit jeher gewesen. Die nämliche Armut, die gleichen Hungerleiden zermürben den Volkskörper.

Und doch trügt dieser Schein; Denn unter der Oberfläche hat sich eine gewaltige Veränderung vollzogen, die um so bedeutsamer ist, je weniger sie in die Augen fällt. Denn nunmehr ist der Beweis erbracht, dass Russland außerstande ist, durch eigene Kraft empor zu kommen. Fünf Jahre waren notwendig, um der Welt die Überzeugung beizubringen, dass Russland auf fremde Hilfe, auf freundschaftliche Unterstützung angewiesen ist, wenn anders es überhaupt als lebendiger Organismus weiter bestehen soll. Fünf Jahre hat der mörderischste aller Bürgerkriege gedauert. Berge von laichen sind aufgetürmt worden, frisches Menschenblut floss in Strömen, damit endlich die Erkenntnis aufkomme, dass alles von neuem begonnen werden müsse, dass jene einfachen Bestandteile des Lebens, die das Fundament der sozialen Ordnung in Europa ausmachen, als da sind Fleiß, Erwerbssinn, Zucht, Rechtschaffenheit, zur Errichtung jeder menschlichen Gemeinschalt unumgänglich sind. Dies ist der Gewinn dieser ganzen chaotischen Periode, dass sie das Ansehen jener primitiven Zivilisation hochgehoben hat, welche schon längst dem Europäer in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Russland schüttelte in fieberhaftem Alpdrücken der Revolutionszeit alle Traditionen seiner asiatischen Vorgeschichte ab. Jetzt erwacht es in einer nüchternen Welt und sein erster Gedanke gilt den Sorgen des Alltags, die ihm alle seine frühere seelische Verschwendungssucht, all sein ehemaliges geistiges Hochstaplertum in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Es ist kein Zufall, dass das Land der Sehnsucht des jetzigen, nachrevolutionären, Russlands Amerika ist. Dass Amerikas Wolkenkratzer ihm als die schönste Kunstform vorschweben, dass es im Arbeitstempo Amerikas das Leitmotiv des sozialen Daseins hört, dass der Business-Geist seine Wünsche beflügelt. Dieses Land, das eine naturhafte Existenz, ein rein organisches Dasein führte und darauf seine ganze Eigen- und Einzigartigkeit baute, dieses selbe Land steht jetzt in ergebener Verzückung vor dein Wunder maschineller Technik und schwelgt in der Poesie der Dieselmotoren.

In der Weltgeschichte spielte Russland bisher eine vorwiegend leidende Rolle Es trat vorwiegend als ihr Objekt hervor. Die Slawophilen haben diesen Umstand sehr gut angemerkt, — daher ihre, als mystifizierter Hegelismus verkleidete, Ideologie des russischen Messianismus. Aber ihr Traum von der Gotterwähltheit des russischen Landes war wahrlich ein „inhaltsleerer und bitterer Scherz". Denn in ihm trat die russische Rückständigkeit in eine Periode selbstgefälliger Bespiegelung, — anstatt dass sie sich aufzuheben versuchte.

Die Slawophilen verwandelten auf eine sehr eigenartige Weise ihre Not in eine Tugend. Sie wussten ganz genau, wie groß der Grad der sozialen Rückständigkeit Russlands war. „In den Gerichten schwarz und jeglichen Dreckes voll" — so haben es die Dichter des Slawophilismus dargestellt. Aber gleichzeitig haben sie sich mit Erwägungen so zu sagen metaphysischer Natur beruhigt: es stellte sich bei ihnen heraus, dass „man Russland mit dem Verstand nicht begreifen, mit der allgemein gültigen Elle nicht er, messen, — dass man in Russland nur glauben könne." Und endlich als Schlussakkord: „Du bist erwählt, o, du, der Berufung Unwürdige!" Von hier war selbstverständlich nur ein Katzensprung bis zu jenen Folgerungen, welche K. Leontjew, Strachow und namentlich F. N. Dostojewski mit solcher Virtuosität zu ziehen wussten. Gerade die Unwürdigkeit der Erwählung und alles, worin sie sich äußerte, verwandelte sich in ein Symbol der Berufung Russlands. Seine Schwäche ward somit seine Kraft — und gerade dasjenige, was der oberflächliche, d. i. der ungläubige, Blick als ein Zeichen sozialen Stillstandes aufzufassen geneigt war, stellte die metaphysische Weisheit des Slawophilismus als besonders wertvolle Elemente russischer „Eigenartigkeit" und „Gotterwähltheit" dar.

Der objektive Wert aller derartigen und ähnlichen Selbstberuhigungen war minimal. Sie haben die innere sowie die äußere Lage Russlands nicht nur um keine Handbreit weitergebracht, sondern im Gegenteil sie vollends verwirrt. Kein Atom des slawophilen Selbstvertrauens war imstande, sich in lebendige Energie zu verwandeln und die ganze, — wahrhaft lächerliche, — Ideologie russischer Gotterwähltheit konnte die untergeordnete Stellung des russischen Staates in der Weltgeschichte nicht verhindern. Denn selbst in jenen glanzvollen Zeiten der russischen Monarchie, als sie noch scheinbar eine „Macht" darstellte, mit der Europa nicht nur rechnete, sondern vor der sie geradezu zitterte, als die Diplomatie Schuwalows, Gortschakows, Nesselrodes ihre berühmten und berüchtigten „Siege" erfocht, — selbst damals ruhte diese ganze Herrlichkeit auf tönernen Füßen. Die Rolle Russlands im sogenannten „europäischen Konzert" konnte über das wirkliche Elend und die tatsächliche Ohnmacht dieses Landes nicht hinweg täuschen. Diese Rolle wurzelte ausschließlich in den unbeschränkten materiellen Möglichkeiten des Romanowschen Imperiums, in dem imposanten Schauspiel dieses Riesen, der sich in der Welt ausbreitete, indem seine Stirne bis zum Pol und die Fußzehen bis zum Kaukasus reichten. Der Krieg hat Russlands slawophile Traditionen erneuert. Das Bürgertum war, wie bereits eingangs ausgeführt wurde, außerstande, eine selbst ständige Ideologie des Weltkrieges aufzustellen. In dieser Beziehung entpuppte sich die russische Bourgeoisie als beschränkte und befangene Nachtreterin des westeuropäischen Imperialismus. Um seinem außerpolitischen Programm eine nationale Übertünchung zu geben, war das russische Bürgertum schon gezwungen, in die alte Rüstkammer des Slawophilismus hinab zu steigen. Dieser Neo Slawophilismus, der am liebsten an Wladimir Solowjew anknüpfen möchte, ging seinerseits von der Idee des russischen Messianismus aus. Aber diese Idee verwandelte sich unter seiner Hand in ein unbeholfenes Gemengsel russischer Denkarmut und imperialistischer Gelüste der jüngeren Generation des russischen Bürgertums. Wenn daher einer von den typischsten Vertretern des Neo-Slawophilismus, N. Berdjaew, — seinen Altvordern zum Vorwurf macht, „ihr Bewusstsein habe Weltperspektiven nicht fassen können", so unterstreicht er aufs augenfälligste die neuere Wendung des Slawophilismus als einer Begründung des modernen russischen Imperialismus.

Dieser Imperialismus erlitt elend Schiffbruch. Und mit ihm alle Versuche, den Leichnam des Slawophilismus zu galvanisieren. Derselbe N. Berdjaew sieht sich gezwungen, diesen Umstand glattweg zuzugeben. „Das russische Volk, — bemerkt er melancholisch, — hatte nicht den Willen, seine Mission in der Welt zu erfüllen, hatte nicht die notwendige Kraft, verübte innerlich Verrat." Damit war jedenfalls der Zusammenbruch des Slawophilismus besiegelt und seinen Vertretern blieb nichts anderes übrig, als sich in ihr Schicksal zu ergeben. Die Oktober-Revolution des Jahres 1917 hat alle Überreste des slawophilen Messianismus aus der Welt geschafft. Sie hat bewiesen, dass Russlands Problem ein Problem des Westens und keineswegs ein Problem des Ostens ist. Wie die Revolution selbst eine Übertragung westeuropäischer politischer Denkmaximen und theoretischer Grundsätze auf Russlands ungeschlachte Massivität war, — ebenso war und ist ihr Schicksal von dem unklaren, noch nicht zum Bewusstsein gekommenen Streben beherrscht, die alte Eigenart der Rückständigkeit restlos abzustreifen und aller Eigenschaften des europäischen Volkstums teilhaftig zu werden.

Die Revolution brachte Russland endgültig auf die breite Landstraße europäischer Entwicklung, schnitt endlich jenes Band durch, welches es bis dahin mit Asien fast unlöslich verknüpfte, und erweckte gewissermaßen seine Europafähigkeit. Nun handelt es sich bloß darum, ob es noch die materielle Möglichkeit haben wird, diese Fähigkeit aus der Potenz in die Wirklichkeit zu erheben.

Hierzu bedarf es anderer Menschen und anderer Methoden. Die Führer der russischen Revolution sind mit allen Wassern der politischen Verschwörungs- und Intrigenkunst gewaschen. Ihre Methoden haben sie dem. Getriebe des europäischen öffentlichen Lebens abgeguckt. Sie haben eine große politische Umwälzung mit unbestreitbarer Geschicklichkeit durchgeführt. Aber, — sofern ihr „Experiment" nicht ein waghalsiges va-banque-Spiel war, bei dem sie sich weniger von dein Interesse Russlands, als vielmehr von der Hoffnung auf einen allgemeinen Kladderadatsch leiten ließen, — sie können es nicht fassen, dass ihre Revolution, die für Russland einen gewaltigen Sprung ins Weite bedeutete, vom europäischen Gesichtspunkt aus nur die Vorbedingungen geschaffen hat, die ein normales bürgerliches Dasein erst möglich machen. (Bürgerlich im Sinne einer gesitteten, d. i. festgefügten, gesetzmäßigen Ordnung.)

Nackt und verhungert ging Russland aus der Revolution hervor. Nun handelt es sich darum, seine Blöße zu bedecken und seinen Hunger zu stillen. Jetzt lernt es den Wert jener ursprünglichen Lebensgüter kennen, die schon längst zum eisernen Bestand europäischer Geschichte gehören. Jetzt heißt es: nicht stehlen, nicht morden, sondern arbeiten und die Welt wohnlich machen. Auf dieses Maß zurückgeführt, erscheint die letzte Wendung der russischen Geschichte in ihrer wahren, in ihrer wirklichen Gestalt.

Ohne Europa muss Russland untergehen. Das ist die endgültige, vielleicht die einzige Lehre der Revolution. In welcher Gestalt Europa nach Russland kommen wird, dieses jetzt voraus zu sagen, wäre Vermessenheit. Aber eines unterliegt keinem Zweifel: welche Gestalt Europa auch immer annehmen mag, um den geheimen Sinn der russischen Revolution zu Verwirklichen, ob die Form ausbeuterischer Kolonisation oder freudiger und freundschaftlicher Arbeitsgemeinschaft, — jedenfalls wird es mit jenem Menschenschlag, welcher bis zur Stunde das aufkeimende Russland verkörpern zu können glaubte, aufräumen müssen. Wahrlich an keinen anderen Fall könnte man das alte, vielberufene Wort von dem Mohren, der seine Arbeit getan habe, mit so gutem Fuge wenden wie an diesen hier.

Anmerkungen zu Plechanows Brief (Seite 46/47).

Diesem Band sollte ursprünglich eine Anzahl von Briefen der russischen Revolutionsvertreter beigegeben werden. Von dem Plan musste Abstand genommen werden, da dieser Briefwechsel eine selbständige Darstellung erheischt, die in einem anderen Zusammenhang gegeben werden soll. Immerhin gebe ich hier und im folgenden einige Autogramme wieder, die wohl als solche Interesse beanspruchen dürften.

Zur Erläuterung des vorliegenden Schreibens sei noch hinzugefügt, dass es sich auf den missglückten Aufstand der Leninisten in Moskau. Dezember 1904, bezieht.

„Unsere Stimme": So hieß die damalige Tageszeitung der Bolschewisten.

L. G Leo Deutsch, der nach Petersburg ging und dort sehr bald nach seiner Ankunft in der Wohnung der Schauspielerin Jamorskaja verhaftet wurde, wie Plechanow nur zu richtig vermutete.

Die Absicht Plechanows selbst, nach Russland zu fahren, ging damals nicht in Erfüllung. Als sich sein Gesundheitszustand so weit gebessert hatte, war die Reaktion bereits eingetreten und jeder Versuch, nach der Heimat zu kommen, musste als aussichtslos und überflüssig verworfen werden. O. B.

Anmerkungen zu Martows Brief (Seite 54/55).

Der „Wissenschaftliche Gedanke" („Nautschnaja Myst"): Marxistische Zeitschrift, die 1908 in Riga unter Mitwirkung von Plechanow, Kautsky, Martow, Dan u. a. erscheinen sollte. Die erste Nummer wurde aber beschlagnahmt, vernichtet, der verantwortliche Redakteur verhaftet, so dass es zur Fortsetzung nicht kommen konnte.

Martow litt besonders stark unter der Unmöglichkeit, sich schriftstellerisch voll auszuwirken. 1909-1910 unternahm er fortgesetzte Versuche, dem übel irgendwie abzuhelfen. Auch die vorliegende charakteristische Handschrift ist dafür ein bemerkenswerter Fingerzeig. G. W: Plechanow.

”Dekondentensäle im Herbstsalon": Bezieht sich auf einen gemeinsamen Besuch der Herbstausstellung im Pariser Salon 1908. Die realistischen Oberzeugungen Martows erlitten schon damals einen Schock. Und doch war es nur ein „Vorgeschmack". Was wird er wohl in den modernen Ausstellungsräumen empfunden haben? O. B.

Anmerkung zu Trotzkis Brief (Seite 86/87).

Diese Zeilen werden aus keinem anderen Grunde als um der Schriftzüge des nachherigen Generalissimus der Roten Armee willen hier wiedergegeben. Sie bedürfen keinerlei Erläuterungen. Es sei denn, dass ihr Schreiber damals die Zeitschrift „Pravda" in Wien herausgab, die den Anlass zu fortwährenden Misshelligkeiten innerhalb der Partei bot. O. B.

Die Zusammenkunft, von der die Rede ist, war rein privaten Charakters.