7. Pawl Jaguschinski

Ein Charakter, der sich nie verleugnet, immer die Wahrheit redet, keine Konvenienzen achtet, seinen Mitbrüdern, seinen Vorgesetzten, und selbst seinem Herrn diejenige Meinung, die ihm nach seiner Überzeugung die richtigste scheint, ohne Hülle vorträgt, ein solcher Charakter verdient gewiss eine allgemeine Verehrung. Die kleinen Flecke, die dem Gemälde den hohen Grad der Vollkommenheit nehmen, verschwinden vor den größeren Verdiensten, oder machen diese nur noch hervorstechender.

Pawl Jaguschinski war im Jahre 1683 in Moskau geboren. Sein Vater, ein Küster der lutherisch-deutschen Gemeinde daselbst, war von Litauischer Herkunft.


1701. In seinem achtzehnten Jahre hatte Pawl das Glück, Petern I. bekannt zu werden, und durch einige geschickte Antworten die Gunst dieses Fürsten zu gewinnen. Bald nachher nahm er die Griechische Religion an. Die Ursache, die ihn zu diesem Schritt bewogen haben mag, können wir nicht angehen. Peter I. gab ihm anfänglich einen Platz in der Reichs-Kanzlei, wo er einige Jahre blieb und mit großem Beifall arbeitete. Der Kaiser, der ihn fast vergessen zu haben schien, erinnerte sich der Brauchbarkeit dieses Mannes, der ihm aufs neue von Menzikow empfohlen wurde, und setzte Jaguschinski unter die Garde, wo er Gelegenheit hatte, dem Monarchen näher bekannt zu werden. Vom Offizier bei der Garde, wurde er Deuschtschik a) bei Peter I. und einer von dessen vertrautesten Lieblingen. Jaguschinski war einer von denen, die im Jahre 1718 das Todesurteil des unglücklichen Czarewitsch, Alexej Petrowitsch, unterschrieben. Damals war er General-Major und Hauptmann von der Garde. Vier Jahre nachher, im Jahre 1722, ernannte ihn Peter I. zum General-Lieutenant, und endlich zum General-Procureur b) im Senat.

a) Deuschtschik war die einzige Art von Hofbedienten, die Peter I um sich hatte, und die wechselweise bei ihm de jour waren. Man könnte sie daher dejourirende Adjutanten nennen. Der Name kommt von dem Russischen Worte: Deu Tag, her. Sie sind noch bei der Armee gebräuchlich.

b) General-Procureur ist dem Range nach der letzte im Senat, aber dem Gewichte nach der Vornehmste. Er sitzt im Senat im Namen des Kaisers, kontrolliert alles, was daselbst geschieht, und hat den alleinigen und entscheidenden Einfluss auf die Entschließungen der Senatoren.


Nach dem Tode dieses Monarchen im Jahre 1725 half er gemeinschaftlich mit Menzikow Catharinen I. auf den Russischen Thron. Diese Fürstin erhob ihn zwar in den Grafenstand, aber wegen eines Streites mit dem Fürsten Menzikow, dem er, wider seine Überzeugung, durchaus nicht nachgeben wollte, verlor Jaguschinski unter der Regierung dieser Kaiserin, seine Stelle als General-Procureur. Demungeachtet blieb er immer im Russischen Staate in großem Ansehen. Der Hof fürchtete ihn, und die Armee zeigte ihm eine allgemeine Liebe und Verehrung.

Während der Regierung Peters II setzte er nur seinen Militärdienst, aber mit einem unübertreffbaren Eifer, fort.

Nach dem Tode dieses Monarchen wurde er ein Mitglied der hohen Versammlung, die über die Thronfolge entscheiden sollte.

Bei der Thronbesteigung der Kaiserin Anna 1730 ließ ihn diese Versammlung arretieren, weil er der neuen Monarchin den Rat gegeben hatte, die ihr vorgelegte Kapitulation zu zerreißen, und gleich, wie ihre Vorgänger, nach ihrem eigenen Willen, ohne Einschränkung zu regieren. Vielleicht nahm er bei diesem Rat auf sich selbst Rücksicht, aber sein Vorhaben schlug fehl. Jaguschinski hätte damals unglücklich werden können, wenn nicht die Kaiserin aus Dankbarkeit ihn sogleich losgegeben hätte. Dies war die erste Handlung, womit Anna ihre Alleinherrschaft bezeichnete. Jaguschinski wurde nun wieder General-Procureur, entzweite sich aber in dieser Würde mit dem Grafen Biron, so dass er sogar den Degen gegen den Liebling der Kaiserin zog. Dies war ein neuer Weg zum Verderben, allein Anna, immer dankbar für den guten Dienst, den ihr Jaguschinski geleistet hatte, suchte den Folgen dieses Streites vorzubeugen, indem sie den General-Procureur zum Gesandten an den Berliner Hof ernannte. Einige Jahre nachher wurde er zurückgerufen und zum Kabinetts-Minister gemacht.

Er starb c) im Jahre 1736, und wurde mit allen militärischen Ehrenbezeugungen im Kloster Newsky begraben, wo man in der ersten Kirche unten, linker Hand, am Eingange ins Kloster noch sein Epitaphium sieht. Am Ende dieser kleinen biographischen Skizze fügen wir eine kurze Beschreibung der solennen Exequien dieses berühmten Mannes bei.

c) Jaguschinski starb in seinem eigenen Hause, das man noch in St. Petersburg sieht. Es steht in der Poststraße und dient dem jedesmaligen Ober-Post-Direktor zur Wohnung.

Damals war Graf Jaguschinski General en Chef, Kabinettsminister, wirklicher Geheimerrat und Ritter des Andreas- und Alexander- d) Newsky-Ordens.

Jaguschinski war einer von denen, in deren Verstände sich Peter I. nicht geirrt hatte, denn er war wirklich ein Mann von außerordentlichen Fähigkeiten. Sein Urteil war sehr richtig, so dass diejenigen von seinen Untergebenen, die er gewählt hatte, gewiss sehr brauchbare Männer waren. Er hatte ausgebreitete militärische Wissenschaften und große Kenntnisse von seinem Vaterlande. Seine Gegenwart des Geistes half ihm in den schwierigsten Fällen, und oft sogar dann, wenn seine Übereilung ihn in Verlegenheit gebracht hatte. Er war sehr tapfer, und scheute kein Ansehen der Person, wenn es darauf ankam, seine Meinung als ein ehrlicher Mann zu erklären. Jaguschinski war es sehr oft, der dem Kaiser, Peter I, mit dürren Worten die Wahrheit sagte, wenn andere sich fürchteten, gegen die zuweilen heftigen Befehle dieses Monarchen Einwendungen zu machen. Bei diesen großen Talenten war Jaguschinski auffahrend und hitzig, und war es noch mehr, wenn er, was in den letzten Jahren fasst täglich geschähe, sich berauscht hatte; ein Laster, das, sozusagen, ein notwendiger Bestandteil der Sitten seines Zeitalters war, und das leider diesen großen Minister oft zu den größten Ausschweifungen verleitete.

Jaguschinski war zweimal verheiratet.

Mit seiner ersten Gemahlin, deren Familiennamen wir nicht kennen, zeugte er Kinder, lebte alsdann in Unfrieden mit ihr, und verstieß sie mit Peters I. Bewilligung.

Er heiratete hernach eine Gräfin Golowkin, die nach seinem Tode sich mit dem Oberhofmarschall Grafen Michael Bestuschew vermählte und höchst unglücklich e) wurde. Von dieser Gemahlin hatte Jaguschinski, so viel wir wissen, einige Töchter.

d) Der Alexander Newsky-Orden war zwar von Peter I. gestiftet, wurde aber erst von Catharina I. im Jahre 1725 ausgeteilt. Er ist der zweite im Range und wird an einem roten Bande getragen.

e) Wir werden Gelegenheit haben, von dem traurigen Schicksale dieser Dame in dem Leben des Generals Berger zu sprechen.


Ein Sohn aus der ersten Ehe starb schon im Jahre 1724.

Ein zweiter Sohn von ihm, Sergej, wurde in verschiedenen Regierungen in Geschäften gebraucht. So war er z. B. im Jahre 1764 ein Mitglied der Kommission, die nach der Ermordung des ehemaligen Kaisers Joan Antonowitsch die Untersuchung gegen den unglücklichen Mirowitsch f) anstellen musste. In der Folge musste Sergej seinen Abschied nehmen, und wurde, wegen übertrieben schlechter Verwaltung seines Vermögens, im Alter pro prodigo erklärt. Er war General Lieutenant, Kammerherr und Ritter des Annen-Ordens g), und lebte noch im Jahre 1799. Ob er Kinder hinterlasse, oder hinterlassen habe, wissen wir nicht.

Eine Tochter erster Ehe heiratete einen Knées Gagarin, und wurde in das Unglück ihrer Stiefmutter verwickelt, aber sogleich losgegeben.

Die älteste Tochter zweiter Ehe wurde ebenfalls mit ihrer Mutter arretiert.

f) Von dieser Begebenheit wird an einer andern Stelle In diesem Buche gesprochen werden.

g) Carl Friedrich von Holstein, der Vater Peters III, stiftete den Annen-Orden Im Jahre 1735 zum Andenken seiner Gemahlin, Anna Petrowna. Der Annen-Orden war das Einzige, was Paul I, als Großfürst, von seiner Souveränität von Holstein übrig behielt. Er teilte ihn als Großmeister aus, und als er Kaiser wurde, machte er ihn zum Militär-Orden und teilte ihn in verschiedene Klassen. Das Band ist rot mit gelber Einfassung. Dieser Orden hat, nebst dem Danebrog-Orden, das Sonderbare, dass der Stern auf der rechten Seite getragen wird.


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Kurze Beschreibung h) von den solennen Exequien S. E. des Herrn Generals en Chef und Kabinetts-Ministers, Grafen von Jaguschinski, welche den 28ten April 1736 in St. Petersburg gehalten worden.

h) Wörtlich von einer gleichzeitigen Handschrift abgeschrieben.

Nachdem der Leichnam etliche Tage öffentlich in Parade gelegen, und auf den 28ten April durch einen General-Auditor-Leutnant und einen Capitain von der Garde alle in- und ausländische Ministers, nebst allen andern Personen von Distinktion, invitiert worden, versammelte sich der Kondukt früh Morgens gegen 9 Uhr in dem Haus des verstorbenen Herrn Grafen, aus welchem der Zug nach dem Kloster des heiligen Alexandri Newski, ungefähr in folgender Ordnung geschähe:

200 Mann von der Kaiserlichen Garde zu Pferde,
das Ingermannlandische Regiment,
das St. Petersburgische Garnison-Regiment,
3 Fouriers zu Pferde,
4 Pauker,
12 Trompeter,
2 Fähndrichs mit dem Gräflichen Wappen,
1 Lieutenant mit der roten Fahne,
1 Stallmeister,
6 Trauerpferde,
3 Marschalls,
die Russische und Deutsche Kaufmannschaft,
2 Marschalls,
die Offizianten aus verschiedenen Collegiis,
2 Majors als Marschalls,
1 in Freudenharnisch gewaffneter Ritter,
1 Lieutenant mit der weißen Fahne, in welcher der verzogene Gräfliche Name,
ein schwarz geharnischter Mann zu Fuße,
1 Fähnrich mit der schwarzen Fahne,
1 Trauer-Pferd, der Kirchen-Chor,
2 Obristen als Marschalls,
die sämtliche Russische Geistlichkeit,
1 Brigadier und
2 Obristen als Marschalls, diesen wurden nachgetragen:
das Casquet,
die Handschuhe,
die Sporen,
der Degen,
der Alexander-Orden,
der Andreas-Orden,
der Kommando-Stab.
Sämtliche Insignia lagen auf rot samtenen mit goldenen Tressen und Quasten besetzten Kissen, die jedesmal ein Brigadier, Obrister oder Major nebst 2 Assistenten trug.
Auf den Seiten gingen Soldaten mit brennenden weißen Wachskerzen, an welchen ein kleiner Schild mit dem verzogenen Gräflichen Namen angeheftet war,
3 Brigadiers als Marschalls,
6 Unteroffiziers vom Kadetten-Korps,
der Leichenwagen, so von 6 verkleideten Pferden gezogen wurde, über selbigen wurde ein mit schwarzem Sammet und silbernen Tressen besetzter Baldachin von 12 Capitains und Majors gehalten, neben welchen Obristen gingen,
8 Unteroffiziere vom Kadetten-Corps,
1 General-Major als Marschall,
2 Adjutanten,
die übrigen invitierten Leichenbegleiter,
3 bezogene sechsspännige Trauerwagen, in welchen die Leidtragenden, weiblichen Geschlechts, saßen,
1 Fourier zu Pferde,
1 Escadron von der Leibgarde zu Pferde.
Während der Prozession wurde alle Minuten von der Festung eine Kanone gelöst.

Die Gruft war auf Ihro Kaiserliche Majestät Erlaubnis in der Kirche des erwähnten Klosters, wohin sonst nur die Leichen des Kaiserlichen Hauses begraben werden, zubereitet.

Bei der Einsenkung wurde, nach militärischem Gebrauch, von den obgesetzten Truppen aus dem kleinen Gewehr eine dreifache Salve gegeben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Russische Günstlinge.