4. Peter Schaphirow

Hätte Peter I auch nicht so unendlich viel Großes bewirkt, als er wirklich getan hat, so verdiente er doch schon deswegen die Bewunderung seiner Zeit und der Nachwelt, dass er den feinen Takt hatte, aus allen Ständen, und selbst aus den Niedrigsten im Volke, die Klügsten und die brauchbarsten auszusuchen, und ihnen diejenige Bestimmung zu geben, in welcher sie den wesentlichsten Nutzen stiften konnten. — Doch um das richtige Gemälde dieses außerordentlichen Monarchen zu vollenden, müssen seine Biographen auch seine Schwächen nicht vergessen. Unter diese gehört besonders die Übereilung. Aus ihr entsprang zuweilen der Undank; ein Fehler, der nur zu oft bei Fürsten gefunden wird, die sich den ersten Regungen des Zorns überlassen. In dieser heftigen Stimmung bemächtigen sich ihrer die aufmerksamen Bösewichter, die sich in ihrer Umgebung befinden, und welche Privatzwist sehr geschickt in Staatsverbrechen umzuschaffen wissen. So geschieht es denn, dass die besten Fürsten, von den Launen des Augenblicks bemeistert, die Dankbarkeit vergessen, die sie ihren treuesten Dienern schuldig sind, und auf diese Art ihren Ruhm in dem Verstände der Gegenwart und der Zukunft kompromittieren.

Peter Schaphirow war ursprünglich ein Jude. Sein Vaterland wissen wir nicht eigentlich; doch war er wahrscheinlich aus Holland, wo ihn auch Peter I fand, und ihn von dort nach Russland brachte. Hier wurde er in der Griechischen Religion getauft; der Monarch vertrat Taufvaterstelle bei dieser feierlichen Handlung, und gab ihm seinen Taufnahmen Peter. Wahrscheinlich erhielt er auch bei dieser Gelegenheit, wir wissen nicht durch welche Veranlassung, den Familiennamen Schaphirow.


Gleich anfänglich bekam der junge Proselyt eine unbedeutende Stelle in der Reichs -Kanzlei, wohin ihn der Monarch nur setzte, um zu sehen, ob er sich nicht in dessen Fähigkeiten geirrt hatte. Der Erfolg entsprach Peters Erwartung. Schaphirow blieb nicht lange auf diesem Platze. Sein richtiger und durchdringender Überblick, seine genaue Beurteilungskraft, und seine große Lebhaftigkeit in Ausrichtung der ihm erteilten Aufträge halfen ihm bald zu großen Ehrenstellen. Im Jahre 1711 besorgte er im Russischen Ministerio die Deutschen Angelegenheiten, für welche Peter I, der selbst gern Deutscher Reichsfürst werden wollte, das größte Interesse zeigte. In eben diesem Jahre 1711 war er als Vize-Kanzler mit dem Kaiser am Pruth. Nachdem Catharina, Schaphirow und Ostermann über die Rettungsmittel aus der fürchterlichen Lage einig geworden waren, und dieselben schon zusammengebracht hatten, gingen diese beiden großen Minister in das Türkische Lager zu dem Groß-Vezier, brachten ihm unermessliche Geschenke, und vollendeten die Rettung durch ihre Überredungskunst. Gegen Abtretung der Stadt Asow durfte nun die Russische Armee abziehen. Schaphirow musste als Geisel mit nach Konstantinopel gehen, bis der Traktat erfüllt war. Da er sich daselbst in einer Art von Gefangenschaft ohne Geschäfte befand, so nutzte er diese Muse, um sich in der Italienischen Sprache zu vervollkommnen.

Er war alsdann noch Russischer Gesandter am Türkischen Hofe, den er in den ersten Monaten des Jahres 1714 verließ, um nach Petersburg zurück zu gehen. Hier wurde er, jedoch nur vom Kaiser, mit Freuden empfangen. Dieser Monarch machte ihn in dem nämlichen Jahre zum wirklichen Geheimen-Rat und gab ihm den Andreas-Orden.

Von dieser Zeit an hatte er die größte Mühe, sich in der Gunst des Monarchen zu erhalten. Seine Feinde, die er in Menge hatte, und unter denen sich Männer vom größten Gewicht befanden, konnten ihn nicht stürzen, so lange der Kaiser von seiner großen Brauchbarkeit überzeugt war. Dieser Monarch fuhr fort, noch lange ein unverändertes Vertrauen in ihn zu setzen. Schaphirow war einer von denen, die im Jahre 1718 das Todesurteil des Czarewitsch unterschrieben. Peter vertraute ihm die wichtigsten, verwickeltsten und weitläufigsten Geschäfte an. So machte er ihn z. B. zum Generalpostmeister im Russischen Reiche; eine Stelle, die wegen der ursprünglich zu machenden Posteinrichtungen in den Hauptprovinzen Russlands mit großer und schwieriger Arbeit verbunden war.

Wenig Russische Minister haben um das Reich und um die Person des Souverains so ausgezeichnete Verdienste gehabt, als Schaphirow. Peter blieb nur noch kurze Zeit davon überzeugt. In dem Falle, wo er das meiste Vertrauen auf den Baron Schaphirow hätte zeigen und ihn gegen die Anschläge seiner Feinde schützen sollen, vergaß er den Dank, den er diesem großen Staatsmanne schuldig war. Die Hauptursache von Schaphirows Unglück waren Privatuneinigkeiten zwischen ihm und Menzikow. — Sie waren von jeher die erklärtesten Feinde gewesen, und hatten sich oft in Beisein mehrerer Personen die härtesten Vorwürfe gemacht. Bei diesen Zänkereien war Schaphirow immer viel beißender gewesen, als Menzikow. Einst sagte der Vize-Kanzler dem Fürsten, wenn Menzikows Neid ein Fieber wäre, das er andern mitteilen könnte, so würde gewiss kein reicher Russe mehr leben. Solche Szenen waren fast täglich vorgefallen, und hatten Menzikows Rachegier auf den höchsten Grad getrieben. — Jetzt fand sich Veranlassung, diese Rache auszuüben. Es entstanden nämlich während des Feldzugs Peters I nach Persien im Jahre 1722 zwischen Schaphirow und Menzikow Streitigkeiten in Regierungsgeschäften. Man ist den bekannten bessern Gesinnungen des Baron Schaphirow die Vermutung schuldig, dass in diesem Zwiste das Recht mehr auf seiner als auf Menzikows Seite war. Doch wusste dieser durch seine klugen und boshaften Insinuationen, welche die Kaiserin mit ihrem ganzen Ansehen unterstützen musste, den Monarchen nach seiner Zurückkunft im Jahre 1723 ganz wider Schaphirow einzunehmen. Die Wirkung davon war so heftig, dass Peter sich ganz vergaß. Selten hatte man ihn so wütend gesehen als bei dieser Gelegenheit. Catharinens und Menzikows Scheingründe hatten ihn so irre geleitet , dass er den Baron Schaphirow durchaus für ganz schuldig hielt. Er ließ diesen großen Staatsminister arretieren und ihm Orden und Degen abnehmen. Alsdann wurde er vor ein Gericht geführt, und nach einer kurzen Untersuchung, die Menzikow zu dirigieren wusste, zum Tode verurteilt. Schaphirow hatte, so ward er beschuldigt, Gelder entwendet, Handschriften nachmachen lassen, und das Postwesen vernachlässigt. Auf einem schlechten Schlitten brachte man ihn auf den Richtplatz, wo er geköpft werden sollte. Schon lag einer der ersten Köpfe im Staate auf dem Balken, um durch eine Trennung vom Körper aus der Reihe der Lebendigen verdrängt zu werden, als der Kabinettssekretär Makarow Pardon rief, und dem Unglücklichen ankündigte, dass er in das Exilium gehen sollte. Schaphirow, der nun schon einmal den Todesstreich erwartet hatte, war über diesen Pardon nicht erfreut, und hätte den Tod dem kümmerlichen Leben, das nun folgen sollte, gern vorgezogen.

Als ihn dieses Unglück traf, war Baron Schaphirow wirklicher Geheimerat, Reichs-Vizekanzler, Generalpostmeister und Ritter des Andreasordens.

Es hatte den Ruf eines Mannes von durchdringendem Verstand und von großen zur Staatswirtschaft gehörigen Kenntnissen. Schaphirow war ein vortrefflicher Vizekanzler, und ob er sich gleich gegen seine Untergebenen und selbst gegen Personen, die seines Gleichen waren, zuweilen den ersten Aufwallungen des Zorns überließ, so fanden doch bald nachher gründliche Vorstellungen bei ihm Eingang. Sein gegebenes Wort brach er nie, und redete immer die Wahrheit, daher die fremden Minister lieber mit ihm als mit jedem andern in Unterhaltungen waren.

Menzikow konnte nach Peters I Tode nicht verhindern, dass Catharina I auf dringendes Bitten des Herzogs Carl Friedrichs von Holstein, Schaphirow aus der Verbannung wieder an den Hof kommen ließ. Sie gab ihm die Freiherrnwürde wieder und schenkte ihm den goldenen Degen Peters I, als man in den Konfiskationsmagazinen den von Schaphirow nicht finden konnte. Die Kaiserin bot ihm auch sein schönes Haus*) auf der Petersburger Insel wieder an, das während seiner Abwesenheit im Jahre 1712 zu bauen angefangen worden war, aber er schlug es aus, weil, wie er sagte, seine schlechten Vermögensumstände es nicht gestatteten, ein so prächtiges Palais zu bewohnen. In der Folge aber nahm er es doch wieder an, und bewohnte es auch. Menzikows Ansehen war doch noch so groß, dass Catharina nicht wagte, den Baron Schaphirow in wichtigen Posten anzustellen. Sie errichtete eben damals ein Kabinetts-Conseil, in welchem er gewiss auf seinem Platze gewesen wäre, aber er wurde nicht dazu ernannt. Sie machte ihn zum Präsidenten des Commerz-Collegiums. Bald nachher musste er nach Archangel in Handelsangelegenheiten gehen, und namentlich um dem Walfischhandel eine vorteilhaftere Einrichtung zu geben; ein Auftrag, der weit unter den Talenten dieses großen Mannes war. Von seinen übrigen Ehrenstellen erhielt er keine wieder, auch den Orden nicht, wenigstens steht er nicht unter den Rittern in einem Verzeichnisse des Russischen Hofstaates unter Peter II.

*) Es ist wahrscheinlich das nämliche, welches nachher der Akademie der Wissenschaften gegeben wurde.

Das Todesjahr des Baron Schaphirow ist uns unbekannt; doch scheint er zur Zeit der Kaiserin Anna gestorben zu sein.

Wer Schaphirows Gemahlin gewesen ist, wissen wir nicht, wohl aber, dass er einen Sohn und fünf Töchter hinterließ.

Nachdem der Vater wieder zu Gnaden aufgenommen worden war, erhielt auch der Sohn Ehrenstellen bei Hofe. Es ist uns unbekannt, ob derselbe männliche Nachkommen hinterlassen habe; wir erinnern uns aber nicht, jemals am Hofe oder bei der Armee in Russland einen Schaphirow nennen gehört zu haben.

Eine Tochter heiratete einen Knees Gagarin, dessen Vater gehenkt worden war. Sie wurde die Mutter der Gräfin Matjuschkin und der Knejina Gohlizin. Die Gräfin Matjuschkin war erste Staatsdame der Kaiserin Catharina II, und endlich Oberhofmeisterin am Hofe der Kaiserin Maria Feodorowna, Gemahlin Pauls I und Mutter Alexanders I. Sie war auch Dame des Catharinen Ordens und lebte noch im Jahre 1799. Ihre Tochter, die vor ihr starb, hatte einen Polnischen Grafen Wielhorski geheiratet. Die Fürstin Golizin war auch Staatsdame der Kaiserin Catharina II, und die Gemahlin des Feldmarschalls Knees Golizin, der sich im ersten Türkenkriege unter der Regierung dieser Kaiserin rühmlichst bekannt gemacht hat. Sie war eine sehr ehrgeizige, aber äußerst kluge und lebhafte Dame. Sie sprach mit großer Freimütigkeit von allem, was am Hofe vorging und von ihrer Familie. So erzählte sie, dass ihre Mutter als ein ganz junges Mädchen von Peter I eine derbe Erinnerung bekommen habe, weil sie nicht aus einem Pokale trinken wollte, in welchem, außer dem Getränke, noch ein widerstehender Liquor war. — Sie versicherte sehr drollig, dass in ihrer Familie alle Leibesstrafen zu finden wären, die unter polizierten Völkern gebräuchlich sind, als: aufknüpfen, köpfen, rädern, spießen, knuten und dergleichen.

Eine andere Tochter des Baron Schaphirow vermählte sich mit einem Knees Chowansky, und wurde, wenn wir nicht irren, die Mutter der Knejina Borjatinsky, Gemahlin des Knees Borjatinsky *), der bei der Ermordung Peters III ein Geschäft hatte.

Eine dritte Tochter wurde die Gemahlin eines Grafen Gollowin.

Eine vierte heiratete einen Knees Dolgorucky.

Das Schicksal der fünften Tochter des Baron Schaphirow wissen wir nicht. In den zwanziger Jahren war sie noch nicht verheiratet.

*) Von ihm wird an einem andern Orte etwas gesagt werden. — Von den übrigen in diesem Artikel vorkommenden Personen wissen wir nichts Umständliches zu sagen.

Noch hatte Baron Schaphirow einen Bruder, den er aus Holland hatte nach Russland kommen lassen. Er wurde nicht einmal in den Adelstand erhoben, und im Jahre 1719 war er nur in der Reichs-Kanzlei geheimer Sekretär. Er scheint keine Talente gehabt zu haben, weil ihm sein Bruder keine wichtigere Stelle anvertraute. Ihn können wir nicht in die Zahl der Emporkömmlinge aufnehmen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Russische Günstlinge.