Russische Gebräuche. I. Die Taufe.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 6. 1871
Autor: F. C. Sch., Erscheinungsjahr: 1871

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russen, Russland, Kirche , Glauben, Sitten, Bräuche, Religion, Taufe, Zeremonien, Gebräuche, Pope, Täufling, Priester
Die russische Kirche ist sehr reich an Zeremonien und Festen und begleitet den Gläubigen in allen Verhältnissen des Lebens von der Geburt bis zum Grabe mit bestimmten äußerlichen Gebräuchen, welche den Sinnen die Erhabenheit und Heiligkeit des unveränderlichen Dogmas zum Bewusstsein zu bringen bestimmt sind. Auf unserem Bild haben wir jene kirchliche Handlung unseren Lesern vorgeführt, wodurch der russische Ritus den neugeborenen Menschen in die Gemeinschaft der Gläubigen aufnimmt.

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Die Russen lassen ihre Kinder bald nach der Geburt taufen. Der Priester oder Pope begibt sich nach der Geburt sofort zur Wöchnerin, betet zu Gott für ihre Gesundheit und segnet den Sprössling. In der Regel acht Tage später wird die feierliche Taufe entweder in der Vorhalle der Kirche oder im Hause vollzogen. Die Zeremonie selbst hat viele Ähnlichkeit mit der katholischen Taufe, wie denn die griechische Kirche gar viele Gebräuche beibehielt, als sie sich von der römischen trennte. Der russische Täufling, so will es die Sitte, hat zwei Taufzeugen, einen Paten und eine Patin. Die letztere hält den in feines Linnen gewickelten jungen Weltbürger auf den Armen, der Pate steht rechts neben ihr. Der Pope nähert sich nun dem Täufling, schlägt das Linnen zurück und wendet das Kind gegen Osten, bläst ihm in das Gesicht und bekreuzigt ihm Stirn, Mund und Brust, verkündigt mit lauter Stimme den Namen des neuen Christen und spricht dreimal die gegen den bösen Feind gerichtete Beschwörungsformel. Ist der böse Geist auf diese Weise ausgetrieben, so dreht sich der Pope nach Westen und fragt die Taufpaten, ob sie an des Neugeborenen statt, alle Gemeinschaft mit dem Satan für die Zukunft abschwören wollen, worauf diese durch Blasen, Räuspern und Ausspucken ihre Verachtung aller Verführungskünste und Werke des Teufels kund tun. Nun folgt eine Prozedur, welche unseren Damen wohl etwas barbarisch vorkommen dürfte und die meisten zärtlichen Mütter würden wahrscheinlich gegen dieselbe protestieren. Nachdem das zu der Taufe zu verwendende Wasser gesegnet ist, besprengt der russische Priester das Kind nicht etwa, wie dies bei den meisten christlichen Kirchen mit Ausnahme der schottischen geschieht, nur mit einigen Tropfen Wasser, sondern er taucht es dreimal, im Namen des Vaters, des Sohnes und Heiligen Geistes mit dem ganzen Körper in das gefüllte Becken. Wenn auch ein oder der andere Pope es damit vielleicht nicht so genau nimmt, so wird doch, besonders auf dem Lande, meistens der Säugling ganz untergetaucht. Nun übernimmt der Pate den zappelnden Täufling und hält ihn fest, während der Pope denselben mit dem heiligen Öle salbt und am Wirbel des Kopfes die Haare abschneidet, so dass die kahle Stelle ein Kreuz bildet. Die Russen scheinen demnach einen starken Haarwuchs zu besitzen, bei uns kommt es häufig vor, kocht Tage alte Kinder fast noch kahlhäuptig sind.

Nun, wir wollen annehmen unser junger Russe habe alle bis jetzt geschilderten Vorgänge vorschriftsgemäß bestanden; denn jetzt erst kann die feierliche Prozession um das Taufbecken beginnen. Nach diesem Rundgange nimmt die Patin den Täufling wieder in Empfang und nun reicht der Pope demselben das Abendmahl in beiderlei Gestalten, wie es die russische Kirche bestehlt, wobei er sich eines goldenen Löffels bedient. Jetzt erst ist die Taufe zu Ende und den vielen Verwandten und Gästen nach zu schließen, welche auf unserem Bilde Seite 40 der heiligen Handlung zusehen, wird nun vermutlich ein kleines Familienfest, ein leckerer Schmaus stattfinden, bei welchem die Versammelten den kleinen Iwan oder Nikolaus oder wie er heißen mag, hochleben lassen. Die glückliche Mutter aber trägt das Kind, 40 Tage nach der Geburt, in die Kirche und legt es an der heiligen Türe nieder, welche den Tempel von dem innersten Hofraume abschließt, den nur die Priester betreten dürfen. Der Pope holt dort seinen Täufling, umschreitet mit ihm dreimal den Altar, indem er die sogenannte Cantate der Reinigung absingt, worauf die Mutter das Kind nach Hause trägt, in dem frommen Glauben, dass durch diese zweite „Einsegnung“ nunmehr das Kind vor allem Zauber und Einflüsterungen des Bösen geschützt sei, in so lange Niemand im Hause das Gebot Gottes verletze. Die gemeinen Russen sind sehr abergläubisch und fühlen sich niemals ganz sicher vor dem Satan, so vielfach sie sich auch gegen seine Ränke zu schützen suchen. Die niedere Geistlichkeit der russischen Kirche ist sehr unwissend, sehr schlecht besoldet und größtenteils auf bauliche Beschäftigung angewiesen, und ist daher an Bildung dem Bauer nur sehr wenig überlegen; wo der Pope den Aberglauben des Volkes nicht teilt, hütet er sich doch, demselben entgegenzuwirken, da auf Teufelsaustreibung und der Macht, böse Geister zu bannen, welche der Priester nun einmal nach dem Volksglauben besitzt, sein Ansehen hauptsächlich beruht. Über die wahrhaft törichte Gespensterfurcht der gemeinen Russen wollen wir unsere Leser ein anderesmal unterhalten.

Russland - Sitten - Eine russische Taufe

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