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»Und darum eben«, schloß der Geheimrat.

In seiner ganzen Würde hatte er sich erhoben und gesprochen. Char­lotte hatte ihn nie so gesehen. Der Zorn strömte über die Lippen, bis vor dem Redefluß des Kindermädchens allzeit fertige Zunge verstummte. Sie war erschrocken zurückgetreten, bis sie sich selbst verwundert an der Türe fand; aber der Geheimrat schritt noch in der Stube auf und ab.


Charlotte hatte leise zu weinen angefangen – »Aber Herr Geheimrat, um solche Kleinigkeit!«

»Eine Kleinigkeit, die Angst besorgter Eltern um Ihre Kinder! – Fünf Stunden von Hause fort, ohne eine Sterbenssilbe mir zurückzulassen, und die Kleinen mitgenommen, ohne um Erlaubnis zu fragen!«

»Herr Geheimrat«, schluchzte sie, »haben nie nachgefragt, ich weiß auch gar nicht, warum jetzt!«

»Schweige Sie!« fuhr der Hausherr fort. »Sie hat kein Einsehen, keine Moralität. Sie mißbraucht meine Güte. Sie muß aus meinem Hause. Es haben sich schon viele gewundert, daß ich Sie noch behielt. Aber Sie schlägt mit Ihrer Unverschämtheit den Boden aus dem Faß. Versteht Sie mich! Ein Glück noch, daß wir vom Viertelkommissar erfuhren, daß Sie zur Exekution hinaus war, wir hätten sonst gar nicht gewußt, wo Sie geblieben war.«

»Wenn das die selige Frau Geheimrätin wüßte«, schluchzte das Mädchen, »das war eine seelensgute Frau. Und wie oft hat sie gesagt: ›Wenn wir nicht wären, mein Mann kümmert sich gar nicht um die Kinder.‹ Ja, das hat sie gesagt, nicht einmal, hundertmal. Und haben Herr Geheimrat jetzt auch nur einmal nach den Kindern gefragt? Das eben aber sagten die selige Frau Geheimrätin: ›Er hat kein Herz für sie!‹ Und es war eine Frau, so sanft wie die himmlische Güte und viel zu gut für diese Welt, und wer nur ihre stillen Tränen gesehen hat, die sie nachts vergoß, und darum nahm der liebe Gott sie zu sich, und sie würde sich im Sarge um­drehen, wenn sie wüßte, daß Herr Geheimrat mir darum solchen Affront antun.«

Charlotte mußte die schwache Seite des Hausherrn kennen. Er wandte sich um und fuhr mit dem Taschentuch über das Auge, ob um eine Träne abzuwischen oder die Verlegenheit zu verbergen, laß ich ungesagt. An der Wand hing das Bild der Verewigten, in sehr abgeblaßten Wasserfarben gemalt, ein ebenso abgeblaßter Immortellenkranz darum. Darunter hing eine andere Schilderei, eine Urne mit einer Trauerweide. Ein Genius senkte eine Fackel. Das Bild war auf Pappe gezogen, und wenn man näher hinzusah, bemerkte man, daß in der Urne ein Medail­lon angebracht war, in welchem einige blonde Haare zu einem Namenszuge sich verschlangen. Der Geheimrat nahm es heraus und drückte es an seine Lippen.

»Oh du Unvergeßliche!« sagte er, noch einmal mit dem Tuch über die Augen fahrend. Sein Zorn war gewichen; in weicherem Tone fuhr er fort: »Aber Charlotte, wie oft habe ich Ihr gesagt, Sie soll mich nicht immer daran erinnern. Ein Mann in meiner Stellung darf sich nicht den Gefühlen hingeben. Aber Sie weiß das wohl, Sie braucht mich nur an die selige Gute zu erinnern, so tritt mir's in die Augen. Sie führt sich auf, als wenn Sie die Hausfrau wäre – und ist doch nur eine – Sie ist eine –«

Dem Geheimrat war jetzt wirklich etwas in die Augen getreten, was er daraus fortzuwischen suchte und darüber in Heftigkeit geriet. Es war der dicke Staub aus der Schilderei, als er das Medaillon mit Gewalt wieder in seine Umfassung zu drücken bemüht war. Je mehr er im Ärger drauf-schlug, so dichter puderte es ihm ums Gesicht. »Aus dem Haus muß Sie, daß Sie's weiß«, schloß er, mit den Augen beschäftigt, aus denen jetzt wirkliche Tränen, aber nicht der Rührung, sich preßten.

»Ja, Herr Geheimrat, das werde ich auch, sobald Sie es befehlen«, sagte Charlotte, die ihrerseits die Ruhe wiedergewonnen hatte. »Denn ich kenne meine Schuldigkeit. Aber erst werde ich vors Hallesche Tor gehen, aufs Grab der seligen Frau Geheimrätin, und die Kinder nehme ich mit. Da werde ich mit ihnen weinen, und sie sollen die kleinen Hände falten und ihre Mutter bitten, daß sie ihnen einen lieben Engel vom Himmel schickt, der sie in Schutz nimmt. Denn wissen Sie noch, Herr Geheimrat, wie die selige Frau Geheimrätin auf dem Totenbette lagen! Kreideweiß das Gesicht! ›Ach Jesus, was wird aus meinen Kindern!‹ Ja, das hat sie gesagt!«

»Charlotte!« sagte der Geheimrat, »Sie weiß, daß ich meine selige Frau innigst geliebt habe, aber die Welt gehört den Lebendigen, sagt der Dichter, und die Toten soll man ruhen lassen.«

»Die selige Frau Geheimrätin sollen wohl Ruhe haben, wenn sie aus dem Grabe sehen, wie's hier oben zugeht! Die Frau Geheimrätin, Ihre Schwägerin, kommt auch nicht umsonst wieder so oft ins Haus. Aber ich werde mich wohl hüten und mir die Zunge verbrennen wie damals und sagen, was ich denke. Aber was die selige Frau Geheimrätin denkt, wenn die Geheimrätin Schwägerin den Kleinen Zuckerbrot bringt und sie über den Kopf streichelt, das weiß ich.«

»Meine Schwägerin ist eine sehr respektable Frau, Charlotte.«

»I Herr Jesus, wer redet denn auch gegen sie! Aber den Blick vergeß ich nicht, auf ihrem Totenbett, wie die selige Frau zurückschauerte: ›Ach, wie sieht sie die Kinder an!‹ sagten sie, nämlich die Frau Geheimrätin auf dem Totenbett. Und so riß sie die Kinder an sich, und dann sagte sie: ›Ach, sie hat so spitze Finger!‹«

»Das waren Visionen, sie war im hitzigen Fieber.«

»Aber die Frau Geheimrätin Schwägerin verkniffte ordentlich den Mund und sagten: ›Mein Gott, als ob ich mich um die Bälger risse!‹ Und dann sagte die Sterbende, und da war sie nicht mehr im Fieber: ›Die Charlotte, die hat wenigstens ein weiches Herz!‹ – Und da hatte die Se­lige recht, und ich habe die Kinder liebgehabt, als wenn's meine eignen wären, und wenn's nicht die Kinder wären, i, da wäre ich ja schon längst aus dem Hause, wo man so mit mir umgeht.«

Dem Geheimrat schien unangenehm zumute zu werden, da Charlotte in einen Tränenstrom ausbrach, der nicht mehr zu stillen schien.

»Es war auch nicht so gemeint«, sagte er endlich. – »Sie soll ja nicht auf der Stelle fort – ich meinte nur –«

»Es werden sich schon andre finden – oh, das weiß ich –, ich weiß auch wer. Und wenn die Selige das von oben sieht, wie die Schwägerin mit ihren spitzen Fingern die Kleinen liebkost, dann wird sie nachts vor Herrn Geheimrats Bette treten, und was sie ihn dann fragen wird –«

»Halte Sie doch das Mau –! Charlotte – liebe Charlotte, Sie ist echauf­fiert.«

Das Kindermädchen war echauffiert, es ließ sich nicht in Abrede stellen. Es waren auch Gründe dafür.

Aber der Herr Geheimrat liebte nichts Echauffiertes, nämlich wenn es ihn in seiner Ruhe inkommodierte. Er suchte sie zu beruhigen; er erklärte die Kündigung für eine Aufwallung, ein Echauffement. Indem er sagte, solche Dinge müsse man bei kaltem Blute überlegen, schob er den Stein des Anstoßes etwas weiter auf den Weg.

Da schien ein Friede geschlossen, wenigstens ein Waffenstillstand; Charlotte weinte nur noch still, der Geheimrat seufzte und mochte wieder an anderes denken, als er sich erkundigte, was denn die Kinder machten. Gleich darauf fiel ihm noch etwas anderes ein.

»Aber, Charlotte, sage Sie, wie kam Sie nur darauf, und mit den Kindern! vors Tor zu laufen, dahin! Eine Hinrichtung ist ein unmoralisches Vergnügen, habe ich Ihr das nicht oft vorgestellt, es ist gegen die Huma­nität, ein Schauspiel, woran nur der rohe Pöbel Vergnügen finden kann.«

»Sie haben schon ganz recht, Herr Geheimrat, aber Sie hätten die Person sehen sollen, die Mariane; ganz schlohweiß war sie, vom Kopf bis zum Fuß, und wie sie die Augen niederschlug, die Hände hielt sie so vor sich gefaltet! Und der Herr Prediger saß neben ihr, und noch oben sprach er mit ihr, und dann küßte sie ihm die Hand und knickste noch einmal vorher gegen uns alle. Und die vornehmsten Herren in Tränen. Ach, Herr Geheimrat, es war Ihnen etwas, ich sage Ihnen, es ging einem durch Mark und Bein, und manche dachten, ach, wenn du doch auch so sterben könntest, so den Herrn Prediger neben sich und ganz weiß, und Blumen, und die Putzmacherin, Mamsell Guichard an der Stechbahn, hatte ihr ein Tuch mit Spitzen geschenkt, und die vornehmsten Personen weinten. Und ich habe sie auch gekannt, die Mariane, und ehedem war sie keine schlechte Person.«

»Sie hat mir davon erzählt. Aber nun ist sie eine Kindesmörderin.«

»Und das ist schlecht von ihr, Herr Geheimrat; das wird auch kein Mensch abstreiten. Und wir haben's ihr alle vorhergesagt. An solchen Kerl sich zu hängen! Er war noch nicht einmal königlicher Stallknecht, da konnte er noch lange dienen. Und wenn er's geworden, ob er sie dann geheiratet hätte! ›Wenn's denn doch einmal sein sollte, wär's nur ein anständiger Herr gewesen‹, sagte ihre Tante. Der hätte doch fürs Kind be­zahlt, und wenn er nicht wollte, da ist das Stadtgericht! Das weiß ich ja von meiner Kusine. ›Heiraten oder bezahlen!‹ sagten der Herr Präsident. Da hat er auch gezahlt, jeden Ersten, der Herr Hoflackierer, und wenn's bis zum Dritten nicht da war, auf der Stelle Exekution, jeden Monat. Beim zweiten hat er sich gar nicht erst verklagen lassen. Gleich gezahlt, oh, 's ist ein sehr reputierlicher Herr, das muß man ihm nachsa­gen, und wenn's dritte kommt, wer weiß, ob sie dann nicht schon unter der Haube ist. Denn seine Alte wird's ja nicht mehr lange machen, die hat er nur mit dem Geschäft geheiratet. Und warum sollte er sie nicht ins Haus nehmen? Ist ja sein purer Profit. Er kommt viel wohlfeiler fort, als wenn er Alimente zahlen muß. Aber ein Begräbnis wird er seiner Al­ten ausrichten – na, da könnte sich mancher Geheimrat schämen. Nein, das muß man ihm nachsagen, lumpen läßt sich der Herr Hoflackierer nicht; er ist ein sehr reputabler Herr. – Und, wie gesagt, hübsch war die Mariane, so blaß und schön, und das Kind, blutrot hat's wie 'ne Schnur um den Hals gehabt.«

»Und meine Kinder hat Sie mitgenommen. Die unschuldigen Würmer! Sie Person, Sie!«

»Aber, Herr Geheimrat, ich weiß auch nicht, wie Sie mir vorkommen. Es ist ja nur, daß die Kinder es einmal gesehen haben. Das ist ja fürs ganze Leben. So was kriegen sie nicht wieder zu sehen. Es soll ja kein Mensch mehr hingerichtet werden.«

»Wer hat Ihr das wieder vorgeschwatzt?«

»Sie können's mir ganz gewiß glauben, Herr Geheimrat. ›Das ist die letzte Hinrichtung‹, hat der König gesagt. Und sie haben ihn beinah zwingen müssen, daß er nur die Feder in die Hand nahm. Die junge schöne Königin hat geweint. Und da hat er sie gefragt: ›Aber Luise, warum weinst du denn?‹ Denn unter sich sagen sie immer du; und es kommt einer zum andern, ohne daß die Kammerherren anklopfen und sie mel­den, und darüber ist die Hofmarschallin, die alte Gräfin Voß, ganz auf­gebracht. Aber das tut nun nichts. Es wird alles noch ganz anders wer­den, sagen sie; und gar nicht wie beim Dicken. Die Livreen werden auch anders. Und alle Menschen sollen Brüder sein, und alle Frauenzimmer Schwestern.. .«

Der Geheimrat intonierte, wie durch eine Erinnerung geweckt, plötzlich das Lied, indem er mit den Fingern auf dem Knie den Takt schlug:

Wir Menschen sind ja alle Brüder, Vereinigt durch ein heilig Band, Du Schwester mit dem Leinwandmieder, Du Bruder mit dem Ordensband!

Das Kindermädchen warf einen schlauen Blick: »Gestern, hinterm Gitterfenster auf dem Hofe – da sangen's Herr Geheimrat viel lauter.«

Die Erwähnung schien dem Geheimrat unangenehm. »Das versteht Sie nicht. Es ist allerdings gegen die Humanität, einen Menschen ums Leben zu bringen. Aber, wie gesagt, das versteht Sie noch nicht, und das ist nur unter uns, und wie sollten wir denn die Spitzbuben loswerden und die atrocen 1) Menschen. Laß Sie sich also so was nicht einbilden, und die Königin –«

»Ja, Herr Geheimrat, die Königin, das weiß ich expreß von jemand, der es weiß, vom Kommissar die Köchin, die hat beim Doktor, der die Hoflakaien kuriert, vorher gedient, und da hat sie's von der Mamsell, die beim Hofmarschall ist, mit eigenen Ohren gehört, zum König hat sie's gesagt, die Königin, sie könnte ihm ja keinen Kuß geben, weil seine Hände voll Blut wären, und nur diesmal, hat er gesagt, hätte er's tun müssen, weil's eine Kindesmörderin wäre, nämlich von wegen des Beispiels, weil's sonst alle täten. Aber dann soll keiner mehr geköpft wer­den, und dies ist das letztemal, und darum verdienten's wohl die Kinder, daß ich sie hinführte, denn es soll auch gar kein Blut mehr fließen und kein Krieg mehr sein, auf der ganzen Welt nicht, und der König hat's gesagt.«

»Aber sage Sie mal, Sie ist doch sonst eine vernünftige Person.« Der Hausherr war aufgestanden, um ihr zu beweisen, daß sie diesmal unvernünftig sei. Das ist überall eine schwierige Aufgabe, wo die Person, welcher man es beweisen will, sich für vernünftig hält. Sie mußte überdem eine gute Royalistin sein; denn auf die Vorstellung des Geheimrates, daß so etwas gar nicht in des Königs Macht stehe, ja nicht in des Kaisers, auch nicht in der Macht des großen Feldherrn und Konsuls der Franzosen, erklärte sie, wozu denn ein König wäre, wenn er das nicht mal könne! Der König könne aber noch weit mehr, wenn er nur wolle; es gäbe jedoch Personen, die viel klüger sein wollten als der König, und alles besser wissen und machen, und sie wisse auch, was sie gehört, und könnte manches sagen, was mancher nicht gern hörte. Und wer nur gestern abend sein Ohr aufgehabt, hätte im hintersten Hofe und unterm Gitterfenster gehorcht, was die Gefangenen gesungen. Davon könnte manches Vögelchen Lieder singen, die mancher Mann gar häßlich klingen würden!

»Sie unverschämtes –, ich glaube gar, Sie hat getrunken!« »Ich getrunken! Habe ich das um den Herrn Geheimrat verdient, als ich gestern abend gar nicht sah, wie Sie die Treppe heraufkamen, die kleine Hintertreppe, und nicht wußten, wo die Tür war! Ich getrunken! Ein Glas Weißbier setzten mir der Herr Wachtmeister von Prinz Louis' Dragonern vor, und das trank ich, der Kinder wegen, denn wir waren außer Atem, weil die Leute so grausam drängten, und so hob der Herr Wachtmeister die Kinder über die Lyziumhecke, und ich quetschte mich durch die Hecke, und da sagte der Wachtmeister, ich sollte erst einen Po­meranzen mit ihm über die Lippen nehmen, weil ich so echauffiert wäre. Das kann der Wirt im Blauen Himmel bezeugen; der sagte, wir zerträten ihm seine Hecke, und er war betrunken. Aber wo wären wir alle, und die lieben Kinder, die schrien, daß es ein Gottserbarmen war; aber der Wachtmeister gab's dem Wirt, daß er mäuschenstill ward. Ich hätt's ihm nicht geraten, mit dem anzufangen. Er hat die Rheinkampagne mitgemacht und trägt noch eine Kugel in der Schulter, alles für seinen König! sagt er, und wenn Friede bleibt, kriegt er eine Zivilanstellung.«

Es war eine Veränderung in dem Geheimrat vorgegangen. Von Zorn keine Spur mehr in seinem Gesicht, als er aus der emaillierten Dose eine lange Prise Spaniol nahm und mit dem Batisttuch den Tabak, der sich ausgestreut, von den Kleidungsstücken abklopfte und »ja, ja, so geht's in der Welt!« sagte. Man sah, zwischen beiden hatte ein langer Verkehr eine Verständigung hervorgebracht, die gewissermaßen in hieroglyphischen Ausdrücken sich Luft machte. Und jeder verstand den andern. Offenbar war er an etwas erinnert worden, was er nicht liebte, und ebenso offenbar, daß Charlotte auf einen andern Gegenstand übergesprungen war, entweder, um ihm die Verlegenheit abzukürzen, oder weil dieser Gegenstand für sie einen Zweck hatte.

»Wie ist's denn nun mit dem Unteroffizier von Möllendorfs Grenadie­ren?« sagte der Geheimrat wie in vertraulicher Weise, nachdem er verschiedenes andere gefragt, zum Beispiel, wieviel Menschen wohl draußen gewesen und welche Equipagen darunter und ob die Kinder auch ordentlich gesehen hätten.

»Dieser Mensch hat nicht meiner Erwartung entsprochen«, entgegnete Charlotte, »und Herr Geheimrat wissen auch, was ich immer gesagt habe von der Infanterie. Er stellte sich sonst ganz reputierlich an, denn Wahrheit muß Wahrheit bleiben, aber er hatte kein Herz für die Kinder und war von Profession, wie ich jetzt erfahren mußte, ein Schneider. 's ist wahr, er hat eine Zivilanstellung erhalten, aber was ist das, ein Nachtwächterposten! Wenn er mir das früher gesagt hätte, ich hätte ihn schön angesehen. Nein, Herr Geheimrat hatten ganz recht, wenn Sie mich warnten. So wegwerfen werde ich mich nicht, und ich sehe ihn auch gar nicht mehr an, wenn ich ihm begegne. Dieser Wachtmeister aber hat ein wirkliches Gemüt für die Kinder, und er ist ein Witwer. Prinz Louis Ferdinand hat zu ihm gesagt, er sollte sich trösten, der Soldat wäre so besser akkommodiert; und das ist wahr, sagt er, wenn's wieder losgeht, ist der Pallasch die beste Braut für den Dragoner. Aber wenn Friede bleibt, sagt er, will er den Pallasch hinter die Tür hängen und sich nach einer Frau umsehen. Und, sagt er, eine, die treu ihrem Herrn gedient hat, die ist ihm lieber als eine, die noch nicht gedient hat, denn da weiß er nicht, was er kriegt. Und eine, die ihre Jugend ihrem Herrn geopfert hat, die wird der Herr doch nicht ohne gute Aussteuer fortlassen, das müßte ja ein schmutziger Herr sein. Und das kann ich wohl von meinem Herrn sagen, sagte ich, er wird sich nicht lumpen lassen; der Herr Geheimrat haben's mir oft versprochen, wenn ich mich mal veränderte, dann wollten Sie dafür sorgen, daß es schmuck und blank in meinem Hause aussehen sollte. Und da hat er die Malwine auf dem langen Wege hergetragen, und sie schlief gleich auf seiner Schulter ein. Der Fritzchen, der schrie und hatte sich ungebärdig, den haben wir zwischen uns genommen, das war wirklich ein Elend mit dem Jungen, weil er sich auf die Erde warf, und wir mußten ihn an den Schultern rutschen, bis der Herr Wachtmeister ihm für einen Dreier Rosinen kaufte, und da ging's denn, und Sonntag, wenn's Herr Geheimrat erlauben, wird er mich nach den Zelten abholen und sich dem Herrn Geheimrat präsentieren und mich mit Waffeln traktieren.«

Der Herr Geheimrat schien nicht recht zu wissen, was er sagen sollte, indem er mit einem Finger um den andern ein Rad schlug. »Ja, sieht Sie, Charlotte«, sagte er, »wer das wüßte, ob Friede bleibt, oder 's wieder losgeht. – Und hat Sie auch das bedacht, ein Kavallerist riecht immer nach dem Stall -«, wollte er sagen oder hatte es gesagt -



1) gewalttätigen
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ruhe ist die erste Bürgerpflicht