Greifswald von seiner Entstehung bis zum Ausgang des Jahrhunderts

Beinahe fünf Meilen südöstlich von Stralsund, an dem kleinen Rik-Fluss, etwa eine halbe Stunde aufwärts von ferner Mündung liegt die Stadt Greifswald, schon von Alters berühmt als Handels- und Hanse-Stadt wie ihre Schwester am Sunde von Strela, und zudem seit vierhundert Jahren durch ihre Universität der Brennpunkt unserer heimischen geistigen Kultur.

Klarer, als es bei Stralsund der Fall war, liegen bei Greifswald die ersten Geschicke der jungen Stadt von ihrer Entstehung an vor uns da, und auch ihre weitere Fortentwicklung ist nicht unterbrochen durch große Unfälle und hemmende Rückschläge, sondern sie schreitet gleichmäßig und ruhig und deshalb um so viel rascher vorwärts. In noch kürzerer Zeit als es Stralsund gelang, schwang sich Greifswald zu einer auch für jene Zeiten hervorragenden Stufe von Macht und Wohlstand auf. Es war als wenn der Segen des Krummstabes, der die junge Stadt ins Leben gerufen, ihren Wegen auch noch folgte, als sie sich längst der geistlichen Oberherrschaft entwunden hatte.


Das Zisterzienser-Kloster Hilda oder Eldena, dessen Stiftung um das Jahr 1207 bereits früher in einem andern Zusammenhange berichtet ist, gebot in seiner nächsten Umgebung über ein Territorium, welches zu beiden Seiten des Rik-Flusses sich ausdehnend eine Gesamtfläche von annähernd vier Quadratmeilen umfasste*).

*) Über die Grenzen des Klostergebietes findet man das Nähere bei Fabricius, Rüg. Urkunden II. p. 32.

Der Rik, an dessen Mündung zur Rechten, das Kloster lag, durchströmte von West zu Ost das ganze Gebiet in einer Länge von etwa zwei Meilen. Als das Kloster gegründet ward, bot das Land im Wesentlichen denselben Anblick, wie unsere Vorpommerschen Tiefländer in der Wendischen Zeit ihn überhaupt darzubieten pflegten. Eine sumpfige Niederung mit Moor und Bruck, durchsetzt von größeren und kleineren stehenden und fließenden Gewässern zog sich namentlich längs des Rik-Flusses hinauf. An der westlichen Grenze des Klostergebietes, unzugänglich durch die umgebenden Sümpfe wie das alte Karenz auf Rügen und viele andere Wenden-Festen in Mecklenburg und Pommern, lagen zwei alte Wendische Burgen, Guttin und Gardist, das letztere auf der Nordseite des Rik in der Gegend von Horst, das erstere auf der Südseite des Flusses, wo noch jetzt ein alter Burgwall in der Feldmark Willershusen die Stelle bezeichnet *). Große Waldungen dehnten sich nach allen Seiten über weite Landstrecken aus und nur spärliche Wendische Dörfer mit ihren Äckern, Weiden und Wiesen unterbrachen, namentlich gegen die Küste hin, die unwirtliche Monotonie der Gegend. Aus dem ganzen großen Gebiet des Klosters, welches sich etwa zwei Meilen ins Land hinein bis Guttin und Gardist erstreckte, werden uns in den Stiftungsurkunden aus dem ersten Jahrzehnt nur neun Wendische Ortschaften genannt, darunter die noch heute existierenden Wackerow, Wampen, Leist, Kemnitz und Darsim (Ludwigsburg)**). Auch das Salzwerk in dem später sogenannten Rosendal auf dem Nordufer des Rik der Stadt Greifswald gegenüber bestand schon in Wendischer Zeit und ward dem Kloster mit überwiesen. Wahrscheinlich war sein Betrieb eben so ungenügend und unergiebig, wie der des Wendischen Ackerbaues.

Als die tätigen Mönche ein Menschenalter hindurch gewaltet und das Werk der Kultur an Land und Menschen getrieben hatten, sah es hier ganz anders aus. Eine Menge von Ortsnamen mit der Endung hagen, die wir unter den Wendischen Namen antreffen, bezeugt, dass die Betriebsamkeit Deutscher Ansiedler hier ihren Einzug gehalten und eine große Wandelung begonnen hat. Wir finden ein Frederikshagen, ein Jonoshagen, ein Reimberns-, Johannes-, Bernards-, Bartholomeus-, Hinricks- und Bolteshagen*). Auch finden wir eine oder zwei Dänische Ansiedlungen an der Küste in der Nähe des Klosters, das Dorf Dänische Wiek, auf der andern Seite der Rik-Mündung, Eldena gegenüber, und wahrscheinlich das etwas nördlicher am Seestrande gelegene Dorf Lathebo**). Da die ersten Mönche von Eldena aus dem Dänischen Kloster Esrom stammten, und überhaupt in jener Zeit ein reger Verkehr mit Dänemark Statt fand, so war es nur natürlich, wenn das Kloster auch Dänische Ansiedler zum Anbau seiner weitläufigen Besitzungen heranzog.

Die eigentliche Perle derselben, die durch ihren Glanz bald alle andere Anlagen, ja das Kloster selbst, tief in den Schatten stellen sollte, war der neue Marktplatz Greifswald.

Als das Geburtsjahr der Stadt nennen unsere Chronisten des sechzehnten Jahrhunderts das Jahr 1233, die Einen, wie Kantzow, mit einem hinzugefügten „ungefähr“, welches die Unsicherheit dieser Zeitbestimmung andeutet, die Andern, wie Valentin von Eickstedt, mit positiver Bestimmtheit, freilich auch ohne Angabe, woher sie es wissen. Diesen Gewährsmännern folgend hat man dann im Jahre 1733 das fünfhundertjährige und 1833 das sechshundertjährige Bestehen der Stadt Greifswald durch akademische Reden und anderweitige Festlichkeiten gefeiert***). Aber diese Zeitbestimmung ist nachweisbar um einige Jahre zu früh. Möglich, dass eine erste Dorf- und Hof-Anlage des Namens Greifswald schon 1233 begründet ist: als Markt und Stadt entstand Greifswald erst im Laufe der vierziger Jahre.

*) Davon existieren noch jetzt die Dörfer Frederickshagen, Hanshagen, Hinrichshagen und das Gehöft Boltenhagen, — Die andern sind eingegangen oder haben ihre Namen geändert. — Vergl. die Urkunde von 1248 Cod. Pom. Dipl. I. p. 82S f.
**) Die heutige Ortschaft Ladebow. Die älteste Schreibweise Lathebo (1248) deutet auf nordische Abstammung, von dem Namen bo, bö Wohnung, Haus, und zwar um so mehr, da in der Urkunde, in welcher Lathebo zuerst vorkommt, die Wendische Ortsnamen-Endung durchgehends ogh geschrieben ist: Waccarogh, Zobisogh, Brunissogh, Stilogh, Panzogh.
***) 1733 den 11. Dezember hielt der bekannte Historiker Alb, Schwartz die Festrede „Historischer Bericht vom Ursprung der Stadt Greifswald“, — 1833 den 6. Dezember ward das Jubiläum gefeiert durch die Kosegarten’sche Dissertation: De Gryphiswaldia Hansae Teutonicorum socia.

Es war im Jahre 1241, — dem nämlichen Jahr, wo die Mongolischen Schaaren im wilden Ansturm über Polen gegen Deutschland vorbrechend auf der Wahlstatt bei Liegnitz ein tapferes Häuflein von Deutschen und Slawen über den Haufen rannten, um dann trotz ihres Siegs rasch wie sie gekommen wieder zu verschwinden, — in diesem für das ganze Abendland so gefahrdrohenden Jahr, wo mehr als eine Stadt grauenvoller Zerstörung erlag, war es, dass Greifswald, wenn auch noch nicht mit Namen genannt, als Marktplatz der Abtei Eldena seine Laufbahn begann. Bei dem Aufschwung, den die Kloster-Besitzungen in den letzten Jahrzehnten genommen hatten, musste sich das Bedürfnis eines eigenen Marktplatzes für die Verkäufe als ein dringendes herausstellen. Aber die Marktgerechtigkeit war landesherrliches Regal, wie die Anlage von Mühlen und Krügen, und es bedurfte daher einer besonderen landesherrlichen Bewilligung. Der damalige Abt von Eldena, Andreas, zögerte nicht, sie sich auszuwirken, und vorsichtig, wie diese Männer der Kirche von jeher in politischen Dingen zu sein pflegten, wandte er sich sowohl an den Fürsten von Rügen als an den Pommerschen Herzog. Denn noch schwankte die Grenze hin und her; hatten die Fürsten von Rügen den Landstrich, dem das Gebiet von Eldena angehörte, seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts nach dem Recht der Eroberung besessen, so hatten doch die Pommernherzoge ihr erbliches Anrecht niemals aufgegeben, und schon bei der Stiftung des Klosters war die Dotation von beiden Seiten erfolgt. Auf demselben Fuß stand man noch im Anfang der vierziger Jahre des Jahrhunderts. Der Konsens, einen Markt abzuhalten, ward sowohl von dem Rügenschen Fürsten Wizlaw I. gegeben, doch mit der Beschränkung auf einen Tag in der Woche, als von dem Herzog Wartislaw III. von Pommern - Demmin, dem die Rechtsansprüche auf das streitige Gebiet zugefallen waren. Wartislaw überbot den Fürsten von Rügen, denn er gestattete die Abhaltung des Marktes ohne alle Einschränkung in Zeit und Ort. Wenige Jahre später scheint es zu einer bestimmteren Regulierung der Grenze gekommen zu sein. Während noch 1241 Wizlaw I. sein Bestätigungsrecht für alle Besitzungen des Klosters geltend machte, auch für die südwärts des Riks gelegenen, wie Darsim und Kemnitz, so sehen wir bereits 1246 in einer von dem Erbprinzen Jaromar unter Einwilligung des Vaters erlassenen Urkunde jenen Anspruch stillschweigend fallen gelassen; es werden hier die Besitzungen des Klosters, namentlich der Salzort, nur in soweit bestätigt, als sie unter die Herrschaft der Rügenschen Fürsten fallen*). Wahrscheinlich war es zwischen den Jahren 1241 und 1246 den Pommern gelungen, durch Waffengewalt die Rügianer über den Rik zurückzuwerfen, und der Erbprinz Jaromar, später als Fürst der zweite dieses Namens, müde der ewigen Grenzkämpfe, war entschlossen, den Nachbarn ihren Besitz zu lassen, wenn dadurch der Friede dauernd hergestellt werden könne. Dies geschah in der Tat seit dieser Zeit; der lange Hader ging in ein erträgliches Verhältnis ruhiger Nachbarschaft über; der Rik ward die Grenze und blieb es bis das Fürstentum Rügen nach dem Aussterben seines eigenen Fürstengeschlechts an Pommern fiel*).

Das Kloster Eldena machte von der erhaltenen Erlaubnis, einen Markt anzulegen, alsbald Gebrauch. Es wählte die Stelle dafür eine halbe Stunde aufwärts am Rik auf dem südlichen Ufer: dort wo, rings von Wald und Bruch umgeben, eine Hebung des Bodens die nötige Trockenheit und Sicherheit für Bauten in Aussicht stellte, gründete man den neuen Marktplatz. Wie es bei solchen Gründungen von Märkten im Mittelalter herging, davon liegt uns in der Begründung der alten berühmten Stadt Freiburg im Breisgau, durch den Zähringer-Herzog Konrad im Jahr 1120, ein sehr instruktives Beispiel vor, um so willkommener, weil uns nur über die wenigsten Städte so genaue Kunde ihrer ersten Anfänge erhalten ist. Es erging nach allen Seiten eine Einladung an Kaufleute zur Ansiedlung. Sobald sich eine hinreichende Anzahl eingefunden hatte, was in jener Zeit sehr rasch geschah, ward der Grund und Boden verteilt; ein Jeder erhielt auf dem zum Markt bestimmten Territorium ein Grundstück von bestimmter Große **) zu eigen angewiesen, um sich ein Haus darauf zu erbauen. Von einem jeden solchen Grundstück erhielt dann der Landesherr jährlich einen bestimmten Grundzins; in Freiburg war es ein Schilling landesüblicher Münze. Daran knüpfte sich noch die Aufstellung von Rechts- und Verwaltungs-Grundsätzen und die Einsetzung städtischer Behörden für das neue Gemeinwesen.

*) Dabei finden wir indes auch noch nach 1246 einzelne Fälle, in denen durch Pommersche oder Rügensche Verleihungen über den Rik hinübergegriffen wird, Wartislaw III. von Demmin führt in der Urkunde von 1248, in der er dem Kloster alle seine Besitzungen bestätigt, auch die nordwärts des Rik gelegenen auf, und 1238 schenkt er den Greifswaldern ein gleichfalls nördlich des Rik gelegenes Wiesen-Grundstück der Insel Koos gegenüber (die Wische). Dagegen schenkt Wizlaw II, von Rügen noch 1288 der Stadt Greifswald den südwärts des Rik gelegenen Boltenhäger Teich, so dass von beiden Seiten die Ansprüche immer noch nicht ganz ausgeglichen gewesen zu sein scheinen. Dies hinderte, indes das friedliche Nebeneinanderbestehen nicht, und schon 1260 sichern sich beide Fürsten für ihre Untertanen wechselseitig die Befreiung vom Strandrecht zu.
**) In Freiburg war die Größe der Grundstücke auf 100 Fuß Länge und 50 Fuß Breite festgesetzt. — Vergl. den Stiftungsbrief von 1120 bei Gaupp, Deutsche Stadtrechte des Mittelalters II. p. 19.

Ähnlich wird es auch der Abt von Eldena bei der Begründung des neuen Marktplatzes gehalten haben *). Bei den ausgedehnten Verbindungen des Zisterzienser-Ordens, bei dem regen Handels- und Schifffahrtsverkehr, der ohnehin schon an diesen Küsten Statt fand, konnte es nicht schwer fallen, die nötige Anzahl von Kaufleuten herbei zu ziehen. Stand doch in dem eben erst der Kultur erschlossenen Lande reicher Gewinn in sicherer Aussicht, und unter dem Krummstab war — wenigstens galt das damals noch für unsere Gegenden — gut Wohnen.

*) In dem kleinen Aufsatz: „Nachricht von der Entstehung und erster Beschaffenheit der Stadt Greifswald, Vortrag im Verein der Gewerbefreunde. 1846“ p. 7. erinnert Kosegarten daran, wie diele Städte jener Zeit aus Märkten hervorgingen, und dies auch noch durch den Namen zeigen; so die Schwedischen Städte mit der Endung köping, d. h. Kaufung, Kaufort, Markt, z. B. Nyköping, Norrköping, Söderköping (Neu-, Nord-, Süder-Markt).

So zahlreich wuchs in den nächsten Jahren die Bevölkerung, dass der junge Marktplatz alsbald auf den Titel einer Stadt Anspruch machen konnte. Als solche finden wir ihn zuerst mit seinem Namen Greifswald genannt im Jahr 1248: in der Urkunde Wartislaws III. von Demmin, welche die Besitzungen des Klosters mit allen den neuen Hagens ausführlich aufzählt, finden wir zuerst das Städtchen Gripheswald ausdrücklich erwähnt.

Wie der Name des Meeresarmes, an dem sie gegründet ward, auf die Stadt Stralsund übertragen ward, so empfing Greifswald unzweifelhaft seinen Namen von dem Walde, in dem es angelegt ward. Er hieß der Greiffen- oder Greifswald und ebenso hatte der Abt von Eldena seine neue Schöpfung getauft. Zwar sehr christlich war der Name nicht. Der Greif, das bekannte Flügeltier der Fabelwelt, halb Adler und halb Löwe, gehört jenem Kreise mythischer Geschöpfe an, welche in den heidnischen Naturreligionen älterer und neuerer Zeit als symbolische Darstellungsformen gewisse religiöse Grundideen, namentlich die der schöpferisch zeugenden Naturkraft, für die niederen Kulturstufen der Menschheit verkörpern. Wir wissen zu wenig von den Wendischen Religionen, um die Stelle bestimmen zu können, welche der Greif darin eingenommen hat; als Wappentier der Pommerschen Herzoge hat er sich auch in die christlichen Zeiten hinübergerettet, und in den Pommerschen Städtenamen von Greifswald, Greiffenberg, Greiffenhagen hat sich eine wenn auch nur schwache Erinnerung an die Rolle erhalten, welche der Greif in dem alten Wendischen Volksbewusstsein gespielt hat*).

*) Die Ableitung des Namens Greifswald von einem alten Pommerschen Geschlecht Grip oder Grif, dem der Wald gehört habe, in dem die Stadt angelegt ward (so noch Alb. v. Schwarz in seinen Rüg.-Pomm. Städten), gehört in dieselbe Kategorie mit der Erklärung des Namens Stralsund von einem Fischer Stral, der dort gewohnt habe.

Das Siegel der Stadt Greifswald ist, wie es in gleicher Weise auch bei Stralsund der Fall war, eine bildliche Darstellung des Namens. Es ist ein steigender Greif, über einem ausgrünenden Eichenstamm, mit der lateinischen Umschrift: Siegel der Bürger von Greifswald.

Die junge Stadt wuchs und gedieh bald in einer Weise, dass die Äbte von Eldena ihren Arm nicht mehr stark genug hielten, die mächtig aufstrebende Gemeinde zu lenken. Unterlagen schon so mächtige Kirchenfürsten , wie die Erzbischöfe von Köln und von Mainz, die Bischöfe von Regensburg, von Augsburg und viele andere geistliche Herren im Kampfe mit ihren zur Selbständigkeit erstarkten Bürgerschaften, wie sollte der Abt von Eldena haben hoffen dürfen, seine Herrscher-Autorität gegenüber der schnell erblühenden Stadt zu wahren? Er entschloss sich kurz und legte seine Rechte in eine mächtigere Hand.

Im Juni 1249, um die nämliche Zeit als das benachbarte Stralsund eine schwere Heimsuchung durch die siegreich aus Dänemark heimkehrende Lübische Flotte erfuhr, ging die Stadt Greifswald aus geistlichen in weltliche Hände über. Der Herzog Wartislaw III. von Pommern-Demmin, umgeben von einem stattlichen Gefolge von Rittern, empfing in feierlicher Versammlung von Geistlichen und Laien vor dem Hochaltar der Jungfrau Maria zu Eldena die Stadt Greifswald nebst einem Areal von zwanzig Hägerhufen auf der Südseite des Rik-Flusses zu Lehn*). Damit trat ihm das Kloster alle seine Gerechtsame auf die Stadt, darunter namentlich das Recht, einen Vogt für dieselbe zu ernennen, ausdrücklich ab. Die Lehnsübertragung ward auf den Herzog und seine männliche Nachkommenschaft ausgestellt; für den Fall des Aussterbens der letzteren sollte die Stadt Greifswald an das Kloster Eldena heimfallen. Nutzlose Vorsicht! Als beinahe vierhundert Jahre später der Mannesstamm des alten Pommerschen Herzogshauses ausstarb, gab es längst in Eldena kein Kloster mehr; ganz andere Mächte standen auf der Bühne der Weltgeschichte und teilten sich in den Nachlass des letzten Herzogs von Pommern.

*) Die Hägerhufe rechnet man gewöhnlich zu 60 Pommerschen Morgen; sie war doppelt so groß als die gewöhnliche Deutsche Hufe zu 30 Pomm. Morgen, und viermal so groß als die Wendische Hakenhufe zu 13 Pomm. Morgen, — Das mit der Stadt dem Herzog zu Lehn übertragene Stadtfeld hatte damals also schon die ziemlich bedeutende Größe von 1.200 Pommerschen Morgen (= 3.080 Magdeb. Morgen). Es ward an einzelne Hausbesitzer der Stadt verteilt, daher die sogenannten Hausmorgen. —Vergl. Gesterding, Beitrag zur Geschichte der Stadt Greifswald, 1827. p. 7.

Das Kloster hatte seine Rechte auf die Stadt nicht abgetreten, ohne sich eine recht anständige Entschädigung auszubedingen. An Land sollte es dreißig Hufen vom Herzog zu freiem Besitz und mit allen Rechten erhalten; an Geld eine von der Stadt zu zahlende Rente von 15 Mark Silberpfennigen jährlich und außerdem von jeder Hausstelle einen Silberpfennig Grundgeld; ferner von den auf dem Rik bei der Stadt anzulegenden Mühlen die Hälfte der Einkünfte. Zudem behielt sich der Abt von Eldena für sich und seine Nachfolger das Patronat der Greifswalder Kirchen vor und ließ sich für das Kloster und seine Angehörigen eine vollständige Freiheit von allen Zöllen, sowohl in der Stadt als in dem gesamten Gebiet des Herzogs, noch ausdrücklich garantieren. Endlich versprach der Landesherr, das Kloster für alle Zeiten nicht nur bei seinen Rechten zu erhalten, sondern es auch nach Kräften gegen alle Feinde zu schützen und zu schirmen*).

*) Man vergl. die Urkunde im Cod. Pom. dipl. I. p. 862 f, und die Übersetzung hinten im Anhange II.

Die Stadt selbst ging bei diesem Tausch der Herrschaft nicht ganz leer aus. Ihren Bürgern ward die Befugnis zugesichert, in den Waldungen des Klosters zur Errichtung ihrer Häuser so viel Bauholz zu schlagen, als sie bedurften; nur einen Eichwald bei Wackerow und einen andern dicht beim Kloster reservieren sich die Mönche zu eigenem Gebrauch. Alles andere, darunter auch den großen zwischen Eldena und Gützkow damals sich ausdehnenden Wald, der dem Kloster seit seiner Stiftung gehörte, gab man den Greifswaldern zur Benutzung Preis. Statt der Holznot unserer Tage hatte man damals ja Überfluss an Holz, und war froh, wenn fremde Äxte eine Lichtung in die dichten Wälder hieben, damit der Boden für den Ackerbau benutzt werden konnte.

Zu dem freien Holzhieb ward den Bürgern von Greifswald auch der Fischfang frei gegeben, doch ohne Einschränkung nur innerhalb der Stadtgrenzen; wollten sie weiter hinaus im Wieker-Bodden*) ihre Netze auswerfen, so bedurfte es erst der speziellen Erlaubnis des, jeweiligen Abtes von Eldena.

Herzog Wartislaw wusste die Bedeutung seiner neuen Erwerbung vollständig zu würdigen. Er sah in seiner Nachbarschaft das zur Nacheiferung anreizende Beispiel Stralsunds, welches sich trotz zeitweiligen Missgeschicks auf der Grundlage freier Deutscher Städteverfassung rascher und rascher zu blühendem Wohlstand entfaltete. Wartislaw von Pommern zeigte nun, dass er in freier und richtiger Auffassung der Verhältnisse hinter den Rügenschen Fürsten nicht zurück stand. Ein nicht ganz uneigennütziger Wetteifer mochte mit ins Spiel kommen. Stralsund drohte allen Verkehr dieser Gegenden an sich zu ziehen; nun sollte die Stadt am Sunde eine Nebenbuhlerin erhalten, welche als Handelsplatz für das Vorpommersche Herzogtum das ward, was Stralsund für die Rügenschen Länder war.

In dieser Absicht beschloss der Herzog Wartislaw, seine Stadt Greifswald alsbald aus den engen Fesseln des Wendischen Rechts zu entlassen. Am 14. Mai 1230, bei seiner persönlichen Anwesenheit in der Stadt, erteilte er ihren Bürgern Recht und Freiheit der Stadt Lübeck. Unter den Zeugen finden wir, wahrscheinlich aus des Herzogs Gefolge, bekannten Pommerschen Adelsgeschlechtern angehörig, vier Behrs, zwei Ostens, einen Walsleben und zwei Penz; außerdem eine Reihe von Namen, in denen wir wahrscheinlich die angesehensten Bürger und ersten Ratsherren von Greifswald zu suchen haben, einen Jacob von Treptow, Rudinger von Güstrow, Rudolf von Drechow, Tancmar von Podin, Hildebrand von Lüneburg, Gerhard den Fetten (pinguis), Johannes (von) Paliz, Eilard von Wismar und Andere, die uns nicht genannt werden**).

*) Zwischen Darsimhöwd, d. i. dem heutigen Ludwigsburger Haken und Glammesvitz, welches — jetzt nicht mehr vorhanden — wahrscheinlich auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht lag.
**) Dass alle die Genannten, welche zum Teil später ausdrücklich als Ratsherren von Greifswald namhaft gemacht werden, ritterlichen Geschlechts gewesen seien, wie Barthold angibt, Gesch. von Rügen u. Pommern II. p, 432 f., ist eine durch nichts beglaubigte Hypothese.

Mit diesem Schritt war Greifswald als Stadt, und zwar als Deutsche Stadt konstituiert und auf eigene Füße gestellt. Fortan steht die Stadt unter eigenem Regiment; zwar ist der herzogliche Vogt — er hieß in den nächsten Jahren Berthold — der Vertreter der herzoglichen Gerechtsame in der Stadt, aber dieselben sind engbegrenzt und erstrecken sich vorzugsweise auf die Rechtspflege; der eigentliche Schwerpunkt der Regierung der Stadt liegt fortan wie in Stralsund und anderwärts im Ratskollegium, dessen Mitglieder als solche schon in dem nächsten Jahrzehnt bei mehr als einer Gelegenheit namentlich hervortreten. Im Jahr 1258 wird das ganze damals aus zwölf Ratmännern bestehende Kollegium genannt: es sind vorzugsweise Deutsche Namen*).

In dieser Zeit, wo nach dem Tode der letzten Hohenstaufischen Kaiser West- und Süddeutschland unter den Drangsalen wüster Parteikämpfe litt, wuchsen und gediehen hier oben an den Küsten der Ostsee Deutsche Städte unter der sorgsamen Pflege Wendischer Fürsten und durch ungehemmte Entfaltung eigener Kraft rasch zu wunderbarem Flor. Um den Seehandel, der damals vorzugsweise die Städte bereicherte, nach Greifswald zu ziehen, hatte Herzog Wartislaw schon 1254 allen Handeltreibenden, mochten sie vom Gellen oder vom Ruden her nach Greifswald kommen, durchaus freie Her- und Rückfahrt garantiert. Ja, er ging soweit, ihnen für den Fall, dass sie durch kriegerische Ereignisse oder durch seeräuberischen Überfall um das Ihrige kämen, vollständigen Schadenersatz mit doppelten Zinsen zu versprechen**).

*) Die Zwölf, welche hier ausdrücklich als gemeiner Rat der Stadt Greifswald bezeichnet werden, sind: Jacob (von) Treptow, Walmod von Rostock, Radolf Klein (eigentlich der Kleine, parvus), Gerhard Fette (d. h. der Fette, pinguis), Heinrich (von) Ralow, Ciriacus, Friedrich Enethlev, Gerhard (von) Cosveld, Albert von Kiel, Jacob, Johann von Lübeck, Heinrich von Lucht. — Die Urkunde abgedruckt bei Fabricius, Rüg. Urkund. II. LXIX, Vergl. Kosegarten, De Gryphiswaldia etc. p. 6.
**) Die Urkunde bei Dähnert, Pomm. Bibl. III. p. 405

Solche Verheißungen und die ziemlich sichere Aussicht auf Gewinn lockten die Fremden und in immer größerer Anzahl strömten sie nach der jungen Stadt am Rik. Bald ward es ihr zu eng in den bei der ersten Gründung abgesteckten Grenzen; wie wir es früher bei Stralsund sahen, schloss sich auch in Greifswald an die Altstadt, welche um den alten Markt her angebaut war, das Marien- und Nicolai-Quartier umfassend, gegen Westen eine Neustadt, die Umgebung der Jacobi-Kirche, von der Hunnenstraße bis zum heutigen Fetten-Tor sich ausdehnend *). Schon in den sechziger Jahren ward das Gebiet der Neustadt mit zur Stadt geschlagen und das Ganze mit einer schützenden Mauer umgeben.

Es war einer der letzten Regierungsakte des Herzogs Wartislaw III. (1264), dass er seiner geliebten Stadt Greifswald das Recht verlieh, sich durch Anlegung einer Mauer zu schützen, und keinerlei Errichtung von festen Schlössern oder sonstigen Befestigungswerken, von wem es auch sei, innerhalb des Stadtgebiets zu dulden. Auf dies Recht hielten unsere Deutschen Städte mit gutem Grunde hohe Stücke; die Anlage burgartiger Adelsschlösser innerhalb der Stadtmauern oder nahe vor den Toren war nur zu häufig, wie das Beispiel der Italienischen Städte zeigte, das Grab der städtischen Freiheit. Durch das Recht, sich hinter Mauer und Graben gegen feindlichen Überfall zu sichern und keine andere bewehrte Macht, als eben eine städtisch-bürgerliche bei sich zu dulden, war Greifswald erst vollständig zur politischen Selbständigkeit gelangt**). Dass nur ein Gerichtshof, ein Gerichtsvoigt und nur ein und dasselbe Recht dort herrschen sollte, wie der Pommern-Herzog in der nämlichen Urkunde erklärt***), war nur eine selbstverständliche Erläuterung des vor vierzehn Jahren der Stadt erteilten Lübischen Rechts. Vielleicht war von Seiten des großen Pommerschen Lehnsadels der Versuch gemacht, in Greifswald eine eximierte Stellung zu erlangen, unabhängig von der städtischen Gerichtsbarkeit; dann wäre die herzogliche Entscheidung die Antwort darauf.

Bald nachdem sie erfolgt war, schloss Herzog Wartislaw III. die Augen. Nach seinem Tode ward Vorpommern wieder unter einem Zepter vereinigt; Herzog Barnim I. von Stettin, der Vetter des Verstorbenen, folgte nunmehr auch in dem Demmin’schen Anteil und ward damit Greifswalds Landesherr. Es war nicht zum Schaden der Stadt, denn Barnim ging mit freiem Geist auf die Intentionen seines Vorgängers ein. Nicht nur, dass er der Stadt alle Privilegien seines Vorgängers in der liberalsten Weise bestätigte, er fügte auch noch die wertvollsten Gunstbeweise hinzu. Das Verbot fremder Befestigungsanlagen, welches Wartislaw nur für das Gebiet der Stadt gegeben hatte, ward von Barnim auf das ganze Territorium der Abtei Eldena und von Barnims Sohn Bogislaw IV. 1296 gar auf den ganzen Landstrich zwischen dem Meer und der Peene ausgedehnt; in diesen Grenzen sollte ohne Genehmigung der Bürger von Greifswald, kein neues Festungswerk weder vom Herzog noch von einem seiner Vasallen angelegt werden dürfen. Die Einkünfte der Stadt wurden vermehrt, indem der Herzog ihr die Hälfte der vor dem Vogtei-Gericht verfallenen Strafgelder und Gerichtssporteln überließ, und der Besitz der Stadt an Grund und Boden ward um zwanzig Landhufen****) vergrößert. Das Letztere allerdings vor der Hand nur auf dem Papier; die wirkliche Einlösung des herzoglichen Versprechens erfolgte erst vierzehn Jahre später unter dem Sohn und Nachfolger Barnims.

*) Die Greifswalder Hunnen-Strate hat natürlich nichts mit dem bekannten Volk der Hunnen zu tun, sondern sie ist das Nieder- oder Plattdeutsche Wort für die hochdeutsche Hundestraße, lateinisch plates, canum, wie eine solche in Lübeck, oder platea canina, wie sie in Barth vorkommt. Vielleicht rührt in Greifswald, wie es in Barth der Fall war, der Name von dem Umstände her, dass in dieser Straße landesherrliche Hunde unterhalten wurden, Vergl. Kosegarten, Pommersche und Rügensche Geschichtsdenkmäler p. 39. F.
**) Bogislaw IV. entband 1296 die Greifswalder ausdrücklich auch von der Pflicht der Heeresfolge außerhalb ihrer Mauern.
***) Die Urkunde bei Dähnert, Pomm. Bibl. III. p. 407.
****) 600 Pommersche = 1.540 Magd. Morgen.

Die Juden, welche von jeher überall zu finden waren, wo es etwas zu verdienen gab, hatten sich auch in Greifswald angesiedelt; aber der Brotneid der christlichen Bürger mochte sie nicht dulden, und der Herzog war willfährig genug, sie für alle Zeit aus der Stadt zu verbannen. Die Juden waren einmal im Mittelalter der allgemeine Prügelknabe des christlichen Abendlandes, und wir dürfen uns daher nicht wundern, die Antipathien der Zeit gegen das gehetzte Geschlecht auch in unseren Städten hervorbrechen zu sehen.
Von höherem und reellerem Wert, als die Austreibung der Juden, waren für die betriebsamen Bürger von Greifswald ein paar andere Zusagen ihres Landesherrn. Einmal verpflichtete er sich, die Münze in demselben Zustande zu erhalten, wie sie damals in der Stadt war, und die Silberpfennige in Zukunft weder schwerer noch leichter auszuprägen, ein Versprechen, welches bei den damals in Münzangelegenheiten herrschenden laxen Grundsätzen für die Handelsbeziehungen der Stadt von dem höchsten Wert war, wofern es nämlich gehalten ward. Und zweitens wurden die Bürger von Greifswald für den ganzen Umfang des herzoglichen Reichs von allen Zöllen und der vexatorischen unter dem Namen Ungeld bekannten Abgabe befreit. Wenige Jahre später erhielten sie durch die Vermittlung des Herzogs die gleiche Zollfreiheit auch von den damals selbständigen Herren des Landes Loitz, welches südwestlich von Greifswald zwischen den Pommerschen und Rügenschen Grenzen lag*). Damit hatten die Bürger von Greifswald ein großes bis an die Brandenburgischen und Polnischen Grenzen sich erstreckendes Hinterland gewonnen, in dem sie nicht behindert durch die tausend Plackereien des damaligen Zollwesens frei und ungeniert ihren Handel treiben konnten.

Dabei bestand in der Stadt selbst die landesherrliche Zollerhebung noch fort, und wenn auch nur die Fremden, nicht die Greifswalder davon betroffen wurden, so kann man sich doch denken, wie hemmend sich diese Zollschranke an den Toren der Stadt fühlbar machen musste**). Der auswärtige Händler, der seinen Einkauf und Verkauf, seine Schiffe und seine Wagen einer kostspieligen und lästigen Kontrolle unterworfen sah, mochte in mehr als einem Falle dadurch abgeschreckt sein und nicht wiederkommen. Wer darunter litt, war die Stadt, die auf die Festsetzung des Tarifs keinen Einfluss hatte. Es war nur natürlich, dass sie auch den Zoll in ihre Hände zu bekommen suchte: dann konnte er nach den Interessen der Stadt reguliert werden. Wie das Streben unserer Städte im Allgemeinen darauf hinausging, die einzelnen landesherrlichen Gerechtsame, welche mit der straffen Geschlossenheit des städtischen Lebens nicht harmonierten, in ihre Gewalt zu bringen, wenn es sein musste, gegen eine ein für alle Mal fixierte Abgabe, so galt dies namentlich von den landesherrlichen Zöllen. So finden wir bereits 1272 die Stadt Stralsund im Besitz des fürstlichen Zolls, allerdings hatte sie ihn damals erst auf Zeit gepachtet, allein aus solchen Zeitpachten wurden bald stehende Besitzverhältnisse; die Landesherren gebrauchten Geld, und gegen Zahlung einer bestimmten Aversionalsumme überließen sie dann ihren Städten, wie vieles Andere, so auch die Zölle. Wir wissen nicht, wie viel es sich Greifswald hat kosten lassen; aber schon 1275 überlässt Herzog Barnim I. der Stadt zu ihrer freien Benutzung den landesherrlichen Zoll und seine Erhebung für alle Zeiten. Nur eine jährliche ein für alle Mal fixierte Rente von 150 Mark sollte an einige seiner Lehnsleute ausgezahlt werden, denen diese Summe auf den Greifswalder Zoll angewiesen war.

*) Doch scheinen die Herren von Loitz damals in dem Herzog von Pommern ihren Oberlehnsherrn erblickt zu haben; der Herzog bezeichnet sie als seine Getreuen (nobis fideles) und sie den Herzog als ihren Herrn (domini nostri Barnim). — Man vergl. die beiden Urkunden bei Fabricius, Rüg. Urk. III. p. 10. 11.
**) Wir teilen die alte in diese Zeit fallende landesherrliche Zollrolle für Greifswald als Beitrag zur Geschichte des Handelsverkehrs und des Zollwesens unserer Gegenden hinten im Anhange II. mit.

Fast gleichzeitig mit dieser wichtigen Erwerbung hatte Greifswald ein von den Städten des Mittelalters sehr begehrtes Privilegium erhalten, welches sich freilich in seinen Wirkungen nur zu oft als ein zweischneidiges Schwert erwies. Wir meinen die Niederlage- und Stapelgerechtigkeit, auf deren Bedeutung für den Verkehr jener Zeit wir später noch in anderem Zusammenhange zurückkommen werden. Sie war den Greifswaldern im Jahr 1274 von ihrem Herzog, sicherlich auch nicht umsonst, verliehen, für Holz, Pech, Asche und andere Waren, welche aus den Pommerschen Landen ausgeführt wurden. Alles, allein das Getreide ausgenommen, musste erst nach Greifswald gebracht und dort auf eine gewisse Zeit niedergelegt und zum Verkauf gestellt werden. Natürlich hatte die Stadt von dieser künstlichen Konzentration der gesamten Pommerschen Ausfuhr in ihren Mauern unmittelbar große Vorteile; der fremde Händler, welcher in Greifswald alle Pommerschen Ausfuhr-Produkte aufgestellt fand, ging natürlich nur hierher und die Greifswalder Kaufleute fanden hier unzweifelhaft Gelegenheit zu billigen Ankäufen, wie sie ihnen sonst nicht geboten ward. Aber für das gesamte andere Pommernland musste die Verfügung ein unerträglich drückender Zwang sein, dessen schädliche Folgen sich wahrscheinlich bald genug offenbarten. Schon die Nachfolger Barnims, Bogislaw IV. und seine Brüder beschränkten 1294 das Niederlagsrecht Greifswalds nur auf Holz, was durch die Peene und Swine ausgeführt ward, und auch das war schon drückend genug.

Neben so ausgedehnten Vergünstigungen, welche darauf abzielten, Greifswald zu einem bedeutenden Handelsplatz empor zu heben, erhielt die Stadt in dem letzten Drittel des Jahrhunderts eine Reihe von Verleihungen, welche durch Schenkungen von Grundbesitz und Erweiterung ihrer Gerechtsame zu Land und zu Wasser die Grundlagen ihrer Macht nach allen Seiten verstärkte.

Bald schenken die Herzoge der Stadt eine ihr gelegene Wiese, bald einen ihnen noch gehörigen innerhalb der Ringmauer gelegenen Platz, wo sie einen Marstall hielten*); 1274 erhält die Stadt das Dorf Helmshagen, 1280 das Dorf Martenshagen, 1284 das damals noch Wendische Dorf Zestelin und das Gut Dargelin, 1291 die Insel Swante-Wusterhusen, beute die Greifswalder Oie, wahrscheinlich das alte Swold der nordischen Sagen. Dazu erwirbt sie durch Kauf oder Schenkung Wald- oder Ackergrundstücke an verschiedenen Orten. Selbst die Rügenschen Fürsten, weit entfernt mit kleinlichem Neid das Aufblühen der benachbarten Pommerschen Stadt zu betrachten, suchten sie in richtiger Würdigung des auch für ihre Lande aus dem Verkehr der aufstrebenden Stadt erwachsenden Nutzens nach Kräften zu fördern. Zwei wertvolle Verleihungen erhielt die Stadt Greifswald von ihnen in dieser Zeit. Einmal verkauft ihr Fürst Wizlaw II. seinen Anteil an dem Salzwerk und dem sogenannten Rosenthal, mit der einzigen Bedingung, dort keine Befestigungen anzulegen. Zwar war das Ganze dem Kloster Eldena bei seiner Stiftung verliehen, aber alle derartigen Verleihungen mussten von jedem neuen Regenten wieder bestätigt werden, um gültig zu sein, und Wizlaw hatte bei seiner Bestätigung der innerhalb der Rügenschen Grenzen gelegenen Besitzungen des Klosters sich die Hälfte des Salzertrags und die ganze Gerichtsvogtei ausdrücklich vorbehalten. Dies sein Anrecht verkaufte er nun an die Bürger von Greifswald (1288). Und neun Jahre später gibt er ihnen, „wegen der vielen und mancherlei Dienstleistungen, die sie ihm erwiesen“, die Erlaubnis, auf seinem Gebiet an dem nördlichen Ufer der Rik-Mündung einen Hafen anzulegen mit der Fischerei-Gerechtigkeit und dem Recht der hohen und niederen Gerichtsbarkeit **). Da die Stadt eine halbe Stunde stromaufwärts lag, war ein Hafen an der Flussmündung, wo die ankommenden Schiffe zuerst einlaufen und wenn sie zu tief geladen waren, um den Rik hinauf zu gehen, einen Teil ihrer Ladung löschen konnten, ein unabweisbares, Bedürfnis. Schon 1264 finden wir einen Hafen der Stadt erwähnt, in dem nach der ersten Privilegien-Urkunde des Herzogs Barnim dasselbe Recht gelten sollte wie in der Stadt. Aber dieser Hafen, den wir wahrscheinlich an der südlichen Seite der Flussmündung zu suchen haben, hat nie eine Bedeutung erlangt***). Dagegen hat der neue nunmehr auf Rügenschem Gebiet angelegte Hafen, neben den alten Dörfern Wendisch-Wiek und Dänisch-Wiek, bald eine hohe Bedeutung für den Seehandel der Stadt Greifswald erlangt und den Zweck seiner Anlage vollständig erfüllt.

*) Die erstere die sogenannte Augangs- oder Neugangs-Wiese, der andere der sogenannte Stutienhof, wo bis 1278 die Herzoge, und seit dieser Zeit der Rat der Stadt Greifswald einen wohlbesetzten Marstall hielt, welcher erst im dreißigjährigen Kriege einging.
**) Die beiden Urkunden von 1288 und 1297 bei Fabricius, Rüg. Urkund. III. p. 64. 107.
***)Er lag wahrscheinlich an dem alten südlichen, später versandeten Ausfluss des Rik, den die Stadt 1454 zudem durch Pfähle und Steine ganz sperren ließ, — Der 1297 bei Wiek angelegte Hafen lag an dem sogenannten Neuen Tief, welches bei jener Gelegenheit zuerst ausgetieft ward, — Für die Territorial-Verhältnisse am Ausfluss des Rik vergleiche man die alte Karte hinter Dähnerts Pomm. Bibl. Bd. V., und die Erklärungen dazu.

Hatte die Stadt Greifswald durch die Liberalität des Rügenschen Fürsten solchergestalt unmittelbar an der Meeresküste festen Fuß gefasst und den Hafen erlangt, ohne den es nie eine Seehandelsstadt von Bedeutung hätte werden können, so waren seine Gerechtsame auf dem Meer selbst schon früher durch die eigenen Landesherren beträchtlich erweitert. Schon 1270 hatte Herzog Barnim I. den Greifswaldern in dem Ausfluss der Peene und den Gewässern der Insel Ruden die Fischerei-Gerechtigkeit verliehen, und den dort am Strande wohnenden Wenden nur das Recht des Mitfischens vorbehalten. Sein Nachfolger Bogislaw IV. ging viel weiter; im Jahr 1296 verlieh er der Stadt Greifswald die freie Ausnutzung sämtlicher Küstengewässer von der Peene und dem Ruden an, längs der ganzen Küste von Wusterhusen, bis herum nach Darsimhöwed (Ludwigsburg) in die Dänische Wiek und den Rik hinein; ja er verlieh den Greifswaldern nicht nur auf dem Wasser, sondern auch an den Ufern das Recht an Hals und Hand nebst der niederen Gerichtsbarkeit und allen daraus resultierenden Gefällen.

Diese letzten Erwerbungen der Stadt Greifswald waren glänzend genug; aber sie führten einen Konflikt mit dem Kloster Eldena herbei, bei dem sie schließlich zum Teil wieder verloren gingen. Das Kloster, dem die Stadt ihre erste Entstehung und erste Ausrüstung verdankte, hatte ihr auch später noch mancherlei Beweise seiner Gunst gegeben. Nicht nur dass es dem städtischen Heilgeist-Hause den halben Anteil an dem Ertrage der Greifswalder Wassermühlen überließ, den sich das Kloster 1249 bei der Überlassung der Stadt an den Herzog vorbehalten hatte, auch Acker-Grundstücke überließ es der Stadt und im Jahr 1289 sogar das ganze sogenannte Rosenthal, auf der Nordseite des Rik, bis an den Meeresstrand, mit alleiniger Ausnahme des Kloster-Anteils an den Salzwerken. Aber die Verleihung des Hafens bei Wiek durch den Rügenschen Fürsten und die Erteilung der ausgedehnten Gerechtsame auf dem Wasser an die Stadt von Seiten der Pommerschen Herzoge war ein notorischer Eingriff in die Rechte des Klosters. Der Grund und Boden, wo auf der Rügenschen Seite der neue Hafen angelegt werden sollte, gehörte dem Kloster seit seiner ersten Begründung, und kraft ebenso guten Rechtstitels besaß es die Fischereigerechtigkeit auf dem Rik und in der Meeresbucht bei Darsimhöwd, in welcher der Rik mündete. Hier durfte die Stadt, nach ausdrücklicher Übereinkunft, nur mit Erlaubnis der Äbte von Eldena den Fischfang betreiben; der Rik selbst war ihr nur innerhalb der Grenzen des Stadtgebiets freigegeben. Und nun sollte sie nicht nur allenthalben das Recht des Fischfangs, sondern auch an den Küsten gar noch die gesamte höhere und niedere Gerichtsbarkeit erhalten!

Man darf sich nicht wundern, wenn der Abt von Eldena mit aller Energie gegen solche Mediatisierungs-Dekrete remonstrierte. Und die Kirche war damals noch mächtig genug, um auch ohne weltliche Waffen ihren Protesten Nachdruck zu geben. Der Konflikt endete mit einem Kompromiss. Derselbe ward unter Vermittlung des Bischofs von Cammin und des Abtes von Colbaz im Jahr 1306 dahin geschlossen, dass die Stadt zwar den neu angelegten Hafen behielt, sich aber verpflichtete, das Eigentumsrecht und die Gerichtsbarkeit des Klosters anzuerkennen. Ebenso erkannte sie die Fischerei-Gerechtsame auf dem Rik, außerhalb der Stadtgrenzen, und in der Meeresbucht zwischen Darsimhöwd und der Insel Koos als seit unvordenklichen Zeiten dem Kloster zustehend an*). Dabei blieb der Stadt immer noch das Recht des Fischfangs auf der ganzen Küste von der Peene bis an den Ludwigsburger Haken auf der Pommerschen Seite, und auf der Rügenschen erwarb sie wahrscheinlich bald nachher auf gütlichem Wege vom Kloster die äußerste nordöstliche Ecke des linken Rik-Ufers, welche wir später in städtischem Besitz finden.

*) Die Urkunden bei Fabricius IV. 1, p. 46. — Das Original ist zwar nicht mehr vorhanden, aber ein Transumpt vom Jahr 1319 befindet sich im Provinzial-Archiv zu Stettin, und da in demselben eine große Zahl bekannter Greifswalder Ratsherren jener Zeit als Zeugen aufgeführt sind, so ruht die in späteren Jahrhunderten im Interesse der Stadt geltend gemachte Annahme, dass der Rat die Vergleichsurkunde nicht genehmigt habe und der Abt sie parteiisch habe schreiben lassen, schwerlich auf historischem Grunde. — Vergl. übrigens Gesterding, Beitrag zur Geschichte der Stadt Greifswald p. 30.

Indem wir hier in der weiteren Verfolgung der Entwicklung der Stadt Halt machen, haben wir schließlich noch die äußere Erscheinung, von Greifswald, wie sie sich uns gegen den Schluss des dreizehnten Jahrhunderts darstellt, kurz ins Auge zu fassen. Die Züge derselben sind nicht ganz so deutlich wie bei Stralsund, denn das älteste Stadtbuch beginnt in Greifswald erst ganz am Ausgang unserer Periode mit dem Jahr 1291, während es in Stralsund bereits Aufzeichnungen aus den vorangehenden Jahrzehnten enthält, und damit dem Forscher eine reichere Fülle von Materialien für die Darstellung der ältesten Stadtgeschichte liefert*). Für Greifswald muss, wenn man Anspruch auf eine gewisse Vollständigkeit des Bildes der Stadt macht, Manches aus dem folgenden Jahrhundert ergänzt werden.

Die Umgebung der Stadt war ein halbes Jahrhundert nach ihrer ersten Anlage kaum mehr wieder zu erkennen. Der große Wald, in dem sie gegründet war, ist wenn auch nicht verschwunden, doch aus der nächsten Umgebung der Stadt in eine weitere Ferne gerückt und nach allen Seiten von größeren oder kleineren Lichtungen durchbrochen. Die Rodestellen, sind dem Ackerbau dienstbar gemacht; Gehöfte und Dörfer, bald wie Abtswald und Schönwald **) durch die Endsilbe ihren früheren Zustand verratend, bald wie die zahlreichen auf Hagen endigenden Ortschaften ihren echt Deutschen Charakter beurkundend, umgeben in weitem Umkreise die Stadt. Die Äcker und Gärten in nächster Umgebung gehören den Bürgern; ihre Überlassung an Andere durch Verpachtung oder Verkauf bildete schon in frühster Zeit einen Hauptgegenstand des Verkehrs. Am Rik entlang, namentlich im Westen der Stadt sind die sumpfigen von Bruch und Moor durchsetzten Niederungen durch Dämme, Gräben und Schleusen bereits für die Kultur an Angriff genommen. Die völlige Trockenlegung der großen damals unter dem Namen des Boltenhäger Teichs bekannten Überflutung ist von dem Kloster Eldena bereits ins Auge gefasst, wird aber vorläufig im Interesse der Stadt noch ausgesetzt; Prahme und Kähne vermitteln die Überfahrt***). Wasser- und Windmühlen finden wir wie bei Stralsund bereits in größerer Anzahl in der nächsten Umgebung der Stadt. Unter den sonstigen industriellen Anlagen nimmt das Salzwerk auf dem nördlichen Ufer des Rik den ersten Platz ein. Seit das Rosenthal und die Hälfte des Ertrags der Salzwerke an die Stadt gekommen war, wird auch der Betrieb einen neuen Aufschwung genommen haben.

*) Über die ältesten Stadtbücher unserer Städte vergleiche man Fabricius, Rüg. Urkund. III. Einleitung, und Kosegarten, Pommersche und Rügische Geschichtsdenkmäler p. 34 f.
**) Schönwald oder Schönwalde, südöstlich von Greifswald existiert noch, Abtswald ist eingegangen.
***) Die für die damaligen Lokalverhältnisse in der Gegend von Boltenhagen wichtige Urkunde bei Fabricius. Rüg. Urk. IV. 1. p. 27. — Der alte Boltenhäger Teich ist später dennoch trocken gelegt.

Dem Salzwerk schräg gegenüber zog sich nun am südlichen Ufer des Rik die Stadt in der ungefähren Form eines länglichen Vierecks hin. Ihr Umfang war, nachdem die Neustadt zur Altstadt hinzugekommen, gleich dem heutigen, die Vorstädte nicht mitgerechnet. Die Umfassungsmauer mit ihren Türmen, Toren und Wallpforten gab ihr das äußere Gepräge einer mittelalterlichen Stadt. Die vier Haupttore, das Mühlen-, das Fleischer-, das Fetten- und das Steinbecker Tor entsprechen im Allgemeinen den vier Himmelsrichtungen; die zwei ersten führen ihren Namen von gewerblichen Anlagen in ihrer Nähe, die beiden andern wahrscheinlich von den beiden alten Greifswalder Familien Fette und Stenbicker*).

*) Valva molendini, Mühlentor, Valva carnificumum, Fleischertor, Valva pinguium, Fettentor, Valva lapicidarum, Steinbecker Thor, oder eigentlich Steinbicker d. h. Steinhauer Tor. — Die Familie Fette kommt bereits in den ältesten Greifswalder Urkunden vor; die Familie Steinbicker wird zuerst 1307 im ältesten Stadtbuch genannt. Der Name, der ursprünglich die Beschäftigung bezeichnete, ward dann, wie es häufig in unseren Städten geschah, zum Familien-Namen; so die Namen Schmidt, Gerber, Färber usw. — Möglich wäre auch die Ableitung des Namens Steinbecker Tor oder Straße von dem plattdeutschen Stenbeke d. h. Steinbach. Es gab 1290 eine Stenbeker Möle (hochdeutsch Mühle) und 1310 besaß ein Everhard Stenbeke eine Ziegelei auf dem Rosenthal. In diesem Fall wäre freilich die lateinische Übersetzung Valva lapicidarum unrichtig. — Vergl. Kosegarten. Rüg. Pomm. Geschichtsdenkmäler p. 38 f. und Nachricht von der Entstehung der Stadt Greifswald p. 9.

Die Straßen Greifswalds boten, wie man sich leicht denken kann, noch einen buntscheckigen Anblick. Auch hier finden sich noch leere Plätze zwischen bebauten Grundstücken, und die Gebäude selbst variieren noch zwischen der leichten Bude oder der vorzugsweise von Holz gezimmerten Wohnung, wie sie noch jetzt durch das Amerikanische Blockhaus dargestellt wird, und dem soliden von Stein aufgeführten Bürger- und Kaufmannshause. Freilich, auch das stattlichste Bürgerhaus des dreizehnten Jahrhunderts würde keinen Vergleich aushalten mit unseren gegenwärtigen Durchschnittshäusern. Die Bürger unserer mittelalterlichen Städte wohnten, wenn wir unseren heutigen Maßstab anlegen, eng und unbequem; die Häuser mit weitem Hausflur und geräumigen Böden, die letzteren meist in mehreren Etagen übereinander, waren viel mehr Warenniederlagen und Speicher, als Wohnungen. Auch bei den Straßen hat man sich, um sich ein Bild von den Zuständen des 13. Jahrhunderts zu machen, der modernen Vorstellung von geregelten Häuserfronten, von leidlichem Straßenpflaster und bequemen Trottoirs zu den Seiten vollständig zu entschlagen. Die Bau-Polizei lag noch in den Windeln; auf seinem Grundstück oder Erbe baute Jeder was und wie er Lust hatte. Von Straßenpflaster war im dreizehnten Jahrhundert in Deutschland überall noch nicht die Rede, erst im folgenden findet es sich in einigen wenigen der angesehensten Deutschen Städte wie Augsburg, Regensburg, Soest. Unsere Deutschen Städte im Wendenlande werden sich geholfen haben, wie es die alten Pommerschen Städte schon zur Zeit des Bischofs Otto von Bamberg, des Heidenbekehrers, machten. Man legte an den Seiten längs der Häuser eine Art hölzernes Trottoir aus Balken und Brettern bestehend, um bei der oft unergründlichen Tiefe des Straßenkots den Fußgängern die Passage möglich zu machen. Freilich war damit dem Fahrweg, in der Mitte der Straße nicht geholfen, und wie es dort an Herbst-, Winter - und Frühjahrstagen aussehen mochte, können wir uns vorstellen, wenn wir manche unserer heutigen Dörfer um diese Zeit ins Auge fassen, die es in den befahrensten Straßen noch nicht bis zu einem Knüppeldamm gebracht haben.

Übrigens war der Straßen-Grundriss der Stadt Greifswald zu Ende des dreizehnten und im folgenden vierzehnten Jahrhundert im Wesentlichen schon derselbe, wie er noch gegenwärtig ist. Die Namen: Kostrate, Brüggestrate, Knopstrate, Bökstrate, Vischstrate, Stenbekerstrate, Hundestrate, Lange Strate, Racower Strate, Mölenstrate oder ihre lateinischen Übersetzungen kommen schon in den ältesten Stadtbüchern vor; nur wenige der alten Straßen, wie die Stremelower-, die Gerberstraße sind später verschollen.

Den Mittelpunkt des Ganzen, seit der Inkorporierung der Neustadt allerdings etwas zu weit nach, einer Seite gerückt, bildete der Markt der Altstadt. Er hat natürlich sein Rat- oder Kaufhaus, lateinisch theatrum, in Sächsisch-plattdeutscher Mundart auch kurzweg dat hûs genannt. Unter dem Rathause und in der Nähe desselben drängten sich wie damals überall in unseren Städten, die Buden der Verkäufer und die Standplätze der Händler aller Art. Doch auch die Plätze längs der Stadtmauer am Rik waren wegen des Schifffahrtsverkehrs gesucht.

Über dem Materiellen vergaßen die Greifswalder auch das Geistige nicht. Wo ein Markt war, erhob sich im Mittelalter bald auch eine Kirche, wenn sie nicht schon vorher da war. Schon 1249, wenige Jahre nach der ersten Gründung der Stadt, ist von Kirchen die Rede, deren Patronat dem Kloster Eldena verbleiben soll. Gegen das Ende des Jahrhunderts bestanden ohne Zweifel die drei großen Pfarrkirchen zu St. Marien, St. Nicolai und St. Jacobi, welche noch jetzt eine Zierde der Stadt bilden. Die Jacobi-Kirche wird zwar in Urkunden zuerst von den dreien genannt; 1275 verleiht Herzog Barnim I. das Patronat derselben dem Heiligen-Geist-Hause in Greifswald im Widerspruch mit den Patronatsrechten des Klosters Eldena *); aber trotz dieser frühesten Erwähnung ist diese Kirche als die Kirche der Neustadt unzweifelhaft später begründet, als die Marien- und Nicolai-Kirche. Die letztere wird zwar erst zu Ende des dreizehnten Jahrhunderts und, die erstere gar erst im folgenden erwähnt; aber ihre Entstehung gehört nach ihrer Lage, zu beiden Seiten des Markts der Altstadt, und nach dem Charakter ihres Baustils unzweifelhaft in die älteste Periode der Geschichte von Greifswald. Beides sind wahrscheinlich die Kirchen, welche die Abtretungs-Urkunde von 1249 im Auge hat; ihr Bau mochte damals soeben erst begonnen haben. Die Marien-Kirche blieb unvollendet, ohne Chor; ursprünglich noch durch das gleichfalls der Jungfrau Maria geweihte Kloster Eldena begründet, scheint diese Kirche später, als das Kloster seine Oberherrlichkeit über die Stadt aufgegeben hatte, sich nicht mehr der Sympathien der Bürgerschaft erfreut zu haben, wenigstens nicht in dem Grade als die den Heiligen der Schifffahrt und des Handels geweihten Kirchen. Von ihnen nahm die Nicolai-Kirche später unbestritten den Vorrang ein; ihr Pfarrherr stand mit dem Titel eines Propstes (praepositus) an der Spitze des Klerus von Greifswald.

*) Vergl. darüber Gesterding, Beitrag zur Geschichte der Stadt Greifswald. P. 18.
**) 1298 wird der Nicolai-Kirchhof im Stadtbuch, 1309 urkundlich die Kirche selbst genannt.

Auch die Greifswalder hatten schon früh ihre Dominikaner und Franziskaner, und die Kirchen beider Orden machten, wie überall wo sie sich niederließen, den Pfarrkirchen eine erhebliche Konkurrenz. Sie hatten sich in Greifswald, wie es auch in andern Städten ihre Gewohnheit war, unmittelbar an der Stadtmauer angesiedelt, die Dominikaner im westlichen, die Franziskaner im östlichen Teil der Stadt. Schon im Anfang der sechziger Jahre kamen beide Mönchsorden nach Greifswald. Wenn einer alten Inschrift zu glauben ist, die sich am Chor der Franziskaner-Kirche befand, so hatte im Jahr 1262 der Graf Jaczko von Gützkow den Mönchen den Bauplatz zur Aufführung des Klosters geschenkt. Die Kirche, welche die Stelle des jetzigen Gymnasiums einnahm, ward erst viel später vollendet; sie erhielt ihren Chor erst 1348 durch die Freigebigkeit der Greifswalder Bürgerfamilie Hilgeman. Die Dominikaner kamen wie es scheint gleichzeitig mit den Franziskanern*). Schon Herzog Wartislaw III., welcher 1264 starb, hatte den Platz zum Kloster, neben dem später an die Stadt überlassenen herzoglichen Stuterei-Gehöft bewilligt. Die alte Kirche des Ordens ward bald nach der Reformationszeit (1566) abgebrochen; die Gebäude des Klosters fielen an die Universität.

Neben seinen Kirchen und Ordenshäusern hatte die Stadt Greifswald zu Ende des dreizehnten Jahrhunderts auch bereits jene beiden milden Stiftungen, welche wir um diese Zeit in den meisten der bedeutenderen Ostsee-Städte finden, das Heiligen-Geist-Haus und das St. Georgen-Spital für die Aussätzigen. Das Erstere, in der langen Straße, wird bereits im Jahr 1262 von Herzog Wartislaw III. mit einer jährlichen Hebung von einem Drömt Roggen und einem Drömt Malz dotiert; zugleich richtet der Herzog auch an andere die Aufforderung, das zur Aufnahme von Armen, Kranken und Wanderern bestimmte Asyl mit Schenkungen zu bedenken. Ein zweites 1329 vor dem Steinbecker-Tor gegründetes Heiligen-Geist-Haus ward bereits im dreißigjährigen Kriege zerstört. Das Greifswalder St. Jürgen-Spital, welches wie gewöhnlich außerhalb der Stadt, vor dem Mühlentor, lag, kommt urkundlich nachweisbar zwar erst im Jahr 1318 vor, aber es bestand wahrscheinlich schon eine geraume Zeit früher. Es ist nicht anzunehmen, dass die Stadt Greifswald, welche sonst in allen Dingen so rasch vorging, in diesem Punkt hinter den Anforderungen jener Zeit sollte zurückgeblieben sein. Das alte Greifswalder St. Jürgen-Hospital vor dem Mühlentor ward, wie das zweite Heiligen-Geist-Haus, im dreißigjährigen Krieg durch die Kaiserlichen dem Erdboden gleich gemacht.

*) Die Angabe Kosegartens, Nachricht von der Entstehung der Stadt Greifswald p. 17. dass wir eine von dem Prior der Dominikaner und dem Guardian der Franziskaner ausgestellte Urkunde vom Jahr 1264 besitzen, ist nicht richtig. — Die fragliche Urkunde bei Dähnert, Pomm Bibl. III. p. 409 ist erst aus der Zeit nach dem Tode des Herzogs Barnim I, also jedenfalls nach 1278. Es wird darin nur Bezug genommen auf ein den Greifswaldern von Barnim im Jahr 1264 erteiltes Privilegium. Dadurch scheint der Irrtum schon bei Gesterding, Beitrag usw. p. 14 veranlasst zu sein, der sie auch falsch unter das Jahr 1264 setzt.

Das fast in allen bedeutenderen Städten Deutschlands und namentlich in all den jungen Städten an der Ostseeküste ungefähr gleichzeitig bemerkbare Hervortreten von Stiftungen, wie die Heiligen-Geist-und St. Georgs-Häuser deutet auf eine innere Notwendigkeit der Entwicklung und ein unabweisbares Bedürfnis, welches sich überall auf ähnliche Weise fühlbar machte und Befriedigung verschaffte. Man hat, um diese merkwürdige Erscheinung zu erklären, namentlich die religiöse Seite hervorgehoben; man hat solche Stiftungen der Liebe und Barmherzigkeit zurückgeführt aus den Aufschwung des religiösen Sinnes in der Zeit der Kreuzzüge, und sie als Äußerungen einer werktätigen Begeisterung gefasst, welche sich durch Opfer in diesem irdischen Leben den Himmel verdienen zu können glaubte. Es ist dies allerdings ein wesentlicher Moment für das Verständnis jener Erscheinung, aber nicht das Ganze. Sie hat auch ihre weltliche Seite, die man nicht übersehen darf. In der Einrichtung von Pflegehäusern für Fremde, Arme und Kranke, wie wir sie in den jungen Städten des Mittelalters fast durchgehend finden, und in der damit verbundenen Begründung von Pröven- und Rentenanstalten haben wir die ersten Anfänge einer kommunalen Armenpflege und, namentlich gilt dies von den Aussatz-Spitälern, den offiziellen Veranstaltungen einer städtischen Gesundheitspolizei. Diese ersten Anfänge wesentlicher Elemente des kommunalen Lebens mussten hervortreten, sobald überhaupt eine selbständige Entwicklung geschlossener städtischer Gemeinschaften begann , und so erzeugte das gleiche in dem ganzen Zuge der Entwicklung begründete Bedürfnis überall eine ähnliche Befriedigung. Dass dann äußerlich wieder eine Stadt von der andern ihr Muster entnahm, wird dadurch, nicht ausgeschlossen. Das kirchliche und religiöse Gepräge, welches diese Anstalten trugen, ist ihnen gemeinsam mit den meisten anderen Neu-Schöpfungen der mittelalterlichen Kultur. Das Christentum und seine mittelalterliche Verkörperung in der katholischen Kirche bildet den Wurzelstock des ganzen Lebens der neueren Zeit mit seinen unendlich zahlreichen Verzweigungen. Künste und Wissenschaften, Schulen und Universitäten, überhaupt fast alle theoretischen oder praktischen Kulturbestrebungen haben im Mittelalter ihre Laufbahn an der Hand der Kirche begonnen. Später freilich sind die Kinder erstarkt; sie haben auf eigenen Füßen stehen und des Gängelbandes entraten gelernt, welches nur für ihre ersten Kinderjahre eine Notwendigkeit war.
Greifswald um 1552, Zeichnung von Johann Gottlieb Giese

Greifswald um 1552, Zeichnung von Johann Gottlieb Giese

Greifswald um 1615, Zeichnung aus der Stralsunder Bilderhandschrift

Greifswald um 1615, Zeichnung aus der Stralsunder Bilderhandschrift

Greifswald Stadtansicht

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Hanse Kogge

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Hansewappen

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Wirtshausszene in der Hansezeit

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Greifswald

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Ruinen des KLosters Eldena

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