Deutsche Ansiedelungen in den östlichen Grenzländern. Magdeburgisches und Lübisches Recht

Wenn schon in den Grenzen des eigentlichen Deutschen Reiches die Entwicklung und Erstarkung der Städte von oben herab nur eine höchst zweideutige Förderung oder gar ein feindliches Entgegenwirken fand, so waren in denjenigen Länderstrecken, welche ursprünglich von fremden Nationalitäten bevölkert, nun von Deutschland aus kolonisiert und zivilisiert wurden, die Deutschen Städte so gut wie vollständig auf ihre eigene Kraft angewiesen, und gediehen naturwüchsig, von Kaiser und Reich ignoriert, höchstens von den eigenen oft nicht einmal Deutschen Landesherren gefördert, zu einem wunderbaren Grade von Reichtum und Macht.

Deutsche Kolonisten waren im 12. und 13. Jahrhundert unter den östlichen Völkerschaften nicht minder begehrt, als heutzutage in Nord- und Süd-Amerika. Sie waren damals wie heute gesucht wegen ihres zähen ausdauernden Fleißes, der mit all den Schwierigkeiten fertig zu werden wusste, vor denen die Rohheit und Unkultur der Eingeborenen Halt machte. Die Deutschen verstanden es damals aber besser als heute, sich ihre Volkstümlichkeit auch in der Fremde zu wahren. Überall wohin sie gehen, treten sie, wenn es irgend möglich ist, als geschlossene, eng unter sich zusammenhaltende Körperschaften auf mit eigener Sitte und eigenem Recht, und die Fremden sind froh, sie um diesen Preis zu bekommen. So bilden sich dann unter Ungarn und Slawen, Preußischen, Lettischen und Finnischen Stämmen durch Germanische Ansiedelung die Ausgangspunkte einer neuen und höheren Kultur. Anfangs stehen sie vereinsamt wie die Oasen in der Wüste; bald aber ziehen sie durch schöpferische Tätigkeit weitere und immer weitere Kreise für ihre Einwirkung, und so werden auf geräuschlose Weise weite und mächtige Länderstrecken für Deutschland und Deutsche Kultur gewonnen.


Was der Deutschen Kolonisation damals unter den Slawischen und anderen Völkern einen so beispiellosen Erfolg verschaffte, war dass ihre Träger nicht bloß ihren Fleiß und ihre Kraft, sondern auch ihren selbstbewussten Freiheits- und Unabhängigkeitssinn überall hin mitbrachten. Während die Eingebornen unter vielfachem Druck, in Unfreiheit und Hörigkeit verkümmerten, sicherten sich die Deutschen bei ihren Niederlassungen überall das Recht freier Männer und lebten von den Eingeborenen deshalb schmerzlich beneidet, unter eigener Verfassung und eigenem Recht. „Das Recht der Deutschen“, wie es damals im Gegensatz zu den Slawischen oder sonstigen Landesrechten gewöhnlich genannt wird, ist eben die allgemeine Bezeichnung der eigentümlichen auf Selbstverwaltung und eignem Gericht beruhenden Verfassung, wie auch sonst die Unterschiede im Einzelnen sich gestalten mögen. So sehr galt Freiheit und Selbstbestimmung als das auszeichnende Merkmal Germanischer Volkstümlichkeit, namentlich unter den Slawischen Nationen, dass die Angehörigen der Letzteren schon durch ihren Namen den Deutschen gegenüber als Knechte und Unfreie gekennzeichnet wurden. Slawe und Sklave ist dasselbe Wort; Slawentum und Sklaverei galt vom Deutschen Standpunkt als identisch.

Es würde besser um die Fortschritte Deutscher Kultur gegen Osten stehen, wenn das Germanische Element stets der Hort der Freiheit und Selbstbestimmung geblieben wäre. Seitdem es aber im Habsburgisch-Spanischen Interesse zum Träger absolutistisch-bürokratischer Bevormundung und pfäffischer Verdummung gemacht ist, sind die Fortschritte Deutscher Kolonisation, im Südosten wenigstens, zum Stillstand gekommen oder es ist wohl gar rückwärts damit gegangen.

Im 12. und 13. Jahrhundert war es wie gesagt noch anders hiermit bestellt*). Weit nach Ungarn und Siebenbürgen hin sehen wir Deutsche, zumeist aus Einladung der eigenen Fürsten dieser Länder, Deutsche Kultur und Deutschen Freiheitssinn bringen. Die „Sachsen“ in Siebenbürgen, welche noch heute im äußersten Südosten die Vorposten Deutscher Volkstümlichkeit bilden, datieren die Anfänge ihrer Niederlassungen aus jener Zeit; die Städte Kronstadt, Hermannstadt, Klausenburg, Schäsburg und andere bezeichnen schon durch ihre Namen die Nationalität ihrer Gründer. Wie nach Ungarn und Siebenbürgen kamen auch nach dem Czechischen Böhmen und Mähren die Deutschen auf Einladung der einheimischen Regenten. Die ausgedehntesten Privilegien stellten ihre Rechte als freie Männer sicher und so hoch standen sie in der Achtung der Landesherrn, dass, wenn diese fort ins Feld zogen, die Deutschen es waren, denen die Bewachung der Hauptstadt anvertraut ward. In der Tat war Prag schon bald nach der Mitte des 13. Jahrhunderts eine zum großen Teil Deutsche Stadt und im Jahre 1257 vertrieb Ottokar II. sogar aus der Vorstadt die alten Einwohner, um Deutsche an ihre Stelle zu setzen. Nach dem Vorbild der Hauptstadt bildeten sich Leitmeritz, Eger und andere Städte zu Pflanzstätten Deutscher Kultur und Deutschen Rechts um.

*) Für das Folgende vergleiche man Wachsmuth, Geschichte Deutscher Nationalität. Thl. III. Braunschweig 1862, p. 99 ff. - Barthold, Geschichte der Deutschen Städte, 1831, Thl. II. p. 137 ff.

Auch in Schlesien und selbst in Polen förderten die eingeborenen Slawischen Herzoge aus dem Stamm der Piasten in dieser Periode im Allgemeinen Deutsche Einwanderung und die Gründung neuer oder die Umbildung alter Städte nach Deutschem Muster. Namentlich waren es die Zeiten nach dem Mongolischen Einbruch (1241), wo Deutsche Gemeinwesen in Schlesien und Polen aufblühten. Man hatte die zähere nachhaltige Kraft des Deutschen Elementes dem Slawischen gegenüber erkannt.

Schon in den ersten beiden Jahrzehnten des Jahrhunderts waren Goldberg und Löwenberg mit den Privilegien Deutschen Rechts ausgestattet; 1242 ward Breslau zur Deutschen Stadt umgebildet, und bald folgten Liegnitz, Landshut, Brieg, Wogau, Oppeln, Reichenbach und andere Städte. Selbst Posen und Krakau, die alte polnische Königsstadt, nahmen teilweise mit Deutschen Bewohnern Deutsches Wesen und Deutsche Verfassung auf.

War in Böhmen, Mähren, Schlesien und Polen das Werk der Germanisierung durch Deutsche Städte schon von Seiten der Slawischen Fürstenmacht gefördert, so geschah dies in noch viel durchgreifenderer Weise von dem Deutschen Fürstengeschlecht, welches nördlich davon die im Laufe von drei Jahrhunderten dem Slawentum wieder abgerungene Brandenburgische Mark beherrschte. Die Brandenburgischen Markgrafen aus dem Geschlecht Albrecht des Bären waren unermüdlich im Kolonisationswerk; zu den älteren Städten Stendal, Salzwedel, Brandenburg, Havelberg kommen nun im Lauf des 13. Jahrhunderts als namhafte städtische Gemeinwesen Deutschen Gepräges die Schwesterstädte Berlin und Köln, aus denen dann im Lauf der Zeit die mächtige Preußische Hauptstadt erwuchs, Frankfurt an der Oder, mit dem Recht von Berlin bewidmet, und Landsberg an der Warthe, in der den Polen abgenommenen Neumark, erstanden bald nach der Mitte des Jahrhunderts, als Deutsche Schöpfungen der Brandenburgischen Markgrafen. Kurz zuvor hatten sie mit der Uckermark die Stadt Prenzlau erworben, von ihrem früheren Herrn, dem Herzog von Pommern, bereits als Deutsche Stadt gegründet. Im Süden, der Brandenburgischen Grenze wurden Bautzen und Görlitz, von Böhmen durch Heirat erworben, aus Czechischen Kastellaneien zu Deutschen Städten.

Mächtiger fast als irgendwo sonst war im 13. Jahrhundert der Aufschwung Deutscher Kolonisation und Deutschen Städtewesens an der Ostsee. Der ganze Südrand derselben, wo zu Ende des vorigen Jahrhunderts Lübeck in der südwestlichsten Ecke die einzige Dentsche Stadt von Bedeutung ist, überzieht sich im Laufe unserer Periode mit einem dichten Netz Deutscher Städte, welche dann ihrer Seits als Kristallisationspunkte Germanischer Kultur unter den halbbarbarischen Völkerschaften erscheinen, unter denen ihre Bürger sich ansiedeln.

Die Preußen, Kuren, Liven und Esten hatten, als sie in den Bereich Germanischer Kolonisation gezogen wurden, den Kulturgrad, wo Völker sich in städtischen Wohnsitzen konzentrieren, überall noch nicht erreicht. Wenigstens wird man gerechtes Bedenken tragen müssen, unfern Begriff von Städten auf ihre Ortschaften und befestigten Plätze zu übertragen. Von der Weichsel bis nach den Grenzen Estlands am Finnischen Meerbusen hinauf war es namentlich der Deutsche Orden, seit 1236 mit dem Schwertorden verbunden, unter dessen schirmendem Schutz das Deutsche Kolonisationswerk vor sich ging. Thorn und Kulm, Marienwerder und Elbing, Braunsberg und Heilsberg, Königsberg und Memel, Riga und Dorpat, Narwa und Reval, letzteres selbst unter Dänischer Oberherrschaft, erblühten als Deutsche Städte mit Deutschen Bürgerschaften, Deutscher Sitte und Deutschem Recht. Namentlich Westfalen und Niedersachsen war es, welches in diese fernen Gegenden seine Ansiedler aussandte. Der Zwischenhandel mit Russland und Polen bereicherte die hier gegründeten Städte, und selbst der Orden, der in seinen Mitgliedern bereits den Charakter des Kriegers und Priesters vereinigte, verschmähte es nicht, auch den des Kaufmanns noch hinzuzufügen, und erwarb vom heiligen Stuhl die Erlaubnis Handel zu treiben und Waren-Niederlagen zu halten. Freilich, zur Sicherheit und Ruhe gelangten die städtischen Anlagen in diesen Gegenden erst gegen das Ende des Jahrhunderts: bis dahin kam es nur zu oft vor, dass blutige Aufstände der Eingebornen die Frucht jahrelanger Mühe und Ausdauer in wenig Tagen wieder vernichteten, dass ganze Städte und ihre Deutschen Bürgerschaften dem Religions- und Rassenhass der Unterdrückten zum Opfer fielen.

Die Slawischen Völkerschaften an der Ostsee standen zur Zeit der Deutschen Städtegründungen bereits auf einem viel höheren Kulturstandpunkt als die Preußischen und Lettisch-Finnischen Stämme. Unter den Obotriten, unter den Pommern werden bereits Städte genannt, selbst ehe das Christentum unter ihnen die Herrschaft gewinnt. Aber die meisten von diesen sogenannten Städten, wie Schwerin, Mecklenburg, Malchow, Gutzkow, Tribsees, Gdanzk (Danzig), Usedom und Andere waren wohl kaum mehr, als landesherrliche Kastelle mit daneben gelegenen Burgflecken. Bei anderen, wie bei Stettin, Demmin, Wolgast deutet das Wenige, was wir davon aus den früheren Zeiten wissen, schon mehr auf einen wirklich städtischen Charakter. Namentlich kann Wollin, als bedeutsamer Stapelplatz des Ostseehandels, nicht wohl nach dem Zuschnitt eines bloßen Burgfleckens gedacht werden. Ein bewegtes Handelsleben, das Zusammenströmen fremder Kaufleute, der daraus erworbene Wohlstand und Reichtum musste schon von selbst eine freiere Stellung des städtischen Gemeinwesens gegenüber der landesherrlichen Gewalt herbeiführen. Wir mögen daher annehmen, dass die herzoglichen Kastellane oder Burgvögte, welche sonst nach Slawischer Weise von den landesherrlichen Burgen aus die Städte beherrschten, hier ein geringeres Maß von Gewalt werden ausgeübt haben. Wie weit oder wie eng aber in Städten dieser Gattung die Grenzen ihrer Macht gezogen, welches ferner die Organe waren, durch welche die städtische Kommune repräsentiert war, darüber wissen wir für unsere Gegenden schlechterdings nichts.

Man könnte in Ermangelung von Nachrichten über die Verfassung alter Slawen-Städte, wie Wollin, geneigt sein, zur Aushilfe auf eine andere alte Slawische Stadt zurückzugehen, wo ähnliche Verhältnisse die Entwicklung bedingten. Wir meinen Nowgorod, die berühmte Russische Handelsrepublik am Ilmen-See. Soweit unsere unvollkommene Kenntnis der ältesten Zustände von Nowgorod reicht, finden wir hier nach oben eine einheitliche Spitze des Stadtregiments. In der ältesten Zeit war der Repräsentant der landesherrlichen Gewalt und der Inhaber der höchsten städtischen Würde, der Fürst und der Possadnik, in einer Person vereinigt. Und auch später, als beide Funktionen getrennt wurden, behalten doch die städtischen Behörden im Possadnik ihre einheitliche Spitze. Nach unten dagegen ruht das Ganze auf der breiten demokratischen Basis der Volksversammlung aller Bürger. Sie beschließt in letzter Instanz über Krieg und Frieden, sie genehmigt die internationalen Vorträge; sie hat die gesetzgebende und in letzter Instanz auch die richterliche Gewalt; sie wählt, entsetzt und bestraft die städtischen Beamten, kurz, sie übt fast alle Rechte der Souveränität. Allerdings hat die Verfassung von Nowgorod im Laufe der Zeit vielfache Wandelungen erfahren, und es ist oft schwer zu sagen, wie zu einer bestimmten Zeit die Machtbefugnisse der verschiedenen städtischen Behörden gegen einander abgegrenzt gewesen sind; aber bei alledem springt ein durchgehender Grundunterschied von den Germanischen Städteverfassungen des 11. und 12. Jahrhunderts in die Augen, und der Grundtypus des Slawischen Städtewesens spricht sich unverkennbar darin aus. Einmal ist es nach oben nicht wie in den Deutschen Städten eine kollegialische Behörde von Ratmannen, sondern eine einzelne Person, der Possadnik, respektive der Fürst, welcher an der Spitze des Ganzen steht. Der Deutsche Bürgermeister ist nur der Erste unter feines Gleichen, weshalb es in den Deutschen Städten meist auch mehrere Bürgermeister gibt. Dagegen hat der Possadnik seines Gleichen nicht neben sich, am wenigsten, so lange er mit dem Fürsten in einer Person vereinigt war. Die Tausendmänner, deren Funktionen übrigens noch sehr im Unklaren liegen, waren eine Art Volkstribunen, die oberste Gewalt zu kontrollieren und zu überwachen. Und wie nach oben die einheitliche Spitze, so ist es nach unten die breite ochlokratische Basis, welche den Unterschied von den Deutschen Stadtverfassungen des Mittelalters bezeichnet. Allerdings finden wir auch hier eine Vertretung der Gesamtgemeinde aller mündigen Bürger; aber sie tritt neben dem Rats-Kollegium sehr in den Hintergrund und hat entfernt nicht die souveräne Bedeutung, wie in der alten Slawenstadt. Indem nun die einheitliche Spitze und die breite Basis nicht gehörig mit einander ausgeglichen und vermittelt sind, so ist die Folge ein Überschlagen von einem Extrem ins andere, von den Exzessen einer ungezügelten Pöbelherrschaft zu der despotischen Tyrannei fürstlichen Willkürregiments, und von dieser wieder zu jener, wie wir es durch die ganze Geschichte Nowgorods verfolgen können. Es fehlt hier an der Stetigkeit und Sicherheit des städtischen Lebens, wie sie in den Germanischen Städten bedingt war durch die Ratsverfassung, welche schon in sich selbst eine Ausgleichung der Gegensätze bildete. — Ungewiss bleibt es nun freilich immer, ob wir uns die alte Slawische Stadtverfassung von unseren Pommerschen Städten Wollin, Wolgast, Stettin und anderen nach der Analogie der von Nowgorod zu denken haben. Bei Gelegenheit ihrer Bekehrungsgeschichte durch den Bischof Otto erfahren wir wohl, dass ein landesherrlicher Hof sich in diesen Städten befand, und es fehlte also auch ein Kastellan nicht. Welches aber seine Befugnisse gewesen sind, erfahren wir nicht. In religiöser Beziehung hatte er jedenfalls nichts zu sagen. Es werden auch Beschlüsse der Städte erwähnt, so von Wollin, dass es sich erst nach dem Vorgange von Stettin über die Annahme des Christentums entscheiden wolle. Durch welche Organe aber solche Beschlüsse gefasst worden, darüber erfahren wir nichts. Als wahrscheinlich mögen wir annehmen, dass in das Leben so tief eingreifende Entscheidungen durch allgemeine Volks-oder Bürgerversammlungen gefasst sind.

Freilich, als das Christentum nach Pommern kam, hatte die altberühmte Slawenstadt Wollin den Höhepunkt ihrer Handelsblüte bereits hinter sich und die verheerenden Kriege mit Dänemark im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts gaben ihr den Rest. Konnte doch selbst das Pommersche Bistum sich dort nicht halten und musste nach dem gesicherten Kammin verlegt werden. Mit dem Schwinden der Handelsbedeutung des Orts ging natürlich auch der Reichtum, und mit dem Reichtum die größere Macht und Selbständigkeit seiner Einwohnerschaft verloren. Als im 13. Jahrhundert Deutsches Städtewesen die Slawischen Ostsee-Küsten überzieht, tritt unter den alten Städten des Landes keine mehr über das Niveau des Gewöhnlichen hervor: sie find der allgemeinen Kastellanei-Verfassung des Landes eingeordnet, und der Fortschritt zur Deutschen Städteverfassung bezeichnet überall auch den Fortschritt zur Emanzipation von dem alt-Slawischen Landrecht und zur kommunalen Selbständigkeit.

An das Ordensland Preußen stieß gegen Westen zunächst das Ost-Pommersche Herzogtum. Seine Hauptstadt Danzig, das alt-wendische Gdanzk, hatte durch seine günstige Lage an der Mündung der Weichsel schon früh Deutsche Ansiedler an sich gezogen. Bald nach der Mitte des 13. Jahrhunderts etwa, seit der Regierung desselben Swantepolk, der den Deutschen Orden tödlich bekämpfte und selbst die Allianz mit den heidnischen Preußen nicht verschmähte, sehen wir dann Danzig als eine wesentlich Deutsche Stadt mit Deutschem Recht in die Reihe der Ostsee-Handelsstädte eintreten, während die Wenden auf einen eigenen Stadtteil beschränkt nach altväterischer Sitte zu leben fortfahren.

Nachdrücklicher und schneller als in Ost-Pommern, wo sich namentlich auf dem Lande das Wendentum noch lange erhielt, ging das Werk der Germanischen Kolonisation mittelst der Gründung neuer oder der Umwandlung alter Städte in West-Pommern vor sich. In der Hauptstadt Stettin finden wir die Deutschen in großer Zahl schon zu Ende des 12. Jahrhunderts. In den ersten Jahrzehnten des folgenden nehmen sie dann in so rascher Progression in der Stadt zu, dass im Jahr 1237 der Pommersche Herzog Barnim die Jurisdiktion von den Wenden an die Deutschen überträgt. Schon bildeten die Letzteren, wie aus dieser Übertragung zu schließen, die Mehrzahl in der Stadt. Zugleich wird ihnen die Jakobi-Kirche, den Wenden die Petri-Kirche angewiesen. Sechs Jahre später folgt dann die Bewidmung der Stadt mit dem Deutschen Magdeburger Recht, und von nun an tritt das Wendentum rasch vollständig in den Hintergrund. Gleichzeitig oder bald nachher vollzogen die alten Wendischen Ortschaften Pyritz, Stargard, Kolberg, Demmin und 1282 auch Wolgast ihre Umwandlung zu Städten Deutscher Verfassung. Anklam, neben dem alt-wendischen Groszwin, finden wir schon bald nach der Mitte des Jahrhunderts als Deutsche Stadt, und Köslin ward bereits als solche von einem Kamminer Bischof gegründet.

Wie Pommern überzog sich auch Mecklenburg mit einem Netz Deutscher Städte. Die Einwirkungen Germanischer Kolonisation waren hier um so energischer, als Mecklenburg das am meisten gegen Deutschland westlich vorgeschobene Grenzland war. Schwerin war schon seit den Tagen Heinrichs des Löwen als eine wesentlich Deutsche Stadt zu betrachten; in Rostock ward im J. 1218 die Umwandlung zur Deutschen Stadt durch die Verleihung des Rechts von Lübeck besiegelt, und kurz nach der Mitte des Jahrhunderts erscheint auch Wismar als ein Gemeinwesen mit Deutscher Ratsverfassung, welches zwischen Lübeck und Rostock als Vermittlerin auftritt. Zu diesen größeren tritt im Laufe des Jahrhunderts noch eine Reihe kleinerer Mecklenburgischer Städte als Träger und Verbreiter Deutscher Kultur in dem alten Obotritenlande.

Unmittelbar an den Grenzen Mecklenburgs finden wir nun die Stadt, welche ursprünglich gleichfalls auf Wendischem Gebiet entstanden, im 13. Jahrhundert von der tiefgreifendsten Bedeutung für das ganze Werk Deutscher Städtegründung in den Ostsee-Ländern ward. Lübeck war eine Deutsche Stadt schon seit der Mitte des 12. Jahrhunderts. Der geniale Scharfblick Heinrichs des Löwen erkannte sie schon früh in ihrer Bedeutung als Vermittlerin für die Handels - und Kultur-Beziehungen zwischen dem Germanischen Westen und dem Slawischen Osten. Deshalb ruhte er nicht, als bis der Herzog von Holstein sie ihm abgetreten. Seiner freien und weiten Auffassung der Verhältnisse verdankte dann Lübeck die Grundlagen seiner Verfassung, welche später Jahrhunderte hindurch als Schutz und Schirm bürgerlicher Freiheit und städtischer Selbstregierung festgestanden hat. Die Wirren, welche den Sturz der Macht des Welfischen Herzogs begleiteten oder ihm folgten, die schweren Zeiten Dänischer Oberherrschaft zu Anfang des 13. Jahrhunderts vermochten Lübecks Wachstum nicht zu hemmen. Mit großem Geschick steuerte die aufstrebende Stadt durch alle politischen Klippen und Untiefen dieser Zeit, und als sie dann seit 1226 das Dänische Joch durch eine kühne rasche Tat ihrer Bürger abgeschüttelt und die freie Stellung einer Deutschen Reichsstadt errungen hatte, welche Niemandes Regiment über sich hatte, als das des fernen Kaisers, da wuchs sie an Macht, Reichtum und Einfluss in rapidester Progression. Bald macht sie den Dänen die Seeherrschaft auf der Ostsee streitig; 1235 vernichtet eine Lübische Flotte in einem hartnäckigen Seetreffen an der Warnow-Mündung die Dänische und König Waldemar selbst entkommt nur mit genauer Not. Vierzehn Jahre später greifen die Lübecker Dänemark bereits ihrerseits an; Kopenhagen und andere Dänische Städte werden erobert und zerstört und mit reicher Beute kehrt die siegreiche Flotte unter de Kommando ihres gefeierten Admirals Alexander von Soltwedel in die Trave zurück (1249). Bald sehen wir Lübeck als ebenbürtige Macht mit den Nordischen Königen verhandeln oder kämpfen, und überall werden Handelsvorteile aller Art als Preis glücklicher Kriege oder gewandter Diplomatie von der kräftig und klug geleiteten Republik errungen. Über die ganze Ostsee dehnen sich ihre Handelsverbindungen aus; sie hat ihre Herings-Vitten an den Küsten von Schonen und Norwegen, ihre Handels - Comtoire in allen größeren Städten des Nordens und Ostens, dessen Produkte sie nach dem Westen ausführt, während sie die Erzeugnisse des Letzteren nach den Dänischen, Norwegischen, Schwedischen, Russischen, Liv- und Estländischen, Preußischen, Pommerschen und Mecklenburgischen Häfen verführt. Auch die Nordsee wird in den Bereich ihrer Betriebsamkeit gezogen; trotz Kölns Gegenmachinationen weiß sie sich bald nach der Mitte des Jahrhunderts den Englischen Markt zu erschließen; in Flandern ist sie neben dem Hochländischen Wisby die Hauptrepräsentantin des Ostsee-Handels. Mit der Ausdehnung der Handelsverbindungen stieg der Reichtum der Stadt. Fürsten und Herren wandten sich hierher, wenn sie Geld gebrauchten, und noch jetzt bezeugen zahlreiche Urkunden die Ausdehnung solcher Geldgeschäfte, welche die Stadt oder ihre reichen Bürger machten. Unter denen, welche Darlehen empfangen hatten, finden wir auch den Fürsten von Rügen; im Jahr 1284 stellt der Fürst Wizlaw II. einen Schuldschein über die nach unseren Begriffen winzige Summe von 1.120 Mark aus, und verpflichtet sich nebst dem Ritter Reinfried von Penz sich persönlich zur Haft in Lübeck zu stellen, falls er den Zahlungstermin nicht einhielte. Diese Verpflichtung zum Einlager, welche auf Ehrenwort eingegangen ward, bildete die Sicherheit der städtischen Darleiher. Der Bruch derselben machte den adeligen oder fürstlichen Schuldner ehrlos, und wenn auch mitunter die Städte trotzdem ihr Geld verloren, so sind auch die Fälle nicht selten, dass sich der Schuldner, wenn er nicht zahlen konnte, am bestimmten Tage wirklich zur Haft stellte.

Die gehobene Machtstellung Lübecks hatte zur natürlichen Folge, dass es schon im Laufe des 13. Jahrhunderts alle andern Skandinavischen, Deutschen, Russischen Handelsplätze der Ostsee weit überflügelte. Eine Zeit lang machte das altberühmte Wisby auf Gothland ihm den ersten Rang streitig. Aber noch vor dem Ende des Jahrhunderts endigte das Ringen mit dem Siege Lübecks in der wichtigen Rechtsfrage, wohin von dem Hof der lateinischen Kaufleute in Nowgorod die Appellation gehen solle, nach Wisby oder nach Lübeck. Im Jahr 12515 war die Frage dahin entschieden, dass die Appellation nach Lübeck gehen solle: vier und zwanzig der bedeutendsten Westdeutschen, Norddeutschen und Ostsee-Städte bekannten sich zu dieser Entscheidung, darunter Köln, Dortmund, Paderborn, Minden, Magdeburg, Halle, Braunschweig, Goslar, Hildesheim, Rostock, Stralsund, Wismar, Greifswald, Kiel, Danzig, Elbing und Riga.

Diese Entscheidung war freilich nicht lediglich eine Folge der überlegenen Machtstellung Lübecks; sie hatte ihren tieferen Grund bereits in dem Vorherrschen des Lübischen Rechts in der großen Mehrzahl der Deutschen Ostseestädte.

Wenn man heutzutage vom Lübischen Recht spricht, welches noch jetzt in vielen derselben Geltung hat, so denkt man gewöhnlich nur an die privatrechtliche Seite, an die Bestimmungen über eheliches Güterrecht, über Erbrecht, über gewisse Verkehrs- Satzungen in Miete, Kauf- und Verkauf usw., wie sie sich bis jetzt als Lübisches Recht in vielen Städten erhalten haben. Im Mittelalter, zur Zeit als die Städte gegründet oder mit Lübischem Recht bewidmet wurden, hatte der Begriff desselben eine viel weitere Ausdehnung; er umfasste neben der gesamten Sphäre des Privatrechts und des Prozesses auch wesentlich das öffentliche oder Verfassungsrecht; denn beide Seiten hingen in dem damaligen städtischen Leben viel enger zusammen als jetzt. Die städtischen Behörden waren zugleich die gesetzgebenden und richterlichen Gewalten, und die Gesetze und ihre Anwendung durch die Polizei und Rechtspflege waren, wenn sie auch auf dem Grunde allgemeiner landrechtlicher Satzungen und Gewohnheiten beruhten, doch wesentlich bedingt durch die besonderen Verhältnisse und Bedürfnisse jedes einzelnen städtischen Gemeinwesens.

Es lag in der Natur der Sache, dass die durch Alter, Macht und Einfluss ausgezeichneten Städte, wo die kommunalen Zustände bereits einen höheren Grad von Festigkeit und innerer Durchbildung erlangt hatten , ihrerseits wieder von ihren jüngeren Schwestern zum Vorbild genommen wurden. So finden wir denn in Deutschland eine Reihe von Städten, deren Recht oder Rechte wieder von einer mehr oder minder großen Anzahl anderer zur Grundlage ihres städtischen Daseins gemacht werden. In Schwaben gelten in solcher Hinsicht als ältere Mutterstädte Ulm, Esslingen, Überlingen; am Oberrhein und für die nördliche Schweiz Freiburg im Breisgau, im Elsass Straßburg, Hagenau und Colmar, für den Nieder - und Mittelrhein Frankfurt am Main und vor Allem Köln, dessen kaufmännisches Recht auch von Freiburg herübergenommen ward.

Für das gesamte nördliche und nordöstliche Deutschland, für die angrenzenden Slawen-Länder und die ganze Ostseeküste bis zum Finnischen Meerbusen hinauf sind nun vor Allen zwei Städte von der tiefgreifendsten Bedeutung in rechtlicher und kommunaler Beziehung gewesen: Magdeburg und Lübeck, beide dem Sächsischen Stamm entsprossen, der von den Germanischen Stämmen zwar erst zuletzt auf der Bahn städtischer Entwicklung eintritt, dann aber durch die markige Kraft und die nachhaltige Solidität feiner Schöpfungen und durch den weiten Raum, über den sie sich ausdehnen, auch auf diesem Gebiet unter den Ersten rangiert. Beide, das Magdeburger Recht wie das Lübecker Recht, beruhen auf dem gemeinsamen Grunde alt-sächsischen Landrechts, wie es dann später im Sachsenspiegel seinen Ausdruck gewonnen hat; beide sind eigentümliche durch die Bedürfnisse städtischer Kultur bedingte Sondergestaltungen einer gemeinsamen Grundlage von Rechtsanschauungen und Gewohnheiten; wir können die Eine als die Ostfälische, die Andere als die Westfälische bezeichnen. Denn wenn gleich in Ostfalen, im östlichen Sachsenlande, auch die alten Welfischen Städte, unter ihnen Goslar, Braunschweig, Lüneburg und Andere durch eigentümliche Bildungen ans dem Gebiet städtischer Rechtsentwicklung sich auszeichneten, so dass dieselben auch ihrerseits auf andere Städte übertragen wurden, so halten sie doch keinen Vergleich aus mit Magdeburg, der alten Schöpfung der Sächsischen Kaiser. Das Magdeburger Recht, sei es direkt, sei es indirekt, fand die weiteste Verbreitung nicht nur in dem östlichen Sachsen selbst, sondern auch in den nahen Marken Brandenburg und Meißen, tief nach Böhmen und Mähren hinein, in Schlesien und Polen, und durch das Kulmische Recht, welches auf dem Magdeburger beruht, in einem großen Teil der Städte des Deutschen Ordensstaates in Preußen. In Pommern bezeichnet Stettin etwa die Grenze der Verbreitung des Magdeburger Rechts; die auf dem linken Ufer der Oder gelegene Stadt war mit dem Recht von Magdeburg bewidmet, die Lastadie dagegen auf dem rechten Ufer lebte nach Lübischem Recht.

Das Recht von Lübeck entstammt dem westlichen, wie das von Magdeburg dem östlichen Teil des alten Sachsenlandes. Hier sehen wir Münster, Paderborn und Rüthen, vor Allen aber Dortmund und Soest als Mittelpunkte städtischer Rechtsbildung hervortreten. Das Recht von Soest war es nun, welches nach Lübeck übertragen hier unter dem Zusammenwirken ganz besonders günstiger Verhältnisse das berühmte Tochterrecht erzeugte, welches über die südlichen und östlichen Ostseeländer die weiteste Verbreitung fand. Eine große Anzahl von Städten hat das Lübische Recht zu dem Ihrigen gemacht. Während das Recht von Schwerin auch auf Kiel, Güstrow und andere Städte übertragen eine in ältester Zeit entstandene eigentümliche Abart des Lübischen Rechts bildet, finden wir das Mutter-Recht selbst, um nur die bedeutendsten Städte zu erwähnen, in Wismar und Rostock, Stralsund und Greifswald, Anklam, Demmin und Wolgast, Köslin und Kolberg, und während in Danzig das Lübische Recht mit dem Kulmisch-Magdeburgischen zusammenstößt und durch dasselbe verdrängt wird, setzt es sich ans der andern Seite Danzigs wieder fort bis hinauf nach Riga, Dorpat und Reval.

Man würde irren, wollte man als Folge solcher Rechtsübertragungen ein sklavisches Festhalten an den Bestimmungen des Mutterrechts in den jüngeren Städten vermuten. Dies ist nicht der Fall. Vielmehr wie in den Mutterstädten selbst in unserer Periode das Recht noch flüssig und in einem fortdauernden Prozess der Aus- und Umbildung begriffen ist, so sehen wir auch die Töchter mit der gleichen Freiheit verfahren, und wenn es heißt, das Recht einer Stadt ist auf eine andere übertragen, so gilt dies mehr von den prinzipiellen Grundbestimmungen, als von den einzelnen Satzungen, und während im Privatrecht meist ein engerer Anschluss auch an das Einzelne Statt findet, hält sich das öffentliche oder Verfassungsrecht vorwiegend an die allgemeine Grundform, die in jeder Stadt ihren Verhältnissen angemessen variiert wird*).

*) Über das Magdeburgische und Lübische Recht, ihr Verhältnis und ihre Verbreitung vergleiche man Gaupp, Das alte Recht von Magdeburg und Halle. 1826.
— Desselben, Deutsche Stadtrechte des Mittelalters, 1851. (besonders die Einleitung über die Familien der Deusschen Stadtrechte).—Hach, Das alte Lübische Recht. 1839.
— Frensdorfs, Die Stadt- und Gerichtsverfassung Lübecks im XII. und XIII. Jahrhundert, Lübeck 1861, — Über die allgemeine Geschichte Lübecks in dieser Periode ferner: Deecke, Geschichte der Stadt Lübeck, I, Lübeck 1844.
Wismar, Ansicht aus der 2ten Hälfte des XVII. Jahrhunderts

Wismar, Ansicht aus der 2ten Hälfte des XVII. Jahrhunderts

Wismar, Fürstenhof und St. Jürgen

Wismar, Fürstenhof und St. Jürgen

Lübeck - Schifferhaus Außenansicht

Lübeck - Schifferhaus Außenansicht

Lübeck - Marienkirche

Lübeck - Marienkirche

Lübeck - Holstentor

Lübeck - Holstentor

Lübeck - Dom und Museum

Lübeck - Dom und Museum

Lübeck - Burgtor

Lübeck - Burgtor

Braunschweig Stadtansicht

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Bremen Marktplatz

Bremen Marktplatz

Greifswald Stadtansicht

Greifswald Stadtansicht

Goslar Stadtansicht

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Elbing Stadtansicht

Elbing Stadtansicht

Berlin und Kölln

Berlin und Kölln

Kaiser Otto I. und Gemahlin

Kaiser Otto I. und Gemahlin

Lübeck Das Holstentor

Lübeck Das Holstentor

Lüneburg Stadtansicht

Lüneburg Stadtansicht

Magdeburg Stadtansicht

Magdeburg Stadtansicht

Rostock Stadtansicht

Rostock Stadtansicht

Stettin, das Alte Schloss

Stettin, das Alte Schloss

Stralsund Stadtansicht

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Wismar, Stadtansicht

Wismar, Stadtansicht

Hamburg, Blick auf die Unterelbe

Hamburg, Blick auf die Unterelbe

Hamburg, Flet in der Altstadt

Hamburg, Flet in der Altstadt

Bremen - Einfamilienhäuser in der Olbersstraße

Bremen - Einfamilienhäuser in der Olbersstraße

Bremen - Freihafen

Bremen - Freihafen

Danzig - Frauengasse

Danzig - Frauengasse

Die Plünderung Wisbys

Die Plünderung Wisbys

Flucht an Bord einer Kogge

Flucht an Bord einer Kogge

Hamburg - Deichstraßenfleet

Hamburg - Deichstraßenfleet

Hamburg - Leitergasse

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Hanse Kogge

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Hansewappen

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