4. Abschnitt. Beilegung von Streitigkeiten zwischen den fünf Städten. Lübisches Recht für alle. 1293 Bündnis gegen Norwegen. Rostock nimmt nach Lübek den vornehmsten Platz ein.

Was uns schwankend und unsicher erscheint, ist nur die Form. Bald unter dieser, bald unter jener, bald ohne alle Bezeichnung treten die fünf Städte zusammen; die nächsten Aufgaben sind die Beilegung von Streitigkeiten unter einander, die gemeinsame Ordnung von Rechtsverhältnissen, der gegenseitige Beistand bei feindlichem Angriff, das gemeinsame Einschreiten gegen See- und Straßenräuber; wie aber Lübek mit Hamburg zusammen Privilegien nachsucht für alle Kaufleute des römischen Reichs, so faßt es in Gemeinschaft mit Rostock und Wismar, Stralsund und Greifswald Beschlüsse zum Nutzen aller Kaufleute, die nach Lübischem Rechte leben, Beschlüsse für alle Städte und Kaufleute, die denselben beitreten wollen, und gegen alle Städte und Kaufleute, die sich ihnen widersetzen.

Auf dem Städtetage zu Wismar 1284 wird der Kampf gegen Norwegen beschlossen. An solchem Kampfe betheiligen sich außer Lübek, Rostock, Wismar, Stralsund und Greifswald auch Wisby und Riga. Mit Wisby hat Lübek im Jahre 1280 ein Bündniß auf 10 Jahre geschlossen zum Schutze aller Ostseefahrer zwischen Travemünde, dem Sund und Nowgorod, sowie auch auf der ganzen Ostsee; 1282 ist Riga diesem Bündniß für die noch übrigen 8 Jahre beigetreten, Eine Gegnerin steht den Städten in der Weserstadt Bremen gegenüber: 1285, wiederum zu Wismar, wird der Beschluß gefaßt, die Bremer, die sich von den verbündeten Städten abgesondert haben, in keine dieser Städte zum Handelsverkehr zuzulassen. Durch Vermittelung des Königs Magnus von Schweden kommt der Friede zu Stande: Erich von Norwegen muß versprechen, seinen Raub herauszugeben und 6000 Mark Norwegisch an die sieben Städte zu bezahlen. In einem Schreiben Wismars, das an die Städte Stade, Osnabrück, Münster, Koesfeld, Soest, Dortmund, Leeuwarden, Groningen, Staveren, Kampen, Zwoll, Deventer, Zütphen, Harderwyk und Muiden adressirt ist, berichtet dasselbe, daß es seine Bürger zum Kampf gegen Norwegen ausgesandt habe, um die Freiheit des gemeinen Kaufmanns wiederherzustellen, daß es dabei von Niemandem unterstützt sei, als von einigen seiner Nachbarstädte und zwei auswärtigen Städten (nullo tamen juvamine quoadjuti, nisi quarumdam civitatum nobis adjacentium et duarum alterius provincie civitatum), und daß es von den Städten, welche der wiedergewonnenen Freiheit mitgenießen wollen, einen Beitrag zu den aufgewendeten Kosten erwarte. Aus Gründen, die uns unbekannt sind, scheint jedoch Lübek dieses Schreiben zurückbehalten zu haben, und erst in Folge eigener Streitigkeiten mit König Erich von Norwegen sind die beiden Städte Staveren und Kampen mit Lübek, Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald im Jahre 1293 zu einem Bündniß gegen Norwegen zusammengetreten.


In demselben Jahre 1293 schließen auch die fünf Städte zu Rostock unter einander ein Bündniß auf drei Jahre, das 1296 auf weitere drei Jahre erneuert wird. Im Interesse des Friedens und zum Besten des gemeinen Kaufmanns (ob bonum pacis et utilitatem mercatorum communium) verpflichtet man sich zu gegenseitiger Hülfe und zur Besendung von Tagfahrten in gemeinschaftlichen Angelegenheiten; im Falle eines Krieges will jede Stadt ihr bestimmtes Kontingent stellen, Lübek 100, Rostock 70, Stralsund 50, Greifswald und Wismar je 38 Mann; auf die muthwillige Versäumung einer Versammlung wird eine Strafe von 100 Mark wendisch gesetzt.

Gleichzeitig mit dem Abschluß dieses Bündnisses muß hier zu Rostock der Beschluß gefaßt sein, daß fortab von den Urtheilen des Hofes zu Nowgorod nicht mehr nach Wisby, sondern nur nach Lübek appellirt werden dürfe. Rostock und Wismar melden diesen Beschluß und ersuchen im Interesse des gemeinen Kaufmanns (ob utilitatem mercatorum communium) um Zustimmungserklärungen. Wisbys Widerspruch, dem Riga und selbst Osnabrück beipflichten, ist vergeblich; von Februar 1294 bis October 1295 anerkennen 24 Städte Lübek als den Oberhof Nowgorods. Im Jahre 1299 zu Lübek, wohin zum ersten Mal auch die westfälischen Städte ihre Rathmannen geschickt haben, geschieht der zweite Schritt gegen Wisby: die Städte belieben, daß auf Gothland nicht länger ein Siegel geführt werde, welches als Siegel der gemeinen Kaufleute gilt, da mit denselben Etwas besiegelt werden könnte, was den übrigen Städten nicht gefiele: jede Stadt habe also ihr Siegel für sich und besiegele damit, wenn es die Nothdurft erfordere, die Angelegenheiten ihrer Bürger. Durch solche Anerkennung Lübeks als Oberhof für den deutschen Kaufmann zu Nowgorod und die Abschaffung des auf Gothland bewahrten Siegels der gemeinen Kaufleute ist Wisbys Vorortschaft auf der Ostsee gebrochen, und Lübek für die Städte des gemeinen Kaufmanns in Wahrheit geworden, als was es von Zwoll und Kampen gepriesen wird, „das Haupt und der Vorort von uns allen (quasi capud et principium omnium nostrum).“

Aus einer Gruppe von Städten, die so eng mit einander verbunden sind, wie die fünf wendischen Städte während der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, eine einzelne Stadt herausheben und für sich betrachten zu wollen, ist selbstverständlich schwierig und zuweilen unmöglich. Innerhalb der Gruppe selbst nimmt Rostock nach Lübek den vornehmsten Platz ein; nach ihm folgt Stralsund; den Beschluß machen Wismar und Greifswald. Mit Lübek einerseits und mit Stralsund andererseits ist Rostock noch inniger verbunden, Lübek, von dem es sein Recht empfangen, ist seine Mutterstadt, Stralsund, dem es dasselbe mitgetheilt, seine Tochterstadt. Als Stralsund 1295 seine Zustimmung zu der ausschließlichen Appellation von Nowgorod nach Lübek ausspricht, behält es sich zugleich sein altes Recht vor, daß bei einer in Stralsund anhängig gemachten Rechtssache von einem Urtheil seines Rathes zunächst nach Rostock und eventuell von Rostock nach Lübek appellirt werden müsse. Lübek, dem im Jahre 1226 von den Söhnen Heinrich Borwins II, Johann, Nicolaus und Heinrich Borwin III, als Herren von Rostock, die Zollfreiheit für ihre ganze Herrschaft auf immerwährende Zeiten verliehen worden ist, hat in seiner 1227 abgefaßten Zollrolle auch den Leuten des Herrn Borwin und seiner Söhne die gleiche Freiheit zugesprochen.

Die älteste Urkunde, welche unser Rathsarchiv im Original aufbewahrt, ist ein Handelsprivileg König Abels von Dänemark vom Jahre 1251, welches den Bürgern Rostocks die Freiheit vom Strandrecht ertheilt und sie für die Jahrmärkte von Skanör in Bezug auf die Geldbußen, welche bei Streitigkeiten unter einander verhängt werden, den Lübekern gleichstellt. Fünfundzwanzig Jahre später erhalten die Stralsunder von König Erich das gleiche Recht, das denen von Lübek und Rostock von seinen Vorfahren verliehen ist, in den Streitigkeiten, die sie unter einander haben, die Entscheidung ihres eigenen Vogtes anrufen zu dürfen. Die eigene Gerichtsbarkeit des Rostocker Vogtes auf Schonen, dessen urkundlich erst im Jahre 1283 Erwähnung geschieht, muß also bis ins Jahr 1251 zurückreichen. Hundert Jahre später (1352) erhalten wir Nachrichten über das Lager der Rostocker Schonenfahrer, ihre sogenannte Fitte, neben der deutschen Kirche und dem Rostocker Kirchhof.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rostocks Stellung in der Hanse.