2. Abschnitt. 1218 beurkundet Fürst Heinrich Borwin I. seine Bereitschaft die Stadt Rostock auszubauen. - Zollfreiheit und Lübisches Recht. Drei Kirchen entstehen. Gründung Stralsund 1234. - 1240 Greifswald. - 1266 Wismar. Kern des hansischen Städtebundes.

Freilich vergeht noch ein Menschenalter, ehe von einer eigentlichen Stadt die Rede ist. Erst im Jahre 1218 beurkundet Fürst Heinrich Borwin I, dem nach dem Tode des kinderlosen Niklot (25. Mai 1200) auch die Herrschaft Rostock zugefallen ist, er sei mit seinen Söhnen Heinrich Borwin II und Nicolaus die Stadt Rostock auszubauen Willens geworden (Rozstok oppidum delegimus astruendum) und bestätige deshalb denen, welche zur Ansiedelung dorthin kommen würden, Zollfreiheit in seiner ganzen Herrschaft und Gebrauch des Lübischen Rechts. Es ist nicht eine Neugründung, sondern ein Ausbau, was hier beabsichtigt wird; Zollfreiheit und Lübisches Recht werden nicht verliehen, sondern bestätigt; daß eine organisirte Stadtgemeinde bereits vorhanden ist, wird durch die Aufführung von 10 Rathmannen (ejusdem opidi consulibus) unter den Zeugen erwiesen, und die Namhaftmachung des Priesters Stephan von Rostock läßt auf die Existenz einer eigenen Stadtkirche, der Petrikirche, schließen. Dreizehn Jahre später (1231) begegnet uns auch der Priester von St. Marien, und 1252 erscheinen neben einander die Pfarrer von St. Petri, St. Marien und St. Jacobi: der Ausbau der deutschen Stadt Rostock, ihre Gliederung in Altstadt, Mittelstadt, Neustadt ist damals vollendet.

In der Zeit zweier Menschenalter, von 1189 bis 1252, ist diese Entwickelung von einem Marktplatz zu einer dreigliederigen Stadtgemeinde vor sich gegangen. Wenn während dieser ganzen Periode die Urkunde Heinrich Borwins vom Jahre 1218 das einzige Privileg bleibt, das Rostock von seinen Fürsten verliehen wird, so muß offenbar dieser Armuth in der Zahl der Documente ein Reichthum dessen gegenüber stehen, was das Privileg von 1218 enthält oder voraussetzt, ausdrücklich oder stillschweigend bestätigt. Den Hauptschatz dieses Reichthums bildet zweifelsohne das Lübische Recht. Dieses zumeist und zunächst ist gemeint, wenn der Rujaner-Fürst Wizlav im Jahre 1234 seiner neugegründeten Stadt Stralsund dieselben Gerechtsame und Freiheiten verleiht, mit denen die Stadt Rostock bewidmet ist (eandem justiciam et libertatem contulimus, que civitati Roztok est collata). Unter den Ostseestädten ist Rostock die erste, die sich dieses Rechtes erfreut, durch seine Vermittelung erhält es Stralsund, 1250 wird Greifswald in Pommern, 1266 Wismar in Meklenburg direct mit dem Lübischen Rechte beliehen. Solche Gemeinsamkeit des Rechtes webt um diese auf gleichartigem Boden erwachsenen und unter gleichartigen Lebensverhältnissen aufblühenden Städte ein starkes Band, macht sie geeignet zum festen Kern des großen hansischen Städtebundes.
Das Substantiv Hansa oder Hanse, gothisch bei Ulfilas und fränkisch beim sogenannten Tatian hansa, angelsächsisch im Beowulf-Liede hôs, hat zunächst die Bedeutung von cohors, Schaar. In frühzeitiger Begriffsverengerung bezeichnet es dann Gemeinde, Vereinigung, Gesellschaft, speciell die Stadtgemeinde, die organisirte Kaufmannschaft; in England heißt schon unter König Heinrich I (1110-1135) hanshus das Gebäude, in welchem die Bürger ihre Beschlüsse fassen, und hansa wird seit 1200 synonym mit Kaufmannsgilde, gilda mercatoria, gebraucht. Als Vorsteher solcher Vereinigungen begegnen uns in Deutschland Hansegrafen, so namentlich in Regensburg seit 1190. In weiterer Entwickelung bedeutet hansa das Recht der Kaufleute, in fremden Städten und Ländern Handel treiben zu dürfen, die Vereinigung derer, welche dies Recht ausüben, und die Abgabe, welche dem betreffenden Landesherrn für die Ausübung desselben zu zahlen ist: die Bürger zu St. Omer, welche nach dem Lande des Kaisers handeln, werden von Graf Wilhelm von der Normandie 1127 für die Grafschaft Flandern von der hansa befreit, für Bremen verzichtet der Erzbischof etwa 1181 auf die ihm gebührende hansa, und den Lübekern bestätigt der Kaiser 1188 für das ganze Herzogthum Sachsen Einkauf und Verkauf frei von Zoll und hansa; den Paderborner Bürgern bestätigt ihr Bischof ihr Hanse-Recht, jus quod hanse dicitur, de quo nobis solvunt annuam pensionem; in London hat sowohl Köln wie Brügge seine besondere Hanse, und Hamburg hat Hansen in Utrecht und Ostkerken, später in Staveren, Amsterdam und Sluys. Das Verbum hansen oder hensen, auch vorhansen, bezeichnet das Beitreten zu einer solchen Vereinigung, das Zahlen eines Aufnahmegeldes oder eines Beitrages zu den Unterhaltungskosten, Von einem latinisirten Verbum hansare kommt das Particip hansatus vor: in Frankreich bezeichnet es 1204 denjenigen, der in eine Stadtgemeinde aufgenommen ist, derselben angehört: hansatus Parisiis, id est de communia Parisiensi. In ganz eigenthümlicher Bedeutung wird aber das Verbum 1259 in Köln gebraucht; hier sind den fremden Kaufleuten nach den Ländern, von denen sie kommen, bestimmte Verkaufsplätze angewiesen, und wer von ihnen sich anderswo mit seinen Waaren von einem Kölner Bürger betreffen läßt, den kann derselbe nach alter Sitte anhalten und hansen, d. h. ihn mit Binsen oder Bast binden, vermuthlich, um ihn dadurch zur Zahlung eines Lösegeldes zu zwingen (ab ipso cive impune et licite arrestari et puniri poterit more antiquo, secundum quod vulgo hansin vocatur, quod taliter fieri consuevit, quod civis Coloniensis mercatorem in tali excessu a se deprehensum calamo vel junco vel consimili ligamento ligabit). Diese Bestrafung des Hausirhandels oder wohl richtiger des Handels an unerlaubten Orten ist dasselbe Binden, das noch heutigen Tages unsere Bauerburschen über den unbefugten Betreter ihrer Felder verhängen, nur recht emsthaft gemeint: wer sich seiner Bande entledigt, der verfällt dem Kölner Bürger mit Leib und Gut, und wer sich dem Binden mit Gewalt widersetzt, an dem soll auf Antrag des Bürgers der Erzbischof oder dessen Richter die Strafe vollziehen. Diese Bedeutung des Worts hansin weiß ich mir nur durch die Annahme zu erklären, daß das Lösegeld hansa genannt wurde, es sei denn, daß grade das Binden als die ursprüngliche Bedeutung aufzufassen wäre.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rostocks Stellung in der Hanse.