Breslau, den 18. 10. 1918

Liebste Sonitschka, ich schrieb Ihnen vorgestern. Bis heute habe ich noch keinen Bescheid auf mein Telegramm an den Reichskanzler, es kann vielleicht noch einige Tage dauern. Jedenfalls steht aber eins fest: meine Stimmung ist schon derart, daß mir ein Besuch meiner Freunde unter Aufsicht zur Unmöglichkeit geworden ist. Ich ertrug alles ganz geduldig die Jahre hindurch und wäre unter anderen Umständen noch weitere Jahre ebenso geduldig geblieben. Nachdem aber der allgemeine Umschwung in der Lage kam, gab es auch in meiner Psychologie einen Knick. Die Unterredungen unter Aufsicht, die Unmöglichkeit, darüber zu reden, was mich wirklich interessiert, sind mir schon so lästig, daß ich lieber auf jeden Besuch verzichte, bis wir uns als freie Menschen sehn.

Lange kann es ja nicht mehr dauern. Wenn Dittmann und Kurt Eisner freigelassen sind, können sie mich nicht länger im Gefängnis halten und auch Karl wird bald frei sein. Warten wir also lieber auf das Wiedersehen in Berlin.


Bis dahin tausend Gruße.

Stets Ihre

Rosa.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rosa Luxemburg - Briefe aus dem Gefängnis