Vorrede zur zweiten Auflage

Früher als ich vermutete ist ein neuer Abdruck meines Schriftchens nötig geworden. Ich konnte demselben eine Anzahl nicht unwesentlicher Erweiterungen einfügen. Als solche hebe ich namentlich zwei neue Zeugnisse für die Form Roggenwolf S. 7, die Zusätze zu III. S. 9. 10, die Traditionen vom Heupudel und den Kiddelhunden S. 14, den Namen Roggenwolf für Mutterkorn S. 24, die bedeutsamen Schweizer Überlieferungen S. 39 hervor.

Mit Dank und Freude darf ich von einem weiteren glückverheißenden Fortgange des Unternehmens berichten, für welches mein Aufsatz ein möglichst weit verbreitetes zu hilfreicher Tat bereites Interesse anzuregen versuchen möchte. Sowohl der Vorstand des germanischen Museums in Nürnberg, als die germanistische Sektion des Philologentags zu Heidelberg und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsgesellschaften haben ihre freundliche Mitwirkung zugesagt. In dem Organe des letzteren, dem „Correspondenzblatt“ 1865 No. 10, 11, 12 ist ein Abdruck meines am 18. Sept. v. J. zu Halberstadt gehaltenen Vortrages erschienen, in welchem ich den ausführlicheren Plan eines Quellenschatzes der Volksüberlieferung, sowie besonders des in wohlbedachter Selbstbeschränkung zuerst unternommenen Teiles der großen Aufgabe, der Sammlung agrarischer Gebräuche, dargelegt habe. Auch die h. k. k. Akademie der Wissenschaften zu Wien hat durch ein bestimmendes und empfehlendes Gutachten in der Sitzung v. 16. November v. J. mich zu treuer und ausdauernder Verfolgung des eingeschlagenen Weges ermutigt. Dank der Bewilligung einer ausreichenden Geldsumme aus den Mitteln des h. Landtages der Provinz Preußen wird es möglich auf das wichtige litauische Grenzgebiet ein besonderes Augenmerk zu richten und die einzelnen Wohnplatze des aussterbenden Völkchens durch einen sachkundigen Stammgenossen bereisen zu lassen. In ausgedehnterem Umfange ist die Sammlung nunmehr auch in Polen, Schweden und der französischen Schweiz organisiert, wofür wir namentlich den Herren K. W. Woycicki in Warschau, Propst E. Rietz in Malmö und Professor A. Pictet in Genf zu lebhaftem Dank verpflichtet sind.


Eine der nächsten und wichtigsten Aufgaben ist es nun das Material aus Deutschland selbst zu vervollständigen. So viele reiche und dankenswerte literarische Beiträge mir auch aus den verschiedensten Teilen des deutschen Vaterlandes bereits zugeflossen sind, blieben manche große und weite Gebiete noch unvertreten. Da nur dann die uneigennützige Bemühung aller derjenigen, welche sich bereits der Arbeit der Aufzeichnung ihrer heimischen Volksgebräuche unterzogen haben, zu ihrem rechten Ziele kommt, wenn auch die Bewohner der sämtlichen übrigen Landschaften nicht dahinten bleiben, da jede Lücke ein Glied in der Kette der Überlieferung zerstört, so wiederhole ich, so warm ich vermag, meine herzliche und dringende Bitte zumal an die Direktoren derjenigen Schullehrerseminare und Gymnasien und an die Vorstände derjenigen archäologischen und landwirtschaftlichen Vereine, welche meine Fragebogen zur Verteilung in Händen haben, ohne dass sie bisher Gebrauch davon machten, sich der Mithilfe zu dem nationalen Werke, einer Ehrenpflicht gegen das Andenken unseres teuren Altmeisters J. Grimm, nicht länger entziehen zu wollen. Auch an alle sonstigen Freunde des Volkslebens wendet sich meine Bitte um Mitteilung von Material aus eigener Beobachtung, sowie aus schwer zugänglichen Lokalschriften. Ich bitte zu bedenken, dass auch in der Wissenschaft nur die Einigkeit stark macht. Je schmerzlicher wir der staatlichen Einheit entbehren, um so fester müssen wir in geistiger Arbeit zusammenstehen und jeder deutsche Mann sollte sich freuen Gelegenheit zu haben, eine Aufgabe fördern zu helfen, zu welcher einmal über jeden Gegensatz des Stammes, des religiösen Bekenntnisses und der politischen Partei hinweg alle Vaterlandsfreunde sich brüderlich die Hand reichen dürfen. Geschähe dieses überall, wie es in vielen deutschen Landschaften in erfreulichster Weise geschehen ist, käme die ganze Nation mit allseitiger und liebevoller Teilnahme meinem Streben zu Hilfe, so möchte ich hoffen, dass meinen schwachen Kräften wenigstens annähernd vorerst die Erreichung eines näheres Zieles gelingen könnte, von welchem aus eine Reihe fruchtbarer Erkenntnisse in das Volksleben selbst zurückfließen werden.

Danzig, den 30. Januar 1866.
Wilhelm Mannhardt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Roggenwolf und Roggenhund