Geschichte der Colonie

Die Geschichte Robinsons und seiner Kolonie hat uns Beispiele von den mannigfaltigen Veranlassungen gegeben, die den Menschen im einsamen und gesellschaftlichen Zustande zwingen oder ermuntern konnten: die natürliche Gestalt seines Wohnortes zu verändern; die Naturprodukte seines Aufenthalts aufzusuchen, zu finden, zu vervielfältigen; die Erzeugnisse andrer Gegenden bei sich anzupflanzen; die Materialien aus allen drei Reichen der Natur, die er in ihrer ursprünglichen Gestalt weder zu seinem Unterhalt noch zu seiner Bequemlichkeit brauchen konnte, durch Verarbeitung geschickt dazu zu machen; zur Verrichtung und Erleichterung aller dieser Arbeiten Werkzeuge zu ersinnen. Wenn wir diese Beispiele zusammen vergleichen, so werden wir finden, daß Zufall, Not, Leidenschaft, Witz die vier Hauptursachen aller Erfindungen waren; Verstand und anhaltendes Nachdenken brachten keine einzige von den Robinsonischen Erfindungen und auch keine einzige in der Welt hervor. Robinson wurde zufälligerweise gewahr, daß ein Baum auf seiner Insel die Biegsamkeit der Weide hatte; diese Ähnlichkeit ließ ihn eine andre vermuten, nämlich daß er vielleicht auch so leicht wurzeln würde wie die Weide; er versuchte es, fand seine Vermutung bestätigt, und die Erfindung war gemacht. So entstanden sie alle durch die Bemerkung der Ähnlichkeit und durch eine solche Vermutung, wie diese waren, daß ein Baum, der mit einem andern eine Eigenschaft gemein habe, auch vielleicht die übrigen haben werde und daß das Feuer, wenn es brennt wie die Sonne, auch die andern Wirkungen derselben tun und tönerne Gefäße ebenso härten werde. Der Witz erzeugte also die menschlichen Erfindungen, Verstand, Beurteilung und Nachdenken trugen bloß zu ihrer Vollkommenheit bei.
Diese Ursachen waren auch die Urheber von den Veränderungen in dem gesellschaftlichen Zustande der Kolonie: sie erzeugten verschiedene Arten von Subordination, Knechte, Sklaven, Herren, Vasallen, Zinsleute (tributaires), daher entstund ein abgeteiltes Eigentum, Ungleichheit des Vermögens, der Gewalt, des Ansehns; dadurch wurden die Menschen in zween Hauptklassen, in Landbauer und Künstler, geteilt, und die Verschiedenheit des Standes bewirkt, die von der Verschiedenheit der Beschäftigung abhängt; dadurch wurde Handel und Geld eingeführt; daher entstund richterliches Ansehn, richterliche Gewalt; daher Verschiedenheit in der Regimentsverfassung, Demokratien, Aristokratien, Monarchien, Despotismus. Auf alle diese Wirkungen hatte unstreitig die ursprüngliche Verschiedenheit der Menschen in ihren Neigungen und Geschicklichkeiten den beträchtlichsten Einfluß: sie gab jenen vier Ursachen Richtung und Einschränkung. Die Wilden, welche unter den beiden despotischen Engländern stunden, mußten gerade so dumme, träge, fühllose Tiere und ihre Oberherren solche sinnliche Müßiggänger sein, wenn sie diese despotische Verfassung bekommen sollten; die Wilden, welche der handelnde Engländer unter sich bekam, mußten so eine folgsame, tätige, anschlägige Gattung und ihr Befehlshaber so ein herumschweifender geschäftiger betriebsamer Mann sein, wenn eine Handlungsgesellschaft aus ihnen entstehn sollte.
So vielfache Veränderungen in dem Zustande der Menschen und der Gesellschaft wirkten wieder auf die Menschen zurück: die Verfassung, der Handel, die Industrie eines Volks floß freilich ursprünglich aus seinem natürlichen Charakter und der natürlichen Beschaffenheit des Landes, das es bewohnt; aber wenn diese Verfassung einmal Festigkeit erlangt hat, wenn sein Handel, seine Beschäftigungsart und sein Reichtum einmal bestimmt ist, dann erwachsen daher Veränderungen in der Denkungsart, den Sitten, Neigungen und selbst in den Verstandeskräften, und vorzüglich von diesen Wirkungen wird die folgende Geschichte der Kolonie Beispiele enthalten.
Wenn die Einführung des Ackerbaus und des abgeteilten Eigentums in der Bildung des menschlichen Charakters Epoche machten, so machte der Gebrauch und die Vermehrung der Haustiere nicht weniger eine; und Hr. Forster sagt mit Recht, ob es gleich manche für Satire hielten, daß die Engländer zur künftigen Geistesbildung der Neuseeländer und Otahiten den Grund dadurch gelegt haben könnten, weil sie bei jenen Schweine und bei diesen Schafe zurückließen. Unsre Insulaner geben hiervon einen augenscheinlichen Beweis. Da sie weder Pferde noch Ochsen hatten und alle Arbeit durch Menschen verrichtet werden mußte, widersetzte sich jedermann der Freilassung der Sklaven, obgleich Robinson sehr ernstlich darauf drang; als man durch jene Tiere Gehülfen in der Feldarbeit bekam, hätte nur ein kleiner Umstand dazu gehört, um die Freiheit der Sklaven zu bewirken. Zum Unglück entstund in diesem Zeitpunkte eine neue Art von beschwerlicher Arbeit, wobei man keine Tiere gebrauchen konnte: man entdeckte Gold, legte Bergwerke an, und es mußten schlechterdings Sklaven sein, die eine so schwere und der Gesundheit so schädliche Arbeit verrichteten. Die Erfindung der Maschinen, wodurch die menschliche Kraft mehr als verdoppelt wird, tat der Freiheit auf der Insel einen neuen Vorschub, der soviel fruchtete, daß wenige Begebenheiten sie zustande brachten. Ihr schlimmster Zeitpunkt war, da die Geschäftigkeit der Insulaner, ihre Gewinnsucht und die Anzahl der beschwerlichen Arbeiten stärker zunahmen als die Vermehrung der Sklaven und Haustiere; zu dieser Zeit war ein Mensch, der arbeiten mußte, von hohem Wert, und man kaufte einen Sklaven um einen übermäßigen Preis, der in der Folge nach Erfindung der Maschinen so weit heruntersank, als er vorher gestiegen war.
Man kann also mit Recht behaupten, daß Robinsons Einfall, seinen Insulanern Ochsen und Pferde zuzuschicken, die nachfolgende allgemeine Freiheit in seinem kleinen Staate vorbereitete; ebensoviel trug er auch zur künftigen Geisteskultur der Einwohner bei. Die Wilden, welche den beiden despotischen Engländern unterworfen waren, fielen nach dem Tode ihrer Herren ganz in ihre vorige Lebensart zurück: sie lebten von Wurzeln, von Baumfrüchten, von ihren Ziegenherden, ohne Ackerbau, Gewerbe und Handel; in den langen Kriegen, die die Insel zerrütteten, bekamen sie Pferde und Ochsen in ihre Gewalt; ihre Baumpflanzungen waren verwüstet, und der Mangel zwang sie, von diesen Tieren einen Gebrauch zu machen, der sie zu einer ganz andern Lebensart führte; der Ackerbau lenkte sie vom Kriege ab, sie fingen an zu handeln, Gewerbe zu treiben; die Entwickelung der Geisteskräfte wurde dadurch unmittelbar befördert, und von dieser Reihe von Wirkungen waren Ochsen und Pferde die erste Ursache.
Obgleich Robinson soviel Gutes nicht davon voraussah, so gab er doch seinem Sohne eine große Menge solcher Tiere mit, wovon freilich beinahe die Hälfte unterwegs umkam, aber es langten doch immer genug an, um ihre Vermehrung zu beschleunigen. Dieser junge Herr, der Karl Robinson hieß, hatte Verschlagenheit genug, die mitgenommenen Tiere bei seiner Ankunft auf der Insel zu seinem großen Vorteile zu gebrauchen. Er stimmte seine Begleiter, daß sie ihm beistehen sollten, wenn sich etwa die Einwohner seinem Vorschlage widersetzten, und er wußte ihnen seinen herrschsüchtigen Geist so sehr mitzuteilen, daß sie ihm gegen alle seine Befehle den vollkommensten Gehorsam versprachen in der Hoffnung, an seiner künftigen Größe Anteil zu nehmen. Er ließ also nach der Landung bekanntmachen, daß er der rechtmäßige Erbe aller Robinsonischen Staaten sei und daß er jeden, der ihn für den Beherrscher derselben erkennen werde, mit einer bestimmten Anzahl Pferde und Ochsen beschenken wolle. Man sahe die Nützlichkeit eines solchen Geschenks zu gut ein und hielt es für eine zu unbedeutende Sache, einem jungen eingebildeten Menschen von achtzehn Jahren die Oberherrschaft einzuräumen, als daß man sich lange hätte bedenken sollen, und der Vergleich wurde auf der Stelle ohne Schwierigkeit, Kabale oder Blutvergießen geschlossen.
Karl Robinson, ein junger, feuriger, unternehmender Geist, konnte sich unmöglich damit begnügen, einen Trupp Ackerleute und Handarbeiter in Friede zu regieren, da ohnehin seine Regierung in nichts bestund als in der Einbildung, denn er durfte und konnte keine Gesetze machen, verstund ebensowenig, Streitigkeiten zu entscheiden, und war also im Grunde nichts als ein Landbauer, der durch seine mitgebrachten Menschen und Tiere ein Stück Land urbar machen, besäen und bepflanzen ließ; man hatte ihm zwar unterdessen zu seinem Unterhalt eine Lieferung von Getreide und Viktualien bewilligt, die er in seiner jugendlichen Einbildung als eine Abgabe ansah, allein er erfuhr sehr bald, daß es nur eine freiwillige Kollekte, eine Beisteuer, war, die man ihm auf seine Bitte zugestand; als er seine Bitte zum zweiten Male tat und sie ein wenig befehlsweise einrichtete, wurde sie ihm geradezu abgeschlagen. Darüber geriet er in Feuer und dachte auf Rache; die Leute, welche mit ihm aus England kamen, waren meistens Geschöpfe, die ihr Vaterland verließen, um der Strafe zu entgehn, oder aus Neigung zum Herumlaufen; jede Gelegenheit, unter irgendeinem Vorwande zu rauben und Menschen zu plagen, jede Unruhe war ihnen willkommen, und sie boten deswegen begierig ihren Beistand zur Rache an. Dazu gesellten sich alle, die vom alten Robinson aus Brasilien herübergeschickt wurden; sie führten große Beschwerden wider die Spanier, vielleicht mit einigem Rechte, aber doch noch mehr, weil sie Neigung zu den schön angebauten Feldern der Spanier hatten und weil sie unter einem anständigen Vorwande sich derselben bemächtigen zu können glaubten.
Der Krieg fing mit einem heimlichen Überfalle an, der die Spanier zur Flucht nötigte und alles das Ihrige in die Hände der Angreifer brachte; der junge Robinson wurde abgeredtermaßen zum Regenten ausgerufen, erhielt das Recht, sich unter den eroberten Wohnungen, Feldern, Weibern, Sklaven und Vieh das beste auszusuchen, und das übrige verteilten seine Gefährten durch das Los unter sich. Die Vertriebenen, die wie von einem plötzlichen Donnerschlage aus ihren Besitzungen verscheucht waren, griffen zwar ihre Überwinder gleichfalls an und suchten sich ihre Häuser und Felder wieder zu erobern, allein es war unmöglich, weil sie die Flucht zu eilfertig genommen und ihr meistes Gewehr und Pulver den Feinden zurückgelassen hatten. Sie suchten Hülfe bei den drei Engländern, aber mit ebenso schlimmem Erfolge: die zween Despoten hatten durch ihre wollüstige faule Lebensart Geist und Mut verloren, um nicht schon vor dem Gedanken an den Krieg zu erschrecken, und der dritte war mit seiner Handelsrepublik zu sehr an Frieden und die ruhige Betreibung eines Geschäftes gewöhnt, als daß sie sich in einen Streit einlassen sollte, der ihr Wohl und Weh nicht geradezu betraf; es galt der Gesellschaft natürlicherweise gleich, ob ihnen Karl Robinson und seine Gefährten oder die vertriebenen Spanier die Materialien ihres Handels lieferten, wenn er nur nicht gehindert oder ihr Vorteil dabei geschmälert wurde. Nunmehr war den Bedrängten niemand mehr übrig als Franz – sein alter Vater war indessen gestorben – mit seiner kleinen Monarchie, und hier fanden sie auch Gehör; Franz besaß noch ganz das kriegerische Feuer eines Wilden, war in den Jahren des jugendlichen Mutes und ergriff mit Freuden eine Gelegenheit, seinen Nerven und Muskeln Bewegung zu verschaffen. Er versprach den Spaniern Hülfe, aber zum Unglücke kam Karl Robinson dahinter und zog ihn unter so vorteilhaften Bedingungen auf seine Seite, daß sich die Vertriebenen abermals verlassen sahen. Der junge Eroberer war mit seinem Glücke noch nicht zufrieden, sondern wollte die ganze Insel bezwingen; er zog also mit seiner ganzen Macht und seinen Bundesgenossen aus und trieb die Spanier so in die Enge, daß man ihnen keine Wahl ließ, als sich zu ergeben oder zu sterben; sie zogen das Leben vor und versprachen Gehorsam und Unterwürfigkeit, wenn man ihnen neue Wohnsitze anweisen wollte. Sie wurden auf der Insel verteilt, ein jeder Haufen bekam einen öden Fleck, den er anbauen mußte, und Robinson suchte sich seine Kriegsgehülfen dadurch zu verbinden, daß er einem jeden darunter einen solchen Bezirk eingab und ihm das Recht einräumte, den Spaniern, die ihn bewohnten, zu befehlen und von ihnen einen Teil ihrer Ernten und andrer Produkte zum Zeichen der Untertänigkeit zu verlangen. Es entstund also durch diesen Krieg eine ganz neue Verfassung: die Besitzungen, aus welchen man die Spanier vertrieb und die die Eroberer durchs Los unter sich verteilten, besaß ein jeder eigentümlich, er konnte sie verkaufen, verschenken, vermehren oder vermindern und nach seinem Tode vermachen, wem er wollte; die Distrikte hingegen, worinne die überwundnen Spanier wohnten, waren ihren Besitzern gleichsam nur geborgt, und nur geliehen, wer sich durch Untreue oder andre Ursachen seinem Oberhaupte, Karl Robinson, mißfällig machte, den vertrieb er von einem solchen Distrikte und borgte ihn einem andern, der ihn mehr zu verdienen schien. Die Gewohnheit, einem andern auf diese Weise etwas zu leihen, war eigentlich eine Erfindung der Faulheit; man wollte von einer Sache, die man sich durch die Stärke seiner Hände mit Gewalt zugeeignet hatte, einen gewissen Nutzen ziehn, und man scheute doch die Arbeit, die erfodert wurde, sich diesen Nutzen zu verschaffen; man wollte nicht pflügen, säen und einsammeln und doch von dem eingenommenen Felde ernten; man überließ es also Leuten zur Bearbeitung, die zu schwach und mutlos gewesen waren, sich auch ein Stückchen Erde anzumaßen. Dieser Kunstgriff des Müßigganges wurde so weit getrieben, daß zuletzt einer den andern mit Schaufeln, Harken, Ochsen und Pferden belehnte.
Die armen Spanier betraf bei dieser allgemeinen Veränderung das meiste Unglück; sie verloren nicht nur ihre eingerichteten Wohnungen und angebauten Felder und mußten in ihren neuen Wohnplätzen ganz von vorn anfangen, unfruchtbare Heiden umreißen, sie tragbar machen und alle diese Arbeit ohne Sklaven mit eignen Händen verrichten, sondern sie kamen auch um ihre Freiheit, denn der Boden, den sie bearbeiten sollten, gehörte ihren Herren, ihren Herren gehörte das Vieh, die Ackergerätschaft; sie bekamen von ihren Herren in der Folge sogar die Kleidung und waren also ohne Eigentum. Nichts als ihre Person und ihr Leben gehörte ihnen eigentümlich an, und auch diese kamen allmählich in die Gewalt ihrer Herren, denn da das Wohlsein dieser letztern darauf beruhte, ob sie viel oder wenig Leute hatten, die arbeiteten und Zins entrichteten, so war ein jeder darauf bedacht, die Anzahl derjenigen, die ihm bei der Teilung nach dem Kriege zufielen, beisammen zu erhalten und zu vermehren; die Herren selbst wurden in der Folge untereinander uneinig und zogen mit ihren Leuten zu Felde; aus diesem doppelten Grunde, um im Kriege viel Gehülfen zu haben und im Frieden viel Zins zu bekommen, ließ kein Herr einen von den unterworfenen Spaniern aus seinem Distrikte; kamen Wilde oder Spanier aus andern Distrikten in den seinigen, so machte er sie sich eigen und zwang sie, bei ihm zu bleiben und von nun an seine Untertanen zu sein. Selbst über das Leben dieser Unglücklichen verfügten ihre Herren nach Willkür, denn es konnte sie niemand zur Rechenschaft ziehn oder zur Billigkeit anhalten, wenn sie tyrannisch handelten. Folglich waren die Spanier wirkliche Leibeigne, ohne Vermögen, die nicht einmal mit ihrer Person anfangen konnten, was sie wollten, die selbst in Ansehung ihres Lebens in großer Unsicherheit schwebten.
Karl Robinson wollte indessen die erhabne Idee, sich als Herrn der ganzen Insel zu betrachten, vollends ausführen und zog mit seinen Vasallen und ihren Untertanen gegen die übrigen drei Gesellschaften aus. Zwei waren vom Despotismus und die dritte vom Handel entkräftet, und es fiel einem Schwarm solcher martialischen Leute, wie Karl Robinson anführte, nicht sonderlich schwer, sie alle drei unter das Joch zu bringen. Alle drei Engländer wurden in diesem Feldzuge erschlagen, und die Überwinder teilten Land, Vieh und Menschen unter sich. In die Anteile, die der Hauptanführer, Karl Robinson, für sich behielt, schickte er die Getreuesten unter seinen Gehülfen der Eroberung, die darüber wachen, herrschen und die Abgaben einrichten und einkassieren sollten . Anfangs gehorchten zwar diese Herren seinem Befehle, allein sie entzogen sich sehr bald allem Gehorsam, taten, was ihnen beliebte, behandelten ihre Untergebnen als ihre eignen Untertanen und behielten die Abgaben für sich, die sie ihnen auferlegten; Karl Robinson mußte mit dem zufrieden sein, was ihm seine eignen Ländereien einbrachten.
Die ganze Insel war auf diese Weise unter eine Menge kleiner Tyrannen verteilt, die Karln den Namen und die Ehre des Oberhaupts zugestanden, ohne ihm wie einem Oberhaupte zu gehorchen; diese Tyrannen waren im Grunde Wölfe, die Herden Leibeigene hüteten und sich für ihre Beschützer ausgaben. Des alten Robinsons Plan, daß allmählich eine Stadt auf seiner Insel entstehen sollte, wurde ganz aus den Augen gesetzt, das Band zwischen den Einwohnern zerrissen und der ganze Haufen in soviel kleine Gesellschaften zerstückt, als es Herren gab, und diese Herren lagen in unaufhörlichem Kriege widereinander. Handel und Gewerbe schliefen ein; man säete und pflanzte, soviel man brauchte, und hatte man Mangel, so raubte man, wo sich etwas fand. Die ganze Insel war ein allgemeines Bild der Zwietracht, der Unterdrückung, der Grausamkeit; alle Menschengefühle erloschen, und Mitleid wurde eine weibische Schwachheit. Man hielt es für Schande, sein Recht und seine Ansprüche nach Gründen entscheiden zu lassen, dies mußten sich nur die Leibeigenen gefallen lassen, und ihre Herren hielten es für rühmlicher, nicht die Vernunft, sondern den Zufall, körperliche Stärke und Geschicklichkeit für ihre eignen Richter zu erkennen; sie ließen bei Zwistigkeiten entweder ihre leibeignen Herden sich miteinander balgen, oder sie taten es selbst in einem Zweikampfe. Die sinnliche Tätigkeit wurde so sehr aufgeregt und bekam so sehr die Oberhand, daß man nichts wünschte, als herumzuziehen und Gelegenheiten zum Prügeln und Balgen zu finden. Karl Robinson, der diesen kriegerischen Geist zuerst erweckte, ward selbst ein Opfer desselben: er blieb in einem Treffen, als er einen seiner Vasallen durch Krieg zum Gehorsam zwingen wollte, welches dieser so übelnahm, daß er sein Oberhaupt erschlug.
Weil man einmal daran gewöhnt war, ein Oberhaupt zu haben, so schritt man nach Karls Tode zu einer neuen Wahl, allein die unruhigen Köpfe konnten sich so schwer vereinigen, daß sie den Zufall zum Schiedsrichter wählten: sie machten miteinander aus, daß ein jeder mit dem frühesten Morgen sich in Begleitung einer Ziege an einem bestimmten Orte einfinden wollte, und wessen Ziege zuerst meckern würde, dem sollte die Ehre der Oberherrschaft zufallen. Es geschah, und Ludwig Mortimers Ziege tat ihm den Gefallen und erhub ihre Stimme zuerst. Ein solches Oberhaupt hatte keine Einkünfte, als die ihm seine eignen Ländereien verschafften, durfte niemandem befehlen als seinen eignen Untertanen, weil ihm sonst niemand gehorchte, und war dabei von allen den kleinen Herren auf der Insel mit Beschwerden und Foderungen geplagt, wovon es keiner abhelfen und keine zu erfüllen vermochte; im Grunde war es auch zu nichts gut, als bei den immerwährenden Kriegen zuweilen dieser oder jener Partei durch seinen Beitritt den Ausschlag zu geben.
Die Neigung zum Herumschwärmen und zur Prügelei, die hohe Meinung, die man dadurch allmählich für das Geschäfte des Plünderns und Totschlagens faßte, und die Unruhen, die daher entstunden, hätten die Insel zuversichtlich wieder zur Wüste gemacht und den Ackerbau ebenso vertilgt, wie schon der Handel verschwunden war, und es war daher ein Glück, daß die Religion oder vielmehr der Aberglaube diesem Kampfjagen Schranken setzte. Die Priester überredeten ihnen, daß an gewissen Tagen in der Woche dem lieben Gott das Streiten, Zanken und Totschlagen vorzüglich unangenehm sei und daß daher jeder, der an solchen Tagen die Waffen ergriffe, nicht allein ihm mißfallen, sondern auch schlechterdings unglücklich sein werde. Man gehorchte zwar nicht gleich, allein da einige Widerspenstige an solchen Tagen aus der sehr natürlichen Ursache überwunden wurden, weil unter zwei Leuten, die sich schlagen, allemal notwendig einer den kürzern zieht, so dachten sie nicht nach, daß ihre Überwinder auch unglücklich hätten sein müssen, wenn es ein durchaus unglücklicher Tag wäre, sondern sie glaubten nunmehr aus Erfahrung zu wissen, daß man an solchen Tagen allemal verlöre; einer machte dem andern diese Entdeckung, einer bestätigte die andern darinne, und im kurzen kam es dahin, daß man wöchentlich zwei Tage mit aller Feindseligkeit ruhte. Die Priester vermehrten diese unglücklichen Tage immer mehr und taten, vielleicht ohne ihre Absicht, der Insel den Dienst, daß sie dadurch den Grund zu ihrem fernern Anbau legten, denn die Zeit dieses allgemeinen Waffenstillstandes wurde zur Landarbeit von einigen angewendet.
Ebenso legte auch Ludwig Mortimer, ohne seine Absicht, den Grund zur Erneurung des Handels und der Gewerbe durch die Ausführung des Plans, den der alte Robinson einmal zu einer Stadt entwarf: er wollte sich eigentlich dadurch einen festen Ort verschaffen, wo er sich und seine Freunde wider den Übermut seiner unruhigen Vasallen sichern könnte. Er machte also mit einigen, die ihm zugetan waren, den Vertrag, daß ein jeder unter ihnen von seinen Leibeigenen den neunten Mann zur Befestigung eines bequemen Platzes hergeben, daß die Anzahl von Leuten, die dadurch zusammenkäme, erst Graben und Mauern und dann Häuser innerhalb derselben bauen sollten, und zwar ein jeder neune, eins für sich und die übrigen für die acht Kameraden, die er auf dem Lande zurückgelassen hätte; diese sollten die Landarbeit tun und jenen einen bestimmten Teil der Ernte zu ihrem Unterhalte liefern.
Der Plan wurde befolgt, die Stadt aufgebaut, wiewohl sie im Grunde kaum den Namen einer Stadt verdiente, da sie nur aus einer Menge Hütten von zusammengenagelten Pfählen bestund, die ohne sonderliche Ordnung, nicht einmal gassenweise hingesetzt und mit einer runden Mauer von Steinen und Leimen umgeben waren. In Friedenszeiten machten die Erbauer die Besetzung des Orts aus, und die übrigen wohnten bei ihren Feldern und trieben die Landwirtschaft wie zuvor; sobald man Unruhe spürte oder ein Überfall drohte, zogen sie alle mit Hab und Gut, mit ihren Vorräten und dem Vieh in die Stadt, vermachten die Tore und erwarteten den Feind; war die Gefahr vorbei, vielleicht ein Waffenstillstand oder ein Friede geschlossen, so begaben sie sich wieder zu ihren Feldern.
Diese Einrichtung hatte, aller Unvollkommenheit ungeachtet, große Vorteile und verschaffte soviel Überlegenheit, daß die Gegenpartei das nämliche Mittel der Sicherheit ergriff, und indem sie damit umging, entstund noch eine andre Ursache, die die Erbauung befestigter Städte anriet. Eine wilde Nation aus einer der benachbarten Inseln war von ihrem Wohnsitze durch ihre Feinde vertrieben worden und suchte einen neuen Aufenthalt; sie landete an eine unangebaute Seite der Robinsonischen Insel, setzte sich dort fest und tat Streifereien durch das ganze Land. Der Mangel zwang sie zum Raube, sie überfielen die Kolonisten, nahmen ihnen Früchte und Vieh und verbreiteten allenthalben unersetzlichen Schaden; sie waren von Natur kriegerisch und in der Notwendigkeit, entweder Hungers zu sterben oder ihr Leben daranzuwagen. Sie stritten also mit dem äußersten Mute, wenn man ihnen widerstand, und konnten sie das Feld nicht behaupten, so flüchteten sie zu ihren Kanots, warfen sich hinein und ruderten ins Meer hinaus; ehe man sich es versah, taten sie an einem andern Orte eine neue Landung und fingen ihre Räubereien anderswo an. Gemeinschaftliche Gefahr vereinigte itzt die meisten Parteien in der Kolonie; man brachte Vieh und Vorräte in die Hauptstadt, soviel sie nur fassen konnte, arbeitete unermüdlich an der andern neuangefangnen Stadt, zeichnete neue Plätze zu neuen Befestigungen aus und suchte vor allen Dingen, sich Ruhe von den räuberischen Wilden zu verschaffen. Da sie im Grunde nichts verlangten als Aufenthalt und Nahrung, so erlaubte man ihnen, die eine Spitze der Insel zu bewohnen, und versprach, sie so lange wöchentlich mit einer bestimmten Menge Früchten zu versorgen, bis sie selbst Bäume gepflanzt und Wurzeln zu ihrem Unterhalte gefunden hätten. Eigentlich tat Ludwig Mortimer diesen Vorschlag, den man sich gefallen ließ, um indessen Zeit zu gewinnen und mehr befestigte Plätze zustande zu bringen. Die Wilden verhielten sich ruhig, sobald sie gewiß waren, daß man sie nicht verjagen wollte, pflanzten aber keinen Baum und machten auch sonst keine Anstalt, die Unfruchtbarkeit ihres Wohnplatzes zu verbessern, sondern lebten vom Fischfange und den Lieferungen an Früchten, die sie von der Kolonie empfingen.
Sobald die Festungen zustande waren, sobald man während dieses Waffenstillstandes das Feld bestellt und eingeerntet hatte, so verteilten sich die Kolonisten in die Städte, und die Lieferungen an die Wilden hörten auf. Diese fingen zwar ihr Herumschweifen wieder an, allein wohin sie kamen, fanden sie leere Hütten und leere Felder, und so tapfer sie sich in einer Schlacht hielten, so reichte doch ihre Tapferkeit nicht zu, eine Stadt anzugreifen und zu erobern, wozu Maschinen nötig waren, die sie nicht kannten. Sie merkten also mit Erstaunen, daß indessen alles anders geworden war, daß sie weder durch Gewalt noch durch List etwas rauben konnten und sich mit Fischen und Schildkröten begnügen mußten. So leicht sie sich in diese Notwendigkeit ergaben, so wollte ihnen doch die Kolonie den Platz auf der Insel nicht umsonst gönnen; eine jede Partei dachte darauf, sich diese müßiggehenden Fischer zu unterwerfen; man zog in verschiedenen Haufen und an verschiedenen Seiten gegen sie aus, schnitt ihnen den Weg zum Meere ab und brachte sie ohne vieles Blutvergießen in die Gefangenschaft. Die kleinen Tyrannen, die sich ihrer bemächtigten, erhielten dadurch einen Zuwachs an Leibeignen, die für sie arbeiten und sie in den Krieg begleiten mußten. Freilich dauerte es lange, ehe diese nackten Wilden der Kleidung und der Arbeit gewohnt wurden; viele starben vor Betrübnis, daß sie nicht mehr nackt gehen sollten, weil sie die Kleider als eine Art von Kerker betrachteten, und die übrigen mußten mit der strengsten Härte und oft mit Hunger gezwungen werden, ihrer bisherigen Lebensart zu entsagen. Sich an die Beinkleider zu gewöhnen fiel ihnen so schwer als den Bergschotten, und sich nicht mehr das Gesicht mit Fischfett zu salben war für sie eine so herzangreifende Sache als den Russen der Verlust ihrer Bärte unter Peter dem Großen.
Sosehr itzo die Notwehr die Erbauung fester Städte erfoderte und so nützlich sie itzo den Herren der Insel waren, so schädlich wurden sie ihrer Tyrannei in der Folge: diese Tyrannen, denen ihre Besitzungen anfangs nur anvertraut, nur so lange geliehen wurden, als es ihrem gemeinschaftlichen Oberhaupte beliebte, brachten es allmählich dahin, daß sie ihnen eigentümlich angehörten, daß ihre Nachkommen sie erbten und daß selbst das Oberhaupt der Insel sie nicht daraus vertreiben konnte, ohne einen gewaltsamen Eingriff in ihre Rechte zu tun. Sie betrachteten sich also als eine Art von Adel, und wir wollen sie auch nunmehr so nennen; ihre Größe gründete sich auf die Unterdrückung der Leibeignen, die unter ihnen stunden und zum Teil Nachkommen der Spanier waren, die zu des alten Robinsons Zeiten sich hier anbauten, zum Teil von den Wilden abstammten, die unter den Spaniern als Sklaven gelebt oder die man neuerlich unter das Joch gebracht hatte. Sowenig die meisten unter diesen armseligen Lasttieren die Härte ihrer Sklaverei fühlten, weil sie daran gewöhnt, höchst unwissend waren und die Freiheit nicht kannten, so empfanden doch die Bewohner der Städte sehr bald ihre Wichtigkeit: sie versagten dem Adel ihren Gehorsam, boten ihm mit ihren Mauern und Verschanzungen die Spitze und machten kleine Republiken aus, die sich durch sich selbst regierten und alle für einen Mann stunden. Da der Adel sie sehr oft beunruhigte und wieder unter seine Gewalt zu bringen suchte, so mußten sie sehr wachsam sein, ihre Tore meistenteils verschlossen halten und sich selbst aller Freiheit berauben, um ihrer nicht von ihren Feinden beraubt zu werden. Der Adel, der unter sich die vorigen Feindseligkeiten fortsetzte, ahmte dem Beispiele der Städte nach, befestigte seine Besitzungen, und die ganze Insel ließ sich damals mit einer Menge Raubtierhöhlen vergleichen, wo hinter Graben und Mauer ein gefräßiges Tier auf das andre lauschte, um nicht von ihm verschlungen zu werden oder um es zu verschlingen.
Die Städte fühlten sehr bald den belebenden Einfluß der Freiheit, besonders da die Oberhäupter der Insel ihr Emporkommen sehr begünstigten, um dem zügellosen Adel durch ihre Beihülfe zu widerstehen. Sie fingen mancherlei Gewerbe unter sich an: die in der Nachbarschaft des Meeres lagen, bauten Kähne und taten Reisen zu benachbarten Wilden, tauschten Waren bei ihnen ein, lernten ihre Arbeiten und drangen endlich bis zum festen Lande, wo sie mit einer spanischen Kolonie in Verkehr gerieten und europäische Produkte in die Insel einführten. Durch öftern Umgang mit mancherlei Menschen, durch die Notwendigkeit, sich um des Interesse willen nach ihnen zu richten, verloren sie ihre Rohigkeit und kriegerische Wildheit; ihre Neigung wurde immer mehr auf den Eigennutz, auf Gewinnsucht gerichtet und dadurch vom Kriege abgelenkt. Sie brachten zwar von den Waren, die sie bei den Spaniern eintauschten, wenig auf die Insel, sondern verführten sie meistenteils in die Nachbarschaft, wo sie andre Dinge dafür eintauschten und sie den Spaniern zusandten, aber sie brachten doch in ihre Städte den kaufmännischen Geist und eine friedfertige Denkungsart zurück; ihr Kopf wurde durch Rechnung, Handelsgeschäfte und Spekulation auf neue Vorteile mehr geübt, als es bei dem Adel geschehen konnte, der zu seinen Schlägereien nichts als gute Fäuste und höchstens ein wenig räuberische Verschlagenheit brauchte. Die Städte erhielten also eine große Überlegenheit an Verstand, Einsicht, Reichtum; da sie in ihrer demokratischen Regierungsform und bei ihrem Verkehr untereinander oft nach Gründen entscheiden, da sie wegen der Gleichheit an Macht frühzeitig Rechte und Gewohnheiten unter sich festsetzen mußten, so kam das richterliche Ansehn und die Gewohnheit, sich Gesetzen und dem Ausspruche nach denselben zu unterwerfen, bald bei ihnen empor. Im Grunde war eine solche Stadt nichts als eine vereinigte Menge kleiner Gesellschaften, die einen Ort gemeinschaftlich verteidigten und sich gemeinschaftlich regierten, denn jedes Handwerk, jede Kunst, mit einem Worte, jede Klasse von Menschen, die einerlei Geschäfte trieben, machten eine Republik für sich aus, die sich nach eignen Gesetzen und Gewohnheiten regierte und sich mit einem andern solchen Handwerksstaate herumschlug, wenn Zwistigkeit unter ihnen entstund; aber ebendiese Zerteilung in kleine Haufen machte desto mehr Verabredungen, Regeln, Gesetze nötig, ohne welche sie sich gar nicht hätten erhalten können.
Die Leibeigenen nützten die Streitigkeiten ihrer Herren und ihre öftern Abwesenheiten und verschafften sich mit gewaffneter Hand bessere Umstände, Eigentum und mehr Freiheit, andre bekamen sie von ihren Herren selbst. Wie vorhin alles strebte, sich zu unterdrücken, so strebte itzt alles zur Freiheit empor. Das eingeschläferte Gefühl der Menschheit erwachte allenthalben, und es war schon viel gewonnen, daß die Unterdrückten den Druck zu fühlen anfingen. Die Gegenden, wo die Landarbeiter sich zuerst ein Eigentum anmaßten oder von ihren Herren empfingen, taten schnelle Schritte im Ackerbau und der ganzen Landwirtschaft: jeder wurde von dem Gedanken belebt, daß er für seinen eignen Vorteil arbeitete und daß alles ihm und seiner Familie gehörte, sobald er den Zins abgetragen hatte, der seinem Herrn für den Abtritt des Eigentums, für Freiheit und Schutz gebührte.
Die Bekanntschaft mit Europäern, die der Handel verschaffte, brachte europäisches Geld und europäische Gesetze auf die Insel; die Spanier kamen häufig wegen des Handels in die Städte; sie hörten von den Goldminen, die man entdeckt hatte, und bekamen durch diese Nachricht nicht wenig Lust, sich einer Insel zu bemächtigen, wo sich ihrer Habsucht so gute Aussichten eröffneten. Sie landeten mit einer kleinen Anzahl Truppen, die ohne alle Komplimente die spanische Flagge am Ufer aufsteckten und unter lautem Trommelschall verkündigten, daß sie im Namen seiner katholischen Majestät Besitz von der Insel nähmen; allein man hatte für diese Ankündigung so wenig Achtung, daß man sich zur Wehr stellte und die spanische Mannschaft nötigte, ihren Abzug zu nehmen. Die Bevölkerung hatte sehr zugenommen, und wenn die Robinsonianer einig unter sich gewesen wären, so hätten sie schon einem ziemlichen Heere widerstehen können; allein ihre Trennungen und fortwährenden Zwistigkeiten ließen sehr besorgen, daß sich vielleicht ein Teil des Adels gar zu den Spaniern schlagen und ihnen die Eroberung der Insel erleichtern möchte. Darum dachte das damalige Oberhaupt der Kolonie, Jakob Mortimer, auf fremde Hülfe, weil sein Vorteil am meisten dabei Gefahr lief, denn seit Ludwig Mortimers Zeiten war man beständig mit der Wahl eines Oberhauptes bei dieser Familie geblieben, die dieses Vorrecht einbüßte, wenn den Spaniern ihre Unternehmung gelang. Jakob warb also auf den benachbarten Inseln Wilde zu Kriegsdiensten an, versprach ihnen Vieh und Früchte statt des Soldes, und die kriegerischen Geschöpfe nahmen mit Freuden ein Anerbieten an, das ihre zwo Lieblingsneigungen zugleich befriedigte, ihnen Essen ohne Arbeit und Krieg verschaffte; sie wurden geschwind bewaffnet und nach ihrer Art gekleidet und sollten ihrer Dienste wieder entlassen werden, wenn sie die Spanier zurückgetrieben hätten; die öftre Zurückkehr des Feindes machte es aber notwendig, daß man eine Art von stehender Armee aus ihnen errichtete und sie auf der Insel behielt, da sie hingegen anfangs wieder nach Hause gingen, wenn ihr Dienst vorüber war.
Der Geiz der Spanier wurde durch die vielen mißlungnen Versuche nur noch mehr gereizt; sie bildeten sich Wunder von den Reichtümern ein, die auf der Insel verborgen sein sollten, und nahmen sich ernstlich vor, eine Eroberung durchzusetzen, die ihnen nach ihrer Meinung so viel versprach. Sie erschienen mit einer zahlreichen Mannschaft, die an verschiedenen Orten landete und dadurch die Verteidigung der Insel erschwerte. Sie machten in kurzer Zeit einen erstaunenden Fortgang: ein festes Schloß, eine Burg nach der andern ergab sich, und der größte Teil des Adels erkannte die spanische Oberherrschaft. Zu gleicher Zeit griff man die Hauptstadt an, und die elenden Mauern widerstunden nicht lange den Kanonen, womit man sie beschoß; die Festungswerke, die bisher die Schutzwehr der Freiheit gewesen waren, stürzten in wenigen Minuten danieder und verstatteten den Belagerern allenthalben freien Eingang. Demungeachtet sank der Mut der Überwundnen nicht; sie stritten mit der äußersten Hartnäckigkeit für ihre Freiheit und ließen sich lieber niedermetzeln, als daß sie sich ergaben, so groß war ihr Abscheu gegen die spanische Herrschaft und so stark ihr Gefühl der Freiheit. Die Grausamkeit und Erbitterung der Feinde ließ sich weder durch ihren Widerstand noch durch Menschlichkeit, nicht einmal durch den Eigennutz bewegen, mit mehr Schonung zu verfahren; es galt ihnen gleich, ob sie Herren von leeren Feldern und menschenlosen Wüsten oder von einer bevölkerten Insel wurden, wenn sie nur zu ihrem Zweck gelangten. Sie waren endlich so glücklich, den kleinen Überrest zur Unterwerfung zu zwingen und sich als Beherrscher einer entvölkerten Insel betrachten zu können.
Nachdem man auf diese Weise die Bewohner umgebracht und vermindert hatte, so machte man nunmehr Anstalt, sie wieder zu vermehren und Kolonien aus den übrigen spanischen Besitzungen in Amerika hieher zu schicken. Die Insel bekam einen Statthalter, spanische Verfassung und spanische Gesetze; statt der zerstörten Städte wurde eine einzige aufgebaut, die regelmäßiger und schöner war als alles, was der Fleiß und die Erfindsamkeit der bisherigen Einwohner hervorgebracht hatte; einige Kaufleute, die von Gold und Silber hörten, das hier wachsen sollte, bauten sich Häuser, kauften Sklaven und brachten sie hieher, um von ihnen die Erde durchwühlen zu lassen; sie bekamen vom Statthalter gegen den zehnten Teil des Gewinstes die Erlaubnis, jene kostbare Metalle aufzusuchen, und fanden sie in so großer Menge und mit so geringer Mühe, daß dem armen Statthalter bange wurde, sie möchten reicher werden als er und sein König; deswegen hielt er vorsichtig seinen Vertrag nicht länger, sondern nahm die Erlaubnis zurück, weil er diese herrlichen Materien selber brauchen konnte; er ließ sie im Namen seines Königs ausgraben und war so billig, nur Dreiviertel der Ausbeute für sich zu behalten und ein Viertel auf das feste Land in die königliche Schatzkammer zu liefern.
Der Ruf, der den Reichtum dieser Goldkammer ungeheuer vergrößerte, lockte aus allen Teilen des festen Landes Gewinnsüchtige herbei, die sich hier anbauten, um reich zu werden. Man ersann die Fabel, daß es in Robinsonia Felsen von gediehenem Silber gäbe, deren Spitzen mit Gold eingefaßt wären, daß die Muscheln freiwillig ans Land kämen, ihre Perlen hinlegten und dann wieder ins Wasser zurückkehrten, daß selbst aus den Bäumen ein flüssiges Gold wie Harz sich ergösse. Die so lange verachtete unbekannte Insel ward mit Einwohnern so überladen, daß beinahe der Platz fehlte; die erstaunten Wilden auf den benachbarten Inseln sahen Schiffe, große und kleine Fahrzeuge, ankommen und abgehen; man führte Lebensmittel und alle Arten von Bedürfnissen herbei, um Gold dafür einzutauschen; dieser kleine Erdklumpen wurde zu einem wahrhaften Ameisenhaufen, so wimmelte es allenthalben von geschäftigen, tätigen Menschen.
Eine reiche Goldmine ist allerdings ein Acker, auf welchem alles Bedürfnis, alle Bequemlichkeit, alles Vergnügen wächst, aber ein Acker, dessen Fruchtbarkeit sehr eingeschränkt ist und dessen Früchte desto weniger gelten, je häufiger und gieriger sie gesammelt werden; wie es ehemals den Robinsonianern mit ihren glänzenden Steinen ging, so ging es itzt mit dem Golde. Die übrigen natürlichen Produkte der Insel konnten zum Teil gar nicht vermehrt werden, und bei manchen fand die Vermehrung nur bis zu einem gewissen Grade statt, denn man konnte nicht mehr Bäume anpflanzen und mehr Vieh halten, als der Raum und der Wiesewachs verstattete; die Zufuhr fremder Produkte hatte auch ihre Grenzen, die Verzehrung gleichfalls; denn wenn die Bevölkerung bis zu einer gewissen Anzahl Menschen sich vermehrt hatte, so war die Insel voll, sie mochten noch so hoch in die Luft bauen, um den Flächenraum zu mehr Sachen zu benutzen; war nun diese bestimmte Anzahl Menschen vorhanden, war die Verzehrung bis zu diesem äußersten Grade gestiegen, hatte die Zufuhr fremder Produkte und die Vermehrung der einheimischen gleichfalls den Grad erreicht, den sie erreichen konnte, so war das Gold, welches man nun mehr erbeutete als vorher, kein Gewinst, wenn es nicht anders als durch Tausch gegen andre Dinge aus der Insel weggelassen wurde, welches hier der Fall war, denn wer einmal dort wohnte, durfte mit dem erworbnen Golde nicht wegziehn. Der Statthalter machte diese Erfahrung zu seinem großen Erstaunen. Er hatte das Monopol des Goldes und ließ unersättlich täglich mehr ausgraben; es kam der vorhin gedachte Zeitpunkt, wo die Menge der einheimischen und zugeführten Erzeugnisse und die Größe ihres Verbrauchs zum möglich höchsten Grade gelangt waren, den die Umstände zuließen; die Menge des Goldes vermehrte sich durch die Habsucht des Statthalters täglich, aber die Menge der Waren, die er dafür eintauschen konnte, litt keine Vermehrung mehr; seine Ware, das Gold, wurde also täglich wohlfeiler und die andern Sachen teurer; die Nachfrage war geringer als sein Vorrat, und der arme Mann befand sich mit seinen zunehmenden Goldhaufen in dem nämlichen Falle wie ein Kornhändler nach einer reichen Ernte, wo jedermann mehr Korn hat als Geld. Der arme Goldhändler mußte die Leute bitten, daß sie ihm seine Ware abnahmen. »Was soll ich damit?« sprach jeder, dem er es anbot, »es liegt mir schon soviel auf dem Halse, daß mir der Platz fehlt, und um eines so kleinen Profits willen, den man itzt damit machen kann, werd ich fürwahr kein neues Haus bauen.« – »Das ist auch mein Fall«, antwortete der Statthalter, »ich wünschte, daß es Blei wäre, o dann wollt ich anders dabei aussehn. Wir haben keins auf der Insel; es kann uns weniger zugeführt werden, als wir brauchen, und gleichwohl ist es allenthalben nötig.« –
Daher wurde es zum gewöhnlichen Ausdrucke auf der Insel, den man allgemein von jeder kostbaren Sache gebrauchte: »Man muß so rar damit umgehen wie mit Blei«, und ebenso gewöhnlich war es, von einer nichtswerten Sache zu sagen: »Das kann man so wenig loswerden wie das Gold.«
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Robinson Krusoe