Erster Theil

Robinsons Familie stammte ursprünglich aus Deutschland her: sein Vater war aus Bremen gebürtig, verließ seinen Geburtsort, um sich in England niederzulassen, erwarb sich in diesem Lande viel Vermögen durch den Handel und wählte die Stadt York zum Aufenthalte für den Rest seines Lebens. Hier heirathete er, und aus seiner Ehe entstand der berühmte Seefahrer, dessen Geschichte jetzt jedermann erfahren soll, der meiner Erzählung zuzuhören Lust hat. Die Familie der Mutter hieß Robinson; unser Held nannte sich mit dem vereinigten Namen seiner beiden Ältern Robinson Kreuzner, und die Engländer, diese großen Namenverderber, schufen daraus einen Robinson Krusoe.

Der junge Robinson wurde für die Rechtsgelehrsamkeit bestimmt, allein sein Unternehmungsgeist gab ihm einen so starken Hang zum Leben eines Seefahrers, daß ihn die vernünftigsten Vorstellungen und dringendsten Bitten seiner Ältern von einer so mühevollen gefährlichen Laufbahn nicht abzubringen vermochten. Sein Vater hielt ihm tägliche Ermahnungen, daß er den Vortheil, in einem ruhigen wohlhabenden Mittelstande geboren zu sein, nicht verschmähen sollte.


– „Nur dieser Stand,“ sagte er ihm oft, „ist zur wahren Glückseligkeit ausgesondert, dahingegen die höheren und niederen Klassen die Übel des menschlichen Lebens unter sich theilen. Der Große wird von Leidenschaften, Projecten, künstlichen Bedürfnissen und künstlichen Leiden gequält; der Landmann, der Handwerker, der Fabrikant kämpft mit den Beschwerlichkeiten körperlicher Arbeit, oft mit Mangel und beständig mit der Ungewißheit des Unterhalts. Der Große wird durch Bequemlichkeit und Überfluß zu tausend Ausschweifungen verleitet, die seine Kräfte, seinen fröhlichen Muth, sein Leben verzehren; die Unbekanntschaft mit dem Elende macht ihn hart, unempfindlich, zu Freundschaft und Wohlwollen weniger geneigt; er seufzt unter Zwang und Langeweile, wenn sie ihm die Gewohnheit auch noch so erträglich macht, und über der unaufhörlichen Bemühung, sich nach anderer Denkungsart zu richten, verliert er selbst seine eigene. Ungesunde, durch Sitzen oder Anstrengung entkräftende Beschäftigungen vergiften in den niederen Ständen das Leben und stecken das Gemüth mit schlechten, unfreundlichen Gesinnungen an. Ein Mittelmann, der Vermögen genug besitzt, um der Abhängigkeit zu trotzen, wenn sie zu schwer drückt, der in seinen Schicksalen wohl Ebbe und Flut, aber nie Sturm und Ungewitter leidet, ist dieser nicht glücklicher als die übrigen? Er hat soviel Leidenschaft und Unglück, als nöthig ist, um das Leben nicht todt, fade und lästig zu machen, und selten von beiden so viel, daß es ihn zu Boden schlagen könnte.“

Diese halb wahren und halb falschen Vorstellungen hörte der Sohn gelassen an, glaubte alles und beharrte in seiner Neigung. Er beredete seine Mutter, daß sie ihm bei dem Vater die Erlaubniß auswirken sollte, dem Hange zum Seeleben zu folgen, und da der Alte auch ihren Bitten sich unbeweglich widersetzte, so drang der unbesonnene Jüngling mit der Tollkühnheit eines Wagehalses durch Hindernisse, die er nicht anders wegräumen konnte: er entlief seinen Ältern und ging mit dem ersten Schiffe, das sich ihm darbot, von Hull, wohin er geflüchtet war, nach London, um daselbst Gelegenheit zu wichtigen weiten Fahrten zu finden. Die Angst über einen kleinen Sturm, der dem unerfahrenen Burschen ein großer tobender Orkan zu sein schien, bestrafte ihn den Tag nach seiner Abreise für einen gewagten Entschluß, dessen Gefährlichkeit er nunmehr sehr lebhaft fühlte; allein die wüste Gesellschaft, unter welcher er sich befand, ersäufte seine Reue in Punsch und Branntewein; man sprach ihm Muth ein, und die Herzhaftigkeit, die ihm fehlte, mußte ihm der Trunk verschaffen.

Einige Tage darauf erfuhr er eine noch härtere Bestrafung: ein viel größerer Sturm erhob sich mit solcher Gewalt, daß man das schwache und schwerbeladene Schiff den Wellen überlassen und sich auf einem Boote retten mußte. Als ein Bettler, abgerissen, von Gefahr und Angst entkräftet, mußte der unerfahrene Jüngling zu Fuß nach London gehen; selbst diejenigen, die ihn vorher zu dem Seeleben aufgemuntert hatten, riethen ihm jetzt davon ab, weil sie weniger Standhaftigkeit und Kraft in ihm fanden, als dieser Beruf fordert – nichts half! Begierde überwog bei ihm die Stärke so sehr, daß er noch jetzt dem Rathe, zu seinem Vater zurückzukehren, nicht folgte; er wankte einige Zeit, und die Scham vor seinen Ältern und Anverwandten bewegte ihn endlich, sich auf ein Schiff zu begeben, das nach der afrikanischen Küste bestimmt war.

Der Herr des Schiffes, auf welchem er nach Afrika ging, veranlaßte ihn durch die Freundschaft, die er für ihn sogleich nach dem Anfange ihrer Bekanntschaft faßte, zur Unternehmung dieser Reise; von der Lebhaftigkeit und Gesprächigkeit des jungen Menschen eingenommen, bot er ihm freie Fahrt an und die Erlaubniß, eine kleine Summe zu einem Handel mit Kleinigkeiten anzulegen, die sich an der Küste von Guinea mit Vortheil absetzen lassen. Robinson trieb mit Beihülfe einiger Anverwandten vierzig Pfund Sterlinge auf und brachte dafür bei seiner Rückkunft ohngefähr dreihundert Pfund zurück. Er gewann die Zuneigung und das Vertrauen des Schiffcapitains und erlangte auf dieser Reise durch ihn viele Kenntnisse in der Mathematik, Schiffahrt und Sternkunde.

Die Reise ging ohne alle widrige Zufälle vonstatten; so vieles Glück und so vieler Gewinst spornte ihn an, eine zweite zu wagen, aber zu seinem Unglücke! Die größten Widerwärtigkeiten vereinigten sich, seinen seemännischen Muth zu erschüttern. Wer wird hier nicht sogleich einen Seeräuber kommen sehen, der ihn in die türkische Gefangenschaft bringt? – Getroffen! Zwischen den Kanarischen Inseln und der Küste von Afrika fand sich bei Anbruch des Tages ein Korsar aus Sale ein und machte mit allen Segeln Jagd auf das Schiff, mit welchem Robinson reiste. Der Capitain hielt es für klüger, einem Räuber zu entfliehen als zu widerstehen, und segelte so schnell, als möglich war, von ihm hinweg, doch alle Schnelligkeit half nicht länger als bis nachmittags gegen drei Uhr, wo der Türke so nahe kam, daß man sich zum Streite rüsten mußte. Der Bösewicht wollte das Schiff von hintenzu angreifen, aber durch ein Versehen traf seine erste Kanonade die rechte Flanke; man beantwortete sie mit acht Kanonen, man feuerte auf beiden Seiten lange mit Kanonen und Flinten, der Räuber ersah seinen Vortheil, sechzig von seinen Leuten warfen sich in das angegriffene Schiff und richteten unter Mastbäumen und Tauen mit ihren Äxten eine schreckliche Verwüstung an. Man schoß zwar die beschnittenen Feinde tapfer wider die Köpfe, allein sie behielten doch bei aller Gegenwehr die Oberhand; sie hatten das Schiff mastlos und unbrauchbar gemacht, es mußte sich ergeben, und Robinson wurde nebst seinen übrigen Gefährten als Gefangener nach Sale geführt.

Die Leser, die vorhin die Ankunft des Seeräubers so richtig muthmaßten, werden gewiß nunmehr ganz schreckliche Behandlungen in dieser Gefangenschaft erwarten, aber da irren sie sich: es geht unserm Robinson ziemlich gut darin. Freilich ist er aus einem Kauf- und Handelsmanne zum Sclaven geworden, aber er wird doch nicht mit den übrigen Gefangenen zur Residenz des Kaisers geschleppt, sondern der Capitain des Raubschiffes behält ihn als einen jungen munteren Burschen für seinen Antheil von der Beute.

Robinson, dem sein neuer Zustand sehr wenig behagte, machte schon Entwürfe zur Flucht, nachdem er kaum darein versetzt war. Er hoffte zuverlässig, daß ihn sein neuer Herr, wenn er auf Streifereien ausging, mit sich zur See nehmen würde; alsdann war doch wahrhaftig nichts leichter möglich, als daß ein spanisches oder portugiesisches Kriegsschiff den Korsaren bald oder spät in seine Gewalt bekam, und so hatte Robinsons Sclaverei ein erwünschtes Ende – aber nichts von dem allen geschah. Der neue Herr nahm ihn nicht mit sich zur See, wurde von keinem spanischen oder portugiesischen Kriegsschiffe überwältigt, und Robinsons Sclaverei nahm kein erwünschtes Ende, sondern er mußte zu Lande bleiben, das Gärtchen seines Herrn bauen und alle andere ökonomische Verrichtungen im Hause thun; kam der Kaper von seinen Wanderungen zurück, so mußte Robinson in der Kajüte schlafen und das Schiff bewachen.

Sooft er diese Schildwache hielt, sooft dachte er auch auf die Flucht, aber mit allem Nachdenken war kein Mittel dazu auszusinnen, weil er keinen Mitsclaven hatte, der seine Sprache verstand und die Ausführung seines Vorhabens mit ihm theilen konnte; für sich allein wagte er nichts zu unternehmen und mußte also ganze zwei Jahre in diesem Zustande ohne Rettung und Hoffnung aushalten.

Endlich wurde die Gelegenheit für ihn günstiger. Sein Herr war unglücklich gewesen, hatte kein Geld, um sein Schiff auszurüsten, und war also genöthigt, länger als gewöhnlich auf dem Lande zuzubringen. Da auf diese Weise sein Krieg mit den Menschen ruhen mußte, so zog er wider die Fische zu Felde und fuhr wöchentlich etlichemal in dem kleinen Boote auf den Fang aus; Robinson und ein junger Mohr begleiteten ihn alsdann, und weil sich der erste sehr geschickt und eifrig im Fischen bewies, so faßte er soviel Zutrauen zu ihm, daß er ihn mit einem Mohren von seiner Anverwandtschaft zuweilen aussandte, um ihm ein Gericht für seinen Tisch zu fangen.

Auf einer solchen Fahrt wurden sie von einem so dichten Nebel überfallen, daß sie die Küste nicht erkennen konnten und einen Tag und eine Nacht auf dem Meere zubrachten; als er verschwand, sahen sie sich wenigstens eine Meile vom Lande entfernt und ruderten mit desto größerer Arbeit und Gefahr nach ihm zurück, weil der Wind heftig zu blasen anfing.

Seit diesem Zufalle that der Capitain keinen Zug wider die Fische mehr, ohne sich mit Compaß und Mundvorrath zu versorgen, und ließ zu diesem Endzwecke das große Boot des Schiffes, auf welchem Robinson gefangen wurde, zurechtmachen, eine Kajüte darauf bauen und darin Schränke für Branntewein, Reis, Kaffee und andere Lebensmittel anbringen.

Eines Tages fiel es ihm ein, mit einigen Mohren von seiner Bekanntschaft auf diesem Boote eine Lustfahrt zu halten, und er ließ deßwegen starke Vorräthe hineinschaffen, nebst drei Flinten und einer hinlänglichen Menge Pulver und Blei, um Seevögel zu schießen, wenn das Fischen sie nicht mehr belustigte. Als Robinson seinem Befehle gemäß alles in Bereitschaft gesetzt und die Gesellschaft im Boote lange erwartet hatte, kam sein Herr allein, berichtete ihm, daß seine Freunde die Partie wieder abgesagt hätten, und gab ihm den Auftrag, mit den gewöhnlichen zwei Begleitern, seinem Verwandten und einem jungen Mohrensclaven, auszufahren und etwas für das Abendessen zu fangen, das seine Freunde bei ihm einnehmen wollten. – Halt! dachte Robinson bei sich, jetzt wirst du entwischen können; hier hast du ein kleines Fahrzeug mit so vielen Vorräthen in deiner Gewalt, was braucht es weiter? –

Er nahm seine Maßregeln diesem Entschluß gemäß, beredete den Anverwandten des Capitains, einen Korb voll von ihrem Zwiebacke und einige Flaschen frisches Wasser hineinzuschaffen, unter dem Vorwande, daß sie die Vorräthe ihres Herrn nicht anrühren dürften, wenn sie etwa ein Unfall wie letzthin zu weit vom Lande entfernte. Robinson trug heimlich noch andere Bedürfnisse, eine Hacke, Wachs, Stricke und was er nur fortbringen konnte, hinein. Auch that er den Vorschlag, Flinten und Pulver herbeizuschaffen, damit sie zu ihrem eigenen kleinen Vergnügen eine Jagd mit Seevögeln halten könnten; der Bursche argwohnte nichts Böses und willigte mit Freuden darein. Eine Weile vom Hafen machte man den Anfang zu fischen, doch Robinson überredete dem Mohren, daß hier die Fische noch zu schlecht wären, und bewegte ihn, eine Stunde weiterzufahren. Als sie stillhielten und der Anverwandte des Capitains im Vordertheil des Bootes stand und sich langweilig umsah, übergab Robinson dem kleinen Mohrensclaven das Ruder und ging zu jenem hin, als wenn er etwas neben ihm suchen wollte, ergriff ihn bei den Füßen und stürzte ihn glücklich über Bord. Der Mohr schwamm wie eine Ente, kam an das Boot heran und bat inständigst, daß er ihn wieder einnehmen möchte, doch Robinson hielt ihm eine Flinte entgegen und sagte ihm drohend: „Ich habe dir kein Leides gethan, schwimme zum Ufer, da das Meer ruhig ist! Näherst du dich meinem Bord, so fährt dir diese Kugel durch den Kopf, denn ich bin fest entschlossen, meine Freiheit zu suchen.“

Der Mohr wollte die Wahrhaftigkeit der Drohung nicht auf die Probe stellen, sondern lenkte sogleich um und schwamm dem Ufer zu und wird vermuthlich gesund angelangt sein, wenn er nicht unterwegs ertrunken ist.

Robinson vergaß der Menschlichkeit aus zu großem Verlangen nach Freiheit und war beinahe willens, sich des anderen Mohren auf die nämliche Weise zu entledigen, doch besann er sich noch zu rechter Zeit und versuchte erst die Güte.

„Xuri,“ sprach er zu dem Knaben, „wenn du mir getreu bist, will ich dein Glück machen; lege die Hand auf dein Gesicht und schwöre mir Treue bei dem Mahomet und dem Barte seines Vaters! Oder ich werfe dich wie jenen Beschnittenen ins Meer.“

Der Knabe lächelte furchtsam, streichelte ihm voller Unschuld die Hand, bat um sein Leben und schwur bei dem Mahomet und seines Vaters Barte, ihm treu zu sein und ihn allenthalben zu begleiten, wohin er es verlangte.

Um dem Capitain eine falsche Richtung zu geben, wenn er ihm vielleicht nachsetzte, schiffte er geradeaus, solange er dem schwimmenden Mohr im Gesichte war, und folgte alsdann dem Winde, der nach Süden blies und ihn zu Ländern voll grausamer Negern und wilder Thiere führte, wo er nicht eine Minute auf Gottes festen Erdboden treten durfte, wenn er nicht von einem unter beiden aufgezehrt sein wollte. Er und sein

Begleiter ruderten mit allen ihren Armen, der Wind war so günstig und das Meer so ruhig, daß sie am folgenden Tage nachmittags um drei Uhr sechszehn Minuten schon wirklich hundertundfunfzig Meilen von Sale entfernt und weit auf dem Gebiete des Kaisers von Marokko waren; der Capitain thu es ihnen nach, wenn er sie einholen will! Gleichwohl hatte Robinson an dieser Entfernung zu seiner Sicherheit noch nicht genug, er landete nirgends, legte nirgends vor Anker, sondern setzte seinen Lauf ununterbrochen fünf Tage lang fort. Jetzt wagte er sich zum ersten Male in die Nähe der Küste, lief gegen Abend in einen kleinen Meerbusen ein und warf den Anker aus mit dem Vorsatze, bei dem Einbruche der Nacht hinüberzuschwimmen und das Land zu untersuchen, aber diesen Vorsatz gab er bald auf. Kaum begann die Dunkelheit, als vom Lande her ein fürchterliches Brüllen, Heulen und Schreien ertönte, welches nach aller Wahrscheinlichkeit eine Abendmusik von wilden Thieren war. Das barbarische Conzert wurde so entsetzlich, daß der arme kleine Mohr vor Schrecken zitterte und furchtsam sich an Robinsons Arme anklammerte, als wenn die wilden Thiere insgesammt schon in vollem Marsche auf ihn losgingen. Robinson sprach ihm Muth zu und stärkte seine Herzhaftigkeit mit einem Glase Branntewein, welches dem Knaben soviel Tapferkeit einflößte, daß er mit aller Gewalt den Ungeheuern den Krieg ankündigen und sie mit der Flinte vor den Kopf schießen wollte; aber wie bald verschwand diese Unerschrockenheit, als er im Wasser ein starkes Plätschern hörte, welches nichts anders befürchten ließ, als daß die Ungeheuer seine Ausforderung annahmen und schon im Anzuge wider ihn waren! Nicht lange, so brach die Freude, womit sich die Scheusale im Meere herumwälzten, in so schreckende brüllende Töne aus, daß den beiden Abenteurern in ihrem Boote die Haare auf dem Kopfe starr emporstiegen, die Herzen im Leibe wie Schmiedehämmer pochten und alle Glieder wie Espenlaub zitterten. Das war ein Brüllen! ein Brüllen, daß sich die Sterne am Himmel hätten fürchten mögen! Das Geräusch im Wasser näherte sich dem Boote immer mehr, und ob sie gleich in der Dunkelheit nichts deutlich erkennen konnten, so blies doch aus den schnaubenden Nasenlöchern des kommenden Thieres ein so heftiger Wind auf sie her, daß sie daraus auf seine außerordentliche Größe mit vieler Gewißheit schlossen. Der kleine Xuri glaubte sich schon halb verschlungen, drückte sich fest an seinen Gefährten an und ließ nicht einen Augenblick von seinen Händen ab.

„Fliehen, fliehen!“ sprach er leise mit bebender Stimme. „Den Anker hurtig herauf und dann fort! damit uns der gräßliche Löwe nicht frißt.“

Robinson versicherte ihn, daß dies nicht nöthig sei, holte eine Flinte und feuerte sie los – weg war das

Ungeheuer! Eilends schwamm es dem Ufer zu, und bei dem Schusse, einem in diesen Gegenden vielleicht noch nie gehörten Schalle, brüllte und heulte vom Ufer und tiefer aus dem Lande ein allgemeines Chor, wobei beiden vor Entsetzen die Gedanken im Kopfe stillstanden und das Blut in den Adern gefror.

So gefährlich es war, sich ans Land unter so fürchterliche Einwohner zu wagen, so verlangte es doch schlechterdings der Mangel an frischem Wasser. Nach einer bangen schlaflosen Nacht überlegten sie am folgenden Morgen, was sie thun sollten.

„Gib mir einen Krug!“ sprach der kleine Xuri mit kindischer Gutherzigkeit. „Ich will allein gehen und Wasser suchen.“

„Warum das?“ fragte Robinson.

„Damit die wilden Thiere nur mich fressen und du mit dem Leben davonkommst,“ war Xuris Antwort.

Robinson wurde von seiner treuherzigen Einfalt und Liebe gerührt, gab ihm Zwieback und ein Glas voll Stärkung des Muthes wie gestern und trat den Weg mit ihm gemeinschaftlich an, beide mit Flinten und Wasserkrügen beladen.

Robinson wollte das Boot nicht aus dem Gesichte verlieren und wagte sich also nicht weit; doch der kleine Mohr, dem sein Muth durch den Branntewein gewaltig gewachsen war, lief in eine Öffnung, die tief in das Land hinein ging, in vollem Trabe hinab, und einige Minuten darauf kam er im Galopp wieder zurück, daß Robinson glaubte, er werde von einem Wilden verfolgt, und deßwegen ihm zu Hülfe eilte; allein bei seiner Annäherung wurde er mit Vergnügen gewahr, daß ihm der Bursche freudig ein todtes Thier entgegenhielt, das er geschossen hatte. Es sah einem Hasen ähnlich, die Farbe und die größere Länge der Beine ausgenommen, und gab in der Folge eine gute Mahlzeit; aber noch viel mehr Freude verursachte beiden das Glück, daß Xuri auf diesem Wege einen Quell entdeckt hatte, ohne einen wilden Menschen oder ein wildes Thier zu erblicken.

Nachdem sie mit frischem Wasser reichlich versorgt waren, hielten sie sich nicht länger an einem Orte auf, der von keinem Menschen bewohnt zu sein schien. Da Robinson keine Instrumente hatte, um die geographische Breite desselben zu beobachten, vermuthete er bloß, daß es der unbewohnte Strich zwischen den Ländern des Kaisers von Marokko und Nigritien sei, den die Negern aus Furcht vor den Mohren verlassen haben und die Mohren wegen seiner Unfruchtbarkeit nicht bewohnen mögen; sonach ist er der Sammelplatz der Löwen, Tiger und Leoparden geblieben und wird von niemandem besucht als von den Mohren, die heerweise zu Tausenden wider die Ungeheuer, die ihn besitzen, auf die Jagd ausziehen.

Sie kehrten in der Folge oft ans Land zurück, um Wasser einzunehmen, und fanden an der ganzen Küste hin keine Spur von menschlichen Bewohnern. Als sie an einem Morgen in der Frühe aus dieser Absicht an einer Erdspitze vor Anker legen wollten und den Anwachs der Flut erwarteten, um höher von ihr getrieben zu werden, empfing Robinson plötzlich von seinem kleinen Gefährten einen Stoß in die Seite, wobei er ihn leise bat, sich von dem Ufer eilends zu entfernen. Robinson sah nach der Erdspitze hin, auf welche der Finger des Mohren wies, und erblickte einen ungeheuern Löwen, auf dem Sande im Schatten schlafend. Er befahl dem Knaben im Scherz, ans Land zu gehen und das Thier zu tödten; dem Buben wurde bei dem Befehle angst und bange, und schon der Gedanke, daß er sich mit einem solchen Geschöpfe einlassen sollte, machte ihn so furchtsam, daß er zur Kajüte flog. Robinson lud alle seine drei Flinten, eine jede mit einem Paar Kugeln, und zielte nach dem Kopfe des Löwen; der Schuß traf die rechte Pfote, welche die Schnauze bedeckte; brüllend sprang das Ungeheuer auf, setzte sich nieder und sah ernsthaft auf die hängende zerschossene Pfote. Robinson ergriff augenblicklich die zweite Flinte und war so glücklich, den Löwen in den Kopf zu treffen, daß er niederstürzte, zuckend sich wälzte und verschied. Sobald er todt war, bekam der kleine Xuri Herz; er bat um Erlaubniß, ans Land zu schwimmen und ihm vollends den Rest zu geben; ohne sie abzuwarten, warf er sich, die dritte Flinte in der Hand, ins Wasser, kletterte am Ufer hinauf, setzte dem Löwen sein Gewehr auf den Kopf und schoß, daß ihm der Dampf aus den Nasenlöchern herausfuhr. Mit dieser Heldenthat noch nicht zufrieden, wollte er ihm schlechterdings den Kopf abhauen und holte deßwegen eine Axt; weil er aber zu dieser Unternehmung zu schwach war, begnügte er sich mit einer Klaue, die er triumphirend ins Boot herüberbrachte; doch war sein Zorn gegen das Thier einmal so groß, daß er auch damit nicht vorliebnehmen, sondern ihm das Fell abziehen wollte. Robinson glaubte, es brauchen zu können, und ging den Vorschlag ein; geschäftig sprang Xuri auf dem todten Löwen herum und zog die Haut mit einer Erbitterung herunter, als wenn er sich dadurch für seine vorige Furcht an ihm zu rächen suchte. Die Haut wurde auf dem Dache der Kajüte ausgebreitet, von der Sonne getrocknet und diente zu einer herrlichen Matratze.

Erst am zehnten Tage nach diesem Abenteuer wurden sie Menschen an der Küste gewahr, schwarze nackte Figuren, die am Ufer standen und neugierig das Boot vorbeigehen sahen. Robinson wollte auf sie zurudern, doch Xuri rieth ihm unablässig das Gegentheil, aus Furcht, von ihnen gefressen zu werden; seine Furcht wurde nicht geachtet und das Boot nach dem Ufer hingelenkt. Bei ihrer Annäherung nahmen sie wahr, dass sie alle unbewaffnet waren, einen einzigen ausgenommen, der einen kleinen Stock in der Hand führte, den Xuri für eine tödtliche Lanze ausgab, womit sie weit, weit werfen könnten. Robinson sprach zu den Leuten durch Zeichen und forderte in dieser stummen Sprache etwas zu essen von ihnen; sie winkten ihm, daß er still halten und ihre Rückkunft erwarten sollte. Sie eilten sogleich tief ins Land hinein und kamen in einer halben Stunde mit einigen Stücken getrockneten Fleisches wieder, welches sie vom Ufer darboten. Nun hatte keiner von den beiden Seefahrern das Herz, es ihnen abzunehmen, und die Negern ebensowenig Muth, es sich von den Fremden abnehmen zu lassen; nachdem sich beide Theile lang mißtrauisch angesehen hatten, ergriffen die Schwarzen endlich den weisen Entschluß, legten das Fleisch auf die Erde nieder und entfernten sich davon. Wie ein Pfeil fuhr nunmehr Xuri voller Herzhaftigkeit auf dem Wasser hinüber und holte das Geschenk; sobald er im Boote damit angelangt war, rückten die Schwarzen wieder vorwärts ans Ufer. Robinson konnte ihnen für ihre Güte nichts geben als Zeichen des Dankes, und indem sie miteinander complimentiren, siehe! da stürzen sich plötzlich von den nahen Bergen zwei Thiere herunter, die einander aus Liebe oder Wuth verfolgen. Die nackten wehrlosen Neger, besonders die Weiber, entflohen mit Furcht und Geschrei, nur der Mann mit der Lanze blieb unerschrocken stehen. Die Thiere jagten sich ins Meer und wälzten sich spielend herum; Robinson zielte mit einer Flinte nach dem nächsten und traf es; das Thier sank unter, kam wieder empor, rang mit dem Tode, wollte das Ufer erreichen und starb unterwegs, das andere entfloh bei dem Knalle. Nicht weniger erschraken die Schwarzen über den Schuß; sie konnten vor Beben nicht weiter fliehen, sondern fielen zur Erde, als wenn er sie getödtet hätte. Sehr spät faßten sie wieder Muth, standen auf und wagten sich schüchtern ans Ufer, nachdem ihnen Robinson lange gewinkt hatte. Kindisch freuten sie sich, als sie das Wasser mit dem Blute des Thieres gefärbt sahen, huben die Hände voller Verwunderung gen Himmel und wagten sich langsam herab, es aufzusuchen. Voller Vergnügen schleppten sie es auf das Trockene und fingen an die Beute zu zerlegen; sie rissen mit einem spitzigen Holze die Haut auf und wollten durchaus, daß Robinson die Hälfte des Fleisches annehmen sollte; er verbat seinen Antheil sehr freundlich, weil er kein Leopardenfleisch zu essen gewohnt war, und behielt sich die Haut vor. Aus Erkenntlichkeit, daß er ihnen eine so vortreffliche Mahlzeit verschafft hatte, brachten sie ihm viele von ihren Lebensmitteln, Wurzeln und eine Art von Körnern, die dem Roggen nicht unähnlich sahen, und auf sein Verlangen nach Wasser trugen zwei Weiber in einem irdenen Gefäße, das an der Sonne getrocknet zu sein schien, eine große Menge herbei, wovon Xuri drei Flaschen voll herüberholte.

Mit so reichlichem Vorrathe aller Art versorgt, nahmen sie von ihren schwarzen Freunden Abschied und empfingen sehr viele freudige Bezeugungen des Dankes für den erlegten Leoparden von ihnen auf den Weg. Noch eilf Tage waren sie südwärts geschifft, als aller Anschein vermuthen ließ, daß sie sich bei dem grünen Vorgebirge befanden, das er auf seiner ersten Seereise hatte kennenlernen. Als er lange Zeit bei sich überlegte, nach welcher Seite er sich nunmehr wenden sollte, um nicht den Weg zu verfehlen, berichtete ihm Xuri voller Schrecken, daß er ein Schiff sehe, und bildete sich ein, daß es sein Herr sei, der ihnen so weit nachgesetzt habe. Robinson erkannte es für ein portugiesisches und ruderte aus allen Kräften darauf los, aber es ging zu hurtig, um ihm zu begegnen; er hing ein weißes Tuch aus und that einen Schuß, den sie wahrnahmen, denn sie zogen einige Segel ein, um seine Annäherung zu erwarten. In drei Stunden erreichte er sie; sie redeten ihn spanisch, portugiesisch und französisch an, aber zum Unglück verstand er keine von allen diesen Sprachen. Endlich fand sich ein Matrose aus Schottland, dem er sagen konnte, daß er ein Engländer sei und sich aus der Sclaverei in Sale gerettet habe; man nahm ihn sehr gütig mit seinem Boote ins Schiff, und die Freude über seine Rettung und seine Rückkehr zur menschlichen Gesellschaft berauschte ihn so stark, daß er dem Schiffscapitain seine sämmtlichen Habseligkeiten zur Erkenntlichkeit anbot. Der

Mann schlug sie edelmüthig aus, kaufte ihm sein Boot und seine Leopardenhaut ab und wollte ihm auch den kleinen Xuri feil machen; doch Robinson hielt es für unbillig, die Freiheit eines Knaben zu verkaufen, der ihm so treue Dienste geleistet hatte. Da aber der Capitain darauf bestand und einen Schein ausstellte, daß er ihm in zehn Jahren die Freiheit geben wollte, wenn er ein Christ würde, so fragte man den Knaben um seine Meinung darüber, und da er zur Annehmung des Vorschlags nicht ungeneigt war, wurde der Handel geschlossen; Robinson freute sich, ihm einen guten Herrn und die Anwartschaft auf die Freiheit verschafft zu haben, und Xuri, der Sclaverei gewohnt, war zufrieden, daß er der Sclave eines guten Mannes werden sollte. Nach den Gesinnungen, die wir Leute auf dem festen Lande haben, würde es uns freilich unanständig und niedrig geschienen haben, für einen so guten, treuherzigen Jungen einen Groschen anzunehmen, allein die Denkungsart eines Seemanns ist nicht so zart; ein Sclave bleibt ihm unter allen Umständen ein Sclave, das heißt eine Waare, die zum Handel bestimmt ist.

Das Schiff, welches ihn aufgenommen hatte, fuhr nach Brasilien, wo ihn der Capitain an einen seiner Freunde empfahl; er machte sich bei diesem Manne mit dem Baue des Zuckers bekannt, bekam durch desselben Vorschub einen Naturalisationsbrief, wodurch er in den Besitz eines Stücks wüsten Landes gesetzt wurde, legte sich eine eigene Plantage an, fand durch einen Lissabonner Kaufmann Gelegenheit, für die Hälfte seiner hundertundfunfzig Pfund, die er in London bei einer Anverwandtin vor seiner zweiten Reise nach Guinea niedergelegt hatte, englische Waaren nach Brasilien zu bekommen, verkaufte sie theuer, war mit dem Zuckerbau glücklich und befand sich wohl.

Für einen Menschen von so unstetem Temperamente wie Robinson ist kein dauerhaftes Wohlsein auf der Erde; Projectirsucht und Neigung zum herumschweifenden Leben trieben ihn an, seiner Ruhe zu entsagen und einem Vorschlage Gehör zu geben, der ihn nachmals in den unglücklichsten Zustand versetzte.

Er hatte einigen seiner Bekannten einen Plan mitgetheilt, wie man durch Hülfe der Negersclaven, mit denen damals 1) noch ein geringer Handel und bloß unter besonderer Begünstigung und zum Vortheile des Königs von Spanien getrieben wurde, den Anbau des Tabacks und Zuckers wohlfeiler und einträglicher machen könnte. Eine so herrliche Aussicht für ihre Gewinnsucht spornte sie zur Ausführung seines Projects an; sie beschlossen, ein Schiff nach Guinea gemeinschaftlich auszurüsten, um Negern auf ihm heimlich ins Land zu bringen und unter sich zu vertheilen. Zugleich trugen sie ihm an, mit diesem Schiffe als Kaufmann hinüberzugehen und den Handel zu führen, weil er schon in Guinea gewesen war und die Gelegenheit kannte. Dafür versprach man ihm, daß er so viele Sclaven als ein jedes von den Mitgliedern der Unternehmung erhalten sollte, ohne etwas zu dem angelegten Kapitale beizutragen.

Einer so angenehmen Lockung konnte ein solcher Liebhaber des herumschwärmenden Lebens nicht widerstehen; gern verließ er alles, was er hatte, und entsagte dem gewissen Vortheile, den ihm seine Plantage versprach, um einem Ungewissen auf der See nachzulaufen. Er willigte in den Antrag, bestieg das Schiff und trat seine Reise an.

Nichts ist in einer Reisebeschreibung weniger unerwartet als ein Sturm; man wird sich daher nicht im mindesten wundern, wenn dem armen Robinson nicht lange nach seiner Ausfahrt einer der schrecklichsten begegnet, mit welchem jemals ein Schiff gekämpft hat, und ihn nach Norden an die Küste von Guinea trieb. Sein Schiff war durch die Grausamkeit des Wetters in den erbärmlichsten Zustand versetzt und so beschädigt worden, daß man die Fortsetzung der Reise bis zu dem Orte seiner Bestimmung auf ihm schlechterdings nicht wagen durfte. Man beschloß, nach einer von den englischen Colonien zu segeln, um dort eine Ausbesserung mit ihm vorzunehmen; auch dieses hinderte ein neuer Sturm. Die Angst, die er verursachte, wurde noch durch die Besorgniß vermehrt, daß man an Küsten zu gerathen fürchtete, die von Karaiben bewohnt wurden, und die schrecklichen Begriffe, die man sich damals von der Menschenfresserei dieses Volks machte, verminderten die Freude um ein Merkliches, als man nach langem Herumtreiben sich dem Lande zu nähern glaubte. Mit Zittern und Furcht, vielleicht der Raubbegierde hungriger Menschenfresser entgegenzueilen, richtete man seinen Lauf nach dem vermeinten Lande und gerieth in eine wirkliche Gefahr, indem man nur eine eingebildete besorgte; das Schiff saß plötzlich auf einer ungeheuern Klippe fest, die man für Land angesehen hatte. Die Wuth des Windes schlug die Wellen mit der äußersten Heftigkeit empor, erfüllte das Schiff von allen Seiten mit Wasser und stieß unaufhörlich den Boden wider die spitzigen Felsen, auf welchen es saß. Mit trauriger Niedergeschlagenheit sah man die losgerissenen Bretter fortschwimmen und das Wasser durch die entstandenen Öffnungen so stark hineindringen, daß alles Pumpen nicht vermochte, es zu bezwingen, und die erschlafften Kräfte des Widerstandes eine allgemeine Muthlosigkeit hervorbrachten. Nicht einmal ein dünnes Brett schied mehr Tod und Leben, sondern man war schon mitten in den Wellen, und jede Minute Verzögerung machte die Erhaltung unmöglich. Schon glaubte man bei jeder neuen Erschütterung und jedem neuen Stoße an den Felsen, daß es der letzte entscheidende Stoß sein würde, als der Steuermann den muthigen Entschluß faßte, ein Boot mit Hülfe einiger Matrosen über Bord zu werfen; soviel es ihrer fassen konnte, sprangen in der Geschwindigkeit hinein, und weil es die Flut augenblicklich von dem Schiffe entfernte, wurde den Hineingesprungenen ein Kampf erspart, der unvermeidlich schien, wenn es nicht überladen werden sollte; jeder drängte sich hinzu, der erste zu sein, und alle, denen die Entfernung des Bootes die Rettung benahm, standen mit gerungenen Händen, jammernd und wehklagend, am Bord des Schiffs.

Die Geretteten, unter welchen sich auch Robinson befand, waren nicht aus aller Gefahr, sondern ihr Untergang schien nur verschoben zu sein. Das Boot konnte unmöglich, sosehr sich auch der Sturm gelegt hatte, die noch immer hohe See aushalten; man konnte ihm durch nichts als Ruder eine Richtung geben; jeder war durch die Arbeit im Schiffe zu sehr entkräftet, um diese neue Beschwerlichkeit lange zu ertragen oder das Ruder mit großer Wirkung zu regieren. Sie sammelten den ganzen Überrest ihrer Stärke, um nach dem Lande zu rudern, und wagten die Gefahr, entweder auf sandichtes oder klippenvolles Ufer geworfen oder in einen Meerbusen getrieben zu werden, wo sie vielleicht ebenes Wasser antreffen möchten. Mitten unter dieser ungewissen Erwartung wurde ihre Furcht plötzlich in Schrecken verwandelt: eine hochgethürmte Welle stürzte das Boot um, und es war nichts übrig als zu schwimmen, bis man ermattete und sank. Robinson war mit einigen seiner Gefährten von dieser ungeheuern Welle ans Ufer geschleudert worden und lag, als sie zurückwich, fast ohne Besonnenheit im Sande; er hatte sich kaum ein wenig gesammelt, als er sich aufraffte, um zu entfliehen, eh ihn eine neue Welle von seinem trockenen Posten vertriebe, allein die Flut verfolgte ihn, und plötzlich war er wieder so tief im Wasser, daß er sich durch Schwimmen fortarbeiten mußte; bald schleuderten ihn die nacheilenden Wellen vorwärts, bald rissen sie ihn wieder zurück. Er widerstand mit der letzten Anstrengung seiner Kräfte, bis ihn die Flut mit einem empfindlichen Stoße auf einen Felsen warf, wo er sich mit Händen und Füßen anklammerte, um Athem zu schöpfen; allein was half's ihm, daß er auf dem Felsen im Trockenen hing? – Jeden Augenblick mußte er fürchten, daß ihn eine neue Welle hinwegriß und begrub. Er warf sich also mit der Entschlossenheit der Verzweiflung in die See hinab, schwamm, watete, ging, kletterte an dem hohen Ufer hinauf und sank kraftlos, von Freude und Ermattung überwältigt, auf den Boden hin in einem dem Schlafe ähnlichen Taumel, der ihm Besonnenheit und Empfindung raubte.

Als er aus diesem ohnmächtigen Schlummer erwachte, drangen alle Empfindungen der Freude auf seine Seele zu; berauscht von seinem Glücke, saß er noch lange Zeit in tiefem Traume da, eh er seine Aufmerksamkeit auf seine Gefährten und den Ort seines Aufenthalts wenden konnte. Keinen einzigen von ihnen erblickte er, weder todt noch lebendig, und fand bloß in der Folge einige von ihren Kleidungsstücken.

Die erste Trunkenheit der Freude über seine Erhaltung ging bald vorüber, um einem traurigen Nachdenken Platz zu machen. Wie schrecklich war noch immer sein Zustand! Naß, in zerrissenen Kleidern, ohne Speise, ohne Gewehr saß er hier in einer Einöde, wo sich nicht die mindeste Spur von Bevölkerung und Anbau zeigte, vielleicht unter ausgehungerten wilden Thieren, um ihnen eine willkommene Beute zu werden. Nichts fand er in seiner Tasche als ein Messer, eine Tabackspfeife und einen kleinen Vorrath durchnäßten Rauchtaback – alles sehr leidige Hülfsmittel für einen abgezehrten Körper!

Tiefsinnig und mit halber Verzweiflung ging er aus, etwas aufzusuchen, das Hunger und Durst einigermaßen befriedigen könnte, und fand zu seiner großen Freude frisches Wasser; doch für die Stillung seines Hungers zeigte sich nicht das geringste, wenn er nicht mit Blättern und Grase vorliebnehmen wollte. Die Nacht nahte sich; um sich vor den Anfällen wilder Thiere zu schützen, wählte er einen dickbewachsenen, tannenähnlichen, dornichten Baum zu seinem Lager, bewaffnete sich statt des Gewehrs mit einem knotichten Stocke, stieg hinauf, reinigte mit dem Messer seine Ruhestelle von den Dornen, so gut er konnte, band sich mit Zweigen fest und wurde sogleich von dem tiefsten Schlummer überfallen, daß er nicht lange das Melancholische der Scene fühlte, wo er schlief. Eine einsame öde Ebene, mit einzelnen, weit auseinander stehenden Bäumen besetzt, die jetzt in der tiefsten Finsterniß begraben waren! Kein Laut, nicht einmal das Zwitschern eines Vogels! Allgemeine schauernde Stille und in der Ferne das Getöse der Wellen, die sich am Ufer brachen! Über sich tief hängende, schwere, finstere Wolken, die ohne Bewegung zu stehen und jede Minute herabzustürzen schienen, und mitten in dieser fürchterlichen Scene schmachtend und kraftlos auf einem Baume eine ganze lange Nacht hindurch zu liegen! – Wie hätte der arme Verlassene dies Bild ohne Todesschrecken empfinden können, wenn ihm nicht der Schlaf zu Hülfe gekommen wäre!

Desto fröhlicher war der Anblick, der sich seinen Augen des Morgens darauf bei seinem Erwachen darstellte: ein lichter, lachender Himmel, den nicht ein Wölkchen trübte, der erquickendste Sonnenschein, von kühlenden sanften Winden gemildert, in der Ferne eine ebene ruhige See! – Alle diese Bilder und Empfindungen gaben seinen gestärkten Lebensgeistern einen neuen Umtrieb; er stieg auf den höchsten Wipfel des Baums, der zu seiner Lagerstätte gedient hatte, und genoß das Entzücken dieses Anblicks so stark, als man es nur empfinden kann, wenn man mit Sturm und Tode gekämpft hat. Er bemerkte zu seiner noch größeren Zufriedenheit, daß das Schiff dem Ufer näher getrieben und die See weit vom Strande gewichen war; es stand aufrecht und schien in dem Sande festzuliegen. Der erste Gedanke bei dieser Entdeckung konnte kein anderer sein als der Wunsch, zu dem Schiffe zu kommen und sich mit einigen Bedürfnissen aus demselben versorgen zu können; auf diesen Punkt wurde nunmehr sein ganzes Nachdenken und alle seine Aufmerksamkeit gerichtet.

Das natürlichste war, sich nach dem Boote umzusehen, das ihn den Tag vorher seiner Rettung nahegebracht hatte; er ging also längst des Ufers hin und wurde es auch wirklich gewahr, allein ein heftiger Meerstrom trennte ihn von dem Orte, wo es lag; er mußte also für diesmal den Plan, zu ihm zu schwimmen, aufgeben. Zu dem Schiffe zu schwimmen war wegen seiner weiten Entfernung und der starken Ströme nicht weniger unmöglich; auch diesen Vormittag mußte er unter leeren Entwürfen, trostlosen Hoffnungen und vergeblichen Bemühungen zubringen. Sein Nachsuchen auf seinem Wohnorte lief nicht glücklicher ab; der Hunger setzte ihm den Sporn in die Seite, und er kehrte zu dem Ufer zurück. Er sah, daß das Meer während seiner Herumwanderung noch ein beträchtliches Stück weiter vom Strande zurückgewichen war; Muth oder Verzweiflung machte ihn entschlossen, er warf seine Kleider hastig am Ufer hin und wanderte in der drückendsten Sonnenhitze dem Wasser zu, um in ihm Hülfe oder Tod zu finden. Er schwamm glücklich bis zum Schiffe und fand, daß er es nur erreicht hatte, um eine neue Schwierigkeit zu bekämpfen. Es lag in niedrigem Wasser auf dem Grunde fest und ragte hoch über dasselbe hervor, daß es fast unmöglich war, eine Hand anzuschlagen und sich an ihm hinaufzuschwingen. Den weiten Weg wieder zurückzuschwimmen mangelten ihm die Kräfte; seiner Hülfe so nahe, umzukommen oder unverrichtetersache wieder zur vorigen Trostlosigkeit zurückzukehren war beides gleich schrecklich. Fast wollte er das letzte wagen, als er an dem Vordertheile des Schiffs, das tiefer im Wasser lag als der hintere Theil, der auf einer Sandbank ruhte, ein herabhängendes Stück eines Taues gewahr wurde; er arbeitete aus allen Kräften, es zu fassen, schwang sich an ihm in die Höhe, daß er auf einem hervorragenden Brette fußen konnte, und kletterte alsdann mit unsäglicher Mühe vollends weiter hinan. Sein erster Weg war nach den Proviantkammern; einen großen Theil des Vorraths fand er unverdorben, und ohne Anstand wurde sein Körper für den erlittenen Abgang seiner Kräfte reichlich entschädigt. Er aß, suchte weiter, lief herum, um neue Vorräthe zu entdecken, fand in der großen Kajüte eine Flasche Rum, trank, lief weiter, bald in die Vorrathskammer, bald oben, bald unten – alles mit der freudigsten Geschäftigkeit. Nichts fehlte nunmehr als ein Mittel, diesen Schatz auf seinen Wohnort zu bringen und vor neuen Unfällen zu bewahren. Nichts konnte ihm zu diesem Endzwecke in Ermangelung eines Bootes dienen als ein Floß. Er sah sich deßwegen nach Stangen, Brettern und Balken, nach Sägen und ähnlichen Zimmermannswerkzeugen um, fand alles, was er brauchte, und fing seine Arbeit an.

Zuerst warf er vier Stück Zimmerholz über Bord, wovon ein jedes mit einem Stricke an das Schiff gebunden war, daß es nicht fortschwimmen konnte; alsdann stieg er hinab, zog sie alle nach sich her und band sie an beiden Enden mit Stricken so fest zusammen, als es seine Kräfte zuließen, legte einige Bretter darüber und hatte nunmehr bereits einen wirklichen Floß, auf welchem er sicher herumgehen konnte; allein das Holz war zu leicht, um es mit einer großen Last zu beschweren; er sägte deßwegen das letzte vorräthige Stück Holz in drei Theile von gleicher Länge und legte sie in gleicher Entfernung über den Floß und darauf alle Bretter, deren er habhaft werden konnte. Nun wurde berathschlagt, was den ersten Transport ausmachen sollte, und bald entschieden. Aber eßbare Sachen durfte er nicht so bloß auf den Floß legen, wenn sie nicht durch das Überspülen des Seewassers verdorben werden sollten – er suchte Kisten, erbrach drei von denen, die er fand, leerte sie aus und füllte sie mit Schiffzwieback, Käse, geräuchertem Fleische und einem Reste europäischen Getreides an, das zum Futter für Hühner und anderes Federvieh bestimmt gewesen war; Rack, Cordialwasser oder was sonst für Getränke dieser Art sich darbot, wurde ebenfalls nicht vergessen.

Während dieser Beschäftigung merkte er, daß die Flut allmählich und sehr sanft stieg, und weil ihm seine am Ufer zurückgelassenen Kleider einfielen, die der Gefahr, weggeschwemmt zu werden, sehr ausgesetzt waren, so versorgte er sich zunächst mit einigen Kleidungsstücken oder vielmehr Materialien, aus welchen sich Kleider machen ließen. Die wichtigste Beute war eine beträchtliche Anzahl von Zimmermannsinstrumenten und anderen eisernen Werkzeugen, die ihm unentbehrlich waren, um sich eine Wohnung zu bauen und den Boden zu bearbeiten. Das letzte, was er aufsuchte, war Gewehr, Pulver und Kugeln. Alles war zustande, der Floß hinreichend beladen und weiter nichts übrig als die entscheidende Schwierigkeit, wie er mit ihm glücklich und wohlbehalten das Land erreichen sollte.

Der Anschein zu einem guten Transporte machte ihm Muth; die See war still und eben, die Flut lief nach dem Ufer hinauf, und der schwache Wind wehte nach dem Lande zu; so viele günstige Umstände ließen ihn nicht länger warten; er hieb die Stricke entzwei, womit sein Floß an das Schiff befestigt war, stieß mit seiner Ladung ab und trat die gefährliche Reise an. Sein Fahrzeug zu regieren, brauchte er ein Stück von einem zerbrochenen Ruder; er hatte keine Segel und musste sich der Willkür des Windes und der Flut überlassen, ob sie ihn an Ort und Stelle bringen oder in einem Augenblicke seine ganze Fracht umwerfen oder in die See hineintreiben wollten. Mit der ängstlichsten Erwartung wie ein Mensch, der jede Secunde fürchtet, seine letzte Hülfe vom Meer verschlungen zu sehen, trieb er langsam nach dem Ufer zu.

Robinson hatte in der That eine große Unbesonnenheit begangen: da ihm die Unsicherheit der Fahrt zum voraus bekannt war, warum vertraute er seinem elenden Fahrzeuge den beträchtlichsten Theil des gefundenen Vorrathes an? warum theilte er ihn nicht lieber und versuchte jetzt bloß die eine Hälfte hinüberzubringen, damit er, wenn diese ja verlorenging, die übrige bei einer anderen Gelegenheit nachholen konnte? – Entweder kann man gewöhnlicherweise in einem solchen Vorfalle an so eine ökonomische Klugheit nicht denken, sondern verfährt mit einer Art von habsüchtiger Übereilung, oder blieb wirklich noch genug im Schiffe zurück, um den Verlust des ersten Transportes zu ersetzen? – Genug, Robinson belud sein Floß mit allem, was er ihm zumuthen konnte, und wagte die Gefahr, alles auf einmal zu retten oder auf einmal zu verlieren.

Die Fahrt ging lange Zeit erwünscht, doch entfernte ihn der Strom immer weiter von dem Orte, wo er seine Kleider zurückgelassen hatte – ein Umstand, der ihn einen Zug des Wassers nach dieser Gegend hin und folglich einen Fluß, eine Anfurt und folglich eine bequeme Landung erwarten ließ. Wirklich hatte er auch richtig vermuthet: es zeigte sich ihm sehr bald eine kleine Öffnung im festen Lande, durch welche ein starker Strom mit der Flut hineindrang. Er regierte also sein Floß so gut als möglich, um es völlig in der Mitte des Stroms zu erhalten, allein hier bedrohte ihn ein neuer Schiffbruch. Weil er mit der Küste unbekannt war, lief wider sein Erwarten der Floß auf einen seichten Grund, und weil er an dem anderen Ende nicht fest lag, fehlte nicht viel, daß die ganze Ladung ins Wasser hinabgleitete. Er stemmte sich aus allen Kräften mit dem Rücken wider die Kisten und suchte zu gleicher Zeit, sich mit seinem zerbrochenen Ruder von dieser gefährlichen Stelle wegzubringen, allein er reichte zu dieser doppelten Arbeit nicht zu. Fast eine halbe Stunde mußte er in einer so beschwerlichen Stellung aushalten, bis ihn die immer höher steigende Flut vollends aufhub und in Bewegung setzte, worauf er sich durch Stoßen und Rudern wieder auf die rechte Fahrt verhalf; und siehe da! er befand sich in der Mündung eines kleinen Flusses zwischen hohem Lande auf beiden Seiten. Weil er sich nicht gern zu weit von der Küste entfernen wollte, um vielleicht bald ein Schiff zu erblicken, das ihn wieder in die menschliche Gesellschaft zurückführen könnte, so suchte er einen bequemen Platz zum Anlegen und entdeckte am rechten Ufer eine kleine Bucht, in welche er seinen Floß mit unendlicher Beschwerlichkeit hineinleitete und wo er bald so vielen Grund fühlte, daß er den Floß mit dem Ruder gerade fortstoßen konnte. Er glaubte schon völlig gewonnen zu haben, als ihn eine kleine Übereilung beinahe am Ende seiner Fahrt um alles gebracht hätte. In der Begierde zu landen, bedachte er nicht, daß der Theil des Floßes, welchen er nach dem Ufer trieb, wegen der Abhängigkeit desselben so hoch zu liegen kam, daß die Fracht an dem anderen, tiefer liegenden Ende herunterfallen mußte. Zum Glück merkte er die nahe Gefahr beizeiten, um ihr dadurch vorzubeugen, daß er sein Ruder statt des Ankers brauchte und mit ihm den Floß so lange festhielt, bis die anschwellende Flut ihn in den Stand setzte, es auf einen flachen Grund zu stoßen. Hier steckte er die beiden Stücken von zerbrochenen Rudern, die er auf dem Schiffe gefunden hatte, an jedem Ende des Floßes eins in den Boden und lag auf diese Art so lange vor Anker, bis die Ebbe sich einstellte und das ablaufende Wasser den Grund unter dem Floße trocken machte.

Die erste Sorge nach dieser gelungenen Unternehmung war, einen Wohnplatz auszusuchen, wo der herübergebrachte Vorrath in Sicherheit sein konnte. Noch wußte er nicht, ob er sich auf einem großen festen Lande oder auf einer Insel, auf einem bewohnten oder wüsten Flecke Erdboden, unter wilden Menschen oder wilden Thieren befand. Als er, mit diesen Muthmaßungen beschäftigt, am Ufer dasaß, wurde er in der Entfernung einer halben Stunde einen kleinen Berg gewahr, der unter einigen anderen nach Norden hin gelegenen der höchste zu sein schien. Ohne längere Überlegung faßte er den Entschluß, alles am Ufer stehenzulassen und mit einer Flinte, einer Pistole und einem vollen Pulverhorne diesen Berg zu besteigen, um jene Zweifel aufzuklären. Er kletterte mit der beschwerlichsten Mühe zu dem obersten Gipfel hinauf und erfuhr nunmehr sein ganzes Schicksal, sah, daß er mitten im Meere auf einer nicht sonderlich großen, wüsten, unfruchtbaren und wahrscheinlich unbewohnten Insel war, erblickte nirgends, so weit sein Auge reichte, nur einen beträchtlichen Fleck Landes außer einigen benachbarten Felsen und zwei sehr kleinen Inseln, die drei oder vier Meilen nach Westen hin lagen. Gewißheit gibt allemal Beruhigung, selbst im Elende; Robinson wanderte viel zufriedener zurück, nachdem er ganz wahrscheinlich wußte, was er zu erwarten hatte. Er sah sich auf diesem Wege fleißig nach den Mitbewohnern seiner Insel um und wurde hin und wieder Vögel und anderes Geflügel gewahr, besonders in einem weitläuftigen Busche, bei welchem er vorbeigehen mußte. Ein großer Vogel, der auf einem Baum saß und ihn ohne Furcht erwartete, reizte ihn, den ersten Krieg in diesem einsamen Orte anzufangen; er schoß nach ihm, und da dieser Schuß seit der Schöpfung vermuthlich in dieser Gegend der erste sein mochte, so setzte er das ganze Gehölze in Bewegung, aus allen Theilen desselben flogen ganze Heere Vögel mit lautem Schnattern und Schreien auf und durchirrten die Lüfte wie eine Armee, der Kanonen die Annäherung des Feindes verkündigt haben; doch sah er keinen darunter, dessen Stimme, Farbe und Gestalt ihm bekannt gewesen wäre. Die Beute, die er erlegt hatte, war ein Raubvogel, unserm Habichte ähnlich, und hatte einen widrigen Geschmack, wie ein Thier haben muß, das vom Aase lebt.

Nach seiner Rückkunft zum Ufer brachte er seine Kisten und übrige Geräthschaft an einen Ort, der ihm zur Wohnung bequem schien; wegen seiner ängstlichen Furcht vor wilden Thieren getraute er sich nicht, die Nacht auf der Erde zuzubringen, und gleichwohl konnte er sich nicht entschließen, seine Vorräthe zu verlassen. Die Nacht endigte seine Unentschlossenheit: weil nichts anders für ihn zu thun war, ergriff er kurzweg die Partie, alle Kasten und Bretter in einem Cirkel zu stellen und sich in diesen Verschanzungen ein Lager zu bereiten.

Da sein Aufenthalt in dieser Wüste wahrscheinlicherweise sehr lang dauern sollte, hielt er es für klug, dem Mangel so weit hinaus vorzubeugen, als es möglich wäre, und beschloß daher, mit der nächsten Ebbe wieder zum Schiffe zu schwimmen und einen zweiten Transport zu machen. Er legte den Weg des folgenden Tages glücklich zurück, verfertigte sich am Schiff einen neuen Floß, weil es ihm zu langweilig schien, mit dem ersten mühsam hinüber zu rudern, und brachte verschiedene Sachen von Eisen, Nägel, Beile und eine für ihn höchst wichtige Maschine, einen Schleifstein, Flinten, Kugeln, Segeltücher und Tauwerk an das Land. Seine Besorgniß vor wilden Thieren hatte ihn auch während dieser Abwesenheit von seinem Landmagazine mit Unruhe gequält, allein er fand bei seiner Zurückkunft nicht das mindeste Merkmal eines fremden Gastes, außer daß ein Thier wie eine wilde Katze auf einem Kasten saß und bei seiner Annäherung herabsprang, doch ohne zu entfliehen. Er hielt die Flinte auf sie, allein weil sie mit diesem mörderischen Gewehre nicht bekannt war, so blieb sie ruhig und ohne Furcht sitzen und sah ihn starr an. Ein solches Zutrauen verdiente, daß er sich um ihre Freundschaft bewarb; er suchte sie durch ein Stückchen Zwieback zu gewinnen, das sie mit dankbarer Begierde aufzehrte, und dann kam sie näher, um mehr dergleichen Freundschaftsproben zu erhalten; doch da Robinson dies nicht für gut befand, wanderte sie ab.

...



1) In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Robinson Krusoe