Zweites Kapitel - Mein Vater verfügte über eine große Selbstbeherrschung, und sein Unmut zeigte ...

Mein Vater verfügte über eine große Selbstbeherrschung, und sein Unmut zeigte sich selten in Worten, außer in einer gewissen trocknen, mürrischen Weise gegen die, welche ihm mißfallen hatten. Nie gebrauchte er Drohungen oder Ausdrücke lauter Empfindlichkeit. Alles ging bei ihm nach Regeln, und es war seine Gewohnheit, bei jeder Gelegenheit das Nötige zu tun, ohne Worte deshalb zu verschwenden. Mit bitterm Lächeln hörte er daher meine mangelhaften Antworten über den Zustand des französischen Handels an und ließ mich unbarmherzig immer tiefer in die Geheimnisse des Agio, des Tarifs, der Tara und des Diskonts mich verwickeln; auch ist mir nicht erinnerlich, daß er je seinen Unwillen offen an den Tag gelegt hätte, als bis er entdeckte, daß ich nicht im stande war, genau den Einfluß zu erklären, den die Herabsetzung des französischen Geldes auf den Wechselkurs gehabt hatte. „Das merkwürdigste Nationalereignis der Zeit,“ sprach mein Vater, der doch die Revolution*) erlebt hatte, „und er weiß nicht mehr davon wie ein Standwächter!“

„Herr Franz,“ wandte Owen, schüchtern und vermittelnd, ein, „kann nicht vergessen haben, daß nach einem Befehle des Königs von Frankreich, vom 1. Mai 1700, der Inhaber eines Wechsels diesen binnen zehn Tagen muß – „


„Herr Franz,“ unterbrach ihn mein Vater, „wird sich für den Augenblick alles erinnern, was Ihr so gut seid, ihm anzudeuten. Wie konnte Dubourg es ihm gestatten! Hört, Owen, was für ein Jüngling ist Clemens Dubourg, sein Neffe, in der Schreibstube, der schwarzhaarige Bursche?“

„Einer der geschicktesten Kontoristen; ein für seine Jahre sehr tüchtiger junger Mann,“ antwortete Owen, dessen Herz der junge Franzose durch seinen Frohsinn und seine Höflichkeit gewonnen hatte.

„Ja, ja, der wird vermutlich etwas von der Wechselbank wissen. Dubourg wollte, daß ich wenigstens einen jüngern bei der Hand hätte, der das Geschäft versteht; allein ich sehe seine Absicht. Owen, laßt dem Clemens am nächsten Zahltag seinen Gehalt auszahlen und laßt ihn zurück nach Bordeaux reisen in seines Vaters Schiffe, das eben ausladet.“

„Clemens Dubourg entlassen, Herr?“ fragte Owen mit zitternder Stimme.

„Ja, Herr, ihn sogleich entlassen; es ist genug, einen ungeschickten Engländer in der Schreibstube zu haben, der Schnitzer machen kann; es bedarf keines schlauen Franzosen, um Vorteil daraus zu ziehen.“

Ich hatte lange genug im Gebiete des Großen Monarchen (Ludwig des Vierzehnten) gelebt, um einen herzlichen Abscheu gegen alle willkürliche Gewalt zu empfinden, auch wenn er mir nicht von Jugend auf wäre eingeflößt worden.

„Um Vergebung, mein Vater,“ sprach ich, als er ausgeredet hatte, „aber ich halte es nur für gerecht, die Strafe selbst zu leiden, wenn ich nachlässig im Lernen gewesen bin. Ich kann Herrn Dubourg nicht beschuldigen, mir keine Gelegenheit zur Vermehrung meiner Kenntnisse gegeben zu haben, wie wenig ich sie auch benutzt haben mag. Was Clemens Dubourg betrifft –“

„Was ihn und was Dich betrifft, so werde ich die Maßregeln ergreifen, die ich für nötig halte,“ erwiderte mein Vater. „Aber es ist wacker von Dir, Franz, daß Du Deinen Fehler auf Deine eignen Schultern nimmst – sehr wacker, das ist nicht zu leugnen. Ich muß es dem alten Dubourg zur Last legen,“ fuhr er gegen Owen fort, „meinem Sohne bloß die Mittel zu nützlichen Kenntnissen verschafft zu haben, ohne darauf zu sehen, daß er Vorteil davon zog, ohne es mir zu berichten, wenn es nicht geschah. Ihr seht, Owen, er hat die natürlichen Begriffe von Gerechtigkeit, die einem englischen Kaufmann geziemen. Aber alles dies will nichts sagen, Franz. Du hast Deine Zeit weggeworfen wie ein Knabe, und mußt in Zukunft leben lernen wie ein Mann. Ich werde Dich einige Monate unter Owens Aufsicht stellen, damit Du das Versäumte wieder einholen kannst.“

Ich war im Begriff, zu antworten, allein Owen sah mich mit einer so flehenden und warnenden Gebärde an, daß ich unwillkürlich schwieg.

„Wir wollen also,“ fuhr mein Vater fort, „den Inhalt meines Briefes vom 1. verflossenen Monats wieder vornehmen, worauf Du mir eine unüberlegte und unbefriedigende Antwort gesendet hast. Doch jetzt schenke Dir ein und gib Owen die Flasche.“

Mangel an Mut, an Kühnheit, wenn Du willst, war nie mein Fehler. Ich antwortete unverzagt, daß es mir leid sei, wenn mein Brief unbefriedigend war, unüberlegt sei er nicht gewesen; denn ich habe seinen gütigen Vorschlag mit sorgfältiger Aufmerksamkeit erwogen, und es mache mir nicht wenig Kummer, ihn ablehnen zu müssen.

Mein Vater sah mich einen Augenblick scharf an und wandte den Blick sogleich wieder ab. Da er nicht antwortete, so glaubte ich, obwohl mit einiger Bangigkeit, fortfahren zu müssen, und er unterbrach mich nur durch einzelne Worte.

„Unmöglich, mein Vater, kann ich gegen irgend einen Stand mehr Achtung hegen als gegen den Handelsstand, auch wenn es der Deine wäre.“ – „Seh einer an!“ – „Er verbindet ein Volk mit dem andern, befriedigt die Bedürfnisse, und trägt zum Wohlstand aller bei; er ist für das Ganze der gesitteten Welt das, was der tägliche Verkehr für das häusliche Leben, oder vielmehr was Luft und Nahrung für unsern Körper ist.“ – „Wahrhaftig?“ – „Und dennoch, Vater, bin ich seiner genötigt, mich zu weigern, einen Stand anzunehmen, für welchen ich so wenig geeignet bin.“ – „Ich werde sorgen, Dir die nötigen Eigenschaften zu verschaffen. Du bist nicht länger Dubourgs Gast und Zögling.“ – „Aber, lieber Vater, es ist nicht Mangel an Unterricht, was ich anführe, sondern meine Unfähigkeit, aus den Lehren Vorteil zu ziehen.“ – „Unsinn! Hast Du ein Tagebuch gehalten, wie ichs verlangt habe?“ – „Ja, mein Vater.“ – „Sei so gut und hol es her.“ Der verlangte Band war eine Art Notizbuch, worin ich nach meines Vaters Empfehlung allerlei Umstände, die in meiner Lehre vorgekommen waren, eingetragen hatte. Da ich voraus sah, daß er eine Durchsicht dieser Berichte vornehmen würde, war ich bedacht gewesen, solche Nachrichten aufzunehmen, die ihm wahrscheinlich gefallen mußten; aber nur zu oft hatte die Feder die Arbeit verrichtet, ohne den Kopf sehr zu Rate zu ziehen. Ich übergab es jetzt meinem Vater mit der frommen Hoffnung, er werde nichts darin finden, was sein Mißfallen an mir vermehren könnte. Owens Gesicht, das bei der Frage danach etwas bleich geworden war, erheiterte sich bei meiner bereitwilligen Antwort, und er lächelte wirklich aus Freude, als er meinen Vater einen Teil des Inhalts überlaufen und seine Bemerkungen dazwischen murmeln hörte.

„Branntwein-Fäßchen und Eimer, auch Tonnen. Zu Nantes 29. Cognac und Rochelle 27. Bourdeaux 32. Ganz recht, Franz. Abgaben sind Zölle, sieh Saxbys Tabellen. Das ist nicht gut; Du hättest die Stelle abschreiben sollen, wodurch sichs dem Gedächtnis einprägt. Inländische und ausländische Berichte. – Kornverordnungen. – Leinwand. – Stockfisch. – Mittelfisch. – Klippfisch. Du hättest bemerken sollen, daß sie dennoch alle als Stockfisch in den Handel kommen. – Doch was haben wir hier? Bourdeaux gegründet im Jahre – Chateau Trompette – Palast des Galienus. Gut, gut, auch richtig! – Owen, dies ist eine Art von Allerleibuch, worin alle täglichen Vorfälle, Einkäufe, Ordres, Zahlungen, Quittungen, Aufträge, Anschläge und sonstige Nachrichten unter einander aufgenommen sind.“

„Um regelmäßig in das Tagebuch und Schuldbuch eingetragen zu werden,“ antwortete Owen. „Es freut mich, daß Herr Franz so methodisch ist.“

Ich sah mich so schnell in Gunst kommen, daß ich anfing zu fürchten, mein Vater werde demzufolge hartnäckiger darauf bestehen, mich zum Kaufmann zu machen, und da ich zum Gegenteil entschlossen war, wünschte ich schon, nach Freund Owens Ausdruck, nicht so methodisch gewesen zu sein. Allein meine Besorgnis hierüber war ganz ohne Grund; denn ein beschriebnes Blatt fiel aus dem Buche, und mein Vater hob es auf und rief:

„Dem Andenken Eduards, des schwarzen Prinzen! Was ist das? Verse? Beim Himmel, Franz, Du bist ein größerer Dummkopf, als ich geglaubt habe!“ Mein Vater sah, als Geschäftsmann, mit Verachtung auf Dichterarbeiten herab und hielt sie nach seinen religiösen Grundsätzen und als Presbyterianer für nichtswürdig und ruchlos. Doch ehe Du ihn verdammst, mußt Du Dich erinnern, welchen Lebenswandel nur zu viele Dichter am Ende des siebzehnten Jahrhunderts geführt, und wie sie ihre Talente angewendet hatten. Auch die Sekte, zu der sich mein Vater bekannte, empfand oder äußerte vielleicht nur eine puritanische Abneigung gegen die leichtern Erzeugnisse der Literatur. So trug manches bei, die unangenehme Ueberraschung zu verstärken, welche die unzeitige Entdeckung jener unglücklichen Verse hervorbrachte. Ein Einbruch in die Kasse, eine ausgekratzte Stelle im Schuldbuch, oder ein Fehler im Zusammenziehen einer geschlossnen Rechnung, würde ihn kaum unangenehmer überrascht haben. Mein Vater las die Zeilen zuweilen mit einem angenommenen Ausdruck, als ob er den Sinn nicht verstehen könne, zuweilen mit spöttischem Heldenton, immer mit dem Nachdruck der bittersten Ironie, die den Verfasser aufs empfindlichste berührte. Er warf endlich das Papier mit einer Miene der höchsten Verachtung von sich und rief:

„Auf mein Wort, Franz, Du bist ein größerer Dummkopf, als ich geglaubt hätte.“

Was konnt ich sagen? Da stand ich, erfüllt mit Aerger und Unwillen, während mich mein Vater mit einem ruhigen, aber ernsten Blicke voll Verachtung und Mitleid ansah, und der arme Owen, mit emporgehobnen Händen und Augen, ein Bild des Entsetzens darbot. Endlich faßte ich Mut zu sprechen, und suchte, so wenig als möglich, durch den Ton meiner Stimme zu verraten, wie mir ums Herz war.

„Ich weiß recht gut, mein Vater, daß ich nicht befähigt bin, die ansehnliche Rolle zu spielen, die Du mir im bürgerlichen Leben zuerteilt hast, und glücklicherweise trachte ich nicht nach dem Reichtum, den ich erwerben könnte. Herr Owen würde ein bessrer Beistand sein.“ Ich sagte dies mit einiger Bosheit, weil ich glaubte, Owen habe meine Sache zu schnell aufgegeben.

„Owen?“ sprach mein Vater. „Der Junge ist verrückt, direkt von Sinnen. Und bitte, wenn ich mirs herausnehmen darf zu fragen, da Du mich so gelassen an Owen verwiesen hast, was sind denn nun Deine eignen weisen Pläne?“

„Ich wünschte,“ erwiderte ich, meinen Mut zusammennehmend, „einige Jahre zu reisen, wenn es Dir recht wäre; andernfalls würde ich gern auch die Zeit über in Oxford oder Cambridge studieren, wenn ich dafür auch schon ein wenig in den Jahren bin.“

„Im Namen des gesunden Menschenverstandes, hat man je dergleichen gehört? Dich in die Schule zu versetzen unter Pedanten und Jakobiten, wenn Du Dein Glück in der Welt machen könntest? Warum nicht lieber nach Westminster oder Eton gehen und die Grammatik vornehmen?“

„Wenn Du meinst, daß es zum Studium zu spät sei, so möchte ich Offizier werden, lieber als alles andre.“

„Der Teufel auch!“ erwiderte mein Vater schnell, und dann sich zurückhaltend, fuhr er fort: „Höre, Franz, ich will die Sache sehr kurz abmachen. Ich war in Deinem Alter, als mich mein Vater aus dem Hause wies und mein gesetzmäßiges Erbteil meinem jüngeren Bruder gab. Auf einem abgenutzten Jagdklepper, mit zehn Guineen in der Tasche, verließ ich das Schloß Osbaldistone. Seitdem kam ich nie wieder über dessen Schwelle, und ich werde sie nie mehr betreten. Ich weiß nicht und kümmere mich nicht darum, ob mein Bruder, der Fuchsjäger, noch lebt oder den Hals gebrochen hat; aber er hat Kinder, Franz, und eins von ihnen soll mein Sohn werden, wenn Du mir ferner in dieser Sache entgegen bist.“

Wohl mehr im Tone verdroßner Gleichgültigkeit als schuldiger Achtung, antwortete ich: „Mit dem, was Dein ist, wirst Du freilich nach Belieben Verfahren können.“

„Ja, Franz, was ich habe, ist das meinige, wenn Mühe im Erwerben und Sorgfalt im Vermehren ein Eigentumsrecht geben können, und keine Drohne soll sich von meinem Honigseim nähren. Bedenke es Wohl; was ich gesagt habe, ist nicht unerwogen, und was ich darauf beschließe, werd' ich ausführen.“

„Verehrter Herr! – teurer Herr!“ rief Owen, und die Tränen kamen ihm in die Augen. „Ihr seid nicht gewohnt, wichtige Geschäfte so eilig abzumachen. Laßt Herrn Franz die Bilanz ziehen, eh' Ihr die Rechnung schließt; gewiß liebt er Euch, und wenn er seinen kindlichen Gehorsam ins Haben schreibt, so werden gewiß seine Einwendungen verschwinden.“

„Meint Ihr,“ sprach mein Vater ernst, „ich werde ihn zweimal fragen, ob er mein Freund, mein Beistand und mein Vertrauter sein will? Ob er meine Sorgen und mein Vermögen mit mir teilen will? Owen, ich glaubte, Ihr hättet mich besser gekannt!“ Er blickte mich an, als ob er noch etwas hinzusetzen wollte, wendete sich aber plötzlich ab und verließ schnell das Zimmer. Ich bekenne, diese Ansicht des Falles, die mir neu war, ging mir nahe, und wenn mein Vater die Verhandlung auf dieser Basis eröffnet hätte, so würde er wahrscheinlich wenig Ursache gehabt haben, sich über mich zu beklagen.

Allein es war zu spät. Ich besaß zu viel von seiner eignen hartnäckigen Entschlossenheit, und der Himmel hatte bestimmt, daß ich in meiner Sünde meine Strafe finden sollte, obwohl nicht in dem Umfange, als mein Vergehen es verdient hatte. Als wir allein waren, richtete Owen die Augen auf mich, die von Zeit zu Zeit eine Träne beleuchtete, als ob er, ehe er das Amt eines Vermittlers übernahm, hätte entdecken wollen, an welcher Stelle meine Hartnäckigkeit anzugreifen sei. Endlich sprach er mit abgebrochnen, schwankenden Tönen:

„O Gott, Herr Franz! – lieber Himmel! daß ich je diesen Tag erleben mußte! – Und ein so junger Herr! Ums Himmels willen, seht auf beide Seiten der Rechnung. Bedenkt, was Ihr aufs Spiel setzt – ein stattliches Vermögen – eines der besten Häuser in der Altstadt, Mitinhaber der alten Firma Tresham und Trent, jetzt Osbaldistone und Tresham. Ihr könnt Euch in Gold wälzen, Herr Franz! – Und, lieber, junger Herr Franz, ist irgend etwas in dem Geschäft des Hauses, was Euch nicht gefällt, ich will es (mit leiserer Stimme fortfahrend) für Euch in Ordnung bringen, vierteljährig, wöchentlich, täglich, wenn Ihr wollt. Bester Herr Franz, ehret Euern Vater, damit Ihr lange lebet im Lande!“

„Ich bin Euch sehr verbunden, Herr Owen,“ sprach ich – „gewiß recht sehr verbunden; allein mein Vater weiß am besten, wie er sein Geld anzuwenden hat. Er spricht von einem meiner Vettern – laßt ihm mit seinem Vermögen machen, was ihm gefällt, ich werde nie meine Freiheit für Gold verkaufen.“

„Gold, Herr! Ich wollte, Ihr hättet die Bilanz des Gewinns beim letzten Abschlusse gesehen. Es waren fünf Ziffern, – fünf Ziffern für jedes Teilnehmers Hauptsumme. Und dies alles sollte an einen Papisten kommen, einen Tölpel aus einer nördlichen Provinz? Es wird mir das Herz brechen, Herr Franz, und ich habe mehr gearbeitet wie ein Hund als wie ein Mensch, und alles aus Liebe zur Firma.“

In diesem Augenblick trat mein Vater wieder ins Zimmer.

„Ihr hattet recht, Owen,“ sprach er, „und ich, hatte unrecht. Wir wollen uns mehr Zeit nehmen, über die Sache nachzudenken. Junger Mann, Du magst Dich vorbereiten, mir über diesen wichtigen Gegenstand heut in vier Wochen eine Antwort zu geben.“

Ich verbeugte mich schweigend, genugsam erfreut über einen Aufschub, der mir einige Milderung der väterlichen Entschließung anzudeuten schien.

Die Zeit der Prüfung ging langsam, unbezeichnet durch irgend einen Vorfall, vorüber. Ich ging und kam und wendete meine Zeit an, wie mirs gefiel, ohne Frage oder Tadel von seiten meines Vaters. Wirklich sah ich ihn selten außer bei Tische, wo er sorgfältig eine Erörterung vermied, die ich, wie sich denken läßt, nicht herbeizuführen suchte. Wir sprachen über Tagesneuigkeiten oder andre allgemeine Gegenstände, wie Fremde sich unter einander besprechen, und niemand hätte daraus schließen können, daß eine Streitsache von solcher Wichtigkeit noch unentschieden zwischen uns sei.

Dennoch verfolgte es mich wie ein Nachtgespenst. Sollte er wirklich sein Wort halten, und seinen einzigen Sohn zum Vorteil eines Neffen enterben wollen, von dessen Dasein er nicht einmal völlige Gewißheit hatte? Ich suchte mir einzureden, daß ich nur eine vorübergehende Erkaltung seiner Zuneigung zu befürchten hätte, vielleicht eine Verbannung aufs Land von wenigen Wochen, was ich sogar angenehm finden konnte, weil es mir Gelegenheit geben würde, eine unvollendete Übersetzung des Rasenden Roland wieder vorzunehmen, den ich in englischen Versen nachbilden wollte. Ich war schließlich auch von dieser Meinung so erfüllt, daß ich meine beschriebnen Blätter wieder zur Hand genommen und mich abermals in die Reimschwierigkeiten der Spenser-Stanze vertieft hatte, als ich ein leises, behutsames Klopfen an der Tür meines Zimmers vernahm.

Herein! rief ich, und Owen trat ins Gemach. Die Bewegungen und Gewohnheiten dieses würdigen Mannes waren so geregelt, daß es aller Wahrscheinlichkeit nach das erste Mal war, wo er in den zweiten Stock des Hauses kam, so bekannt er auch im ersten war, und ich kann noch immer nicht begreifen, wie er mein Zimmer entdeckt haben mag.

„Herr Franz,“ sprach er, den Ausdruck meiner Freude und Überraschung unterbrechend, „ich weiß nicht, ob es wohlgetan ist, was ich sagen will – es ist nicht recht von dem zu sprechen, was in der Schreibstube vorgeht. Aber der junge Twineall ist über vierzehn Tage weg gewesen und erst seit zwei Tagen wieder hier.“ – „Recht gut, lieber Herr Owen! und was bekümmert das uns?“ – „Gemach, Herr Franz! Euer Vater gab ihm einen geheimen Auftrag. Geschäftssache kanns nicht gewesen sein, denn das hätte durch meine Bücher gehen müssen; kurz, ich glaube bestimmt, Twineall ist in Nord-England gewesen.“ – „Meint Ihr das wirklich?“ fragte ich etwas besorgt. – „Er sprach, seitdem er zurück ist, von nichts, als von seinen neuen Stiefeln, seinen Ripponer Sporen und einem Hahnengefechte in York – es ist so gewiß, wie das Einmaleins. Der Himmel segne Euch, lieber Sohn! ändert Eure Gesinnung und trachtet danach, Eurem Vater zu gefallen! seid ein Mann und ein Kaufmann zugleich.“

Ich fühlte in diesem Augenblick mich stark versucht nachzugeben und Owen durch den Auftrag an meinen Vater zu beglücken, daß ich bereit sei, mich seiner Verfügung zu unterwerfen. Allein Stolz – Stolz, die Quelle von so manchem Guten und Bösen in unserm Lebenslauf, hielt mich ab. Das beipflichtende Wort saß mir in der Kehle fest, und indem ich hustete, es herauszubringen, rief meines Vaters Stimme: Owen! Schnell verließ er das Zimmer, und die Gelegenheit war verloren.

Mein Vater verfuhr in allen Dingen methodisch. Um dieselbe Tageszeit, in demselben Zimmer, und mit derselben Art und Weise, als vier Wochen früher, wiederholte er den Vorschlag, mich ins Geschäft aufzunehmen und mir einen Platz in der Schreibstube anzuweisen, und verlangte meinen endlichen Entschluß. Ich fand zu jener Zeit etwas Unfreundliches hierin, und halte noch immer meines Vaters Betragen für unrecht. Nach aller Wahrscheinlichkeit würde eine vermittelnde Behandlung seinen Zweck erreicht haben. Unter diesen Umständen blieb ich fest und lehnte, so ehrerbietig wie möglich, seinen Vorschlag ab. Vielleicht – denn wer kann über sein eignes Herz urteilen – hielt ich es für unmännlich, dem ersten Aufrufe nachzugeben, und erwartete, daß, mein Vater mir gut zureden oder mir wenigstens einen Vorwand zu einer Aenderung meines Entschlusses geben würde. Mein Vater aber wendete sich kalt gegen Owen und sagte bloß: „Ihr seht, es ist, wie ich gesagt habe. – Gut, Franz, Du bist beinah mündig und im stande, zu urteilen, was Dein Glück machen kann. Daher kein Wort mehr davon. Weil ich aber ebenso wenig verbunden bin, in Deine Plane einzugehen, als Du genötigt bist, Dich den meinigen zu unterwerfen, so kann ich fragen, ob Du irgend etwas beschlossen hast, wobei Du auf meinen Beistand rechnest?“

Nicht wenig beschämt antwortete ich: Da ich zu keinem Gewerbe erzogen sei und kein eignes Vermögen besäße, wäre es mir freilich unmöglich, ohne einige Unterstützung von meinem Vater zu bestehen; allein meine Wünsche wären sehr mäßig, und ich hoffte, meine Abneigung gegen den Stand, dem er mich bestimmt habe, werde ihn nicht veranlassen, mir gänzlich seinen väterlichen Schutz und Beistand zu entziehen.

„Das heißt, Du möchtest Dich gern auf meinen Arm lehnen, und doch Deinen eignen Weg gehen? Dies kann schwerlich geschehen, Franz. Dennoch meine ich, Du wirst meinen Vorschriften gehorchen wollen, insofern sie nicht Deinen eignen Launen entgegen sind.“

Ich wollte sprechen. „Schweig, bitte!“ fuhr mein Vater fort. „Vorausgesetzt, daß dies der Fall ist, wirst Du sogleich nach Nord-England reisen, um Deinen Oheim zu besuchen und dessen Familie zu sehen. Ich habe unter seinen Söhnen – er hat deren sieben, glaub ich – einen erwählt, der, wie ich vernehme, am würdigsten ist, den Platz auszufüllen, den ich Dir in der Schreibstube zugedacht hatte. Aber es sind vielleicht noch einige Anordnungen erforderlich, und dazu ist Deine Anwesenheit vonnöten. Weitere Vorschriften wirst Du im Schloß Osbaldistone erhalten, wo Dirs gefallen wird, zu bleiben, bis Du von mir hörst. Morgen früh findest Du alles zu Deiner Abreise bereit.“

Mit diesen Worten verließ mein Vater das Zimmer.

„Was soll dies alles bedeuten, Herr Owen?“ fragte ich meinen teilnehmenden Freund, dessen Gesicht die tiefste Niedergeschlagenheit ausdrückte.

„Ihr habt Euch selbst zu grunde gerichtet, Herr Franz, das ist alles. Wenn Euer Vater so ruhig und bestimmt spricht, ist so wenig bei ihm zu ändern, wie in einer abgeschlossenen Rechnung.“

Und so erwies es sich. Am nächsten Morgen um fünf Uhr befand ich mich auf einem ziemlich guten Pferde, mit fünfzig Guineen in der Tasche, auf der Straße nach York, um, wie es schien, einem andern den Weg zu ebnen in meines Vaters Haus und Gunst, und am Ende Wohl auch zu seinem Vermögen.




*) Durch die Wilhelm III., Erbstatthalter von Holland, den englischen Thron erhielt (1689).