Vierzehntes Kapitel - Unsre Lebensweise im Schlosse war sehr einförmig. Diana Vernon und ich brachten ...

Unsre Lebensweise im Schlosse war sehr einförmig. Diana Vernon und ich brachten viele Stunden mit gemeinschaftlichen geistigen Beschäftigungen zu; die andern Mitglieder der Familie töteten ihre Zeit mit Vergnügungen und Ergötzlichkeiten, wie sie die Jahreszeit darbot, woran auch wir gelegentlich Anteil nahmen. Mein Oheim wurde allmählich mit meiner Gegenwart und Lebensweise so vertraut, daß er mir im ganzen mehr zu- als abgeneigt war. Wahrscheinlich würde ich noch höher in seiner Gunst gestiegen sein, wenn ich mich derselben Kunstbegriffe zu bedienen bemüht hätte, die Rashleigh anwendete, der, seines Vaters Abneigung gegen Geschäfte benutzend, sich nach und nach die Verwaltung seines Vermögens angemaßt hatte. Zwar stand ich meinem Oheim bereitwillig mit meiner Feder und Rechenkunst bei, so oft er an einen Nachbar schreiben oder mit einem Pächter sich berechnen wollte, und war ihm insofern nützlicher als einer seiner Söhne; allein ich hatte keine Lust, ihn gänzlich der Führung seiner Angelegenheiten zu entheben, so daß der gute Ritter, während er angab, der Vetter Franz sei ein wackrer, behender Bursche, gewöhnlich in demselben Atem zu bemerken pflegte: er habe nicht geglaubt, daß ihm Rashleigh so sehr an allen Ecken und Enden fehlen werde.

Ich habe bereits erwähnt, wie wenig Thorncliff, während die andern Vettern sich halbwegs freundlich gegen mich zeigten, mich leiden konnte. Er hatte zwar etwas mehr Verstand, aber auch eine weit schlimmere Gemütsart als seine Brüder. Mürrisch, tückisch und zänkisch, hielt er meinen Aufenthalt im Schlosse für etwas Aufgedrungenes und sah mit neidischen, eifersüchtigen Blicken meine Freundschaft mit Diana Vernon, die nach einer gewissen Familienübereinkunft zu seiner Braut bestimmt war. Daß er sie liebte, läßt sich kaum sagen, allein er betrachtete sie sozusagen als sein Eigentum und ärgerte sich innerlich, daß man ihm in den Weg trat, und wußte dabei doch auch kein Mittel, es zu verhüten oder zu verhindern. Ich versuchte bei mehreren Gelegenheiten einen versöhnlichen Ton gegen ihn, doch er erwiderte mein Entgegenkommen ungefähr so freundlich wie ein knurriger Schäferhund, den ein Fremder liebkosen will. Ich überließ ihn daher seiner übeln Laune und gab mir weiter keine Mühe.


Auf diesem Fuße stand ich mit der Familie im Schlosse; doch muß ich noch eines andern Bewohners erwähnen, mit welchem ich mich gelegentlich unterhielt. Dies war Andreas Gutdienst, der Gärtner, welcher, seit er wußte, daß ich Protestant war, mich selten vorübergehen ließ, ohne mir seine schottische Dose darzubieten.

„Ich war,“ sprach er eines Abends mit bedeutsamer Miene zu mir, „heute unten im Dorfe, mein Herr.“

„Gut, Andreas; und Ihr habt vermutlich etwas Neues gehört?“

„Den Hausierer Macready habe ich getroffen, und er hat mir erzählt, in London sei der Teufel los, und einen großen Krakehl wegen dem Felleisen, das jenem Kerl, dem Morris, abhanden gekommen sein soll, hätte es im Parlament gesetzt.“

„Im Parlament! Wie sollte denn der Fall vors Parlament gekommen sein?“

„Ja, das sagt ich auch. – Patrick, sagt ich, was haben die Lords und die Herren in London mit dem Kerl und seinem Felleisen zu schaffen? Wenn wir ein schottisches Parlament hätten, machte es Gesetze für Stadt und Land und bekümmerte sich nicht um Dinge, die vor einen gewöhnlichen Richter gehören; aber ich glaube, wenn hier ein altes Weib ihrer Nachbarin einen Topf wegnähme, so würden sie im Parlament von London davon sprechen. Es ist ebenso toll, sagt ich, wie hier mit unserm alten Herrn und seinen Söhnen, Jägern und Hunden, die tagelang einer ärmlichen Bestie nachjagen, die nicht sechs Pfund schwer ist, wenn sie sie fangen.“

„Vortrefflich geschlossen, Andreas,“ sprach ich, um ihn zu genauem Bericht aufzumuntern; „und was sagte Macready?“

„O, er sagte, was man Besseres von dem engländischen Pudding-Volke erwarten könne? Doch auf den Raub zu kommen. – Nachdem sich vermutlich die Whigs und die Torys gestritten und geschimpft hatten wie die ungehängten Diebe, stand einer unter ihnen auf und sagte, daß in Nord-England lauter Erz-Jakobiten wären – worin er auch wohl nicht unrecht hat – und sie hätten einen offnen Krieg angefangen und einen königlichen Boten auf der Landstraße angehalten und beraubt, und die vornehmsten Edelleute in Northumberland wären dabei gewesen, und man hab' ihm vieles Geld und mehrere wichtige Schriften abgenommen. Der beraubte Mann hätte kein Recht erhalten können; denn bei dem ersten Friedensrichter, zu dem er gegangen, hab er die beiden Burschen, welche die Tat verübt, schmausend angetroffen, und der Richter habe ihnen das Wort geredet, so daß der ehrliche Mann, der um sein Geld gekommen sei, das Land schleunigst verlassen habe, damit es ihm nicht noch schlimmer erginge.“

„Kann dies wirklich wahr sein?“ fragte ich.

„Patrick schwört darauf. Und als dieser Mann das Schlimmste gesagt hatte, war ein gewaltiges Geschrei von Namen, und man nannte diesen Mann Morris und Euren Oheim und Junker, Inglewood und noch andre Leute“ – setzte Andreas mit einem schlauen Blick auf mich hinzu. – „Und dann erhob sich jemand von der andern Seite und sagte, man solle nicht die besten Edelleute im Lande auf den Eid einer feigen Memme anklagen, denn dieser Morris sei vom Heer in Flandern davon gelaufen, und die Geschichte sei wahrscheinlich zwischen ihm und dem Minister ausgemacht gewesen, ehe er London verlassen, und wenn man Haussuchung tun wollte, würde man das Geld nicht weit vom königlichen Schlosse finden. Währenddessen brachten sie Morris vor die Schranken, um zu hören, was er zu der Sache sagen könnte; aber die Leute, die gegen ihn waren, machten ein so arges Gerede von seinem Davonlaufen, und von allem Bösen, was er bisher in seinem Leben getan oder gesagt hatte, daß er, wie Patrick erzählt, mehr tot als lebendig aussah, und sie konnten kein vernünftiges Wort aus ihm herausbringen, so große Angst hatte er vor ihnen, weil sie so furchtbaren Krakehl machten.“

„Und was war das Ende von allem? Hat es Euer Freund erfahren?“

„Ei ja; denn Patrick schob seine Reise hierher etwa eine Woche lang auf, weil es seinen Kunden angenehm sein würde, die Neuigkeit zu hören. Der Mensch, der zuerst gesprochen hatte, zog die Hörner ein und sagte, er glaube wohl, daß der Mann beraubt worden sei, aber er könne sich in den einzelnen Umständen geirrt haben. Und dann trat der andre auf und äußerte, es sei ihm einerlei, ob man Morris beraubt habe oder nicht, wenn nur keines braven Mannes Ehre und Ruf dadurch befleckt werde, besonders in Nord-England; denn er komme selbst daher, und wisse wohl, wie's da aussehe. Nachdem nun im Unterhause über Morris und seine Beraubung gesprochen und gestritten worden, bis man es überdrüssig war, kams zu den Lords, und die ergriffen die Sache so eifrig, als wenn sie ganz nagelneu gewesen wäre. Nebenbei sprach man auch von einem gewissen Campbell, der mehr oder weniger beim Raub im Spiel gewesen sein sollte und der ein gutes Zeugnis vom Herzog von Argyle gehabt hatte. Morris' Geschichte wurde für eine bösliche Verleumdung erklärt, und wenn er nicht Bürgschaft geleistet hätte, wär er vielleicht deshalb an den Pranger gekommen.“

Mit diesen Worten nahm der wackre Andreas seine Hacken, Spaten und Rechen zusammen und warf sie in den Schubkarren, jedoch gemächlich genug, um mir Zeit zu lassen, weitre Fragen zu tun, ehe er sie fortschaffte.

„Ich hätte gern den Hausierer gesprochen und von ihm selbst seine Neuigkeiten erfahren. Ihr habt wahrscheinlich gehört, daß die abgeschmackte Torheit dieses Morris mir Unannnehmlichkeiten verursacht hat,“ – Andreas verzog sein Gesicht zu bedeutungsvollem Lächeln – „und ich möchte daher den Hausierer genau wegen des Vorgangs in London befragen, wenn es keine Umstände weiter macht.“

„Nichts ist leichter,“ bemerkte der Gärtner; „ich darf meinem Vetter nur einen Wink geben, daß Ihr ein Paar Strümpfe braucht, so wird er aufs schnellste herbeieilen.“

„O ja; versichert ihm, daß er ein Geschäft mit mir machen kann, und da die Nacht schön und heiter ist, will ich im Garten auf und ab gehen, bis er kommt; der Mond wird bald aufgehen. Ihr könnt ihn durch die kleine Hinterpforte führen, und ich werde indessen die Sträuche und Immergrün-Hecken im Glanze des herbstlichen Mondlichts betrachten.“

Ich ging in dem alten Schloßgarten auf den weichen, kurzverschnittnen Rasengängen, die mit hohen Hecken von Taxus und Stechpalmen eingefaßt waren, auf und ab. Ich erhob meine Augen zu den Fenstern des Büchersaales, die, klein aber zahlreich, sich längs des zweiten Stockwerks an der Seite des Hauses reihten, die mir jetzt entgegen stand. Sie waren erleuchtet. Es überraschte mich nicht, denn ich wußte, daß Diana oft des Abends darin verweilte, obwohl ich aus Gründen des Zartgefühls mir es streng auferlegt hatte, sie nie zu einer Zeit dort aufzusuchen, wo ich wußte, daß die übrigen Mitglieder der Familie bei einander saßen und uns niemand stören konnte. In den Morgenstunden lasen wir in diesem Zimmer gewöhnlich zusammen; doch es traf sich dann oft, daß einer oder der andre unsrer Vettern hereinkam, um ein Pergamentbändchen zu suchen, das, trotz seiner Vergoldungen und Ausmalungen, zu einem Angelhaken benutzt werden konnte, oder uns von einer geplanten Jagd zu erzählen, oder auch bloß aus Mangel an anderm Zeitvertreibe. Kurz, während des Morgens war der Büchersaal eine Art gemeinschaftlichen Treffpunktes. In den Abendstunden war es anders, und ich machte selbst in aller zarten Rücksicht Diana darauf aufmerksam, daß, so oft wir des Abends lesen wollten, die Gegenwart eines Dritten schicklich sei.

Hierzu wurde dann in der Regel Martha, die alte Haushälterin, ersehen; die andern Dienstboten vermieden es, bei Nacht in dieses Zimmer zu kommen, weil es auf der Seite des Hauses lag, wo es nach ihrer törichten Meinung nicht geheuer war. Die Furchtsamsten wollten dort Gesichter gesehen und Töne gehört haben, wenn alle Hausgenossen zur Ruhe waren, und selbst meine jungen Vettern hatten keine Lust, nach angebrochner Dunkelheit in jenen furchtbaren Bezirk einzutreten, sofern sie nicht etwas Wichtiges dort zu tun hatten. Daß der Büchersaal einige Zeit Rashleighs Lieblingsaufenthalt gewesen war, und eine besondre Tür aus demselben in das abgelegene Gemach führte, welches er für sich gewählt hatte, gereichte eher zur Erhöhung als zur Verminderung des Grauens der Dienerschaft vor diesem furchtbaren Saale. Rashleighs ausgebreitete Kunde von allem, was in der Welt vorging, seine tiefen Kenntnisse in jeder Wissenschaft, einige physikalische Experimente, die er gelegentlich vorgemacht hatte, waren für die unwissenden und abergläubischen Bewohner das Schlosses hinreichende Gründe, ihm Gewalt über die Geisterwelt zuzuschreiben. Er verstand Griechisch, Lateinisch und Hebräisch, und brauchte daher, wie sein Bruder Wilfred sagte, weder vor Geistern noch Gespenstern, Teufeln oder Kobolden sich zu fürchten. Ja, die Diener behaupteten, sie hätten im Büchersaale Gespräche halten hören, wenn jeder sterbliche Mensch im Schlosse zur Ruhe gewesen wäre, und er habe die ganze Nacht über auf Gespenster gewartet und dann erst am Vormittag geschlafen, anstatt, wie ein echter Osbaldistone, die Hunde herauszuführen.

Ich war daher nicht verwundert, die Fenster des Büchersaales erhellt zu sehen, fühlte mich aber ein wenig betroffen, als ich deutlich den Schatten von zwei Gestalten bemerkte, der vor dem Fenster sich bewegte und es einen Augenblick verdunkelte. Es muß die alte Martha sein, welche diesen Abend mit dort zubringen soll, dachte ich, oder ich muß mich geirrt haben und Dianas Schatten für eine zweite Gestalt gehalten haben. Nein, beim Himmel, es erscheint am zweiten Fenster. Ganz deutlich zwei Gestalten! Nun verlieren sie sich – jetzt sind sie am dritten – am vierten Fenster. Wen kann Diana bei sich haben? – Die Bewegung der Schatten zwischen dem Lichte und den Fenstern wiederholte sich zweimal, als ob ich mich hätte überzeugen sollen, daß meine Beobachtung richtig sei, worauf die Lichter ausgelöscht wurden und die Schatten verschwanden.

So unbedeutend dieser Umstand war, beschäftigte er doch meine Seele eine geraume Zeit. Ich gestattete mir nicht vorauszusetzen, daß meine Freundschaft für Fräulein Vernon irgend eine selbstsüchtige Absicht habe; aber ich empfand einen unbeschreiblichen Unmut bei dem Gedanken, daß sie einem andern Zusammenkünfte gestattete, zu einer Zeit und an einem Orte, wo ich es für unschicklich hielt, sie zu besuchen, wie ich um ihrer selbst willen ihr zu zeigen bemüht gewesen war.

„Törichtes, leichtsinniges, unachtsames Mädchen!“ sprach ich zu mir selbst, „bei welchem aller gute Rat, alles Zartgefühl weggeworfen ist. Ich habe mich hintergehen lassen durch die Einfalt ihres Betragens, die sie wohl ebenso leicht annehmen kann, als einen Strohhut von der neusten Mode.“

Ich hatte mich nicht lange mit diesem unangenehmen Gegenstande beschäftigt, als die Hintertür des Gartens aufging, und Andreas und sein Landsmann, mit seinem Warenbündel beladen, im Mondschein herbeikamen.

Ich fand in Macready, wie ich erwartet hatte, einen rauhen, verschmitzten Schottlander, einen echten und rechten Neuigkeitstkrämer. Er konnte mir eine bestimmte Nachricht von allem geben, was im Ober- und Unterhause in der Morris'schen Angelegenheit vorging, die, wie es schien, von beiden Seiten als Prüfstein gebraucht ward, um die Stimmung des Parlaments zu erforschen. Das Ministerium war schwach genug gewesen, eine Geschichte zu behaupten, worin angesehene und wichtige Männer verwickelt waren, und die auf der Aussage eines Menschen von so unbedeutendem Ruf wie Morris beruhte, der überdies verworren und widersprechend in seiner Angabe war. Macready konnte mir sogar eine gedruckte Nachricht der Verhandlungen, die man selten außer der Hauptstadt fand, und die ebenfalls gedruckte Rede des Herzogs von Argyle mitteilen.

Ob etwas Ehrenrühriges wider mich selber vorgebracht worden sei, konnte ich nicht mit Bestimmtheit erfahren; aber es ließ sich vermuten, daß die Ehre der Familie meines Oheims angetastet worden war; und Morris hatte angegeben, daß von den beiden, die ihn überfallen hätten, allein gerade der Mann namens Campbell der eigentlich tätige Räuber gewesen sei, und daß gerade eben dieser Campbell vorm Richter erschienen sei und ein Wort zu gunsten eines Herrn Osbaldistone eingelegt hätte, der daraufhin von dem Richter auch bereitwilligst freigegeben worden sei.

Bestürzt und voll Unmut über die seltsame Geschichte, entließ ich die beiden Schottländer, nachdem ich Macready etwas abgekauft hatte, und eilte in mein Zimmer, um zu erwägen, was bei diesem öffentlichen Angriff auf meinen Charakter meinerseits am besten und schicklichsten zu tun sei.