Sechzehntes Kapitel - Die Gefühle von Teilnahme und Eifersucht, welche Dianas sonderbare Lage in ...

Die Gefühle von Teilnahme und Eifersucht, welche Dianas sonderbare Lage in mir erregte, machten mich zu einem so scharfen Beobachter ihrer Blicke und Handlungen, daß es ihrem Scharfsinn nicht entging, so viel ich mir auch Mühe gab, es zu verbergen. Das Bewußtsein, von meinen Blicken beobachtet oder vielmehr bewacht zu werden, schien ihr Verlegenheit, Pein und Unmut zu verursachen. Zuweilen war es, als suche sie eine Gelegenheit, ihre Empfindlichkeit über ein Betragen zu äußern, das ihr beleidigend sein mußte, wenn man in Betracht zog, wie offen sie von den Schwierigkeiten gesprochen hatte, die sie umringten. Manchmal schien sie sich fest vorgenommen zu haben, darüber zu sprechen, aber entweder verließ sie der Mut, oder irgend ein andres Gefühl hielt sie ab, Aufklärung zu verlangen. Ihr Unmut verflog in einer witzigen Antwort, und ihre Klagen erstarben auf ihren Lippen. Wir standen in einem sonderbaren Verhältnisse zu einander. Einen großen Teil unsrer Zeit, nach beiderseitiger Wahl, mit einander zubringend, verhehlten wir doch unsre gegenseitigen Gefühle, und des einen Tun reizte den andern zur Eifersucht oder Empfindlichkeit. Es war Vertraulichkeit zwischen uns ohne Vertrauen; auf der einen Seite Liebe ohne Hoffnung oder Zweck und Neugier ohne einen vernünftigen und angemessenen Beweggrund; auf der andern Seite Verlegenheit und Zweifel, wozu sich gelegentlich Unmut gesellte. Dennoch glaub ich, daß diese Erregung der Leidenschaften, die fortdauernd durch tausend anreizende und anziehende, wenn auch unbedeutende Umstände, immerwährend uns einander näher führte, dazu beitrug, die Neigung zu erhöhen, die uns gegenseitig anzog. Aber Diana besaß einen zu ausgebildeten und bestimmten Charakter, als daß sie über ihrer Liebe zu mir hätte vergessen sollen, was ihr die Pflicht, und was ihr die Klugheit gebot, und sie bewies mir dies in einer Unterredung, die wir um diese Zeit hatten.

Wir saßen zusammen in der Bibliothek. Diana blätterte in einer Ausgabe des „Rasenden Roland“, die mir gehörte, als ein beschriebnes Blatt herausfiel. Ich wollte es schnell aufheben, allein sie kam mir zuvor.


„Es sind Verse,“ sprach sie, auf das Papier blickend, und indem sie es zögernd entfaltete, als ob sie meine Antwort erwarten wollte, fuhr sie fort: „Darf ich so frei sein? – O wenn Ihr errötet und stammelt, muß ich Eurer Bescheidenheit Gewalt antun, und die Erlaubnis voraussetzen.“

„Es ist nicht wert, daß Ihr es lest – ein Brocken von einer Uebersetzung. – Mein teures Fräulein, es würde ein zu strenger Ausspruch erfolgen, wenn Ihr, die Ihr mit der Urschrift so wohl bekannt seid, im Gerichte sitzen solltet.“

„Mein ehrlicher Freund,“ erwiderte Diana, „wenn Ihr guten Rat von mir annehmen wollt, so ködert Eure Angel nicht mit zu viel Bescheidenheit; denn es gilt zehn gegen eins, Ihr fangt nicht eine einzige Schmeichelei damit. Ihr wißt, ich gehöre zu dem unbeliebten Geschlechte der Wahrheitssager, und Apollo selbst würde keine Schmeichelei über seine Leier erhalten.“

Nach diesen Worten las sie die erste Stanze, aber schon nach wenigen Zeilen brach sie mit den Worten ab: „Das geht ja endlos fort. Ist mir viel zu lang!“

„Auch wohl kaum Eurer Aufmerksamkeit wert, Fräulein,“ sprach ich etwas empfindlich, und nahm ihr das Blatt weg, das sie mir ohne Widerstreben überließ. „Und dennoch,“ fuhr ich fort, „dürfte ich mir zuweilen hier in meiner abgesonderten Lage wohl kaum in bessrer Weise die Zeit vertreiben können, als wenn ich, versteht sich nur zu meinem eignen Vergnügen, die Übersetzung dieses bezaubernden Dichters wieder vornähme, die ich vor einigen Monaten am Ufer der Garonne begann.“

„Es fragt sich nur,“ sprach Diana, „ob Ihr Eure Zeit nicht doch zu etwas Besserm verwenden könntet.“

„Ihr meint, zu eignen Arbeiten?“ sagte ich höchst geschmeichelt; „doch aufrichtig gesprochen, mein Geist versteht sich mehr darauf; Worte und Reime zu finden, als Gedanken; daher fühl ich mich glücklich, die zu brauchen, welche mir Ariosto in die Hände liefert. Aber die Aufmunterung, die Ihr mir gebt, Fräulein –

„Verzeiht, Franz; ich gebe keine Aufmunterung, sondern Ihr nehmt sie. Ich meinte, weder eigne Arbeiten noch Uebersetzung, als, ich glaubte, Ihr könntet Eure Zeit weit besser anwenden, als zu beiden. Ihr seid empfindlich,“ fuhr sie fort, „und es tut mir leid, Euch gekränkt zu haben. Aber seid mir nicht böse, wenn ich Eure Empfindungen noch höher auf die Probe stelle; was ich zu sagen habe, wird Euch vielleicht noch mehr verletzen.“

„Ich fühlte, wie kindisch mein Betragen und wie sehr Diana mir überlegen war, und gab ihr die Versicherung, daß sie nicht zu fürchten brauche, mich durch ihren Tadel, dessen freundliche Absicht ich kenne, unwillig zu machen.“

„Das war aufrichtig gemeint und gesprochen,“ erwiderte sie. „Ich wußte wohl, daß der Dämon der Dichterempfindlichkeit mit dem kleinen, der Erklärung vorhergehenden Husten, entfliehen würde. Und nun muß ich ernsthaft sein. – Habt Ihr kürzlich etwas von Eurem Vater gehört?“

„Nicht ein Wort,“ erwiderte ich. „Seit meinem hiesigen Aufenthalte von mehreren Monaten hat er mich nicht mit einer einzigen Zeile beehrt.“

„Das ist seltsam! Ihr seid ein sonderbares Geschlecht, Ihr kühnen Osbaldistones. – Also wißt Ihr nicht, daß er nach Holland gegangen ist, um dringliche Angelegenheiten zu ordnen, die seine Gegenwart erheischten?“

„Das ist das erste, was ich höre.“

„Dann ist es jedenfalls auch eine Neuigkeit für Euch – und gewiß keine sehr unangenehme – daß er Rashleigh bis zu seiner Rückkehr fast die gänzliche Leitung seiner Angelegenheiten überlassen hat.“

Erschrocken konnte ich meine Überraschung und Besorgnis nicht unterdrücken. „Ihr habt Grund, beunruhigt zu sein,“ sprach Diana sehr ernst. „Wäre ich an Eurer Stelle, so würde ich die Gefahren zu verhüten suchen, die aus einer so unerwünschten Anordnung entstehen.“

„Und wie ist dies mir möglich?“

„Alles ist dem möglich, der Mut und Tatkraft hat,“ sprach sie mit einem Blicke, der an die Heldinnen der Ritterzeit erinnerte, deren Aufmunterung den Kämpfern doppelten Mut in der Stunde der Gefahr erteilte, „aber dem Furchtsamen und Zögernden ist alles unmöglich, weil es so scheint.“

„Und welchen Rat, Fräulein Vernon, gebt Ihr mir?“ fragte ich, ihre Antwort wünschend und fürchtend.

Sie schwieg einen Augenblick, dann antwortete sie mit festem Tone: „Daß Ihr sogleich das Schloß verlaßt und nach London zurückkehrt. Ihr seid vielleicht,“ fuhr sie sanfter fort, „schon zu lange hier gewesen; doch das war nicht Eure Schuld. Jeder nun folgende Augenblick, den Ihr hier verschwendet, wird ein Verbrechen sein. Ja, ein Verbrechen, denn ich sage Euch geradezu, wenn Euer Vater seine Angelegenheiten lange in Rashleighs Händen läßt, so könnt Ihr seinen Untergang für ausgemacht halten.“

„Wie wäre das möglich?“

„Keine Fragen,“ sprach sie; „aber glaubt mir, Rashleighs Absichten erstrecken sich weit hinaus über den Besitz oder die Vermehrung des Handelsreichtums. Er wird Eures Vaters Einkünfte und Güter nur zum Mittel machen, seine eigennützigen und weit ausgedehnten Pläne auf die Beine zu bringen. So lange Euer Vater in England blieb, war dies unmöglich; während seiner Abwesenheit wird Rashleigh viele Gelegenheiten haben, und er wird nicht versäumen, sie zu benutzen.“

„Aber wie kann ich, der ich in Unfrieden mit meinem Vater lebe und von aller Aufsicht über seine Angelegenheiten ausgeschlossen bin, durch meine bloße Gegenwart in London die Gefahr abwenden?“

„Diese Gegenwart allein wird viel tun. Euer Anspruch auf Mitwissenschaft ist ein Teil Eures Geburtsrechtes, und unveräußerlich. Auf den Beistand des ersten Buchhalters Eures Vaters und seiner vertrauten Freunde und Handelskollegen könnt Ihr ohne Zweifel rechnen. Und vor allem, Rashleighs Entwürfe sind von einer Art, die –“ sie hielt plötzlich inne, als fürchte sie zu viel zu sagen – „Kurz,“ fuhr sie fort, „sie sind von der Art aller eigennützigen und gewissenlosen Pläne, welche schnell aufgegeben werden, sobald diejenigen die sie hegen, gewahr werden, daß sie entdeckt und bewacht sind. Daher mit den Worten Eures Lieblingsdichters:

„Zu Roß! Zu Roß! laßt Zweifel den Verzagten!“

Ein unwiderstehliches Gefühl bewog mich zu der Antwort: „O, Diana! könnt Ihr mir raten, das Schloß zu verlassen? – Dann habe ich fürwahr schon zu lange hier verweilt.“

Sie errötete, fuhr aber mit großer Festigkeit fort: „Ich gebe Euch allerdings den Rat – nicht das Schloß zu verlassen, sondern auch, nie dahin zurückzukehren. Ihr habt nur eine Freundin daselbst zu beklagen,“ sprach sie weiter, und zwang sich zu lachen, „und diese ist längst gewohnt, ihre Freundschaft und was ihr Trost gibt, der Wohlfahrt andrer aufzuopfern. In der Welt werdet Ihr Hunderte finden, deren Freundschaft ebenso uneigennützig sein wird, und weit vorteilhafter, weniger gehemmt durch widrige Verhältnisse, weniger beeinflußt durch böse Zungen und böse Zeiten.“

„Nie!“ rief ich aus, „nie! Die Welt kann mir nicht ersetzen, was ich hier zurücklassen muß.“ – Ich faßte ihre Hand und drückte sie an meine Lippen.

„Das ist Torheit!“ rief sie – „das ist Wahnsinn!“ und sie versuchte, mir ihre Hand zu entziehen, aber sie tat es nur zögernd, so daß ich sie fast eine Minute hielt. „Hört mich, Herr Osbaldistone,“ sprach sie, „und bezähmt diesen unmännlichen Ausbruch der Leidenschaft. Ich bin durch feierlichen Vertrag eine Braut des Himmels, wenn ich mich nicht lieber der Schlechtigkeit in Rashleigh Osbaldistone oder der Roheit in seinem Bruder vermählen will. Daher bin ich als Braut des Himmels dem Kloster geweiht seit meiner Wiege. Bei mir sind sentimentale Ausbrüche unrecht angebracht, sie dienen nur noch mehr als Beweise dafür, wie notwendig Eure Abreise ist, und das ohne Aufschub.“ Bei diesen Worten brach sie plötzlich ab und sprach dann mit gepreßter Stimme: „Verlaßt mich sogleich. – Wir sehen uns hier noch einmal, aber dann nie wieder.“

Meine Augen folgten der Richtung der ihrigen, indem sie dies sprach, und es kam mir vor, als bewege sich die Tapete, welche die Tür des geheimen Ganges zu Rashleighs Zimmer bedeckte. Ich glaubte, wir würden beobachtet, und warf einen fragenden Blick auf Diana.

„Es ist nichts,“ sprach sie mit schwacher Stimme; „eine Ratte hinter der Tapete.“

„Tot für einen Dukaten,“ (Stelle aus Hamlet) würde ich geantwortet haben, wenn ich mich meinem Gefühle überlassen hätte, das sich bei dem Gedanken, jetzt behorcht zu werden, unwillig empörte. Klugheit, die Notwendigkeit, meine Leidenschaft zu verbergen, und Dianas wiederholtes Gebot: „Verlaßt mich! verlaßt mich!“ hemmten zu rechter Zeit eine unbesonnene Handlung. Ich eilte hinaus in wilder Aufregung des Gemüts, die ich vergebens bei der Rückkehr in mein Zimmer zu beruhigen suchte.

Ein Chaos von Gedanken erfüllte mich auf einmal, zog schnell durch meine Seele und verdunkelte sich unter einander, gleich den Nebeln, die in Gebirgsgegenden in düstern Wolken sich niedersenken, und die Merkzeichen verhüllen, nach denen der Wanderer seinen Pfad durch die Wildnis lenkt. Die dunkle, unbestimmte Vorstellung der Gefahr, die aus den Ränken eines Mannes, wie Rashleigh Osbaldistone entstehen konnte – die halbe Liebeserklärung, die ich Diana Vernon dargeboten hatte – ihre anerkannte mißliche Lage, gebunden durch einen frühern Vergleich, sich dem Kloster oder einer unpassenden Verbindung zu opfern – alles dies drängte sich auf einmal vor meine Seele, und mein Verstand war unfähig, irgend etwas davon in gehörigem Lichte zu betrachten. Vor allem wurde ich nicht recht klug daraus, wie Diana das Geständnis meiner Zuneigung aufgenommen hatte, zumal ihr zwischen Teilnahme und Festigkeit schwankendes Benehmen mir ein Interesse an meiner Person zu verraten schien, das freilich noch nicht stark genug war, um ihr über die Hindernisse hinwegzuhelfen, die es ihr verwehrten, mir Gegenliebe zu gestehen. Der Blick, mit dem sie die Bewegung der Tapete vor der heimlichen Tür beobachtet hatte, drückte mehr Furcht als Ueberraschung aus und verriet die Besorgnis einer Gefahr, die ich für unbegründet halten mußte; denn Diana hatte nicht die reizbaren Nerven ihres Geschlechts und war gänzlich unfähig, ohne eine wirkliche und begründete Ursache sich zu fürchten. Von welcher Art konnten diese Geheimnisse sein, welche sie wie ein Zauberkreis umringten, und auf ihre Gedanken und Handlungen fortwährend einen lebhaften Einfluß zu haben schienen, obgleich deren Vollstrecker nie sichtbar waren? Bei diesem zweifelhaften Gegenstande verweilte zuletzt meine Seele, als sei sie froh, der Frage über die Schicklichkeit oder Klugheit meines eignen Betragens auszuweichen, indem sie die Nachforschung auf Dianas Verhalten übertrug. Ich will, beschloß ich, ehe ich das Schloß verlasse, mir klar darüber sein, in welchem Lichte ich in Zukunft dieses bezaubernde Wesen betrachten soll, über dessen Leben Offenheit und Geheimnis die Herrschaft geteilt zu haben scheinen, indem Offenheit all ihre Worte und Gefühle beseelt, während all ihre Handlungen geheimnisvoll beeinträchtigt werden.