Abschnitt 6

Robin Hood


Das treue Volk gab sein Letztes, um dem Herrscher, den es so sehr liebte und zurückwünschte, die Freiheit zu verschaffen. Bald lag die riesige Summe des geforderten Lösegeldes bereit.


Der verräterische Prinz Johann ging sogleich daran, seinen Plan auszuführen, der ihm doppelten Vorteil und Gewinn bringen sollte. Noch vor Sonnenaufgang ließ er fünfzig seiner Bogenschützen in aller Heimlichkeit auf dem Schloßhof versammeln. „Ihr reitet auf der Landstraße am Sherwood–Walde entlang. Dort legt ihr die grasgrünen Wämser an, die ich euch mitgeben lasse, und kleidet euch so wie Robin Hoods Bande.“

Niemand ahnte das hinterhältige Vorgehen des Prinzen. In der Tracht von Robin Hoods kühnen Gesellen sollten die Bogenschützen den Lastzug überfallen, der das für König Richard bestimmte Lösegeld in Prinz Johanns Schatzkammer nach London schaffte!

Doch Robin Hoods Späher erkannten rechtzeitig genug auch diesen heimtückischen Bubenstreich, der das Ansehen der grünen Gesellen so schmählich mißbrauchen und verunglimpfen und König Richard für immer die Heimkehr verwehren sollte. In Windeseile war die Bande zur Stelle und verhinderte die Entführung des Lösegeldes. Statt in die Schatzkammer des eigensüchtigen Prinzen gelangte der Betrag an die richtige Stelle: Er diente als Lösegeld für den König, der fern der Heimat auf Rückkehr hoffte.

Nach dem erbarmungslos harten Winter in der Kälte der waldigen Schlupfwinkel sahen die Geächteten endlich den Frühling nahen. Mit ihm wuchs ihnen neuer Mut und neue Hoffnung. Immer neue Gesellen strömten den Freiheitskämpfern als Helfer zu.

In sorgenvollen Gedanken, wie er die große Zahl der Getreuen ernähren solle, schritt Robin Hood mit Bruder Tuck durch den Wald. Der freiheitsliebende Mönch war seit langer Zeit einer der tätigsten unter seinen Gesellen.

„Halt!“ tönte es ihnen plötzlich entgegen.

Robin zuckte zusammen. Gerade vor ihnen an der großen Eiche hielt ein Ritter hoch zu Roß, in blanker Rüstung, das Visier heruntergeklappt.

„Was wollt Ihr hier im Walde?“ rief Robin drohend.

„Ich suche Robin Hood! Wißt ihr, wo ich ihn finde?“

„Ich selber bin es! Was wollt Ihr?“

„Den Sherwood–Wald von Geächteten befreien! Wir wissen von deinen Schandtaten und Gesetzwidrigkeiten, Robin Hood. Du weigerst dich, dem Prinzen Johann den schuldigen Gehorsam zu erweisen, du hast hier im Walde wider alles Landrecht einen Haufen gesetzloser Gesellen um dich geschart, du hast das Lösegeld geraubt, das für unsern gefangenen König bestimmt war!“

„Weil der verräterische Prinz falsches Spiel getrieben hat!“ rief Robin in wildem Zorn „Ihr dient einem schlechten Herrn, Herr Ritter! Soll ich sagen, wo das Geld geblieben ist? Seinem rechten Zweck habe ich es zugeführt! Meine Männner haben es übers Meer gebracht, um unsern geliebten König Richard aus der schmählichen Gefangenschaft freizukaufen...“

Bruder Tuck konnte nicht mehr an sich halten. „Laßt diese herausfordernde Sprache, Herr Ritter! Und nehmt den Helm ab, oder ich schlage ihn Euch vom Schädel!“ Drohend hatte der streitbare Mönch den schweren Knüppel erhoben. Willig folgte der fremde Ritter der Aufforderung, löste den Riemen und nahm den Helm vom Kopf.

Wie auf eine Geistererscheinung blickten die beiden Männer auf den Reiter. „König – König Richard!“ brach Robin fast stammelnd aus und beugte das Knie. Der Mönch tat desgleichen.

„Ihr seid wieder zurück, Majestät“, sagte Robin. Erst langsam begann er, sich zu fassen. „Vergebt mir, Majestät, das große Auftreten“, sagte er dann, „ich ahnte ja nicht...“

„Ihr habt nicht zu bitten, Robin Hood. Mit mir ist ganz England in Eurer Schuld. In Eurer Schuld und der Eurer verwegenen Gesellen.“

Gütig lächelnd stieg der König vom Pferde. „Robin Hood“, sagte er. „Kniet nieder, hier an der Stätte, wo Ihr für die Freiheit gekämpft habt.“

Der König hatte sein Schwert gezogen und legte es dem Knienden auf die Schulter. „Robin Hood, ich schlage Euch hiermit zum Ritter meiner Krone und ernenne Euch hiermit zum Herzog,“ sagte er, „als Herzog von Locksley sollt Ihr das Land hier ringsum als Lehen aus meiner Hand übernehmen und für mich in Treue verwalten. Erhebt Euch, Sir Robin!“

Hand in Hand schritten die beiden dem Waldlager zu. Bruder Tuck führte des Königs Streitroß am Zügel.

Mit wilden Heilrufen umringten die Geächteten den König und seinen neuen Herzog.

„Ich weiß, wo ich meine Freunde zu suchen habe“, sagte König Richard. „Ich werde sie zu belohnen wissen, und sie sollen die Stelle in meinem Reiche einnehmen, die ihnen zukommt und die dem Reiche förderlich ist!“ Da breitete Robin seine Arme aus, als wollte er alle darin einschließen, und dann rief er, daß es hinaufklang bis zu den Baumkronen des Sherwood–Waldes: „Hoch Robins tollkühne Gesellen!'' England hatte seinen Frieden wiedergefunden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Robin Hood