Abschnitt 4

Robin Hood


„Ich pflege bedrängten Menschen zu helfen und trete ein für Recht und Billigkeit, wenn unser gutes Sachsenrecht so mit Füßen getreten wird!“ So erklärte er ruhig, als die drei Normannenreiter ihn beschimpfen wollten. Ruhig brachte er den jungen Menschen in Sicherheit – und hatte der Bande der Geächteten einen neuen Freund gewonnen, einen normannischen Spielmann, der die Gesetzlosigkeit seiner eigenen Landsleute erlebt hatte.


Als die beiden dem Waldlager zuritten, leuchtete es zwischen den Baumstämmen auf. Bärtige Männer, die um die Flammen saßen, sprangen auf, als die beiden in den Kreis einritten. Ganz unbekümmert, ein echter Spielmann, klimperte Alin ein fröhliches Liedchen, während die Gesellen voll Erstaunen sein buntes Wams betrachteten. „Unser neuer Freund wird unser Schicksal teilen“, rief Robin den Gefährten zu. „Willkommen sei uns jeder, der für Recht und Freiheit ist!“

Abends saßen sie wieder zusammen und wetterten über des Sheriffs Grausamkeit. „Wir sind nicht die einzigen“, berichteten Abel und Fred, „viele gibt es, die geächtet und vogelfrei sind und vor ihren Häschern im Walde Schutz gesucht haben.“

„So holt sie herbei“, rief Robin, „wenn ihr für sie bürgen könnt. Jeden freiheitsliebenden Mann können wir gebrauchen!“

Tags darauf standen die Männer vor ihm, alles bärenstarke, hochgewachsene Sachsen, die mit dem schmalen Schwert und dem langen Bogen aus Eschenholz umzugehen wußten. Und alles entschlossene Burschen, die Prinz Johanns grausame Härte gespürt hatten und ihm voll Ingrimm den Tod an den Hals wünschten. „Willst du unsere Hilfe, Robin Hood“, sagte der Führer dieser Burschen, „so wollen wir dir folgen!“

„Seid mir willkommen. Und wie ist dein Name?“

„Ich heiße Will Stutely“, versetzte der Mann.

So wuchs der Haufen der Verschworenen. Und Robin Hood, der junge sächsische Edelmann, war ihr Haupt. Die Armen liebten ihn, der das freie Leben unter den Bäumen des Waldes einem Leben in Zwang und Unfreiheit vorzog; der Sheriff aber haßte diesen Freund und Helfer der Unterdrückten und sann auf Mittel und Wege, ihn zu fangen und zum Tode zu führen. Er setzte auf Robin Hoods Kopf einen Preis aus. Fünfzig Goldstücke für den, der den verhaßten Freiheitskämpfer in Ritter de Lacys Hände lieferte!

Da gaben seine Ratgeber ihm einen Vorschlag für eine Veranstaltung ein, die Robin Hood in seine Hände führen könnte. Er ließ zu einem Wettschießen aufrufen, dessen Preis ein silberner Bogen sein sollte. Sicherlich würde Robin Hood, der Meisterschütze, der Versuchung nicht widerstehen können auch wenn es mehr als Tollkühnheit bedeutete, sich in den Machtbereich des Sheriffs zu wagen.

In seinem unbändigen Verlangen, seine Kunst zu zeigen, lachte Robin Hood unbekümmert über die Bedenken seiner Gesellen. „Geh nicht, Robin,“ baten sie ihn, „denk auch daran, was du uns schuldig bist als unser Führer! Es wäre für dich ein Tod in Schande!“

„Für mich gibt es keine Gefahr“, sagte er sorglos. „Mich fängt der Sheriff nicht. Aber was wird es für uns bedeuten, wenn jedermann weiß, daß ich in Nottingham gewesen bin und am Bogenschießen des hochgeborenen Herrn de Lacy teilgenommen und den silbernen Bogen gewonnen habe!“

Als armseliger Bettler verkleidet, betrat der Geächtete die Stadt. Niemand kam auf den Gedanken, den gefürchteten Anführer der Freiheitskämpfer vor sich zu haben.

Bunte Wimpel wehten über dem Kampfplatz, wo die festliche Menge sich erwartungsfroh drängte. In der Laube des Sheriffs hatte auch Prinz Johann Platz genommen. Da trat der Herold in die Schranken, ließ sein Horn erschallen und forderte die Bewerber auf, sich zum Wettkampf zu stellen.

Ein Murren ging durch die Menge, als man unter den Meistern des Eschenbogens den zerlumpten Bettler gewahrte. Stimmen wurden laut, daß solcher Bewerber nicht zuzulassen sei. Doch die Königinmutter, die ihr Volk liebte, sprach die Entscheidung. „Hier geht es nicht nach Rang und Stand, sondern nach der Fertigkeit im Bogenschießen“ , rief sie lächelnd. „Jeder Meister ist uns willkommen!“

Der Wettkampf begann. Alle trafen das Ziel, das auf sechzig Schritt gestellt war. Der Bettler, der als erster schießen mußte, schien sich gar keine Mühe zu geben, so daß es aussah, als habe er nur durch Zufall getroffen.

Weiter rückte man die Scheibe ab; schon verfehlten zwei der Herren das Ziel und mußten vom Wettkampf abtreten. Wieder wurde die Entfernung größer, und wieder mußten zwei Bewerber sich geschlagen bekennen. Als des Herolds Helfer die Zielscheibe auf hundertundzwanzig Schritt gestellt hatten, waren nur noch zwei Schützen im Spiel: Thorn Greenwood, der Führer der prinzlichen Jäger, und der unbekannte Bettler.

„Jetzt wäre Red Gill vonnöten“, rief jemand in die Spannung hinein. Den einstigen Führer der Bogenschützen hätte man hier in der Tat im Wettkampf sehen mögen.

Ungeheuer war die Erregung, mit der die Menge den Wettkampf verfolgte. Einhundertundzwanzig Schritt war die Entfernung des Ziels! So klein war das Schwarze auf der Scheibe, daß es kaum noch zu erkennen war.

Jetzt ging es um die Entscheidung! Wieder schritt der Herold vor die Menge: „Wir werfen das Los, um festzustellen, wem der erste Schuß gehört!“

Das Los traf den Bettler. Mit demütiger Selbstsicherheit trat Robin vor. Er dachte an den einstigen Meisterschuß seines Vaters, dessen Schuß den im Mittelpunkt haftenden Pfeil gespalten hatte. Diese Leistung würde Thorn Greenwood nicht vollbringen. So durfte Robin seines Sieges sicher sein. Ruhig legte er den Pfeil ein, zog ihn bis hinters Ohr zurück und ließ die Sehne schnellen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Robin Hood