4. Allein

4. Allein.

Die Nacht verging, und die Räuber arbeiteten eifrig. Sie schafften von der Ladung soviel heraus, daß gegen Morgen ihre Bark das fast leergewordene Fahrzeug ins Schlepptau nehmen konnte.


Als die Sonne hoch am Himmel stand, war von der „Antje Marie“ nichts mehr zu sehen.

Robert erhob sich und nahm alle seine Kräfte zusammen. Jetzt war er allein, niemand konnte ihm raten oder helfen, niemand hörte ihn, er mochte rufen sooft er wollte. Im Anfang erdrückte ihn der trostlose Gedanke, machte ihn unfähig seine Lage ruhig zu überblicken oder für die nächste Zukunft irgendeinen Entschluß zu fassen, dann aber raffte er sich auf, um wenigstens etwas zu essen. Der Magen verlangte sein Recht.

Mit langsamen Schritten wanderte er am Strand entlang. Es war ihm, als könne er dem Meer nicht den Rücken kehren, als sei er ganz verlassen, wenn erst das dichte Gebüsch ihn umgab. Und vielleicht – vielleicht kam ja auch ein Schiff.

Er ging weiter und weiter, aber nichts zeigte sich. Die Küste wurde immer unwegsamer, der Pflanzenwuchs spärlicher, je weiter er vordrang; auch der Hunger quälte ihn stärker, und der Durst trocknete seine Kehle aus.

Zahlreiche Möwen kreuzten über dem Wasser in der heißen Luft, Krebse und Krabben bewegten sich am Ufer, sonst war alles öde und totenstill.

Robert fühlte es, er mußte jetzt essen, oder er würde ohnmächtig werden. Schnell entschlossen wandte er sich und ging zurück zu dem ersten Ankerplatz des Bootes, um von dort aus die Stelle zu erreichen, wo er Wasser und Nahrungsmittel finden konnte. Wohnten die Räuber auf dieser Insel und hatten sie das Versteck der Strandgüter schon entdeckt, so war er verloren, aber Robert ergab sich in das Unvermeidliche. Er hatte alle Hoffnung fallen lassen.

Mit brennendem Kopf beugte er sich über die Quelle, die er schon am Vortage entdeckt hatte, und trank in langen, durstigen Zügen. Er wusch erst Gesicht und Hände, dann aber zog er sich aus und sprang ganz ins Wasser.

Es war, als ob er plötzlich von einem Teil seiner Sorgen und Befürchtungen befreit sei. Er schwamm bald auf dem Rücken, bald mit den zahlreichen langbeinigen Wasserspinnen lustig um die Wette, obwohl dabei der Hunger nur immer grimmiger zu toben begann. Aber das schadete ja nicht; er besaß zu Essen genug, um den knurrenden Gesellen zu befriedigen, und daher gab er sich dem Vergnügen des Badens erst einmal ungestört hin. Dann schüttelte er den Staub aus seinen Sachen, rieb und reinigte sie so gut wie möglich und lief neu gestärkt auf dem gestern bezeichneten Pfad durch das Gebüsch, um zu dem Stapelplatz der Waren zu kommen.

Etwas schlug ihm aber doch das Herz, als er näher kam. Wenn vor ihm die Räuber dagewesen waren und alles weggenommen hatten? –

Dann konnte er Melonen essen, Ananas, Bananen, rohe Krabben und verschiedene kleine Beeren, die an den Büschen wuchsen – weiter blieb ihm nichts übrig. Wenn sich der Magen gegen diese Kost sträubte, so kamen Krankheit und Tod und deckten alles zu, Vergangenheit und Zukunft.

Er schlich und lauschte, er spähte durch die Zweige, angstvoll und hoffend zugleich.

Aber es war zum Glück kein Mensch dagewesen. Alles lag und stand, wie es gestern die Matrosen übereinandergestapelt hatten; tiefer Friede ruhte auf der ganzen Umgebung.

Robert nahm mit erleichtertem Herzen von seiner künftigen Wohnung Besitz. Er mußte sich einrichten, mußte sich den Verhältnissen anpassen und wie ein Geizhals den vorhandenen Vorrat verwalten, das wußte er.

Aber noch hatte es keine Not. Da waren Erbsen, Reis, Bohnen, Pökelfleisch, Speck und Mehl. Ferner fand er mehrere Angeln, einen Spaten, ein Fäßchen Salz, eine kleine Kiste mit Zündhölzern und Kochgeräte, also schien für den Magen gut gesorgt. Bei näherer Umschau entdeckte er noch eine Kiste mit Schiffsbrot, und als seine Zähne tapfer das harte Gebäck zerbissen, wunderte er sich, wie ausgezeichnet es schmeckte. Ein tüchtiges Stück Speck, eine halbe Ananas und ein Glas Wein vollendeten das sonderbar zusammengesetzte Frühstück, dann stützte Robert den Kopf in die Hand und fing an nachzudenken.

Wo mochten jetzt seine Kameraden sein? Lebten sie überhaupt noch?

Wahrscheinlich lagen alle gefesselt auf dem Boden des Meeres, wahrscheinlich waren alle tot, die Männer, in deren Mitte er die Heimat verlassen hatte.

Ganz allein hatte ihn das Schicksal dem Strand der unbewohnten Insel zugeführt, ganz allein war er zurückgeblieben, ohne einen Freund, einen Menschen, mit dem er sprechen konnte.

So hatte er die alten Eltern zurückgelassen, so verließen ihn die Menschen.

Er sprang auf und ging ins Freie. Krank durfte er nicht werden, dann war alles verloren. Er mußte wieder an den Strand gehen und nach Rettung Ausschau halten, darin lag seine einzige Hoffnung. Es graute ihn, sooft er das Gebüsch und die aufgestapelten Vorräte erblickte. Wenn das alles verzehrt war und noch kein Schiff ihn bemerkt hatte, was dann?

Er ergriff eine große Wolldecke und wickelte sie zusammen. Zwischen zwei Bäumen am Ufer ausgespannt, konnte sie vielleicht als Notzeichen dienen, vielleicht führte sie ein Schiff an die Küste, das ihn aufnahm.

Er dachte nicht daran, daß auch die Räuber so sein Versteck finden und ihn plötzlich überfallen konnten. Das Gefühl des Verlassenseins ließ ihn noch zu keiner klaren Überlegung kommen. Beladen mit der Decke, einem großen Stück Segeltuch, einer Rolle Garn und etwas Mundvorrat machte er sich auf den Weg, um den Strand wieder zu erreichen. Das brandende Meer war doch nicht so entsetzlich einsam wie der schweigende Wald.

Aber er ging diesmal einen andern Weg. Anstatt sich ganz links zu halten, bog er rechts ab und brauchte etwas mehr Zeit, bevor er ans Ufer kam. Hier spülten die Fluten in tiefe Buchten hinein, und die Gegend wurde mit jedem Schritt schöner. War an der entgegengesetzten Seite der Insel das Meer von großartiger, überwältigender Schönheit, brach dort donnernd die Brandung an die höhergelegene Küste, – so spielte es hier murmelnd und flüsternd wie ein stiller träumender See unter dem Schatten uralter, tief herabhängender Baumzweige, rings umgeben von weiten, duftenden Blütenfeldern.

Schmale Landzungen liefen zu beiden Seiten lang gestreckt bis tief in das Meer hinaus, daher war es so still und friedlich am Strand, daher verloren sich die letzten Wellen des Ozeans hier still unter den Zweigen der Bäume.

Robert sah auf. Über der schmalen Bucht wölbten sich verschlungene Ranken zu einer Kuppel. Einzelne Sonnenstrahlen durchdrangen das dichte Gewinde, leichter, spielender Südwind bewegte die weißen und purpurnen Blüten, und die Vögel sangen.

Robert ging mit leisen Schritten durch das Gras. Es war ihm wie in einer Kirche, wie damals, als er in dem weltabgelegenen kleinen Heimatdörfchen Rellingen vor dem Altar stand und eingesegnet wurde. Der Pfarrer hatte ihn gefragt, ob er ein guter, wahrhafter und ehrlicher Mensch bleiben wolle. –

Sonderbar, auch diese Baumwipfel, diese hüpfenden Sonnenstrahlen, diese Urwaldstille schienen dasselbe zu fragen. Robert legte das Gesicht an den schlanken Stamm einer Palme und umfaßte das Holz, als sei es ein lebendes fühlendes Wesen. Er dachte an Mohr, an den toten geliebten Freund, dessen Augen er immer vor sich sah. Armer, alter Mann, wie glücklich war dein Sterben gegen das deiner ermordeten Kameraden!

Robert erinnerte sich so lebhaft des Toten, daß er ihn zu sehen glaubte. Dort unten, wo die Schatten tiefer fielen, im grünen Blattwerk der Schlingpflanzen, von Orangen und Palmen überragt – – – war es nicht des alten Freundes ernstes Gesicht? – Roberts Knie zitterten. Er bog das Gebüsch zur Seite und schlich näher, mit pochendem Herzen, leise als beträte er einen Tempel.

Ja, es war Mohr, dessen Leiche der Tod an die Erde verzeihend zurückgab, nachdem er um seiner Tat willen sein ganzes Leben die Menschen geflohen hatte.

Robert trat ganz nahe an die Leiche heran und zog sie mit Aufbietung aller seiner Kräfte ganz auf den Strand. Er sah voll Rührung in das stille Gesicht des Toten; ein Gefühl, als sei er nicht mehr so ganz verlassen und allein, bemächtigte sich seiner. Nun konnte er von dem Freund Abschied nehmen.

Robert hatte nie eine Leiche gesehen. Er handelte wie unter dem Einfluß einer höheren Gewalt, wusch und reinigte zuerst das Gesicht seines alten Freundes von Blättern und Fasern, dann legte er den Kopf auf ein Polster aus dichtem blühenden Moos und faltete des Toten Hände.

Obwohl er nie gesehen hatte, wie man eine Leiche bettet, so sagte ihm doch das natürliche Gefühl, was hier im Augenblick richtig und der Würde des Toten angemessen sei.

Nach dreißig Jahren zum erstenmal wieder an Land, auf dem festen Boden der Erde, aber nur – um ein Grab zu finden!

Er streichelte das kalte Gesicht, er sprach in Gedanken mit dem teuren alten Mann und vergaß während dieser stillen Feier des letzten Abschieds, daß er ganz allein auf einer unbewohnten Insel im Weltmeer war.

Er verstand jetzt, weshalb sich der Alte zu ihm so besonders hingezogen fühlte, er sah mit hellerem Blick in seine und in die eigene Vergangenheit. Ernster wurden seine Gedanken, immer klarer die Erkenntnis seiner Schuld.

Vielleicht sah er Vater und Mutter nie wieder, vielleicht war der Wind, der spielend die Zweige und das Wasser bewegte, auch über ihre Gräber dahingeweht – sie hatten es nicht ertragen können, daß ihr einziges Kind so lieblos gehandelt hatte. Und dann – ja dann war er ihr Mörder, wie der alte Mann, dem ein einziger Augenblick der Leidenschaft die Waffe in die Hand gedrückt hatte.

Der Gedanke war schrecklich.

Und ohne zu wissen, was er tat, ohne zu wollen oder zu überlegen, beugte Robert die Knie und betete: „O Gott im Himmel, gib, daß dies nicht geschehe!“

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, es wurde Zeit, das schwierige Werk zu beginnen. Robert entkleidete den Toten, wusch ihn und hüllte ihn in die Tücher, die er zu ganz anderem Zweck mitgebracht hatte. Dann ging er auf dem kürzesten Weg zu seiner Niederlassung zurück und holte einen Spaten, um das Grab auszuheben.

Die Arbeit war nicht leicht, aber Robert hätte um keinen Preis den toten Körper seines alten Freundes unbeerdigt gelassen. Er grub und grub, bis sich der Tag neigte und bis ihm die Hände bluteten, dann legte er mit großer Anstrengung, so gut es ging, die Leiche in ihr letztes Bett. Das Grauen überwindend, sprang er in die Grube und brachte den Körper in die richtige Lage. Noch einmal suchte seine Hand die Rechte des Toten. „Schlaf wohl, lieber alter Freund!“

Und dann begann er das Grab zu füllen.

Schaufel auf Schaufel fiel hinunter, und endlich war es getan. Robert wünschte sehnlichst, irgendein Andenken, ein Erinnerungszeichen anzubringen, aber nach längerem Überlegen ließ er den Plan fallen. Kamen die Räuber an den Strand, so konnten sie durch den Anblick des frischen Grabes sehr leicht veranlaßt werden, die ganze Insel zu durchsuchen, und was noch weit schlimmer war, sie konnten das Grab selbst durchwühlen, um sein Geheimnis zu erforschen. Nein, ein Kreuz durfte Robert nicht befestigen, das sah er ein.

Er trat die aufgeworfene Erde herunter und legte Moos auf die Stelle; dann ging er langsam durch das Gebüsch zurück, oft nur mit Mühe die eingeknickten oder quer über den Weg gelegten. Zweige wiederfindend, an denen er sich vorwärts tastete. Es war fast dunkel, als er sich im Hintergrund der Höhle aus Wolldecken und Segeln ein Lager bereitete, sich darauf ausstreckte und sofort einschlief.

Am folgenden Morgen begann er sich einzurichten und einen festen Tagesplan zu entwerfen. Bevor er seine Lage überdachte und seinen Tag, den Verhältnissen gemäß, einteilte, wollte er erst seine Wohnung gemütlich herrichten, erst Ordnung schaffen und aufräumen. Wie lange er die Gastfreundschaft dieser Insel noch in Anspruch nehmen mußte, das ließ sich ja nicht voraussehen, vielleicht war es für sehr lange Zeit, und so wollte sich der Junge auf den schlimmsten Fall vorbereiten.

Mohrs Beispiel stand hell vor ihm. Was hatte dieser unglückliche, immer einsame, immer seinen furchtbaren Erinnerungen überlassene Mann mit wahrhaft unerschütterlichem Mut so lange ertragen!

Robert sprach in Gedanken mit ihm. Er wußte, was Mohr gesagt haben würde. „Du bist in diese schwierige Lage ohne dein Verschulden hineingeraten, mein Junge, nun ertrage das Übel wie ein Mann und versuche die beste Seite zu sehen. Darin liegt alle Lebensweisheit, darauf ruht alles Glück und Gelingen. Verzweifle nicht an dem Unabwendbaren, sondern sei immer bemüht, dich den Gegebenheiten anzupassen, – dann wird alles gut ausgehen.“

Mohr hatte während mancher Freiwache, wenn die andern würfelten und Karten spielten, mit dem Jungen über ernste Fragen gesprochen, hatte so manches Gute in Roberts empfängliches Herz gepflanzt, und das alles trug schon jetzt seine ersten Früchte.

Ein kurzer Rundblick genügte ihm, sich über seine nächsten Pflichten Klarheit zu schaffen. Nachdem er gefrühstückt und für das Mittagessen ein gehöriges Stück Pökelfleisch in kaltes Wasser gelegt hatte, begann er die Kisten auszupacken und von den Brettern eine feste Wand herzustellen. Nägel und anderes Gerät besaß er ja, ebenso Bindgarn und Segeltuch, daher war die Sache gar nicht so schwierig, besonders weil er sich weder gegen Kälte noch gegen Feinde zu schützen brauchte, sondern nur gegen Regen und Insekten. Robert zimmerte und übernagelte alle Fugen mit Streifen geteerten Segeltuches; dann machte er auf gleiche Weise eine Tür, die aber nur kriechend zu passieren war und außerordentlich vorsichtig behandelt werden mußte, weil ihr der nötige Eisenbeschlag fehlte.

Vor Mittag hatte er diese Arbeit beendet und konnte sich nun als Besitzer eines kleinen, lichtlosen, aber gegen Wind und Wetter geschützten Raumes betrachten.

Sinnend und ausruhend saß er vor dem brodelnden Kochtopf, legte sein Gesicht in beide Hände und wartete auf das Garwerden seines selbstbereiteten Mahles, über das er sich dann mit regem Appetit hermachte. Nachdem er gegessen hatte, wählte er sorgfältig aus dem ganzen Vorrat das aus, was gegen Feuchtigkeit am notwendigsten geschützt werden mußte, nämlich Waffen und Pulver, die unentbehrlichen Zündhölzer, Salz, Zucker und Kaffee. Dies alles brachte er in die Höhle, bedeckte es mit mehreren Segeltüchern und baute dann für die Lebensmittel einen zweiten, kleineren Verschlag, den er mit seinen Vorräten füllte und außerdem mit großen Steinen für etwaige Angriffe hungriger Tiere unzugänglich machte. Das Fleisch in der Tonne bedeckte er mit einem Haufen frischer grüner Zweige, um es möglichst lange genießbar zu erhalten. So war gegen Abend für das Notwendigste einstweilen gesorgt, und als sich Robert noch aus Moos und Decken ein bequemes Lager gebaut hatte, setzte er sich vor seiner Hütte auf eine übriggebliebene Kiste und überließ sich seinen Gedanken.

Er wollte in Zukunft die erste Hälfte jedes Tages den häuslichen Arbeiten widmen und während der zweiten am Strand Ausguck halten oder die Insel ringsumher untersuchen, um festzustellen, wie groß sie sei, welche Früchte sie trug und was sich von der Jagd erwarten ließ, ebenso wollte er fischen und Krebse fangen, da doch sein Fleischvorrat schon sehr bald der Hitze erliegen würde. Er untersuchte auch das Kistchen mit Pulver und Blei und überzeugte sich, daß für wenigstens hundert Schüsse gesorgt war.

Nur eins beunruhigte ihn. Sollte er am Strand ein Notsignal befestigen oder nicht? – Die spanischen Bukanier, ohne Zweifel Räuber, die unter der Maske harmloser Fischer die gefährlichsten Eigenschaften verbargen, wohnten jedenfalls in der Nähe und mußten schon sehr bald seine Flagge bemerken. Was dann geschah, ließ sich mit ziemlicher Gewißheit voraussehen.

Und doch war für ihn auch wieder dieses gefährliche Notzeichen die einzige Hoffnung, von der Insel erlöst zu werden. Hier landete kein Schiff, hierher kam niemand freiwillig, das wußte er recht gut. Aber wenn er eine der höchsten Königspalmen erkletterte – und er hatte es bereits versucht, es gab schlanke Stämme, die er umfassen konnte – dann ließ sich das Zeichen noch immer geben, sobald ein Schiff in die Nähe kam. Es fanden sich unter den Waffen zwei sechsläufige Revolver, mit denen jedenfalls die Aufmerksamkeit vorüberfahrender Schiffe leicht zu erwecken war; das tröstete ihn sehr.

Nachdem er den Entschluß, keine Notflagge zu setzen, einmal gefaßt hatte, wurde ihm leichter ums Herz. Er wußte nun, was jeder Tag bringen würde, und nahm sich vor, schon morgen einen größeren Ausflug zu machen. Vorher aber wählte er in nächster Nähe seiner Hütte einen jungen Baum, und in diesen schnitt er zwei tiefe Kerben, um zu wissen und täglich festzustellen, wie lange Zeit er auf der Insel zugebracht hatte. Einen anderen als diesen von Robinson Crusoe erfundenen Kalender besaß er ja nicht, aber es ging auch mit den Kerben ganz gut.

Während der Nacht fiel ein starker Regen, der Robert zwang, sich vor allem einen größeren Vorrat Brennholz ins Trockene zu bringen. Er sammelte alle Splitter der gestrigen Zimmerarbeit und holte aus dem Innern der dichten, undurchdringlichen Gebüsche mit seiner Axt das trockene Holz hervor. Nachdem er auf diese Weise einen hübschen Vorrat unter das Felsendach gebracht hatte, baute er daneben die Küche oder vielmehr den Herd aus Steinen und Felstrümmern, die am Ufer reichlich vorhanden waren. Der Bach gab köstliches frisches Wasser; Bananen und Ananas wucherten überall, er brauchte daher lange Zeit für seinen Unterhalt keine Sorge zu tragen.

Er verschob es auf den folgenden Tag, die kostbaren Seidenstoffe und Teppiche des Kapitäns wieder zu verpacken, und stapelte fürs erste nur die Kisten mit Wein und Champagner draußen vor der Höhle übereinander, da ja diese durch den Regen nicht verdorben werden konnten. Dann traf er die Vorbereitungen zu seinem beabsichtigten größeren Ausflug um die Insel.

Schwere, bis an die Knie reichende Seestiefel hatten die Matrosen für alle Fälle mit hierhergebracht, aber er besaß nichts, was einer Tasche oder einem Korb auch nur im mindesten ähnlich gesehen hätte. Seinen Mundvorrat mußte er daher in ein Bündel knoten und auf dem Rücken tragen. Er steckte eine Pistole in die Brusttasche, ein kleines Handbeil in den Gürtel und schnitt sich aus dem Gebüsch einen tüchtigen Knüppel. So ausgerüstet trat er seine Entdeckungsreise an, diesmal nach der entgegengesetzten Seite der Insel.

Er fand, daß das Unterholz dichter und dichter, der Pflanzenwuchs immer üppiger wurde, je weiter er sich vom Strand entfernte. Die Landschaft stand im reichen Schmuck tropischer Schönheit, während eine Unzahl von buntgefiederten Singvögeln oft so traulich nahe herankam, daß Robert glaubte, die Tierchen mit der Hand greifen zu können.

Er bezeichnete rechts und links durch tüchtige Hiebe seinen Weg und fühlte regelrecht ein Verlangen nach einem kleinen Abenteuer. Die Pflanzen, die er sah, interessierten ihn alle sehr, da er ja aus dem Schulunterricht ihre Merkmale genau kannte und wußte, daß diese breitblätterige, zu Tausenden den Boden bedeckende Staude der Tabak sei, daß dort die Indigopflanze blühte und dort der Kakao. Er pflückte die reifen Orangen vom Baum, bewunderte die Schoten des grünen Kaffees und machte endlich bei einer besonders schönen Stelle Halt, um zu rasten und etwas Schiffszwieback zu essen. War er nicht in diesem Augenblick ein zweiter Christoph Kolumbus, der ja Kuba vor Zeiten entdeckte und mit seiner widerstrebenden Mannschaft durchforschte? – Wie schnell sich doch im Menschenleben die Verhältnisse ändern! Vor kaum vier Monaten noch in dem kleinen, unbekannten Pinneberg ein kleiner, unbekannter Schneiderlehrling, und nun ein Ansiedler auf dem klassischen Boden, der einst Kolumbus' Namen unsterblich gemacht hatte. Roberts Herz schlug höher. Wie oft hatte er sich in die Lage seines Lieblingshelden so lebhaft hineingedacht, daß er Schritt um Schritt seinen Entdeckungszügen folgte und träumend alles miterlebte. Jetzt stand er auf dem Fleck Erde, den Kolumbus betreten hatte, jetzt endlich blühte um ihn herum die südliche Pracht der Tropen, wohin er sich in Gedanken so oft gewünscht hatte.

In fast heiterer Stimmung setzte er seinen Weg fort. Was jetzt den Boden bedeckte, war Zuckerrohr, und daher schien einige Vorsicht geboten. In der Nähe dieser Pflanze, die auf ganz trockenen Feldern nicht so leicht wild wächst, befindet sich meistens ein Sumpf, ein stehendes oder verschlammtes Gewässer, und diese ›Bayous‹, wie sie der Amerikaner nennt, beherbergen Krokodile.

Robert wußte, daß auf den Antillen das Orinokokrokodil zu Hause ist, und daß es in der Umgebung seines sumpfigen Aufenthaltes kleine Streifzüge zu machen liebt, – denen nicht selten sogar Menschen und größere Tiere zum Opfer fallen; er ging daher Schritt um Schritt weiter und suchte erst einmal das Wasser, das er in nächster Nähe vermutete. Wirklich sollte ihn seine Erwartung nicht täuschen. Zu seiner Rechten dehnte sich ein schwarzer, mit Schlamm und Moos eingefaßter See, dessen Oberfläche träge im Sonnenschein dalag und grünlich überzogen, von Wasserpflanzen bedeckt, einen widerwärtigen Modergeruch ausströmte.

Frösche quakten in der Tiefe der überhängenden Dickichte, kleine Schlangen glitten wie blitzende Streifen durch das Moos, und die lästigen Moskitos waren hier zahlreicher als an irgendeinem anderen Punkt der Insel.

Robert ging weiter, jetzt am Rand des verschlammten Sees entlang und prüfte sorgfältig die Umgebung. Nur ab und zu stand zwischen den Stämmen des Zuckerrohrs ein einzelner Baum, sonst war die Gegend flach, wenn auch nicht weniger schön als der Wald. Es blühte in allen Farben, besonders am Rand des Sumpfes, wo purpurne Blüten an langen Ranken auf dem Boden dahinkrochen und zu dem eintönigen Grau des trockenen Schlammes einen lebhaften Gegensatz bildeten.

Auch Wasservögel schienen hier ihre Heimat zu haben; wenigstens sah Robert einige ganz junge, wollige Tierchen durch das Gewirr von Pflanzenresten, dürrem Reisig und lebenden Gewächsen dahinschlüpfen.

Er ließ sich leise auf die Knie nieder. Wie schön wäre es, in der Höhle einen kleinen Kameraden zu besitzen, ein Vögelchen, das nach und nach zahm wurde, aus seiner Hand fraß und auf seine Stimme hörte. Er konnte ihm aus einer der Kisten ein Wohnhäuschen herstellen, konnte es täglich mit Würmern und Brotkrumen füttern.

Dieser Wunsch beherrschte ihn vollständig. Er beugte sich über den Rand des Sumpfes und streckte behutsam die Hand aus ...

In diesem Augenblick ertönte hinter ihm ein zischender Laut, halb ein Schnaufen, halb wie das Schnarchen eines schlafenden Hundes. Die Büsche krachten leise.

Robert fuhr auf, als habe ihn ein Schuß getroffen. Er drehte sich gedankenschnell nach der Stelle, von wo der Laut gekommen war – –

Hinter ihm, kaum zwei Schritte weit entfernt, lag zwischen den Zuckerrohrpflanzen ein Krokodil von etwa drei Meter Länge mit aufgesperrtem Rachen, dessen Häßlichkeit noch durch die kleinen, raublustigen Augen mit ihren drei übereinander liegenden Lidern bedeutend verstärkt wurde.

Das Tier schoß im gleichen Moment vorwärts, als Robert, dessen Geistesgegenwart ihn die Gefahr der Lage vollständig überblicken ließ, einen Seitensprung machte. Er wußte, daß die Krokodile an Land feige und unbeholfen sind, und daß sie sich mit ihrem kurzen Hals nur sehr schwer drehen können, aber dennoch blieb immerhin seine Lage bedenklich genug, da ihn zur Rechten der Sumpf am Rückzug hinderte, und zur Linken das dichtstehende Zuckerrohr. Ohne die Blicke von seinem greulichen Feind zu wenden, arbeitete er sich rückwärts in das Gebüsch hinein, unwillkürlich seinen Knüppel zum Schutz vorstreckend, wobei ihm Hände und Kleidung nicht wenig zerfetzt wurden. Das Tier folgte ihm, so schnell es seine kurzen Beine erlaubten. Auf freiem Gelände wäre es Robert ein Leichtes gewesen, sich der Gefahr zu entziehen, ebenso hätte er auch schießen können, wenn nur die Pistole nicht vorher erst hätte geladen werden müssen; dazu aber blieb ihm keine Zeit.

Solange seine Kräfte vorhielten, ging alles gut, als jedoch die Stämme des Zuckerrohrs anfingen, höher und umfangreicher zu werden, als sie seinen Schultern stärkeren Widerstand entgegensetzten, begann sich die Entfernung zwischen ihm und dem Krokodil langsam zu verringern. Er fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach und wie ihm die Füße den Dienst zu versagen drohten.

Hätte er nur einen Baum erreichen können! Etwas Schiffszwieback und Fleisch besaß er noch, auch die Pistole, um das Tier zu erschrecken, – er mußte also vielleicht die Nacht in den Zweigen des Baumes verbringen und das Krokodil aushungern, indem er es zwang, andere Beute zu suchen. Aber noch war kein rettender Stamm in der Nähe – –

Es begann vor seinen Augen zu kreisen, und die Umrisse wurden verschwommener. Seine Schläfen klopften, und in seinen Ohren klang es wie das Brausen des Meeres – –

Das Schnaufen des Raubtieres erklang in unmittelbarer Nähe, er sah kaum noch deutlich, was um ihn herum vorging, da – stieß er plötzlich mit dem Rücken gegen einen Baumstamm und jauchzte laut auf vor Freude.

Den Stock, den er immer noch festgehalten hatte, unter Aufbietung seiner letzten Kräfte dem Untier in den geöffneten Rachen schleudernd, flog er blitzschnell in die Zweige des Mango hinauf. Es war zum Glück ein uralter Baum, dessen Äste bis tief zum Boden herabreichten und die nötige Stärke besaßen, um ihn tragen zu können. Seine Hände bluteten, sein Zeug hing in Fetzen herab, und seine Mütze lag unten zwischen dem Zuckerrohr, aber er selbst war vorläufig in Sicherheit.

Mit beiden Armen umklammerte er den Stamm, schloß die Augen und ließ seine Brust wieder zu ruhigem Atmen zurückkehren. Eine Frucht des Mangobaumes, die unmittelbar in der Nähe hing und deren Saft er begierig einsog, brachte ihm einige Abkühlung. Er trocknete sich die Stirn und blickte hinab. Das Krokodil lag neben dem Baum.

Robert öffnete die Jacke und ließ den Wind unter das schweißdurchnäßte Wollhemd dringen, er glaubte fast ersticken zu müssen, obgleich jetzt die größte Gefahr vorüber war. Das Krokodil blieb vielleicht zufällig in der Nähe, doch jagte es nicht mit Überlegung, wie andere, an Land lebende Raubtiere, sondern zog sich in seinen Sumpf zurück, wenn es das Opfer nicht mehr sah. Wenigstens glaubte sich Robert zu erinnern, es so gehört zu haben, daher hoffte er, daß sich der schwerfällige Feind jetzt nach kurzer Rast auf die Beine machen werde.

Von oben herab zu schießen wäre völlig nutzlos gewesen, da eine Kugel an dem Panzer des Tieres abprallen würde wie an glattem Stahl. Nur wenn der Schuß in das Auge traf, konnte er töten.

Viertelstunde auf Viertelstunde verrann, die riesige Eidechse rührte sich nicht vom Fleck. Robert fühlte, daß die knorrigen Äste des Baumes keineswegs ein angenehmes Ruhekissen waren, und daß seine Glieder anfingen zu schmerzen. Er zog die Pistole hervor, lud sie und drückte ab, dem Feind gerade auf den Rücken, aber ebensogut hätte er ein paar Blätter hinunterwerfen können. Das Tier nahm von dem Knall und von der Kugel durchaus keine Notiz.

Robert begann zu klettern, um wenigstens nicht fortwährend von den Baumzweigen gedrückt zu werden. Er schwang sich in die höchste erreichbare Spitze und bombardierte das Tier mit einer wahren Flut von harten, halbreifen Früchten, die er ihm alle geschickt auf den Kopf warf, aber ohne die erhoffte Wirkung zu erzielen. Das Krokodil beachtete ihn beharrlich nicht.

Robert mußte sich mit dem Gedanken, hier für die Nacht Quartier zu nehmen, endlich wohl oder übel befreunden. Nur mit dem Schlafen sah es übel aus, da er nichts besaß, um sich festzubinden. Aber diese Nacht konnte ja nicht ewig dauern. Er zog seinen Mundvorrat aus dem Tuch hervor und fand den Zwieback zu Pulver zerrieben, das Fleisch aber plattgedrückt wie einen Pfannkuchen. Jetzt mußte er doch lachen. Seine Berührung mit den Stämmen des Zuckerrohrs hatte die Verwüstung angerichtet. Er aß die größten Brocken und das Beste vom Fleisch und schüttete dann den Rest auf die Schnauze des Belagerers.

Der schien zu schlafen, er rührte kein Glied.

Und so kam die Nacht heran. Robert nahm das Tuch, in dem er den Mundvorrat getragen hatte, und prüfte die Stärke. Dann band er wenigstens einen Arm an den nächsten Zweig, um zumindest rechtzeitig geweckt zu werden, wenn er dennoch einschlafen und vielleicht fallen sollte. So erwartete er die Nacht. Regenwolken verdeckten den Mond, Finsternis hüllte alles in ihre undurchdringlichen Schatten, nur die Stimmen der Natur klangen zuweilen aus dem schweigenden Wald herüber. Ein Klatschen des Wassers, ein vorüberhuschender Vogel, ein Knistern und Brechen im Unterholz oder gar ein leichter, schnell erstickter Angstschrei, das war alles, was Robert hörte.

Er dachte an Pinneberg, an die Eltern und an Mohr, seinen lieben alten Freund, dessen Grab er morgen gleich besuchen wollte. Das Geld, das der sonderbare Mann während eines halben Menschenlebens zusammengespart und ihm vermacht hatte, war mit allem übrigen von den Räubern gestohlen worden, Robert konnte also nicht mehr daran denken, nach Hause zu reisen und sich mit den Eltern zu versöhnen. Sollte er als Bettler, ohne einen Groschen oder irgendetwas, das ihm gehörte, wieder in das Vaterhaus zurückkehren und bitten: Nehmt mich auf, ich bin hungrig und bitte euch um etwas zu essen?

Nein, dagegen sträubte sich sein Stolz. Er wollte vom nächsten Hafen aus einen langen Brief schreiben, wollte alles erzählen, was er erlebt hatte, besonders diese letzte Gefangenschaft auf der einsamen Insel und den Verlust des Geldes, – damit mußten sich die Eltern vor der Hand begnügen. Er dachte so lebhaft an die Heimat, an das kleine niedere Wohnzimmer und die sauberen Möbel, daß er fast glaubte, alle diese Dinge vor sich zu sehen. War es das Rauschen des Regens oder sprach dort seine alte Mutter zu ihm? Ja gewiß, sie tröstete ihn, sie legte die Hand auf seine Stirn und flüsterte Worte voll Liebe.

Es wunderte ihn, daß sie so plötzlich hier auf der entlegenen Insel bei ihm stand, er begriff nicht, wie sie den Räubern entgangen war und daß ihr das Krokodil kein Leid getan hatte.

„Mutter“, sagte er leise, „der Vater irrt sich, wenn er meint, daß ich euch nicht lieb habe, gewiß, er irrt sich. Aber ich wollte ja so gern hinaus in die weite Welt – – das war es.“

Und in den Blättern spielte der Wind, rauschte der Regen – –

Die Sonne schien hell und lachend auf sein erstauntes Gesicht herab, als Robert am folgenden Morgen erwachte. Er blickte um sich, steif am ganzen Körper vor Schmerz, aber neugestärkt durch den festen, gesunden Schlaf von wenigstens fünf Stunden. Wie der Blitz durchzuckte ihn die Erinnerung an das letzte Erlebnis des Vortages, er sah durch die Zweige herab auf den Boden und prüfte sorgfältig die Umgebung.

Das Krokodil war verschwunden.

Er atmete tief auf. Jetzt mußte er den günstigen Moment benutzen und schleunigst Fersengeld geben, bevor der Feind möglicherweise zurückkam. Er bewohnte höchstwahrscheinlich den Sumpf zur Linken und konnte sich zu einem Morgenspaziergang veranlaßt fühlen, also mußte Robert auf seiner Hut bleiben.

Er kletterte unter grimmigen Schmerzen herab und machte etwa zwei Meter über dem Erdboden auf einigen stärkeren Ästen Halt, um erst die Pistole zu laden. Pulver und Blei hatte er vorsichtigerweise durch eine Blechkapsel vor Feuchtigkeit geschützt und auch um den Revolver sein Taschentuch gebunden. Beides war in bester Ordnung, daher konnte er es getrost wagen, mit gespanntem Hahn den Rückweg aus der Umgebung des Sumpfes anzutreten. Schritt für Schritt drang er, nachdem er seine durchnäßte Mütze wiedergefunden hatte, durch das gestern niedergetretene Dickicht vor und kam bis an die Stelle, wo er den kleinen Vogel hatte greifen wollen.

Das Ufer war hier sehr breit und senkte sich nur ganz allmählich bis zum Wasser herab. Von der Vogelfamilie sah Robert keine Spur, auch die Ranken schienen an mehreren Punkten gewaltsam zerrissen, und eine tiefe Erdfurche ging von oben bis an den grünschillernden Tümpel herab. Das Krokodil war also an dieser Stelle ins Wasser gekrochen.

Robert faßte die Waffe fester. Jetzt hatte er vier Schüsse und konnte das Ungeheuer an sich herankommen lassen.

Als er etwa zehn Schritte gegangen war, bewegten sich vor ihm auf halber Höhe des Ufers die sonnenverbrannten Halme, und raubgierige Augen starrten ihm entgegen. Das Krokodil lag in der Sonne und dehnte die schuppigen Glieder. Es mochte in diesem Augenblick nicht aufgelegt sein, sich zu erheben und nach Beute zu spähen, – nur die Augen glitzerten mordlustig, und die Kinnladen bewegten sich leise.

Robert zögerte nicht lange. Er zielte auf die Augen des Tieres und tötete es fast auf der Stelle. Der Körper zuckte noch einige Male, der Schwanz schlug in die Luft, und die lippenlosen Kiefer bewegten sich im letzten Kampf, dann waren die Augen gebrochen.

Ein Gefühl des Stolzes durchzog Roberts Brust. Da lag das riesige Tier, von ihm getötet, – er hatte ein Krokodil erlegt! Wie schade, daß sich die Trophäe nicht aufbewahren ließ. Aber so gern er auch den Rückenpanzer abgelöst und mitgenommen hätte, davon mußte er doch absehen. Nachdem ihn ein Schlag mit dem Beil auf die Schnauze überzeugt hatte, daß das Tier tot sei, wagte er sich näher heran und besah den Körper. Der Panzer aus gekielten Schildern war hart wie Eisen, so hart, daß Robert auch nicht die geringste Spur seiner ersten Pistolenkugel finden konnte. Die Zunge fand er, nachdem er mit dem Beil das Maul geöffnet hatte, ihrer ganzen Länge nach festgewachsen, Ohren und Nasenlöcher hatten verschließbare Klappen. Am Unterkiefer saßen Drüsen, die einen durchdringenden, moschusartigen Geruch ausströmten.

Robert trennte sich nur ungern von der Hoffnung, irgendein Andenken mit nach Hause nehmen zu können, aber er mußte doch endlich den Gedanken aufgeben und den Weg zu seiner Niederlassung antreten. Nachdem er noch einen ziemlich großen Vogel erlegt hatte, kehrte er durch das taufrische, köstlich duftende Holz ohne Zwischenfälle zu seiner Behausung zurück.

Aber wie war sein Anzug zerfetzt und zerrissen, wieviel Flecke hatte er bekommen! Robert seufzte, als er sich auf sein Lager streckte und jedes Stück einzeln untersuchte. Endlich schüttelte er den Kopf. Auch wenn er Nadel und Faden gehabt hätte, so wäre hier alle Schneiderkunst vergeblich gewesen, aber dennoch mußte er der Moskitos wegen heiles Zeug haben. Zwar befand sich genug Segeltuch unter den mitgebrachten Sachen, aber keine Schere, keine Nähnadel und kein Zwirn.

Er begann seufzend den geschossenen Vogel zu rupfen, nahm ihn aus und briet ihn mit einigen Speckschnitten im Kochkessel. Dann kochte er Kartoffeln, pflückte sich einige Ananas und tafelte im Freien vor seinem hölzernen Palast wie ein König. Das Jagdglück von heute morgen, die kräftige Mahlzeit und die weite Wanderung hatten ihn in gute Stimmung versetzt, die nur durch den Gedanken an Jacke und Hose einigermaßen getrübt wurde. Wenn das seine Mutter gesehen hätte, sie, bei der alles vor Sauberkeit glänzte!

Er mußte lächeln, als er das dachte. Waschen ließ sich auch nichts, da er keine Seife hatte. Kopfschüttelnd räumte er die Überbleibsel der Mahlzeit fort und machte sich dann daran, eine Angel herzustellen. Haken und Schnüre besaß er glücklicherweise, es fehlte also nur der Stock, und den lieferte das nächste Gebüsch in jeder Größe.

Robert befestigte sein neues Jagdgerät, nachdem er die Angelschnur mit einem tüchtigen Stück Pökelfleisch daran ins Wasser geworfen hatte, an einem Baum und holte nun nach, was durch die unfreiwillige Abwesenheit von seinem Haus inzwischen versäumt worden war. Er schnitt in den Palmstamm die dritte Kerbe, legte frisches Pökelfleisch ins Wasser, bedeckte die Tonne mit neugepflückten Zweigen und räumte die Seidenwaren in ihre Kisten. Jetzt hatte er alles geordnet, sogar sein Schlafzimmer von Unkraut und Gras gereinigt und mit einem ausgespannten Segeltuch ein Sonnendach errichtet. Zufrieden blickte er um sich. „Ich kann nun die meisten Stunden des Tages am Strand zubringen“, dachte er, „und das ist für mich die Hauptsache.“

Als alle Arbeiten des kleinen Hausstandes besorgt waren, sah er nach seiner Angel. Es hatte noch kein Fisch angebissen, daher konnte Robert fürs erste ein wenig ausruhen. Wenn nur die lästigen Moskitos nicht gewesen wären!

Sie drangen überall unter die zerrissenen Kleider und setzten sich frech auf sein Gesicht. Aber das war noch erträglich; nur daß er so zerlumpt und mit Flecken übersäet herumlaufen mußte, ärgerte ihn sehr.

Eine Nähnadel! – Ein Königreich für eine Nähnadel!

Und dann fiel ihm Georgs Schelmenlied wieder ein: „Es tranken ihrer neunzig, ja neunmalneunundneunzig aus einem Fingerhut.“ –

Wie hatte ihn Georg betrogen, wie hatte er seine Arglosigkeit benutzt, um ihn in die Falle zu locken. Noch glaubte er zu hören, was der Matrose vom „Blitz“ damals sagte: „Das ist ein Galgengesicht, und du solltest dich von ihm fernhalten, mein Junge!“ –

Er seufzte und ließ sich dabei von den Moskitos so lange stechen, bis er aussah, als hätte seine Haut soeben das Scharlachfieber überstanden. Die kleinen Insekten bissen ihm das Sprichwort: „Wer nicht hören will, der muß fühlen“ heute recht empfindlich ins Gedächtnis ein. Er wollte gerade aufstehen und eine Handvoll grüner Blätter zerdrücken, um sich mit ihrem Saft einzureiben, als plötzlich die Angelschnur in Bewegung geriet und unter dem Wasser verschwand.

Robert sprang sofort auf. Vorsichtig zog er einen Fisch von wenigstens fünf Pfund ans Land und freute sich königlich über die gelungene Jagd. Den wollte er heute abend essen und dann von allen möglichen Resten der letzten Mahlzeiten einmal wieder Labskaus braten. Wenn nur Licht da wäre, wenn die Matrosen nur an ein einziges Faß Öl gedacht hätten, – aber da mußte er alle Hoffnung aufgeben. Sobald die Sonne unterging, hieß es wie bei den Hühnern: „zu Bett!“

Er schuppte den Fisch, nahm ihn aus und legte die Stücke, wie er es von seiner Mutter oft gesehen hatte, in Salzwasser, dann ging er, um am Strand nach einem Schiff auszuschauen. Die nach Havanna gehenden Fahrzeuge konnten zwar unmöglich hierher kommen, aber doch vielleicht ein Fischerboot, ein Schiff, das kreuzen mußte, das Wasser einnehmen wollte oder vielleicht ein Zollschiff, wenn es überhaupt eins gab.

Er nahm die Pistole wieder mit sich, ebenso eine Decke, und ging zum Strand, um einen vollständigen Ausguck einzurichten. Vorher aber besuchte er das Grab seines alten Freundes, den einzigen Ort, der ihm auf dieser Insel teuer war.

Die Mooshalme hatten sich wieder aufgerichtet und in der gelockerten Erde neue Wurzeln geschlagen. Noch wenige Tage, dann überspannte das grüne Netz wie vorher den Boden, und kein Auge sah, daß hier ein Mensch die letzte Ruhe gefunden hatte.

Robert brach eine purpurne Kaktusblüte vom Stiel und legte sie auf die Stelle, die das Gesicht des Alten bedeckte, dann ging er fort, um seine kleine Seewarte einzurichten. – Die Palmen am Ufer waren höher als die Mangobäume. Robert, als geübter Turner und erfahrener Kletterer, schwang sich mit Leichtigkeit bis in die Krone der schlanken Stämme hinauf, aber er mußte dann Hände und Füße gebrauchen, um sich festzuhalten, und konnte auch das nur für kürzere Zeit. Der astreiche Mango dagegen bot in seinem dichten Laubwerk einen bequemen Sitz, weshalb Robert nach längerer Überlegung beschloß, hier Posten zu fassen. Er hieb mit seinem Messer in die Zweige und Blätter eine größere Lücke hinein, so daß der Blick auf das Meer vollständig frei wurde, und suchte dann einen Platz zum Sitzen, den er auf allen Seiten säuberte. Hier konnten ihn die Sonnenstrahlen nicht erreichen, hier konnte er sich frei bewegen und weithin nach rechts und links Umschau halten, während er außerdem in den höher gelegenen Zweigen leicht ein Versteck fand, sobald es etwa der Piraten wegen erforderlich werden sollte. Hier saß Robert nun mit einer Flagge, die er sich aus einer Stange und einem Segel gemacht hatte.

Die abgehauenen Zweige und Blätter warf er sorgfältig ins Meer, um von seiner Arbeit keinerlei Spur zurückzulassen, dann badete er am Strand, wo ihn salziger Schaum wie ein Sturzbad überflutete. Schon der bloße Anblick des Meeres, der frische Hauch, den es ausströmte, belebten und kräftigten seinen Mut. Er wünschte trotz aller Gefahr nichts sehnlicher, als daß die Hütte näher am Ufer läge, damit er die See täglich und stündlich vor Augen hätte. Wohl zehnmal sprang er wieder zurück in die klaren, durchsichtigen Wellen oder schwamm eine Strecke weit hinaus und ließ sich auf dem Rücken treiben, bis die Sonne unterging.

Noch ein letzter Blick aus der Höhe des Mangobaumes nach allen Richtungen, noch das mitgebrachte Notzeichen oben in den Zweigen versteckt, und dann ging es heimwärts durch den grünen Wald.

Der Himmel glühte und die Sonnenscheibe hatte sich mit grauen Wolkenschleiern umhüllt. Einzelne Windstöße fuhren durch den Wald, allmählich verstummte der Gesang der Vögel, und schwere Tropfen fielen in Pausen geräuschvoll auf die Blätter. Robert beeilte sich, noch vor Ausbruch des Gewitters seinen Fisch zu kochen und die übriggebliebenen Kartoffeln in Speck zu braten. Er hatte kaum die Geräte vom Feuer genommen, als das Unwetter mit aller Kraft losbrach. Sturm und Donner heulten um die Wette, der Regen schlug klatschend auf das Laubwerk herab, und rote, zuckende Blitze erhellten die Umgebung. Robert glaubte nie vorher ein Gewitter erlebt zu haben, so sehr überstieg das, was er sah und hörte, alles bisher Gekannte. Ein Schauer von unreifen Früchten hagelte ins Gras, krachend stürzten ganze Bäume, und hier und da schlug der Blitz in besonders hohe Stämme, die dann bis zur Erde herab zersplitterten. Robert aß rasch seine Mahlzeit und wollte sich in den Schutz der Höhle zurückziehen, da – als er die Tür öffnete – schwamm ihm das Moos seines Lagers entgegen, während die Decken, triefend vor Nässe, im Winkel lagen.

Einen Augenblick lang stand Robert starr vor Entsetzen. Wenn das Salz und die Zündhölzer vom Wasser vernichtet worden waren! – –

Über seine Stiefel lief der Strom ins Freie, bis endlich nur noch etwas Schlamm in der Höhle zurückblieb. Robert stand noch immer unbeweglich, von diesem neuen Schlag wie betäubt. Erst langsam erholte er sich und kroch hinein, um die gefährdeten Gegenstände untersuchen zu können. Zum Glück waren bis in diesen versteckten Winkel die Regenfluten nicht gedrungen, – er fand seine kostbarsten Güter unversehrt.

Für ihn selbst blieb freilich nur ein Ausweg, nämlich der, au mehreren leeren Kisten ohne Decken oder irgendeinen Schutz die Nacht zu verbringen. Aber das sollte ihm nicht wieder passieren. Die ganze Wetterseite der Wohnung mußte durch einen starken Erdwall vor dem Eindringen des Regens geschützt werden, und schon mit Tagesanbruch wollte er diese neue Arbeit beginnen.

Bis auf die Haut durchnäßt streckte er sich zum Schlafen aus. Draußen tobte noch der Donner, zischten die Blitze; sprühende Schauer von kalten Tropfen drangen in die Höhle hinein. Der Sturm schwoll zum wahren Orkan, dessen Stöße wie tiefe Orgelklänge bald brausend und gewaltig, bald langgezogen und klagend die Luft zerrissen.

Ein schlecht befestigtes Brett wurde von der Gewalt des Windes herausgerissen, mit wütendem Anprall fuhr der nächste Stoß in die Hütte hinein und brachte ganze Fluten von Regen mit sich. Es war jetzt in dem engen Raum noch ungemütlicher und trostloser als draußen; Robert erhob sich, um ins Freie zu kriechen, wo die Luft gewiß etwas weniger dumpf und erstickend war.

Tiefe, undurchdringliche Nacht umgab ihn, der Boden war weich und schlüpfrig, der Sturm raubte im Freien den Lungen den Atem – –

Da, durch das Gebrüll des Donners und das Sausen des Windes klang ein Ton, der in seiner kurzen Schärfe deutlich verriet, daß ihn nicht der Sturm hervorgebracht hatte.

Ein Schuß! – Ein Kanonenschuß! – –

Er hatte es deutlich gehört; Zittern lief durch seine Glieder, das Herz schlug zum Zerspringen, – er lauschte atemlos.

Und da kam es zum zweiten-, zum drittenmal. Es waren Kanonenschüsse, – es war ein Schiff, das sich in Not befand.

Er mußte sofort hinaus an den Strand, mußte Zeichen geben, – er wollte um jeden Preis die Menschen an Bord über seine Anwesenheit unterrichten, und wenn er schwimmen mußte.

Das alles durchzuckte ihn, drängte sich ihm auf, ohne eine bestimmte Form anzunehmen, und mechanisch tastete er sich fort. Sooft ein Blitz die Umgebung erhellte, wurde es dem Jungen möglich, einige Schritte weit zu gehen, dann aber versperrten Bäume den Weg oder zeigten ihm verschlungene Ranken, daß er die Richtung zum Ufer im Dunkel verfehlt hatte.

Rechts und links lagen herabgerissene Zweige, oft sogar ganze Bäume quer über dem Weg. Immer schneller und schneller folgten die Blitze, fast ununterbrochen krachte der Donner, und in jede Pause hinein dröhnten die Notschüsse des bedrohten Schiffes.

Robert kämpfte mit der Kraft der Verzweiflung, um an den Strand zu kommen. Schritt für Schritt vorwärts dringend, brauchte er wenigstens eine Stunde, ehe der Weg von zwanzig Minuten zurückgelegt war. Zerschunden im Gesicht, mit blutenden Händen und fieberheißem, brennendem Kopf hatte er endlich das Meer vor sich. Brandend, zischend und kochend, den weißen Schaum turmhoch schleudernd, brach sich die See an der Küste. Welle auf Welle überspülte das Ufer, hoch in der Luft kreischten flügelschlagend die Möwen, pfeifend und heulend kam der Sturm daher.

Robert hielt beide Hände vor die Augen. Dicht vor der Brandung spähte er, den nächsten Blitz erwartend, hinaus auf die tobende See Ein neuer Kanonenschuß zeigte ihm die Richtung, in der das Schiff lag.

Und dann zuckte aus den schwarzen Wolken der gelbe Strahl herab – dann sah er für Augenblicke das Fahrzeug. Es war ein großes Schiff, im Sturm fast ohne Segel und von den Wellen wie ein Ball von einer Seite zur anderen geworfen. Jeden Augenblick konnte es der Sturm mit voller Gewalt auf den Strand treiben.

Die Seeleute glaubten sich vielleicht in der Nähe einer bewohnten Insel, aber selbst wenn ein Boot zur Stelle gewesen wäre, so hätte es in dem schweren Wetter unmöglich auslaufen können. Die Wellen gingen haushoch.

Robert schwang in ohnmächtigem Kampf gegen das Toben des Sturmes sein Tuch. So nahe vor sich die Erlösung aus der Gefangenschaft, so nahe in der grauenvollen Nacht die Menschen! Er glaubte es nicht ertragen zu können, wenn diese Hoffnung getäuscht werden würde.

Bald sah er beim Schein der Blitze das Schiff in größerer und bald in geringerer Entfernung vom Lande, endlich aber so weit draußen, daß er nur noch die Umrisse erkannte. In jeder Pause des Donners hielt er beide Hände vor den Mund und rief, so laut er konnte, den. Seemannsruf „Schiff ahoi!“ in die Nacht hinaus, aber ohne eine Antwort zu erwarten. Der schwache Ton konnte nicht bis zum Schiff dringen.

Allmählich verstummten draußen auf dem Meer die Kanonenschüsse, und die Wucht des Sturmes ließ nach. Blitz und Donner wurden schwächer, der Regen hörte auf, einzelne Sterne zeigten sich am Himmel.

Robert lauschte verzweifelt. Allein in der undurchdringlichen Finsternis, überwältigte ihn der Schmerz so sehr, daß er weinte.

Erschöpft warf er sich auf den durchnäßten Sand und wiederholte nur von Zeit zu Zeit den langanhaltenden Ausruf, mit dem sich die Seeleute zu erkennen geben, aber immer ganz vergeblich. Seine Ungeduld wuchs von Viertelstunde zu Viertelstunde. Wie lang, wie endlos lang war die Nacht! –

Er versuchte zu schlafen, aber es mißlang gänzlich. Nicht einmal der Halbschlaf erlöste ihn auf Augenblicke von der Qual der Ungeduld. Er ging, als endlich Stille eintrat, rastlos am Ufer auf und ab. Jetzt lag das unruhige Meer wie ein wildes Kind, das sich müde getobt hat und nun sanft schläft, ganz lautlos und fast unbeweglich, als bereue es sein Wüten. Die Luft war abgekühlt, die letzten Tropfen von den Zweigen gefallen und der Wind vollständig zur Ruhe gegangen. Nichts regte sich in der stillen Sternennacht.

Robert strengte sich an, mit den Augen das Dunkel zu durchdringen, er glaubte ein Licht, einen weißen Streifen zu sehen und schloß die Augen, um sich zu vergewissern, ob ihn keine Einbildung täusche. Aber dann, wenn er wieder aufsah, war nur das Dunkel der Nacht um ihn, – er mußte erkennen, daß ihn seine eigenen überreizten Sinne getäuscht hatten.

Und auf die Nacht folgte endlich graue Morgendämmerung. Nebel und Schatten, hier heller, dort tiefer, lagerten sich über dem Wasser, spielten in allen Formen und täuschten das Auge.

Sah er nicht dort im halben Dunkel das Schiff mit ragenden Masten und weißen, flatternden Segeln? Sah er es nicht hart an der Küste, fast so nahe, daß es die Stimme erreichen konnte?

Er rief laut, so laut er konnte. Aber kein Zeichen verriet, daß in der Nähe Menschen lebten. Und die Nebel verzogen sich, zerflatterten; das, was eben noch ein Schiff gewesen war, erschien nun als Turm, als riesiges, vorsintflutliches Fabeltier, als Bergspitze mit wallenden Baumkronen. –

Hundert Gestalten formten sich, tiefe Täler und hohe, unzugängliche Zinnen. Robert starrte in das Chaos, immer noch hoffend, immer noch festhaltend an dem Gedanken der Erlösung. Was er in der Nacht so nahe an der Küste gesehen hatte, das rettende Schiff, – sollte es am Morgen, wo ein einziger Blick genügte, ihn aus der schrecklichen Einsamkeit zu befreien, zu weit entfernt sein, viel zu weit für jede Verständigung? –

Es war ja unmöglich, ganz unmöglich! –

Und heller und heller wurden die Nebelmassen, der Tag brach an. Ein kühler Hauch glitt durch die regenschweren Blätter, einzelne Tierstimmen erhoben sich, und gelbe und rote Wolkenränder umsäumten den Horizont.

Roberts Zähne schlugen aufeinander. Jetzt kam die Entscheidung.

Er erkletterte den Baum, aus dessen Krone sich das Meer weithin überblicken ließ. Nun teilten sich die Schatten, ein goldener Streif schoß plötzlich hervor, andere folgten, und die ganze blaue, leicht bewegte Wasserfläche lag glänzend im Licht des jungen Tages. Weit aus der Ferne, kaum noch erkennbar, schimmerten die vollentfalteten Segel des Schiffes.

Robert stieß einen herzzerreißenden Schrei aus. Er sah das Fahrzeug, er erkannte es deutlich, aber es gab für ihn kein Mittel, sich der Mannschaft bemerkbar zu machen. Seine Blicke folgten den weißen verschwindenden Segeln, bis ihm die Augen schmerzten und er verzweifelt den Kopf in die Hand sinken ließ.

Endlich war auch der letzte weiße Punkt verschwunden. Nur das Wasser dehnte sich in blauer Unendlichkeit vor seinen Augen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Robert der Schiffsjunge