10. In den Minen

10. In den Minen.

Eine Minenstadt in den Golddistrikten von Kalifornien ist etwas so ganz anderes, als sonst ein Ort oder überhaupt ein Wohnsitz zivilisierter Menschen, daß für das Verständnis des folgenden erst einige Erklärungen notwendig sind.


Nicht um zu bleiben und für ihre Familien eine Heimat zu gründen, kommen die Menschen hierher, nicht um den Boden urbar zu machen und zu bebauen, arbeiten sie, sondern nur um der Erde ihre Schätze zu entreißen und auf der Suche nach neuem Gewinn immer weiterzuziehen. Man wagt und hofft, anstatt zu wissen, man wandert, anstatt zu wohnen, man setzt alles auf eine Karte und spart seine Kräfte nicht, um sein Glück zu finden.

Nach diesem Grundsatz gestaltet sich hier das äußere Leben. Ein paar Bretter werden notdürftig zu einem Haus zusammengeschlagen, das unentbehrliche Gerät aus Blech und Eisen hineingebracht, ein Bett aus Wolldecken auf dem Fußboden hergerichtet und zum Selbstschutz gegen Diebe die erforderlichen Maßnahmen getroffen, – dann ist das Heim des Goldsuchers fertig. Seine Familie hat er meist in der nächstgelegenen Stadt zurückgelassen, seine Gesundheit darf er nicht schonen, sein Leben muß er stündlich aufs Spiel setzen, aber – wenn ihm das Glück günstig ist, so kann er nach kurzer Zeit in die zivilisierte Welt zurückkehren und als gemachter Mann künftig sein Leben genießen.

Das Ziel lockt Tausende an; wo einer erliegt, da treten zehn andere an seine Stelle, wo einer einen reichen Fund gemacht hat, da folgen ihm Unzählige, um das gleiche Glück zu finden, aber dennoch gelingt es im allgemeinen nur wenigen, mit leichter Mühe zu einem beträchtlichen Vermögen zu kommen.

Die Straßen einer solchen Goldstadt sind keineswegs planmäßig angelegt, gepflastert oder sogar beleuchtet, es gibt keine Bürgersteige und keinen Polizeischutz. Davon findet man keine Spur. Zwei tiefe Gräben von etwa anderthalb Meter Breite durchziehen in ihrer ganzen Länge die Straße, und die Erdwälle zu beiden Seiten dienen als Fußweg. An starkbelebten und daher plattgetretenen Stellen läuft der Verkehr so ziemlich, wo aber nach der Laune irgendeines Miners ein Quergang etwa bis vor die Tür des nächsten Hauses angelegt worden ist, wo der Regen sich zum Tümpel angesammelt oder die gehäufte Erde einen Hügel gebildet hat, da hört einfach die Verbindung auf, und wer hinüber will, der muß selbst sehen, wie er es am besten anstellt.

Der Miner bezahlt für jeden Liter Wasser, den er für seine Arbeit braucht, zwischen zwanzig bis fünfzig Cent, er hat das Recht, überall nach Gold zu suchen, aber er läuft Gefahr, vielleicht umsonst zu graben und umsonst sein kleines Betriebskapital verschwendet zu haben – alle diese Dinge machen ihn rücksichtslos und hart; er verfolgt die gelben Körner, und wäre es bis unter das einstürzende Haus des nächsten Nachbarn, er kümmert sich um keinen, und keiner kümmert sich um ihn.

Als Schutz gegen die zahllosen rohen und gesetzlosen Menschen, die sich in den Golddistrikten sammeln, hat jeder nur die Kraft seiner Fäuste, die Sicherheit seiner Augen. Der Amerikaner ist durchweg „self-made-man“, er hat sich durch eigene Kraft emporgearbeitet und braucht die Waffe ohne lange zu zögern.

Das alles ist Grundbedingung, ist die alleinige Existenzmöglichkeit in den Minenstädten, wo sich der Auswurf aller Länder sammelt. Das Leben macht den einzelnen Menschen roh, es stumpft die edleren Eigenschaften seines Charakters ab und läßt von dem, was er vielleicht früher in besseren Verhältnissen gewesen war, wenig oder nichts mehr übrig.

Wo der Revolver im Gürtel steckt und das Messer ebenso zum Brotschneiden wie zum Selbstschutz verwendet wird, da hört der Begriff „Gemütlichkeit“ vollständig auf, da stockt sozusagen das innere geistige Leben, und nur das „Soll und Haben“ scheint noch einer wirklichen Beachtung wert.

Die Minenstädte und ihre Bewohner bilden eben Ausnahmen, bei denen kein Maßstab des gewöhnlichen, täglichen Lebens angelegt werden kann.

Auch die drei Freunde hatten eine schwere Zeit, bis sie sich einigermaßen an den rauhen Ton von Lenchi, so hieß die Minenstadt, gewöhnen konnten. Der Ort lag fast völlig in der Wildnis, er war von der letzten Eisenbahnstation aus nur auf Maultieren oder Eseln in mehreren Tagen erreichbar und stellte kaum den ersten Anfang einer bewohnten Kolonie dar. In Idaho, dem ursprünglichen Ziel ihrer Reise, hatte man den Goldsuchern gesagt, daß in Lenchi bedeutend bessere Aussichten beständen, weshalb sie unter Aufopferung der letzten baren Mittel die lange Maultierreise unternahmen und erst nach weiteren sechs Tagen an ihrem Bestimmungsort anlangten.

Robert war so ziemlich in seinem Element, aber der arme Gottlieb litt wie ein Märtyrer. Während der ersten Nacht wanderte er ruhelos wie ein irrendes Gespenst durch das hölzerne Haus, in dem sie Quartier genommen hatten, jeden Augenblick vor Schreck zusammenfahrend, jeden Augenblick darauf gefaßt, daß der Sturm, der über die Wälder dahinfegte und sogar durch die zahllosen Spalten der Bretterwände bis in das Haus hineinfuhr, den ganzen luftigen Bau mit sich forttragen und zerschellen werde.

Fast wie der berüchtigte texanische „Norther“ brauste dieser Sturm unter klagendem, langanhaltendem Heulen durch die Wälder, entwurzelte die uralten Baumriesen und peitschte die Wellen der kleinen Flüsse, daß sie rings ihre Ufer weit überfluteten. Am Himmel ballten sich schwarze Wolken, donnernd und ächzend zerrissen Windstöße die Luft, prasselnd fiel der eisige Regen auf das Schindeldach.

Erst einzeln, dann immer häufiger und stärker drangen die Tropfen bis in das Innere des Holzverschlages, der den drei Freunden als Schlafraum diente. Gottlieb, den die Angst nicht zur Ruhe kommen ließ, flüchtete mit seinen Decken in einen anderen Winkel, aber auch hier kamen die plätschernden Fluten nach, und in stiller Verzweiflung setzte er sich endlich auf den Tisch – schlafen konnte er ja doch nicht.

Robert und Mongo waren ganz anders als er. Sie hatten ihn ausgelacht, als er von seinen Befürchtungen sprach, und schliefen jetzt ungestört weiter, obgleich der rücksichtslose Regen an ihren Kleidern herabrieselte und von oben in ihre Stiefel eindrang. Gottlieb saß regungslos auf dem weißen, grobgezimmerten Tisch. Seine Gedanken wanderten zu dem abgebrannten kleinen Krämerhaus seiner Eltern; von Zeit zu Zeit wischte er die Tränen aus den Augen, obwohl kein Laut verriet, daß er sich zum Sterben unglücklich fühlte.

Nur wenn im Wald ein Coyote sein wildes Geheul erschallen ließ, wenn ein Raubvogel kreischend über das Dach flog oder ein gehetztes Tier flüchtig an der dünnen Wand vorbeihuschte, fuhr er jählings auf, um zu horchen. Der Schweiß brach ihm aus, der Atem stockte, die Hände hoben sich abwehrend, bis wieder alles in die frühere Stille zurücksank und er den Faden seiner Gedanken fast unbewußt fortspinnen konnte.

Die beiden andern schliefen, Robert nahm, wie wir wissen, die Dinge nie von der schweren Seite, und Mongo war zu sehr an die Wechselfälle des Lebens gewöhnt, als daß ihn irgend etwas hätte um seine Nachtruhe bringen können. Erst gegen Abend hatte man den Ort erreicht, mit genauer Not ein Unterkommen gefunden und im allgemeinen von den Goldgräbern nur Klagen gehört – man mußte sich also stärken, um morgen den Kampf mit einer fremden Welt festen Fußes aufnehmen zu können, und dazu gehört vor allen Dingen ein ruhiger Schlaf.

Soviel Lärm und Toben die Hütte auch umgab, es störte niemand außer dem armen Gottlieb, der sich an diese halbwilden Verhältnisse durchaus nicht gewöhnen konnte und dessen Einbildungskraft dauernd damit beschäftigt war, neue Schreckensbilder heraufzubeschwören. Bald glaubte er draußen das Schnaufen eines Bären deutlich zu unterscheiden, bald dachte er an einen Büffelzug, der sich natürlich gerade über diese Hütte dahinw?lzen würde, und ein anderes Mal glaubte er sogar zu fühlen, wie der Sturm die Wände bog. Es waren Höllenqualen, die er während dieser ersten Nacht im Goldlande ausstehen mußte.

Und als der neue Tag anbrach, begannen die Schwierigkeiten. Es mußten Gummistiefel zu höchsten Preisen auf Kredit gekauft werden, ebenso Hacke und Schaufel. Der einzige Händler am Ort berechnete die unverschämtesten Preise, aber die drei Freunde konnten froh sein, daß er ihnen überhaupt die Bezahlung stundete; sie wären ohne ihn vollständig außerstande gewesen, irgendeine Arbeit zu beginnen.

Das Wasser kostete hier in Lenchi kein Geld, aber dafür gab es auch nur einen wilden Gebirgsbach, dessen herabstürzende Arme die Goldwäscher ihren Gängen zuleiteten und so ihrer Arbeit dienstbar machten. Die Freunde konnten jetzt wählen, ob es ihnen vorteilhafter schien, selbst eine Mine anzulegen, vielleicht zufällig an ganz goldarmer Stelle, oder ob sie in dem schon als metallhaltig erkannten Gang eines früheren Besitzers die Erlaubnis zum Graben bezahlen wollten. Der Händler lieh auch Gelder gegen hundert Prozent Zinsen – er bot sogar Summen unaufgefordert an.

„Wir nehmen es!“ rief Robert. „Zu verlieren haben wir nichts, kann es uns also schaden? Daß wir mittellos sind, weiß der Mann ja, er handelt also freiwillig und darf sich später nicht beklagen.“

„Wir nehmen das Geld“, meinte auch Mongo, „und legen dann unsere eigene Mine an. Wenn der Schelm nicht wüßte, daß hier das Geld nur aufgehoben zu werden braucht, so würde er uns keinen Cent borgen, darauf verlaßt euch.“

Robert nickte. „Ganz meine Meinung“, fügte er hinzu.

Gottlieb allein schüttelte den Kopf. „Die schweren Zinsen können wir nicht tragen“, erwiderte er. „Man sollte lieber den Betrüger anzeigen.“

Mongo lachte lustig. „Wo denn?“ fragte er. „Etwa bei den Tieren im Walde, oder bei den Goldwäschern, die er vermutlich alle in seinen Klauen hält?“

Gottliebs kaufmännisches Gewissen empörte sich immer mehr. „Solche Blutsauger“, sagte er heftig, „solche Halsabschneider. Es ist eine Schande, mit ihnen zu verkehren. Wenn ich dem Händler hundert Prozent verspreche, so stehle ich dies Geld meinen Eltern.“

Robert zuckte die Achseln. „Tust du es nicht, Gottlieb, so wirst du vielleicht nie imstande sein, ihnen einen einzigen Taler zu geben. Was ist nun schlimmer?“

„Ihr seid also entschlossen?“ fragte Gottlieb.

„Wir müssen, Kind“, nickte der Neger.

Und noch am selben Tage wurde der Handel abgeschlossen. Zähneknirschend unterschrieb Gottlieb den Wechsel, der ihn verpflichtete, nach drei Monaten die Summe von einhundert Dollar an Samuel Ekiwa zurückzuzahlen, wofür ihm die Hälfte dieses Geldes bar ausgezahlt wurde. Robert und Mongo schlossen denselben Vertrag. Dann pachteten sie von einem Minenbesitzer das Recht auf bestimmte Strecken der Rinne, und die Arbeit begann.

Robert, als der Kräftigste und Entschlossenste, lockerte die Erde mit der Hacke, Mongo suchte die Steine heraus, und Gottlieb schüttelte die nasse Erde durch das Sieb, einem Holzrahmen mit darübergespanntem Wolltuch, in dem sich die Goldkörner festsetzten.

Er jubelte laut, als Samuel Ekiwa den Ertrag des ersten Arbeitstages auf zwanzig Dollar abschätzte. Das ergab über sechs Dollar für jeden, während doch die täglichen Ausgaben für Lebensmittel nach seiner Meinung höchsten fünfzehn Groschen deutschen Geldes betrugen. „Ich jedenfalls kann damit gut auskommen“, versicherte er, „und wenn – –“

Das spöttische Grinsen des Händlers unterbrach den angefangenen Satz. „Sie essen doch im Store (Gasthaus), nicht wahr, Sir?“ fragte Ekiwa.

Gottlieb bejahte. „Ein Glas Bier und Brot zum Frühstück“, erwiderte er, schon Schlimmes ahnend, „dann ein Mittagessen, Kaffee, und am Abend Tee mit Brot. Das kann höchstens fünfzehn Groschen kosten.“

Der Händler zog seine Schultern bis an die Ohren empor. „Ich werde Ihnen die Preise in den Minenstädten nennen“, antwortete er mit halbgeschlossenen Augen, während er an den Fingern zählte. „Da ist das Glas Bier von heute morgen mit einem Vierteldollar, da ist –“

„Um Gottes willen!“ unterbrach ihn Gottlieb schreckensbleich, „was sagen Sie? Das kleine Glas Bier sollte –“

„Einen Vierteldollar kosten, ja“, ergänzte Ekiwa. „Das Brot mit Butter einen halben Dollar, das Mittagessen drei Dollar, das –“

„Um Gottes willen, ist man denn einer Räuberbande in die Hände gefallen?“

„Das Bier und Brot wie am Morgen“, fuhr der Händler fort „der Kaffee außerdem einen halben Dollar. Was wollen Sie, Sir, man muß alle diese Dinge übermäßig teuer kaufen, man zahlt für die Fracht allein schon fünfzehn Cent Gold für das Pfund, und zwar auf eine Entfernung von vierhundert Meilen. Das berechtigt den Verkäufer, seinen Verdienst ebenso hoch anzusetzen.“

Gottlieb rechnete im Stillen. Also vier Dollar Zeche für einen Tag, an dem er keine Zigarre geraucht, kein Stück Käse zum Brot gegessen, keinen Schluck Branntwein getrunken hatte. Vier Dollar! Was blieb ihm von seinen sechs, die er im Geiste schon als ungeheuren Reichtum angesehen hatte, wenn nun auch noch die Kosten für Wohnung, Wäsche und Schuhzeug hinzukamen?

„Wie ist es denn mit der Miete?“ fragte er ganz ratlos. „Was kostet hier ein Paar neue Stiefel?“

Der Händler zuckte die Achseln. „Miete ist wenig“, erwiderte er, „damit läßt sich kein Geschäft machen, weil jeder vernünftige Mensch sein Haus selber baut. Stiefel kosten fünfundzwanzig Dollar, Strümpfe einen Dollar.“

„Herr des Himmels, das ist unerhört“, ächzte Gottlieb.

Hier mischte sich Robert in das Gespräch. „Ein Haus sollten wir uns bauen, Sir?“, fragte er. „Darf man denn das hinstellen, wo es einem gefällt?“

Ekiwa nickte. „Hier in Lenchi, ja“, sagte er. „Das Land gehört der Regierung, das Holz liefert der Wald, und das Gerät borgt man. Nur die Nägel müssen Sie von mir kaufen.“

Gottlieb sah auf. „Zu welchem Preis, Sir?“

„Das Stück für einen Vierteldollar, mein junger Freund.“

„Mein Gott. Der Nagel zu acht Pfennig ist in Deutschland der teuerste.“

Der Händler zog ein verdrießliches Gesicht. „Warum sind Sie nicht dort geblieben, wo alles so viel besser und billiger ist als hier?“ fragte er.

„Lassen Sie uns die Rechnung abschließen, Sir“, drängte Robert. „Vier Dollar braucht man am Tag, um sich satt zu essen, einen fünften für Wohnung und sonstige Kleinigkeiten – also behalten Sie den Überschuß zur langsamen Tilgung unseres Wechsels. Aller Anfang ist schwer, das müssen wir bedenken, ehe wir uns über die ungünstigen Verhältnisse beklagen.“

Ekiwa nickte lebhaften Beifall. „Very well!“ rief er, „Very well, Sir! Seid gerade der Mann, wie ihn Amerika braucht. Habt Kopf und Fäuste auf der rechten Stelle. Müßt euch nächsten Sonntag, wenn nicht gegraben wird, ein Haus bauen, ein paar Decken kaufen und euch Stühle und einen Tisch zimmern. Umgebrochene Baumstämme findet ihr überall.“

Die beiden andern wandten nichts ein, und so wurde der Handel zum Abschluß gebracht. Während der ganzen Woche arbeiteten die drei Freunde vom Morgen bis zum Abend, ohne jedoch mehr als zwischen achtzehn und vierundzwanzig Dollar zu verdienen. Sie konnten also noch nichts zurücklegen und mußten sogar die für den Hausbau erforderlichen Nägel auf Kredit kaufen. Robert aber behielt seinen unzerstörbaren Mut. Er freute sich wie ein Kind auf den Sonntag, wo der Hausbau beginnen sollte, und war glücklich, als er mit Mongo hinauszog in den Wald, um Pfähle und Balken zu schneiden.

Gottlieb mußte unterdessen den Bauplatz von Gras und Buschwerk reinigen, das Gerät borgen und die Beschläge für Fenster und Türen kaufen. „Wir können ihn hier doch nicht brauchen“, hatte Mongo gesagt. „Jeden dürren Ast würde er für eine Klapperschlange halten und jeden Hund für einen heranschleichenden Wolf.“

Und die beiden zogen los. Der Herbst färbte das Laub in gelben und roten Schattierungen, die meisten Blumen waren verblüht, das Moos am Boden zeigte das tiefdunkle Grün, das dem Verdorren vorangeht, und der Wind wehte schon empfindlich kühl von den Felsengipfeln herab. Aber diese Zeit ist eine der schönsten des ganzen Jahres. Die Sonne vergoldet eine Farbenpracht, wie sie der Frühling nicht aufzuweisen hat, ihre Strahlen erwärmen, ohne zu brennen, ihr Licht fällt gleichsam halbverschleiert aus weißem Gewölk herab, und die Luft ist erfüllt von würzigem Tannenduft.

Mongo und Robert folgten dem Lauf eines der kleinen Flüsse, von denen das Goldland wie von einem vielarmigen Netz durchzogen ist. Alles war still wie in einem weiten Dom, nur ab und zu schoß irgendein Tier durch das Gebüsch oder schallte der Kriegsruf des Falken durch die Luft. Am Ufer blühte noch das Vergißmeinnicht; die Vogelbeere neigte ihre reifen Früchte an schwankenden Zweigen über das Wasser herab, und hohes Schilf füllte die Buchten. An einer Stelle war eine uralte, der Länge nach vom Blitz gespaltene Eiche quer über das Flüßchen gefallen und bildete eine Brücke, auf der Robert mit Vergnügen herüberbalancierte.

„Erst ein Bad, Mongo“, sagte er, „ich kann nicht widerstehen.“

„So spring hinein, junger Spitzbube, ich werde unterdessen ein paar Bäume aussuchen, die wir als Eckpfähle brauchen können.“

Und Mongo begann einige besonders schlanke Tannen für seinen Zweck auszuwählen, dann nahm er die Axt von der Schulter und hieb tapfer hinein. „Du“, sagte er, „das Brettersägen bleibt uns erspart. Der Wirt aus dem Store will uns mehrere alte Packkisten billig überlassen, damit können wir die Wände beschlagen. Schindeln für das Dach sind uns zu teuer, wir nehmen Bretter und decken Erde darüber.“

„Brr!“ rief Robert. „Ich kenne das von meiner Robinsoninsel her. Beim nächsten Regen träufelt dir der Schlamm ins Gesicht.“

„Gut, dann müssen wir eben auf die Jagd gehen, um uns Felle zu verschaffen. Das bloße geteerte Segeltuch, wie es die meisten Hütten haben, wird sehr bald zu kalt sein.“

Robert sprang ans Ufer und ließ sich von den Sonnenstrahlen trocknen. „Ja, der Winter“, sagte er nachdenklich. „Wenn uns nun die Quelle, mit deren Wasser wir arbeiten, zufrieren sollte, Mongo, was dann?“

„Dann schlagen wir dem Händler ein Schnippchen und werden Trapper.“

Robert sah den Neger ratlos an. „Trapper, Mongo, was ist das?“

„Ein wandernder Jäger, Bob. Diese Männer wohnen nirgends, aber sie haben überall Freunde, selbst unter den Indianern, sie kennen die Wildnis wie ihre eigene Tasche und besitzen in Höhlen oder sonstigen Verstecken Niederlagen, wo sie ihre erjagten Pelze und Felle aufbewahren, bis sie im Herbst und Frühling nach der nächsten Station geschafft und an reisende Händler verkauft werden. Für das Geld kauft sich der Trapper Waffen, Schießbedarf, lederne Kleider und Stiefel. Sein Dach ist der blaue Himmel, sein Bett das Moos des Waldes, seine Nahrung die erlegten Tiere.“

Robert hatte sich während der Worte des Negers wieder angezogen und hieb jetzt mit wuchtigen Streichen gegen den zweiten Baum. „Hast du solche Trapper kennengelernt, Mongo?“ fragte er.

„Oh, mehr als einen, Bob, aber es ist schon länger her. Es sind meistens verwegene Kerle, die Gott und den Teufel nicht fürchten, häufig auch Verbrecher, die sich in die Wälder flüchteten, um dort unter angenommenem Namen ihrer Strafe zu entgehen. Natürlich gibt es auch ehrliche Leute darunter.“

Robert seufzte. „Ich möchte es nicht“, antwortete er nach längerer Pause. „Mongo, wie ich mich nach dem Wasser sehne, davon machst du dir keinen Begriff!“

„Jetzt schon? Das mußt du um Gottliebs willen bekämpfen, Bob. Was sollte denn ohne uns aus dem armen Jungen werden.“

Robert lächelte. „Ja, ja, Mongo, ich weiß es und will auch geduldig aushalten. Nur darf ich kein Wasser sehen, das macht mich jedesmal ganz traurig.“

Mongo hatte keine Zeit, den letzten Satz zu beantworten. Der Baum, an dem er arbeitete, neigte sich und mußte, bevor er fiel, gestützt werden, um nicht mit der Krone in den benachbarten Zweigen hängen zu bleiben. Beide Männer strengten ihre Kräfte bis zum äußersten an, und bald darauf lag der erste Pfeiler des künftigen Hauses zu ihren Füßen. Ehe eine Stunde verging, folgte der zweite, die Äste und Kronen wurden abgehauen, die Stämme zusammengebunden, und dann setzten sich Mongo und Robert auf die gestürzte Eiche, um erst einmal zu frühstücken. Das Brot ohne Butter und das dünne Bier schmeckten nach getaner Arbeit vortrefflich, die Unterhaltung drehte sich um ihre Hoffnungen und Aussichten, und für das Vergnügen sorgten die Vögel, die vertraulich näherkamen, um vor den Füßen der beiden Goldsucher die herabgefallenen Brotkrumen vom Boden aufzupicken.

Aus den nächsten Zweigen lugte ein Eichkätzchen hervor, Frösche quakten im Uferschilf, und hier und da glitt eine Schlange durch das Moos.

Robert beobachtete alles. „Ob hier wohl noch ein Überfall wilder Tiere möglich wäre?“ fragte er. „Und ob es giftige Schlangen gibt?“

Mongo schüttelte den Kopf. „Vielleicht während der Nacht“, erwiderte er, „oder einige fünfzig Meilen hinter den letzten Minen. An giftigen Schlangen gibt es nur – aber selten – die Klapperschlange. Wir haben, glaube ich, durchaus nichts zu befürchten und sind ja außerdem bis an die Zähne bewaffnet. Gewehr, Revolver, Dolchmesser – das sollte wirklich genügen, selbst wenn uns ein Wolf oder ein Bär die Ehre erweisen sollte. Du streckst ja übrigens diese Sorte mit der bloßen Faust nieder, junger Spitzbube.“

Robert lachte. „Nicht übertreiben, Mongo“, erwiderte er. „Der ausgehungerte Wolf verlor auf dem haarscharfen Felsgrat durch meinen Faustschlag das Gleichgewicht und stürzte ab, das ist alles.“

„Ja, ja“, nickte der Neger, „ich weiß schon – mich ließest du dein Blut trinken, du guter Kerl. Das bin ich dir immer noch schuldig.“

„Unsinn! Hattest du mich nicht aus dem Wasser herausgefischt? Und übrigens, muß das unbedingt auf Gegenseitigkeit beruhen?“

Mongo bot ihm den Rest aus der Bierflasche. „Auf gegenseitiger Freundschaft und Treue, ja!“ erwiderte er freundlich.

In diesem Augenblick tönte ganz aus weiter Ferne ein Hilferuf. Es klang, als wenn jemand in Todesnot seine letzten Kräfte zusammennahm und mit versagender Stimme einen einzigen Namen hervorstieß: „Robert! – Robert!“

Die beiden Freunde sprangen wie elektrisiert von ihren Sitzen auf. Einer sah den andern an. „Was war das?“

Und wieder hörte man: „Robert! – Mongo! –“

„Du, man ruft uns.“

„Das ist Gottlieb“, fügte Robert hinzu. „Was mag er haben?“

„Jedenfalls müssen wir ihm aber doch antworten. Laß uns nur erst genau die Richtung seiner Stimme erkennen.“

Beide horchten, aber schon in den nächsten Minuten wiederholte sich der verzweifelte Schrei, jetzt aber viel näher, so daß sich deutsich erkennen ließ, auf welchem Weg der Flüchtende in den Wald hinein und den vermißten Freunden entgegenlief.

„Laß uns antworten“, rief Robert, und dann legten beide die Hände hohl vor den Mund. Ein zweistimmiges, langgedehntes „Hier!“ schreckte alle Vögel in der Nähe auf. Selbst die Frösche ließen ihren Gesang einen Augenblick verstummen. Stille folgte dem schallenden Ausruf.

„Das hat er gehört!“ sagte endlich Mongo. „Aber was in aller Welt kann ihn denn so außer Fassung bringen, – ich begreife es nicht.“

„Vielleicht doch ein wildes Tier!“ meinte Robert etwas bedenklich. „Wir können uns ja auf alle Fälle vorbereiten.“

Und beide nahmen die geladenen Gewehre in Anschlag. Alles blieb still, kein weiterer Hilferuf war zu hören, aber in einiger Entfernung knackten die Büsche, als ob ein Mensch oder ein Tier gewaltsam hindurchbrach.

Mongo legte den Finger auf die Lippen. „Pst!“ raunte er. „Wir können ja nicht wissen, ob es Gottlieb ist oder vielleicht ein Feind, der ihn verfolgt.“

Das sollte sich jedoch sehr bald klären. Die Stimme des jungen Pinnebergers unterbrach mit lautem Angstschrei die Stille, und dann folgte erneut der klägliche Ruf: „Robert! – Mongo! – Wo seid ihr?“

„Hier! Hier!“ antworteten beide. „Gottlieb, was fehlt dir?“

„Schießt nicht!“ tönte es in größter Herzensangst zurück.

„Schießt um Himmels willen nicht, ich bitte euch!“

Wieder sahen sich Mongo und Robert voll Erstaunen an. Was bedeutete das alles?

Jetzt aber hörte man in nächster Nähe die Schritte des jungen Menschen. Eine Minute später erschien Gottlieb auf der kleinen Lichtung am Fluß, überblickte atemlos die Umgebung und floh dann unter die Wurzeln des Eichenstammes, wo er sich wie ein Dachs zusammenkauerte.

„Rettet euch!“ schrie er, „rettet euch! – Ein greuliches Untier verfolgt mich und wird gleich hier sein. Auf die Bäume, um Gottes willen auf die Bäume!“

Robert unterdrückte mit Mühe ein Lachen, das ihn überkam. Er und der Neger sahen nach allen Seiten, aber ohne von einem Ungeheuer das Allergeringste entdecken zu können. „Gottlieb“, rief der junge Matrose, „so sei doch vernünftig. War es ein Bär, den du gesehen hast?“

„Ein Bär? Nein, das glaube ich nicht, oder vielmehr weiß ich genau, daß es keiner war. Aber um Gottes willen, rettet euch doch.“

„Wie sah denn das Tier aus?“ rief ungeduldig der Neger.

„Gräßlich!“ tönte es unter den Baumwurzeln hervor. „Es hat Augen wie Kohlen, ist grau, mit einem furchtbaren Horn und teuflischen, mörderischen Augen. Gesehen habe ich es nicht ganz, sondern nur teilweise, aber das greuliche Stampfen und Schnaufen klingt mir noch in den Ohren.“

Robert und Mongo wußten nicht mehr, woran sie waren. Auf welches Tier hätte denn diese seltsame Beschreibung passen könen?

„Es hat dich verfolgt, Gottlieb?“ fragte Robert.

„Ja. Ich ging in den Wald, um euch zu suchen und zu helfen, da brach es aus den nächsten Büschen hervor, und zwar so nahe, daß mich der glühende Atem streifte, daß ich sekundenlang das entsetzliche Horn an meiner Schulter spürte. Ihr könnt euch denken, wie schnell ich weglief, aber das Untier war mir immer auf den Fersen. Nur einmal sah ich mich um, – ein Gebüsch war zwischen ihm und mir – aber da erkannte ich eine Riesengestalt, greuliche Augen –“

„Hilf Himmel!“ unterbrach er seine Beschreibung, „dort kommt es! Rettet euch! – Rettet euch! –“

Und schnell kroch er noch tiefer unter die Baumwurzeln. Robert und Mongo nahmen ihre Gewehre wieder in Anschlag.

Ein Gebüsch in der Nähe des Flusses bewegte sich, als ob der Wind sehr stark wehte. Die Zweige zitterten und krachten, aber kein Tier kam zum Vorschein.

„Mongo“, rief Robert, „leben hier herum Affen?“

„Bist du nicht gescheit, Junge? Gehörnte Affen?“

„Ja – wer weiß denn, was Gottlieb in seiner Angst gesehen hat.“

Der Neger ging mit vorgehaltenem Gewehr auf den Busch zu. „Ich will doch sehen, was dahinter steckt“, sagte er kurz entschlossen.

„Mongo!“ schrie Gottlieb, „Mongo, um Gottes willen, nachher bin ich dein Mörder. Geh nicht hin, ich bitte dich um alles in der Welt, geh nicht hin!“

Doch der Neger ließ sich nicht irre machen. Er brummte etwas, wobei man das Wort „Hasenfuß“ ziemlich deutlich heraushörte, und dann drang er vor.

Im selben Augenblick teilte sich das Gebüsch. Ein Tier von etwa anderthalb Meter Länge und fast einem Meter Größe sprang mit solcher Wucht dem Schwarzen entgegen, daß er kopfüber ins Gras kugelte, während Robert nur durch seine bewunderungswürdige Gelenkigkeit einem gleichen Schicksal entging. Der unvermutete Angreifer stand mit gesenkten Hörnern kampfbereit vor dem Platz, an dem eben noch sein zweites Opfer gestanden hatte. Gottlieb schrie vor Angst, der Neger sah sich halbsitzend voll Verwunderung um, und Robert lachte, was er konnte. Das alles geschah innerhalb weniger Sekunden.

Mongo war der erste, der wieder sprach. „Nun“, sagte er ärgerlich und sich den Rücken mit der flachen Hand reibend, „was ist denn das für ein Unsinn?“

Das Tier stieß ein kurzes Schnaufen oder Prusten aus. Es scharrte mit dem Vorderfuß im Grase.

Robert lachte immer noch. „Ein Moufflon!“ rief er, – „ein Schafbock! – Das ist ja zum Totlachen!“

Aber die beiden andern teilten keineswegs seine Heiterkeit. Mongo stand auf und ballte gegen den Bock die Faust, so daß das Tier mit einem plötzlichen Niesen etwas zurückwich: „Warte“ rief er, „du sollst das Vergnügen, mich in den Sand gestreckt zu haben, mit dem Leben büßen.“

Gottlieb war zögernd bis an den Rand der Baumwurzeln vorgekrochen. Das Wort Schafbock hatte ihn beschämt, aber dennoch flößten ihm die beiden Hörner erhebliche Furcht ein. „Robert“, fragte er verwirrt, „hältst du das Tier für gutmütig?“

Der wischte die Lachtränen aus den Augen. „Gottlieb“, rief er, „hat dich denn nie in Pinneberg ein Schafbock verfolgt? Weißt du nicht, daß diese Tiere ebenso mutig wie furchtsam sind? Dieser große Kerl hat spielen wollen, weiter nichts.“

„Spielen? Unmöglich!“

„Dann schau her.“

Und Robert kraute mit der Rechten die Stirn des Bockes, der sogleich seine Kampfstellung aufgab und zum Zeichen größter Zutraulichkeit leise den Schweif bewegte. „Mongo“, sagte er, „schenke ihm das Leben, Alter!“

Aber der Neger war böse. „Dummes Zeug“, brummte er. „Gib ihm eine Ohrfeige, Bob, damit er fortspringt. Ich mag kein Tier töten, wenn es wie an der Schlachtbank ahnunglos vor mir steht.“

Robert, der wohl erkannte, wieviel das Fleisch und das Fell des Tieres wert seien, tat, was Mongo sagte, und der Bock sprang mit lustigen Sprüngen über die Lichtung. In weniger als zwei Minuten hatte ihn die Kugel des Negers zu Boden gestreckt. Durch den Kopf geschossen, war er sofort tot.

„So“, sagte der glückliche Schütze mit etwas spöttischem Ton, „so, Gottlieb, nun komm hervor, mein Kleiner. Dieses Ungeheuer wäre unschädlich gemacht, und vielleicht findest du sogar demnächst Mut genug, das Fell nach Hause zu schleppen. Ich will den Burschen gleich ausweiden.“

Gottlieb kroch ziemlich geknickt aus seinem Versteck hervor. „Ihr müßt es nur nicht allen Leuten erzählen“, bat er. „Wirklich, gegen mich war der Bock sehr bösartig.“

Unter Roberts erneutem Lachen gingen dann alle drei an die Arbeit. Das Haus sollte vor Abend zum Einzug fertig sein, also hatte man keine Zeit zu verlieren, sondern mußte noch mehrere Stämme schlagen, bevor man in Lenchi mit dem Bau begann. Während Mongo kunstgerecht den Bock zerlegte, fällten die beiden anderen einige Tannen, und dann wurden die Stämme bis zu dem Lagerplatz geschleift. Schwer beladen trat man den Rückweg an.

Der Boden war bereits von Pflanzen und Steinen gesäubert, die erforderlichen Löcher gegraben und die Packkisten herbeigeschleppt. Gottlieb hatte so fleißig gearbeitet, daß die beiden anderen ihr Lob nicht zurückhalten konnten.

Inzwischen hatten sich mehrere deutsche Goldgräber um den Bauplatz herum versammelt und besonders den Bock bewundert. Endlich machte einer den Vorschlag, ein tüchtiges Stück des frischen Fleisches sogleich an Ort und Stelle zu braten. Für die Beschaffung von Kartoffeln, Mehl, Eiern, Butter, Früchten und Branntwein sowie Kaffee wollte man eine Sammlung veranstalten und nach gemeinschaftlich eingenommenem Mahl mit vereinten Kräften den Hausbau beginnen.

„Ich liefere den Bratspieß!“ schrie ein riesiger Sachse, „und drehen will ich ihn auch.“

„Von mir könnt ihr Blechteller und Messer haben. Und Kuchen backen kann ich auch“, meinte ein anderer.

Der Dritte trommelte mit den Fäusten so lange auf eine Packkiste, bis er sich Gehör verschafft hatte. „Silentium, meine Herrschaften, ich bin ein Zimmermann und führe daher in dieser ehrenwerten Versammlung den Vorsitz. Kochen oder backen ist nicht meine Sache, ebensowenig habe ich Geld oder Hausgerät, aber einen riesigen Appetit auf frischen Braten und einen unlöschbaren Durst. Später will ich den Bau mit diesen meinen Händen allein fertig machen. Was sagt ihr dazu?“

„Angenommen!“ rief Robert. „Meine Stimme habt Ihr. Hier sind fünfzig Cent für den Einkauf von Lebensmitteln.“

Der Sachse nahm den formlosen Filzhut vom Kopf, warf den ersten Beitrag hinein und ging nun von einem zum andern, um überall zu sammeln. „Ein armer Handwerksbursche“, sagte er, „hat in sechs Wochen nichts Warmes im Leibe gehabt!“

Und Gabe auf Gabe fiel in den Hut. Auch Goldstücke rollten hinein. Dann entzündete einer ein riesiges Feuer, der andere bereitete den Braten und der dritte schälte die Kartoffeln, während sich der Kuchenbäcker mit aufgestreiften Ärmeln, Messer und Revolver im Gürtel, daran machte, eine Torte anzurühren. Aus allen Häusern wurden Blechgeschirre herbeigebracht, die Packkisten mußten, ehe sie als Wände ihr Dasein beschlossen, vorher als Sitzgelegenheiten dienen, und das geteerte Segeltuch, das die Nässe von dem zukünftigen Dach fernhalten sollte, ließ sich einstweilen ausgezeichnet als Abschirmung gegen die Sonnenstrahlen verwenden. Jeder wollte dazu beitragen, das so schnell veranstaltete Fest zu einem gemütlichen Beieinander zu gestalten.

Und als der Braten seine lockenden Düfte ausströmte, als der Kaffee dampfte und die Torte hellbraun und locker aus dem Blechnapf hervorgegangen war, da klopfte der Zimmermann, der bisher müßig im Gras gelegen hatte, wieder auf die nächste Packkiste. Sein tiefer Baß stimmte eine Weise an, die allen bekannt war.

„Was ist des Deutschen Vaterland? – –“

Und laut und freudig fielen über zwanzig Stimmen bei der nächsten Strophe in das alte Heimatlied ein.

Dann hatte der Koch sein Werk vollendet. Kaum besaß er Kraft genug, den Riesenbraten auf die schnell errichtete Tafel zu heben. Da stand er als wackerer Feldherr, rings umgeben von Gurken, Kartoffeln, Sauerkraut und Backpflaumen, da schimmerte im Hintergrund die Torte und dampfte der Kaffeekessel. Alles war herrlich geraten, alles lockte zum Genuß und zur Freude.

Gottlieb zupfte Robert am Ärmel. „Du“, flüsterte er, „erzähl es diesen Leuten nicht, wie wir zu dem Braten gekommen sind.“

Robert winkte halb lachend, halb gerührt. „Aber nein, was fällt dir ein?“ sagte er.

„Und laß auch den Alten nichts ausplaudern, du.“

„Ach, Unsinn. Dort ist dein Platz, und nun wollen wir essen.“

Der Braten war zwar sehr schmackhaft, aber er stellte die Kauwerkzeuge der Festteilnehmer auf eine ziemlich harte Probe, was jedoch weiter kein Mißvergnügen, sondern nur einige derbe Scherze hervorrief. Die Goldgräber waren ja nicht verwöhnt, daher wurde auch ein zäher Bissen noch mit gutem Appetit verspeist. Alles übrige war tadellos gelungen, die Torte sogar ganz ausgezeichnet, nur das Tischgerät ließ manches zu wünschen übrig.

Schwere, fünfzinkige Gabeln sah man am zahlreichsten, die Messer der Goldgräber mußten zum Zerlegen dienen und spitze Holzstäbe als Spieße, an denen Kartoffeln und Fleisch zum Mund geführt wurden. Als Nachtischteller für die Torte dienten große Blätter, während der duftende Kaffee aus Blechtöpfen getrunken wurde. Zum Schluß machte eine dickbauchige Flasche die Runde.

Es war drei Uhr nachmittags, als endlich der Hausbau begann. Unter einem Kreuzfeuer von Scherzworten wurden die Kisten in Bretterhaufen verwandelt; man rammte die vier Eckpfähle ein, setzte die Türbalken und schlug das Eisen an, darauf nagelten einige ein Fenster zusammen, andere zimmerten die Tür, und ein besonders wohlhabender Hamburger, der schon länger in den Minengegenden lebte, brachte keuchend unter der schweren Last einen Ofen, den er feierlich den drei Freunden zum Geschenk machte. Die Wände wuchsen unter den vereinten Anstrengungen der Männer zauberhaft schnell empor, das Dachgerüst wurde errichtet, – es fehlte jetzt nur noch der Überzug aus Segeltuch, und das Haus war fertig. Diesen Augenblick benutzte der Zimmermann, um auf das Dach zu klettern und mit einigen Hammerschlägen das Publikum darauf aufmerksam zu machen, daß er eine Rede halten wollte.

„Pst!“ hieß es, „er will vom Gerüst fallen, stört ihn nicht.“

„Aber in Versen!“ ermahnte einer.

„Die wachsen nicht wild, mein Junge“, tönte es vom Dach herab, „und Treibhäuser dafür fehlen hier leider. Also – Ladies und Gentlemen! –“

„Ladies glänzen durch ihre Abwesenheit“, hieß es wieder.

„Was uns nicht hindern soll, zuerst auf ihre Gesundheit zu trinken. Ich tue es für euch alle!“ fügte er mit komischer Würde hinzu, und nahm einen Schluck aus der Flasche. „Unsere Mütter und Frauen, unsere Schwestern und Bräute daheim in Deutschland sollen leben! Eins, zwei, drei – Hurra!“

„Und noch einmal – Hurra!“

„Jetzt aber die Rede!“ drängte das Publikum.

Der Zimmermann räusperte sich. „Ein Schafbock war die erste Veranlassung zu diesem Fest“, begann er im Ton eines vortragenden Professors, „wir erheben ihn daher mit Recht zum Schutzpatron des neuerbauten Hauses. Alles, was hier künftig geschieht, stehe unter seinem Zeichen. Mögen die Eigentümer beständig in der Wolle sitzen und von ihren goldenen Errungenschaften gehörig ins Horn stoßen können. Mögen sie von allen Schafsköpfen gemieden und ihnen der Hammelbraten immer nahe sein, möge ihnen das Goldene Vlies zuteil werden und Lammesgeduld, wenn sich der Boden als ausgebeutet erweist. Mögen sie niemals Böcke schießen, aber vor Freuden Bocksprünge machen und baldigst ihr Schäfchen ins Trockene bringen, vor allen Dingen aber sich durch keinen Fehlschlag ins Bockshorn jagen lassen.“

Er versuchte eine zierliche Verbeugung und erhob nochmals die Flasche. Ein Beifallssturm belohnte seine wohlgelungene Rede. „Weiter, weiter!“ rief man von allen Seiten.

Der Zimmermann schüttelte den Kopf. „Nur eins noch!“ erwiderte er. „Ein Hoch auf unseren König Wilhelm, den Schirmherrn von Deutschland!“

„Eins, zwei, drei, Hurra!“

Die Flasche flog mit kräftigem Schwung nach alter deutscher Sitte über den Kopf des Redners ins Gebüsch und zersplitterte zu tausend Scherben.

Mit Einbruch der Dämmerung war das Segeltuch befestigt, Erde darauf geworfen und der Ofen gesetzt. Die drei Freunde konnten ihren Einzug halten.

Noch manches Stück Hausgerät wurde von den Goldsuchern zur Verfügung gestellt, drei übriggebliebene Kisten ersetzten die Stühle, und einen Tisch versprach der Zimmermann am nächsten Sonntag zusammenzuschlagen.

Als sich die Gesellschaft zum Aufbruch rüstete, erschien Robert mit einer frischen Flasche unter dem Arm. „Jetzt noch die Taufe“, schlug er vor. „Straßen gibt es in Lenchi nicht, Nummern also noch viel weniger, daher scheint es das Beste, jedem Haus einen Namen zu geben. Mongo und Gottlieb, was meint ihr, wollen wir unsere Wohnung Neu-Pinneberg nennen?“

Die beiden andern waren einverstanden, und der Zimmermann schrieb sofort mit einem ausgeglühten Feuerbrand den neuen Namen über die Tür, dann ging die Flasche reihum, und mit allgemeinem Händeschütteln trennte man sich.

Die drei Freunde trugen aus ihrem bisherigen Quartier die Schlafdecken und was sie sonst besaßen herbei, holten frisches Wasser, um am folgenden Morgen den Kaffee selbst kochen zu können, und legten sich endlich schlafen, nachdem sie noch einmal alle Einzelheiten dieses arbeitsreichen Tages durchgesprochen hatten. Sie waren nun Hauseigentümer, waren gesund und konnten arbeiten, wenn auch der Wechsel noch unbezahlt war.

Es mußte um jeden Preis ein größerer Verdienst erzielt werden, sonst rückte der eigentliche Zweck der ganzen Unternehmung in immer weitere Ferne. Viel leicht brachte der Winter sogar einen Stillstand der Arbeit, so daß neue Schulden zu den alten kamen. Robert konnte lange nicht einschlafen. Er fürchtete sich davor, Schulden zu haben.

Zwar wußte Samuel Ekiwa, daß seine Kunden arme Abenteurer waren, außerdem hatte er selbst das Geschäft vorgeschlagen, aber dennoch drückte Robert der Gedanke, dem Händler verpflichtet, ja sogar von ihm abhängig zu sein. Er seufzte tief. Wenn nun vielleicht der Mann nur aus Eigennutz zum Hausbau geraten hatte, ja, wenn er sich beizeiten ein Pfandobjekt sichern wollte, um am Verfallstage die Hütte in Beschlag zu nehmen, wenn der Wechsel uneingelöst blieb? Robert fröstelte. „Du“, sagte er leise, „Gottlieb, wachst du noch?“

Der junge Kaufmann fuhr auf. „Hast du etwas Verdächtiges bemerkt, Robert?“

„Nein, nein! Aber gib doch endlich einmal auf, in allen Ecken Gefahren zu suchen. Ich meine nur, was du – hm, hm, was du so überhaupt von unserer gegenwärtigen Lage denkst, und ob sie sich nicht ein wenig verbessern ließe.“

Gottlieb stützte sich auf den Ellbogen. „Ich hatte einen Plan“, flüsterte er, „aber die Sache geht nicht. Es gibt hier nur wenige Goldsucher, die sich aus Ekiwas Händen schon ganz freigemacht haben, die meisten hält er an so sicheren Fäden, daß es nur auf ihn ankommt, sie täglich und stündlich zu Bettlern zu machen. Diese Leute arbeiten, um ihre Zinsen zu bezahlen, vom Kapital wird kein Cent abgetragen. Mit Gewalt kann man also gegen den Händler nichts ausrichten.“

„Das wäre wohl auch nicht der richtige Weg“, warf Robert ein. „Wir haben freiwillig die Wechsel unterschrieben und sind verpflichtet, sie ordnungsgemäß einzulösen.“

Gottlieb schüttelte lebhaft den Kopf. „Jeden Spitzbuben muß man entlarven und womöglich unschädlich zu machen suchen“, rief er. „Aber dieser hier ist ein ganz gewiegter Schlauberger. Er zieht von Minenstadt zu Minenstadt mit den ersten Goldsuchern im Lande herum und beutet die armen Menschen, die sich noch nicht recht zu helfen wissen, rücksichtslos aus. Die Leute sagen, daß er an englischen und deutschen Banken schon Tausende hinterlegt habe.“

Robert lachte. „Wie der Kaufmann in dir durchkommt“, sagte er. „Du fühlst ja gegen diesen Wucherer richtige Erbitterung.“

Gottlieb ballte die Faust. „Dieser Schuft“, knirschte er. „Der ehrliche Kaufmann kann höchstens fünfzehn Prozent im Durchschnitt verdienen, dieser Mensch dagegen verdient mindestens hundert. Nein, wenn mein Vater wüßte, daß ich mit einem Halsabschneider Geschäfte mache!“

Jetzt mußte auch Robert an seine Eltern denken. Ja, wenn sie ihn hier sehen könnten, sein Lager auf bloßer Erde, die undichten Wände und das ganze, nach deutschen Begriffen selbst für einen Pferdestall ungeeignete Gebäude – –

Es wurde still in dem engen Raum. Die Gedanken wanderten und glitten unmerklich hinüber in das Land des Traumes. Die beiden jungen Menschen waren zu Hause in Pinneberg, sie erkannten die alte, vertraute Umgebung, sie sahen die Bilder früherer Tage und wußten nichts mehr von der harten Gegenwart.

Woche auf Woche verging. Die emsigen Goldwäscher verdienten jetzt, nachdem sie sich in die ganze Art und Weise ihrer neuen Beschäftigung hineingelebt hatten, anstatt der früheren zwanzig Dollar vielleicht fünfundzwanzig und manchmal auch dreißig, sie lebten zurückgezogen wie die Mönche, berechneten jeden Groschen und nutzten jede Stunde, aber die Aussichten für die Zukunft wurden nicht besser.

Der Wechsel war zwar bezahlt, die Stiefel aber mußten durch neue ersetzt werden, und die alten Kleider reichten für die kältere Jahreszeit nicht mehr aus. Nachdem das Unentbehrlichste angeschafft war, blieb kein Cent mehr übrig. Gottlieb konnte, obwohl er jetzt schon seit sechs Wochen in den Goldminen lebte, doch seinen Eltern nicht das Allergeringste schicken, und Robert hatte keinen Dollar im Kasten, wenn auch beide zwölf Stunden lang täglich arbeiteten.

Der Händler sagte, daß ihnen das Glück außerordentlich günstig sei. Mancher müsse jahrelang Schulden über Schulden machen und könne endlich nur noch die Zinsen bezahlen. In den Goldstädten gebe es keine sichere Lebensgrundlage, sondern eben nur ein „Wer wagt, gewinnt!“

Und so wurde unermüdlich fortgearbeitet, zuletzt, als die Tage kürzer wurden, beim Schein eines großen Feuers, das vom Rand der breiten Waschrinne bis in die Tiefe hinab seine roten, zuckenden Lichter warf. Wie Kobolde, wie die Heinzelmännchen aus dem Märchen erschienen dort unten die dunklen Gestalten mit den schweren, bis über die Knie reichenden Stiefeln und dem eng anliegenden Bergmannsanzug aus Leder. Unermüdlich schleuderte Mongo die Steine auf den oberen Rand, unermüdlich hackte Robert und sichtete Gottlieb, aber Woche auf Woche verging, das ersehnte Glück blieb aus, der große Klumpen Goldes, von dem jeder Wäscher träumt, den er hinter jeder Erdscholle vermutet – wurde nicht gefunden.

Mongo trug nach Feierabend beim Mondschein sorgfältig die herausgeschaufelten Steine nach Neu-Pinneberg und errichtete dort um die hölzernen Wände herum eine Art Schutzwall, bei dem er zwar lediglich an die kommende Winterkälte dachte, den aber Gottlieb mit großer Freude wachsen sah, weil er nach seiner Meinung Schlangen und Kriechtiere von der Wohnung fernhielt und Raubtieren den Zugang sehr erschwerte. „Du solltest uns auch ein Drahtgitter flechten, Alter“, sagte er, „und eine Eisenstange wollen wir quer vor die Tür legen. Wenn hier nicht alles so teuer wäre, hätte ich fürs Leben gern einen Hund.“

„Ach, du bist ein Angsthase, das nimm mir nicht übel. Solltest lieber, um etwas Mut zu bekommen, morgen mit uns auf die Jagd gehen.“

Gottlieb erschrak. „Auf die Jagd?“ wiederholte er. „Ich danke!“

Und dabei blieb es. Er ließ sich kein Gewehr in die Hand drükken, sondern verschloß, wenn am Sonntag seine Gefährten zur Jagd gingen, sorgfältig die Tür und schrieb bogenlange Briefe, in denen er seinen Eltern genauestens schilderte, wie er lebte, und daß es bis jetzt ganz unmöglich gewesen sei, auch nur den kleinsten Überschuß zu erzielen. Diesen Briefen fügte Robert jedesmal eine Einlage bei, und wenn von Gottliebs Familie ein Brief ankam, so hatte er regelmäßig die Freude, auch von seiner alten Mutter ein paar Zeilen vorzufinden. Der Vater dächte immer noch wie früher, hieß es, er wolle von Versöhnung nichts wissen und verlange vor allem ein reumütiges Geständnis, Robert wisse schon, in welcher Beziehung. Das sei an der ganzen Sache das Schlimmste, und wenn einmal ihr Sohn als Bettler in die Heimat zurückkehre, so müsse man darin Gottes Fügung erkennen. Aber, fuhr die Mutter fort, Robert solle doch kommen, lieber heute als morgen, es lasse sich wohl alles ausgleichen, und außerdem habe sie auch von ihrem Bruder Klaus, der ohne Erben gestorben sei, kürzlich ein paar hundert Taler geerbt. Die würden schon reichen.

Robert las kopfschüttelnd den Brief zum zweiten-und zum drittenmal. Alle diese Anspielungen, diese Hinweise auf etwas noch Schlimmeres als seine Flucht aus dem Elternhause, – er verstand sie nicht. Sprach vielleicht seine Mutter von den fünfzig oder sechzig Talern, die Georg für ihn aus dem Geldkasten des Vaters genommen hatte? Dachte der Alte an diese verlorene Summe zuerst und dann an den Sohn, der in jedem Brief inständig um Verzeihung bat.

Aber er wußte es ja, einen mitfühlenden, freundlichen Vater hatte er nie gehabt, sondern nur einen strengen, unnachgiebigen Erzieher, dessen bürgerliche Ehre tadellos dastand, der aber nichts verzeihen und sich niemals in die Seele seines Kindes hineindenken konnte.

Mutlos ließ er den Kopf in die Hand sinken. Überall unter seinen Füßen, da wo er nachts zur Ruhe ging, da wo er sein kärgliches Mahl verzehrte und wo er im Schweiße seines Angesichts arbeitete, – überall konnte das Gold liegen, aber er fand es nicht, fand es nicht, ob er auch grub und schaufelte, bis ihm das Blut aus den Fingern heraussprang. Manchmal, wenn ihn die innere Unruhe überwältigte, fuhr er mitten in der Nacht vom Lager auf, grub im Mondschein an irgendeiner beliebigen Stelle mit fast wahnwitziger Hast ein Loch in den Boden und bildete sich ein, daß er den roten Schatz finden müsse, daß es plötzlich wie Blut unter seiner Hacke hervorquellen werde, unaufhaltsam, ein Königreich, ein Paradies der kühnsten Hoffnungen. –

Und wenn dann der graue, nüchterne Wintermorgen mit Hagelschauern und kalten Windstößen langsam aus der Nacht emporstieg, wenn Mongo erschrocken den erschöpften Freund hereinholte in das durchwärmte Haus und ihm vorstellte, daß sein Beginnen töricht sei, daß erst viel, viel tiefer unter der Oberfläche der Erde Gold gefunden werde, dann schüttelte er trübe den Kopf. „Laß mich, Alter, – ich kann nicht ertragen, daß du davon sprichst.“

Der Neger überredete ihn jeden Sonntag, wenigstens die Büchse über die Schulter zu nehmen und mit hinauszugehen in den Wald, da gerade jetzt bei der Kälte das Wild viel leichter anzutreffen war als im Sommer. Manches Reh, mancher Hirsch wurde geschossen und an den einzigen Wirt von Lenchi verkauft, manches Moufflon mußte sein wolliges Fell für wärmere Winterkleidung hergeben, mancher Coyote verendete unter Mongos Kugel, aber dennoch gelang es dem gutmütigen Schwarzen nicht, Roberts trübe Stimmung zu verscheuchen.

Er hatte seine Mutter dringend um Aufklärung gebeten, hatte sie angefleht, ihm im nächsten Brief mit klaren Worten zu sagen, weshalb der Vater so unversöhnlich sei. „Die erbärmlichen fünfzig Taler können doch unmöglich der Grund sein“, schloß er, „Vater kann doch nicht aus der kleinen Summe ein Ereignis machen, das ihn und mich für immer trennt. Ich habe ihm, der durch diesen Verlust in keiner Weise wirklich betroffen wurde, das Geld genommen, um erst einmal nach Hamburg zu kommen und um es von der nächsten Heuer zurückzuzahlen. Anstatt zu verdienen, konnte ich aber während zweier Reisen kaum das nackte Leben retten, woher sollten also Überschüsse kommen?

Vater braucht mir nicht erst zu sagen, daß es niemandes Recht sei, einem anderen ohne Erlaubnis Geld zu nehmen, er sollte aber wissen, daß es die Pflicht eines Vaters ist, seinem Sohn zu helfen und ihn zu halten, wenn er nach seiner Meinung gestrauchelt sei. Doch kann er unbesorgt sein! Ich komme nach Pinneberg nicht eher zurück, bis ich ihm seine fünfzig Taler auf den Pfennig zurückzahlen kann, – nicht eher, und wenn wir uns nicht mehr wiedersehen.“ –

Als er den trotzigen, erbitterten Brief abgesandt hatte, bereute er sehr bald seine harten Worte. Es tat ihm leid, die alte Mutter so gekränkt zu haben, und heimlich fürchtete er, obwohl er es sich nicht eingestehen wollte, daß vielleicht der Vater inzwischen gestorben sei, ohne daß er sich mit ihm ausgesöhnt habe.

So kam es zwar nicht, aber was nach langen, eintönigen Monaten die Mutter antwortete, das beruhigte ihn doch keineswegs. Er möge das alles nur ruhen lassen, schrieb die alte Frau, und kam wieder auf das unerwartet geerbte Geld zurück. „Sei nur erst einmal hier, mein Junge, dann schaffen wir schon Rat, obwohl du – ja, Robert, das muß ich dir sagen! – nicht so offen die Wahrheit verleugnen solltest. Aber laß das nur, laß das, wir haben genug zu essen, auch für dich mit, und wir wollen das Gewesene vergessen, wenn du den Vater nur um Verzeihung bittest. Die Hauptsache ist: komm!“

Aber Robert schüttelte den Kopf. „Nie“, dachte er, „nie!“

Und so verging der Winter, so kam der Frühling, ohne den drei unermüdlichen Goldwäschern besseren Erfolg zu bringen. Sie waren schuldenfrei, hatten wetterfeste Kleidung und tüchtiges Gerät, ab+er kein Kapital. Gottlieb wußte jetzt, daß seine alten Eltern ins Armenhaus gezogen waren; diese Nachricht hatte ihn schwer getroffen, er wurde krank, und die Freunde mußten ihn pflegen, anstatt zu arbeiten, dann verging längere Zeit, während der er zwar wiederhergestellt, aber doch noch für jede Anstrengung zu schwach war. Robert und Mongo konnten in diesen Wochen nur einen sehr geringen Verdienst erzielen, und es schien, als vereinige sich alles, um dem Glück in den Weg zu treten, um ihren Anstrengungen täglich ein neues, ungeahntes Hindernis entgegenzusetzen. Während die Natur ringsumher zu neuem Leben erwachte, gingen die drei Freunde mit blassen Gesichtern herum, und in Neu-Pinneberg hatte sich die Sorge als steter Gast eingebürgert.

Es war an einem Aprilsonntag, als Robert und Mongo im Walde umherstreiften, ohne einen Hirsch aufspüren zu können. Der Ertrag der Jagd war doch immer ein sehr willkommener Zuschuß für die Hausstandskasse, daher unterließen es die beiden Freunde nie, am Sonntag hinauszuziehen und nach Beute Ausschau zu halten. Meistens schossen sie mehr, als sich ohne Hilfe fortbringen ließ, heute aber kehrte ihnen das Glück den Rücken, sie hatten noch kein Tier gesehen und waren doch schon einen tüchtigen Marsch weit von Lenchi entfernt.

„Laß uns Vögel schießen“, schlug Mongo vor. „Besser etwas, als gar nichts.“

Robert schüttelte den Kopf. „Wir gehen nach Hause“, sagte er unmutig. „Man legt sich ins Bett und schläft, – das ist die einzige Freude, die einem das Leben noch bietet.“

„Zu schlafen? Aber Bob, ist es schon so weit gekommen?“

Robert antwortete nicht, und die beiden schritten eine Zeitlang schweigend nebeneinander her, bis endlich der Neger in der Absicht, seinen jungen Gefährten etwas aufzuheitern, die Hand ausstreckte und auf mehrere Insekten deutete, die sich in den Blüten am Wege schaukelten. „Das sind Bienen“, sagte er, „wollen wir den Baum aufsuchen, in dem sich das Nest befindet?“

Roberts Interesse erwachte plötzlich. „Ein Bienennest?“ wiederholte er, „das möchte ich wirklich gern sehen.“

„Wir brauchen nur der Flugspur folgen, Bob. Vielleicht sind ja auch ein paar Scheiben Honig zu erobern, obgleich jetzt im Frühling nicht viel vorhanden sein kann.“

Die beiden gingen weiter in den Wald hinein, und immer zahlreicher wurden auf den Blumen am Wege die einzelnen Bienen. Je tiefer jedoch die beiden Jäger in das Dickicht vordrangen, desto unruhiger zeigten sich seltsamerweise die kleinen, fleißigen Tierchen. Sie ließen die schönsten Blütensträucher unbeachtet und schwärmten zu Hunderten summend und aufgeregt in der Luft herum.

Mongo stand kopfschüttelnd still. Vorsichtig lud er sein Gewehr, ergänzte die Läufe des Revolvers und lockerte auch noch das große Jagdmesser in der Scheide.

Robert lächelte. „Nun, Alter“, sagte er, „willst du Bienen schießen und das Wild gleich an Ort und Stelle ausweiden?“

Mongo nickte. „Du junger Spitzbube“, sagte er, „tu nur dasselbe. Es kann in keinem Fall schaden!“

Robert blieb stehen. „Alter“, rief er, „was hast du denn?“

Mongo legte den Finger auf die Lippen. „Pst, Bob. Hier in der Nähe muß entweder ein Mensch oder ein größeres Tier sein“, sagte er. „Die Bienen sind offenbar erschreckt, ihr Eigentum ist bedroht und ihre Sicherheit gefährdet!“

Jetzt folgte Robert dem Beispiel seines erfahrenen Kameraden und nahm sein Gewehr in Anschlag. „Vielleicht ein Bär, Mongo?“ fragte er halblaut.

„Das vermute ich, Bob. Laß uns der Spur nachschleichen, aber sprich nicht.“

Die beiden glitten so geräuschlos wie möglich durch das dichte Unterholz vorwärts, bis eine kleine Waldlichtung plötzlich größere Vorsicht erforderte. Das Schwirren der Bienen schien hier seinen Mittelpunkt gefunden zu haben. Stellenweise hatten sich Tausende zu einem Schwarm geballt.

Mongo hob warnend die Hand. „Vorsichtig, Bob, hier herum muß es sein.“

Robert war wie umgewandelt. Aller Mut, alle Lebenslust waren plötzlich zurückgekehrt. Das Jagdfieber hatte ihn ergriffen.

„Wir wollen hier einen Augenblick warten“, flüsterte Mongo. „Auf die Lichtung hinauszutreten wäre unvorsichtig, bis wir nicht genau wissen, woran wir sind. Aber dort ist eine kleine Lücke, wie mir scheint, – – ich gehe voran.“

Er glitt durch das weiche, jeden Schall dämpfende Gras und spähte durch die Zweige, während Robert leise nachschlich. Ganz geräuschlos drangen sie vorwärts und erreichten sehr bald den Beobachtungspunkt. Mongo winkte mit der Rechten.

„Schau her!“ flüsterte er lächelnd.

Robert lugte durch die Zweige und hätte beinahe einen Schrei der Überraschung ausgestoßen.

Jenseits der Lichtung, am Saum des Unterholzes, stand ein uralter, vielleicht tausendjähriger Baum, dessen unterer Stamm halb verfault war und eine breite Höhle zeigte. Gelbe, schwammige Auswüchse bedeckten den Zugang des Bienennestes, das sich jeden falls im Inneren der alten Eiche befand, Tausende von summenden Insekten verdunkelten die Luft, und vor dem Baum stand der Störenfried, dessen Erscheinen die fleißigen kleinen Tierchen aufgescheucht hatte.

Ein mittelgroßer Bär mit glänzend braunem Fell lehnte auf seinen Vorderpfoten gegen den Baumstamm und suchte mit seiner spitzen Schnauze in der unzugänglichen Höhlung nach der ersehnten Beute.

Jetzt steckte er den ganzen Kopf in das Loch hinein, so daß er im Augenblick weder hören noch sehen konnte, was um ihn herum vorging.

Mongo schob mit schneller Handbewegung seinen jungen Freund vor die Lücke, an der er selbst stand. Die eigene Waffe schußbereit haltend, keinen Blick von dem Raubtier lassend, flüsterte er gutmütig: „Schieß, Bob, schieß, aber ziele nach dem Hals, hörst du!“

Robert legte an. Sein Auge glühte, sein Herz schlug schneller, die Jagdlust beherrschte ihn.

Noch eine halbe Minute, dann krachte der Schuß.

Und nun geschah etwas Unbegreifliches. Anstatt den Kopf des Bären zu treffen, schlug Roberts Geschoß auf halbem Wege mitten in der Luft gegen einen harten Körper, es gab einen plötzlichen, scharfen Laut, und völlig plattgedrückt schlug die Kugel dicht neben dem jungen Mann in das Gebüsch zurück. Der Schuß selbst verhallte wie der Donner eines schweren Gewitters.

Im gleichen Augenblick wandte der Bär den Kopf, sah einen Augenblick zu den beiden Jägern herüber und ließ dann seine Vorderpfoten vom Baum herabgleiten. Er ging gerade auf seine Feinde los.

„Mongo“, schrie Robert, „was war das? – Um Gottes willen, gib Feuer!“

Die Mahnung war überflüssig. Ohne sich um den Grund des seltsamen Zwischenfalls weiter zu kümmern, hatte der Neger sein Ziel ins Auge gefaßt und den Kopf des Bären aufs Korn genommen. Der Schuß krachte, und das tödlich getroffene Raubtier wälzte sich im letzten Kampf am Boden.

Jetzt erst sah Mongo nach allen Seiten. „Junge“, sagte er, „es ist nur eine Erklärung möglich. Noch ein zweiter Jäger muß mit dir zugleich geschossen haben, und beide Kugeln trafen sich auf ihrem Weg zum Ziel.“

Noch ehe Robert antworten konnte, bestätigte sich die Richtigkeit dieser Vermutung. Über die Lichtung kam mit schnellen Schritten ein hochgewachsener, schlanker Mann von etwa fünfzig Jahren. Das braune, ganz bartlose Gesicht, die dunklen, ernstblickenden Augen, das kurzgeschnittene Haupthaar und die gerade Haltung machten einen vertrauenerweckenden Eindruck, während dagegen die eigentümliche, halb indianische Kleidung den Blick unwillkürlich fesselte.

Auf dem Kopf trug dieser Mann eine Mütze aus Biberfell, mit mehreren Adlerfedern geschmückt. Seine eng anliegende Kleidung bestand aus Leder, unterhalb der Knie trug er Gamaschen aus gleichem Stoff. Sie waren ohne Zweifel eine indianische Arbeit und zeigten reiche Verzierungen aus Federn, kleinen Muscheln, den Borsten des Stachelschweines und einer Art geschnitzter Knöpfchen aus rotem Seifenstein. Tierköpfe, Sternenbilder und Schlangen, alles war über- und nebeneinander in künstlicher Stickerei dargestellt, ebenso hatte der breite Ledergürtel mit daranhängender Scheide eine geschmackvolle Verzierung aus Muscheln und kleinen flachen Steinen. An der linken Hüfte des Jägers hing eine Jagdtasche aus Otterfell mit darübergeknüpftem Bezug aus Bindgarn.

„Da haben wir's!“ rief Mongo. „Ein Trapper!“

Robert sah mit fragenden Augen der fremden Erscheinung entgegen. „Haben Sie vorhin geschossen, Sir?“ rief er.

Der Pelzjäger neigte leicht zum Gruß das Haupt. „Gottes Frieden mit euch!“ sagte eine wohlklingende, tiefe Stimme. „Der Bär ist eure Beute.“

„Aber Sie haben doch auch geschossen?“ wiederholte Robert.

Der Trapper sah ihn lächelnd an. „Mein junger Freund hat eine bewegliche Zunge“, sagte er. „War es seine Kugel, die im Fluge die meinige traf?“

Robert errötete leicht. „Mongo“, rief er, „du hattest also doch recht.“

„Es war nicht anders möglich, Kind.“

Der Trapper sah von einem zum andern. „Wessen Kugel traf gegen die meine?“ fragte er wieder.

„Ich schoß auf den Bären“, erwiderte Robert, „wahrscheinlich mit Ihnen zugleich, Sir! Daß sich die Kugeln begegneten, ist ein merkwürdiger Zufall.“

Der Pelztierjäger neigte den Kopf. „Es gibt keinen Zufall, mein junger Freund“, sagte er in seiner halbindianischen Sprachweise. „Der Flug des Vogels wird geleitet von unsichtbarer Hand, der Zug der Wolken ist ein Verkünder des Menschenschicksals. In dem Zusammentreffen der beiden Kugeln sprach der große Geist, – zu mir und zu dir.“

Robert fand die Erscheinung des seltsamen Mannes von Augenblick zu Augenblick anziehender. Obgleich seiner Gesichtsbildung nach ein Weißer, war er doch so braun wie die Indianer des hier heimischen Comanchenstammes. Robert mußte an Unkas, den letzten Mohikaner denken, an Lederstrumpf und viele andere Namen, die er aus Büchern kannte, als er den hochgewachsenen Mann vor sich stehen sah.

„Wie meint Ihr das?“ fragte er. „Sollte der kleine Vorfall seine tiefere Bedeutung haben können?“

Der Pelzjäger streckte die Hand aus. „Wer kann in die Zukunft sehen?“ erwiderte er ernst. „Der große Geist redet, und seine Kinder horchen. Vielleicht kommt die Stunde, in der du meiner bedarfst, – oder ich deiner, – je nachdem. Der ›Jaguar‹ wird kommen, sobald du ihn rufst, er wird an jedem Abend auf dein Zeichen achten und an jedem Morgen die Wolken nach ihrer Sendung fragen.“

Roberts Spannung wuchs mehr und mehr. „Aber Ihr wißt nicht, wer ich bin, nicht wo ich wohne“, sagte er.

Der Trapper deutete mit der Rechten in die Gegend des Minenlagers. „Du wohnst in dem Talgrunde, den die Weißen Lenchi nennen“, antwortete er, „und du suchst in den Eingeweiden der Erde die gelben Körner, für die ihr eure Seelen verkauft. Der Jaguar kennt deinen Namen nicht, aber er wird dich finden, wenn ihm der große Geist befiehlt, deinen Wigwam zu suchen.“

Robert nannte seinen Namen und fragte dann, ob die Bezeichnung „Jaguar“ nur Scherz sei, oder ob der Trapper wirklich so heiße. „Seid Ihr denn nicht ein Weißer wie ich?“ fügte er hinzu.

Eine Pause folgte dieser Frage. Man sah, daß der Pelzjäger nur ungern antwortete. „Der große Geist liebt seine weißen und roten Kinder mit gleicher Stärke und gleicher Treue“, erwiderte er dann. „Der Jaguar ist der Bruder der Comanchen.“

Robert erkannte, daß er nicht weiter fragen dürfe. Mochte sich hinter dem seltsamen Namen des Fremdlings vielleicht ein anderer verbergen, den er einst als Kind in christlicher Taufe erhalten hatte – heute war der sonnenbraune Mann ein Gefährte und Freund der Indianer, heute sprach er vom großen Geist, anstatt von Gott, aber er fürchtete und verehrte die Gesetze dieses ewigen Vaters, und dadurch wurde der Unterschied ausgeglichen.

„Meine Brüder wollen vor Nacht zurück in die Stadt der Weißen?“ fuhr er fort. „Es sind fünf Stunden bis dahin, und der Bär ist eine schwere Last.“

Robert dachte jetzt wieder an das erlegte Tier, das unter Mongos Händen inzwischen sein schönes, wolliges Fell hergegeben hatte. Der Neger schnitt die Keulen heraus, während das übrige als ungenießbar den Coyotes überlassen wurde. Er trocknete gerade an einigen breiten Blättern das Messer, als ihn Robert anredete. „Soll ich dir helfen, Alter?“

Mongo lächelte gutmütig. „Jetzt nicht mehr, mein Guter“, sagte er mit freundlichem Spott. „Aber schleppen mußt du, daß dir der Buckel kracht.“

Robert lachte. „Ein hübscher Trost für den weiten Marsch“, antwortete er.

Der Jaguar legte die Fingerspitzen auf seine Schultern. „Kennt mein weißer Bruder den Weg über den Brown-Creek?“ fragte er.

Mongo und Robert verneinten. „Dann würden wir dem Minenlager um ein großes Stück näher sein“, erwiderte der Neger. „Aber von Lenchi aus ist kein Übergang zu entdecken.“

Der Pelzjäger deutete mit der Rechten nach Norden. „Ich kenne die Stelle, wo der Brown-Creek so schmal ist, daß er durchwatet werden kann“, sagte er. „Wenn mir meine Brüder folgen wollen, so werde ich vorangehen.“

„Das nehmen wir gern an!“, rief der Neger erfreut. „Einige Stunden weniger ist für alte Knochen ein äußerst angenehmes Geschenk.“

Auch Robert erklärte sich einverstanden, und nachdem der Trapper schweigend einen Teil des fortzuschaffenden Fleisches auf seine Schultern geladen hatte, machten sich die drei Männer in der Abenddämmerung auf den Weg. Es war für die beiden Freunde ein eigentümliches Gefühl, sich so in der pfadlosen Wildnis dem völlig unbekannten Führer gewissermaßen mit gebundenen Händen wehrlos zu überliefern. Wenn er sie vielleicht in einen Hinterhalt locken oder den Comanchen als Gefangene zuführen wollte?

Aber nein, dieser Mann konnte keinen Verrat begehen. Robert verwarf den Gedanken ebenso schnell, wie er gekommen war. Allerdings bewachte er fast unausgesetzt jede Bewegung des Pelzjägers, ohne jedoch wirklichen Argwohn zu spüren, da Mongo, der gründliche Menschenkenner, so vollkommen ruhig schien.

Allmählich begann er wieder auf die Umgebung zu achten. Die wundervolle Ruhe der Frühlingsnacht, das leise Spiel der windbewegten Zweige auf den von hellem Mondlicht überfluteten Lichtungen, der schwere Flügelschlag vorüberhuschender Nachtvögel, das eilige Rascheln aufgescheuchter kleiner Tiere im Laub, alles das nahm ihn mehr und mehr gefangen.

Auf freien Flächen, wo sich die Schatten in scharf begrenzten. Umrissen abzeichneten, schien der Pelzjäger mit seiner spitzen, reichverbrämten Kopfbedeckung, mit der hohen Gestalt und dem eng anliegenden Anzug ein vorweltlicher Riese zu sein, wie ihn uns die Märchendichter malen. Er ging mit leichten Schritten schweigsam und aufrecht durch die Wildnis voran, bis endlich nach mehrstündigem Marsch das Ufer des Brown-Creek erreicht war. Nach kurzer Wanderung am Fluß entlang traf man auf ein dichtes Gebüsch, das sich fast bis auf den Wasserspiegel herabneigte. Zugleich schienen Felsen den Wasserlauf zu hemmen; eine graue, steile Wand schob sich neben dem Gebüsch in den Fluß hinein, und das Plätschern der Wellen war verschwunden.

Der Trapper stand still und suchte mit den Augen eine bestimmte Stelle der Felswand. „Hier ist es“, sagte er. „Meine Brüder mögen mir folgen.“

Es war eine enge, gewundene Felsspalte, die sich bald darauf zu einem Gewölbe öffnete, durch die der Pelzjäger seine neuen Freunde führte. Nach wenigen Schritten in tiefer, grabesähnlicher Finsternis schien plötzlich von oben herab der Mond wieder auf den Weg. Von rechts her fiel das Wasser langsam sickernd durch einen engen Kanal in seinen für eine kurze Strecke unterbrochenen Lauf zurück, während sich auf der linken Seite ein ähnlicher Abfluß öffnete. Das Wasser war innerhalb dieser natürlichen Höhlung kaum anderthalb Meter tief, so daß es leicht und ohne alle Gefahr durchwatet werden konnte.

Auf der entgegengesetzten Seite mußte ein ziemlich steiler Abhang erklettert werden, und dann war die bekannte Umgebung von Lenchi erreicht. Noch eine Stunde Marsch stand den beiden Goldsuchern bevor, bis sie sich in Neu-Pinneberg ausruhen konnten.

Der Trapper ließ die Bärenkeule, die er bis jetzt getragen hatte, auf das Moos herabgleiten. „Meine Brüder können von hier aus ohne Führer ihren Wigwam erreichen“, sagte er freundlich. „Der Jaguar wünscht ihnen eine gesegnete Nachtruhe.“

Mongo drückte dankbar seine Hand. „Möchten wir bald in der Lage sein, Euch Euren Freundschaftsdienst vergelten zu können, Jaguar“, erwiderte er, „und möchten wir Euch einmal bei uns als Gast willkommen heißen. Nehmt unseren herzlichsten Dank.“

Der Pelzjäger behielt seine stolze, wenn auch liebenswürdige Haltung. Er richtete auch an Robert den gleichen Abschiedswunsch. „Du und ich, wir sehen uns heute nicht zum letztenmal“, sagte er. „Unser Lebensfaden läuft eine Zeitlang vereint.“

Robert hielt die braune Hand des Trappers. „Wann kommst du uns besuchen?“ fragte er.

Der Jaguar deutete mit erhobenem Arm zum Himmel. „Sieh die Wolken“, sagte er, „sie sind die Propheten und Sendboten des großen Geistes. Von Lenchi nach den Jagdgründen der Comanchen ziehend, immer drei in einer Reihe – siehst du sie?“

Robert hätte nicht lachen können. Er nickte stumm.

„Nun“, fuhr der Pelzjäger fort, „ehe drei Nächte vergehen, wirst du meiner bedürfen. Der große Geist hat gesprochen.“

Fast kalt überlief es den jungen Mann bei diesen Worten. Die Art und Weise des Fremdlings hatte etwas so Seltsames, Pakkendes. Es war unmöglich, das, was der Jaguar mit solcher Bestimmtheit behauptete, als Torheit zu verlachen.

„Versteht es mein weißer Bruder, das Geschrei der Elster nachzuahmen?“ fuhr der Jäger fort. Robert lächelte. Schon als zehnjähriger Junge konnte er die Stimmen vieler ihm bekannter Tiere nachahmen. Statt einer Antwort klang täuschend ähnlich das Krächzen und Kollern der Elster in die Nacht hinaus.

Der Jaguar neigte das Haupt. „An jedem Abend, wenn die Sonne untergeht, findet mich bei dem Übergang des Brown-Creek dein Ruf“, fuhr er fort. „Dreimal in kurzen Pausen ahmst du die Elster nach, und ich verspreche dir, an deine Seite zu treten.“

Robert drückte seine Hand. In mancher Beziehung verriet doch das Wesen des Trappers noch den Weißen. Er gab die Rechte, was kein Indianer tut, und berührte zum Abschied die spitze Mütze.

Robert fühlte sich seltsam berührt. „Ist das, was mir bevorsteht, Gutes oder Böses, Jaguar?“ fragte er beklommen.

Der Pelzjäger blickte wieder zum Himmel empor. Er schien von dem Indianerglauben an die weissagende Kraft der Wolken vollkommen durchdrungen. „Sieh die drei weißen Inseln im blauen, unendlichen Meer“, erwiderte er, – „ein Stern leuchtet hindurch. Er beschützt dein Haupt, er bedeutet dir Segen. Gute Nacht!“ –

Die braune Hand zog sich zurück, der Pelzjäger stand mit kurzem Sprung auf dem natürlichen Wall und war im nächsten Augenblick verschwunden.

Der Nachtwind fuhr über die Stelle, an der er gestanden hatte, im Osten dämmerte schon ein heller Streif, und bis nach Lenchi war es noch weit. Schweigend, beide unter dem Eindruck des eben Erlebten, gingen die beiden Freunde über die wohlbekannten Wege ins Tal hinab. Es wurde nichts mehr gesprochen, nur vor der Tür von Neu-Pinneberg legte Robert die Hand auf Mongos Schulter.

„Laß die Sache vorderhand unter uns bleiben, Alter“, flüsterte er. „Gottlieb denkt sonst womöglich, daß der Jaguar in nächster Nacht mit einer Indianerhorde geritten kommt, um unsere Skalpe zu rauben.“

Mongo lachte. „Du junger Spitzbube“, antwortete er nur, aber Robert wußte, daß er unbedingt auf seine Verschwiegenheit zählen konnte.

Als die beiden das Innere der Hütte betraten, sahen sie den geängstigten Gottlieb, wie er in einer Ecke kauerte und sein Gewehr krampfhaft in beiden Händen hielt. „Mein Gott, wo seid ihr gewesen?“ rief er. „Ich hatte schon Angst, euch hätten wilde Tiere gefressen.“

Robert ließ das Fell und die Keule auf den Fußboden gleiten. „Beinahe hättest du recht gehabt“, lachte er. „Wir bringen aber den Bären mit, anstatt ihm zum Fraß zu dienen.“

Gottlieb sprang auf, wie von einer Feder geschnellt. „Du hast einen Bären – –“

Mehr konnte er nicht hervorbringen. Die Büchse schwankte in seiner Hand wie ein geknickter Halm.

Robert breitete im Mondschein das Fell aus. „Beruhige dich“, sagte er. „Dieser Meister Petz ist nur noch ein Stück Vergangenheit!“ –

Lachend warf er sich auf sein Lager und schlief bald darauf ein.

Am folgenden Morgen ging Gottlieb zum erstenmal wieder mit hinaus an die Arbeit. Obwohl er nur wenig helfen konnte, wurde doch im ganzen mehr geschafft, als während der letzten Wochen, während der er vollständig gefehlt hatte. Der Ertrag war überhaupt ein sehr guter, das Wolltuch blitzte von Gold, und die Stimmung nahm dementsprechend einen erneuten, festlichen Aufschwung. Man arbeitete tapfer, um womöglich das Versäumte wieder einzuholen.

Die Jagdbeute wurde mit lebhaftem Beifall begrüßt und mit blanken Dollars bezahlt, alles schien nach Wunsch zu gehen, und Robert dachte bei sich, daß doch die Prophezeiung des Trappers nur ein Schattenbild, ein Hirngespinst gewesen sein könne. „Wie sollte ich zwischen heute und morgen in die Lage kommen, die Hilfe dieses fremden Mannes in Anspruch nehmen zu müssen?“ fragte er sich. „Es ist fast undenkbar.“

Dennoch aber kamen ihm die Worte des Jaguars nicht mehr aus dem Sinn.

Am dritten Morgen herrschte fast tropische Hitze. Das seltsam unbeständige Klima Kaliforniens schwankt unvermittelt zwischen glühender Hitze und empfindlicher Kälte, und gerade an diesem Tage schien die Luft vollständig stillzustehen. Kein Hauch bewegte die Blätter auf den Bäumen, und kein Vogel sang. Die drei Freunde arbeiteten trotz der glühenden Hitze eifrig weiter, da die Ausbeute gut zu werden versprach. Bei jedem neuen Axtschlag erschienen mehr glitzernde Punkte in dem losgebröckelten Erdreich, immer näher rückte endlich der ersehnte Erfolg.

Am Abend war der erzielte Gewinn größer als jemals zuvor.

Robert und Gottlieb atmeten auf. Endlich schien sich das Glück ihnen zuzuwenden. Endlich fanden die langen, erfolglosen Mühen den schwerverdienten Lohn.

„Noch zwei Monate so wie heute!“ dachte Robert, „und ich habe das Geld, das mir fehlt, um es meinem Vater zurückzuzahlen, ich kann in San Franzisko eine Heuer suchen und in einigen Wochen in Pinneberg sein. O Gott, wenn es gelänge.“

Er saß auf einer Kiste und träumte vom Wiedersehen in der Heimat, – er sah sich in Pinneberg bei seinen Eltern und war glücklich, endlich wieder zu Hause zu sein.

Robert hörte nicht, daß sich draußen der Wind erhob und Wolken von Staub gegen die einzige Scheibe der Hütte warf, daß leise grollend der Donner heraufzog und fahler Schein den westlichen Horizont erleuchtete. Kein Regentropfen kühlte die unerträgliche Hitze, – nur immer stärker rollte es und knatterte und zischte, bis endlich ein furchtbarer Schlag die Luft zerriß.

Robert fuhr auf. Den gelben Blitz hatte er gesehen, ohne daß er sich dessen wirklich bewußt wurde. Jetzt aber zerriß der Traum, – der furchtbare Wetterschlag hatte ihn zerstört.

Robert wollte vor die Hütte treten und sich nach seinen beiden Gefährten umsehen, aber ein solcher Wirbel von Staub quoll ihm entgegen, daß er den Plan fallen lassen mußte. Mongo und Gottlieb würden sicherlich bei diesem Wetter im Wirtshaus Zuflucht gesucht und gefunden haben.

Er setzte sich wieder an seinen früheren Platz, aber der Faden seines schönen Traumes war doch zerrissen. Im Gegenteil, er fürchtete jetzt nur, der Grund der Waschrinnen könnte morgen so durchweicht sein, daß sich nicht arbeiten ließ.

Robert lächelte. „Ich gerate in Gottliebs Fahrwasser!“ dachte er.

Und während sein Blick die vorüberwirbelnden, völlig undurchsichtigen Staublawinen mit einiger Sorge beobachtete, erscholl plötzlich auf der Straße ein Ruf, der ihm das Blut in den Adern erstarren ließ.

Er sprang auf, er horchte voll Angst, – vielleicht, vielleicht hatte ihn ja sein Ohr getäuscht, vielleicht war das Schreckliche nur ein Irrtum!

Aber schon nach wenigen Augenblicken mußte er erkennen, daß er durchaus richtig gehört hatte. Noch einmal, noch zehnmal, hundertfach wiederholte sich der Schreckensruf in dem tosenden Unwetter.

„Feuer! – Feuer! –“

Die Stadt aus Holz und geteertem Segeltuch brannte. Der Wirbelwind trug die Funken wie einen glühenden Regen über die Dächer weiter.

Es gab nur einen einzigen Wasserlauf in der Nähe, man hatte keine Feuerspritze, keine Leitern, keine Noteimer, man rannte in plötzlicher Angst kopflos hin und her, während der Himmel schwarz und bleigrau in tiefen Wolken herabhing, ohne daß auch nur ein einziger Regentropfen fiel, – während die gefräßigen Flammen mit tausend roten Zungen an den ausgedörrten Holzwänden emporleckten, und in rasender Schnelle wachsend bald zum Glutmeer wurden, in dessen Nähe sich nichts Lebendes mehr wagen durfte.

Robert stürzte jetzt hinaus auf die Straße. Alles wirbelte ihm entgegen. Schreiende Frauen und Kinder, Männer, die ratlos dies und das vorschlugen, ohne aufeinander zu hören, ohne vielleicht selbst zu wissen, was sie sprachen.

Daß es tatsächlich keine Rettung gab, sah im Grunde jeder.

Und immer heißer wurde die Luft. Brennende Holzstücke und Stoffetzen schleuderte der Sturm auf entfernte Dächer, an zehn Stellen loderte es empor, blutrote Gluten färbten den Himmel.

Mongo und Gottlieb stürzten durch den dichten Rauch herbei; wie ein Verzweifelter warf sich der junge Pinneberger auf die Kiste, die sein ganzes Hab und Gut enthielt. „Meine Eltern“, schluchzte er, „o meine unglücklichen Eltern! Ich werde sie nie wieder aus dem Armenhause erlösen können!“

Und halb sinnlos vor Schmerz schlug er mit der Stirn gegen die harte Kiste. Sein Weinen klang herzzerreißend.

„Mongo“, fragte Robert verstört, „ob wohl das Feuer bis hierher kommt?“

Der Neger fuhr sich seufzend durch das weiße Haar. „Es ist ein Unglück, Bob“, erwiderte er, „aber wir müssen es eben wie Männer ertragen. In zehn Minuten brennt unser Haus, – in zehn Minuten sind wir Bettler, denn auch die Waschrinne wird dermaßen verschüttet werden, daß wochenlange Arbeit notwendig ist, um sie wieder gebrauchsfähig zu machen.“

„Um Gottes willen! – Und das in einem Augenblick, als ich glaubte und hoffte, daß nun eine neue und bessere Zeit anbrechen werde.“

Der Alte streichelte Roberts blasses Gesicht. „Du weißt ja nicht, wozu dieser neue schwere Schlag gut ist, mein Junge“, tröstete er. „Auch dies Unglück ist von Gott gesandt, obwohl es so aussieht, als hätte sich das Glück gegen uns verschworen. Komm, Bob, warst ja in schlimmeren Stunden ein ganzer Mann, sei es also auch heute. Hilf mir, unsere Decken und unser Arbeitsgerät zu bergen.“

Robert fuhr auf. „Du hast recht, Alter“, sagte er. „Wir wollen nie verzweifeln. Laß uns tun, was irgend möglich ist.“

Der Neger sah zu der brennenden Siedlung hinüber. Nur noch fünf Häuser standen zwischen Neu-Pinneberg und dem zischenden, knisternden Flammenmeer. „Schnell!“ rief er. „Da fliegen schon die ganzen brennenden Wollhemden und Jacken aus Samuel Ekiwas Laden auf unser Dach. Arme Hütte, du hattest trotz des schönen Richtspruchs kein Glück.“

Er ging rasch hinein, und Robert folgte ihm. Gottlieb lag noch regungslos mit dem Gesicht auf der Holzkiste.

„Komm, Freund“, drängte Mongo, ihn an der Schulter rüttelnd. „Komm, es ist höchste Zeit, oder du läufst Gefahr zu ersticken.“

Gottlieb antwortete nicht, erst als auch Robert ihm zuzureden versuchte, schüttelte er stöhnend den Kopf. „Laßt mich, – laßt mich, ich will nicht gerettet werden. Was nützt mir das Leben, wenn ich ein Bettler bin?“

Aber Mongo verstand die Sache anders. Als der verzweifelte junge Mensch in seine vorige Lage zurücksinken wollte, ergriff er ihn und stellte ihn mehr kräftig als sanft auf die Füße. „Bitte deinen Herrgott um Verzeihung, Bursche“, sagte er streng, „und da, diese Decken trage hinaus! Beeile dich, das Feuer ist dir hart auf den Fersen.“

Er selbst und Robert ergriffen inzwischen die wenigen Einrichtungsgegenstände, die in Neu-Pinneberg überhaupt vorhanden waren, Gottlieb wurde ohne weiteres gezwungen, mit anzupacken, und als bald darauf die Flammen das kleine Gebäude erfaßten, da war es wenigstens leer. Das Hab und Gut der unglücklichen Goldwäscher lag in einiger Entfernung von der Brandstätte auf einem Haufen, während die Menschen stumm zusahen, wie ihre Häuser krachend einstürzten und in einer jähen, plötzlich aufwirbelnden Lohe in sich zusammensanken.

Nach zwei Stunden hatte das verheerende Feuer die ganze Stadt zerstört. Dumpfe Verzweiflung lastete auf den Menschen, unheimliche Stille lag über der ganzen Stätte der Vernichtung.

Gegen Morgen fiel der Regen in Strömen herab. Was in Lenchi atmete, wurde bis auf die Haut durchnäßt, kein Feuer konnte entzündet werden, die Lebensmittel waren verbrannt und das schlimmste, die Waschrinnen, wie Mongo vorausgesagt hatte, vollständig verschüttet. Das Stampfen und Flüchten der Tiere, die eiligen Fußtritte der Menschen, hatten hier und da die Erde in den künstlichen Kanal zurückgeworfen, Trümmer aller Art waren hineingefallen, Asche und Stroh bildeten große Haufen. So mußte sich das Wasser, das die Goldwäscher künstlich abgeleitet hatten, jetzt, nachdem ihm der Weg versperrt war, eine andere Bahn suchen. Allmählich überflutete es alle Straßen der verbrannten Stadt, wohin die Menschen traten, da versanken ihre Füße im Schlamm, und als endlich hinter den dichten Regenwolken die Sonne erschien, beleuchtete sie ein Bild furchtbarer Verwüstung.

Die drei Freunde saßen nebeneinander auf einem Baumstamm, den Mongo kürzlich von Ästen und Zweigen befreit hatte, um ihn als Heizungsmaterial zu verwenden. Der Regen fiel plätschernd auf ihre Köpfe herab, die Füße standen im Wasser, und die Hände lagen untätig im Schoß.

Heute war auch Robert mutlos. „Man hat keine Wohnung, nichts zu essen, und was das Schlimmste ist, keine Arbeit.“

„Um so mehr muß man sich bemühen, den Kopf oben zu behalten, Bob.“

Robert hob beide Hände empor. An seinen vollständig durchnäßten Kleidern liefen die Tropfen überall herab. „Aber was sollen wir anfangen?“ fragte er ganz hoffnungslos. „Es ist ja alles verloren.“

Mongo sah ihm bedeutsam ins Auge. „Und das sagst du, Bob?“

Robert errötete. Zwar hatte er sich während der langen, schrecklichen Nacht mehr als einmal unwillkürlich der sonderbaren Andeutungen des Pelzjägers erinnert, aber immer noch konnte er die Sache nicht ernst nehmen. „Und wenn ich hinginge“, dachte er, „wenn ich die Hilfe des Jaguars in Anspruch nähme, – was könnte es mir nützen?“

„Laß uns erst einmal sehen, ob nicht an irgendeiner Stelle Kaffee gekocht wird“, schlug der Neger vor. „Einige von den Goldwäschern hatten ja Petroleumöfen.“

Gottlieb drückte mit kläglicher Miene das Wasser aus seiner Mütze. „Es gibt hier ja kein Dach mehr!“ ächzte er.

Das klang doch so komisch, daß die beiden andern trotz der Schwere des Augenblicks laut lachen mußten. „Komm, Bob“, rief Mongo, „wo war es schlimmer, hier unter Menschen, wo die Luft warm ist, wo es Trinkwasser gibt, oder – am Eismeer, in der Felsenwüste ohne Baum und Strauch, ohne eine Quelle, ohne Wild, ganz allein und verlassen! – Sag, mein Junge, wo war es schlimmer?“

Robert nickte. „Dort, Alter“, antwortete er, „sicherlich dort.“ Wenn wir aber bei alledem nur erst einmal einen Zufluchtsort gefunden hätten, und wenn der entsetzliche Regen aufhören wollte. Das Geschirr rostet, die Gewehrmunition wird unbrauchbar und Lebensmittel werden auch kaum noch zu bekommen sein.

Gottlieb deutete mit einer leichten Neigung des Kopfes zur Seite. „Dort stolpert Samuel Ekiwa heran!“ sagte er. „Was mag der wollen?“

Wirklich kam der kleine Händler über die Schutthaufen und Wassertümpel dahergehüpft wie eine Bachstelze. Auch er troff von oben bis unten, aber das listige Gesicht zeigte keineswegs Trübsal oder Verzweiflung. Schon von weitem begrüßte er die drei.

„Nichts gerettet?“ rief er, sich umsehend. „Alles verbrannt? – Mit Erlaubnis!“

Und dann setzte er sich auf das Ende des Baumstammes, wollte in gewohnter Weise die Stirn mit dem Taschentuch trocknen, fand es aber noch bedeutend durchnäßter als sein Gesicht selbst, und steckte das Tuch, nachdem er es ausgerungen hatte, wieder ein. „Was werden die Herren jetzt zunächst beginnen?“ fragte er.

„Schon ein Plänchen fertig?“

„Haben Sie etwa einen Vorschlag, Mr. Ekiwa?“ erwiderte Robert.

„Vielleicht!“ schmunzelte der kleine Mann. „Vielleicht! Zwei machen ein Paar, wie Sie wissen, meine Herren!“

„Gut, versuchen wir also, ob es uns gelingt, eine Einigung zu finden.“

Der Händler blinzelte vertraulich. „Zunächst müssen Sie bauen!“ sagte er. „Aber es ist in Lenchi kein einziges Brett aufzutreiben, es kann Ihnen niemand helfen, da jeder für sich selbst genug zu tun hat. Was denken Sie also anzufangen?“

Robert zuckte die Achseln. „Es ist bald Sommer, wir können ja zunächst ein Zelt aufschlagen“, meinte er.

„Well, Sir, well, sehr richtig. Dachte ganz das Gleiche. Habe einen hübschen Posten geteertes Segeltuch, ebenso Schießbedarf und Kleidungsstücke, alles was Sie wünschen, was zur neuen Einrichtung erforderlich ist. Wirklich, Sir, ich greife ihnen nach Kräften unter die Arme, meine es mit Ihnen und den beiden anderen Herren wie ein Bruder, können Sie glauben. So viele Abnehmer für die Ware! – Puh, so viele wie Sand am Meer, aber hierher komme ich zuerst, wahrhaftig. Sie müssen schon in der nächsten Nacht wieder unter Dach und Fach schlafen.“

Er nickte bei jedem seiner Worte, und die Regentropfen rannen an seiner langen Nase regelmäßig wie exerzierende Soldaten nacheinander herab. „Schlagen Sie ein, Sir“, sagte er. „Außer mir besitzt niemand hier in Lenchi das, was Ihnen fehlt.“

„Aber wie haben Sie das alles vor dem Feuer schützen können, Mr. Ekiwa?“

Der Händler schmunzelte. „Eiserne Kisten, Sir, Sicherheitsschlösser, teure Ware, teure Fracht. Aber was tut man nicht, um andern gefällig zu sein, was muß man nicht wagen, um mit Ehren durch die Welt zu kommen!“

Hier streckte Gottlieb die Hand aus. „Mr. Ekiwa“, sagte er, „welche Preise machen Sie in diesem Augenblick für Zeltleinen und Gewehrmunition?“

Der Händler zuckte die Achseln. „Teurer als gewöhnlich wird es werden, Sir.“

„Das ist begreiflich. Aber wieviel teurer, Mr. Ekiwa?“

„Hm, ich gebe Ihnen das notwendigste Zelttuch und Bindgarn, für jeden einen neuen Anzug, ein paar Hemden und Strümpfe, Schießbedarf, Seife, kurz alles, was Sie im Augenblick brauchen, ich sorge für die Herren wie ein Bruder, bewillige sechs Monate Frist und verlange für diese Hilfe nur einen Wechsel über tausend Dollar, von jedem von Ihnen unterschrieben.“

Gottlieb sprang wie außer sich auf seine Füße. „Das dachte ich mir!“ rief er in höchster Entrüstung, „das wußte ich im voraus. Herr, Sie sind ein – –“

Mongos Hand legte sich ermahnend auf seine Schulter. „Still, Gottlieb, nicht grob werden, mein Junge. Man sagt leicht ein Wort zuviel, wie du weißt.“

Der Händler nickte wie eine chinesische Pagode. „Mag überhaupt mit diesem Herrn nichts zu tun haben“, rief er. „Halte ihn für einen ganz unerfahrenen Burschen, der besser zu Hause geblieben wäre, um sich hinter seiner Mutter zu verstecken und sich von ihr mit Zwiebackbrei füttern zu lassen! – Mr. Kroll, was sagen Sie zu meinem Plan?“

Robert erhob sich etwas heftig von seinem Sitz. „Daß ich genau so denke, wie mein Freund!“ erwiderte er. „Ich unterschreibe keinen Wechsel, der mir die Kehle zuschnürt. Zweihundert Dollar, mehr darf das neue Zelt nicht kosten.“

„Keinen Cent mehr!“ rief Gottlieb. „Schon das ist ein Sündengeld.“

Der Händler zeigte durch allerhand Gesten seine unverhohlene Nichtachtung. „So schlafen Sie unter freiem Himmel“, rief er, „gehen Sie zu Grunde, wie und wann Sie wollen. Mich kümmert's nicht, von mir bekommen Sie keinen Fetzen Segeltuch.“

Und ohne Gruß und Abschied davonstürzend, ließ er die drei Freunde in noch größerer Ratlosigkeit zurück.

„Was nun?“ fragte Robert.

Gottlieb war vollständig in Zorn geraten. „Einerlei!“ rief er. „Lieber sterben, als solche Bedingungen unterschreiben.“

Mongo hob die Hand. „Kinder“, schaltete er ein, „so schlimm wird es ja nicht gleich werden. Pulver und Blei sind geborgen. Ich habe beides in eine Blechkapsel geschüttet und vor dem Regen mit einem großen Brett geschützt. Wir können also zu jeder Zeit einen Braten schießen, – das ist schon etwas, meine ich.“

Robert nickte. „Wenn nur nicht unsere Waschrinne verschüttet wäre!“ seufzte er.

Mongo sah zu den grauen Wolken empor. „Der Regen scheint noch nicht aufhören zu wollen, Bob“, sagte er. „Wir müssen uns erkundigen, was die andern vorhaben, müssen uns hier nicht so absondern und uns die Sache immer schwerer vorstellen. Kommt nur, Kinder, kommt, wir sprechen erst einmal mit unseren Bekannten.“

Er ging voran, und die beiden andern folgten ihm. Der Anblick all dieser zerstörten Wohnstätten, dieser Trümmer und verkohlten Balken, über die das Wasser von oben und unten dahinrauschte, war schrecklich. Jammernde, weinende Frauen saßen an der Stelle, auf der noch bis vor kurzem ihre Häuser gestanden hatten. Sie schienen sich von diesem Fleck Erde, obwohl er sich von der trostlosen Umgebung in nichts mehr unterschied, doch immer noch nicht trennen zu können, sondern hielten krampfhaft ihre kleinen, erschreckten Kinder in den Armen und schluchzten nur um so heftiger, je eindringlicher die Männer sie zu trösten versuchten.

Aber auch andere Bilder boten sich unseren Freunden. Aus den verschiedenen Wirtschaften und Vergnügungslokalen hatte man beim Ausbruch des Feuers natürlich zuerst das Wertvollste, die Branntwein fässer gerettet, und jetzt wurde auf offener Straße das Geschäft fortgesetzt. Schon zu dieser frühen Stunde sah man Betrunkene dahertaumeln, sah man ganze Gruppen von Goldwäschern, wie sie sich auf den Trümmern ihrer Häuser gelagert hatten und rohe Gassenhauer absangen oder sich je nach Laune die Köpfe blutig schlugen.

Was noch nüchtern war, das schien allen Mut verloren zu haben. Einzelne drückten Roberts Hand oder sprachen ein paar Worte des Bedauerns, der eigenen Ratlosigkeit, andere erklärten, daß sie den vorrätigen Goldstaub verkaufen und so schnell wie möglich nach einer neuen Minenstadt aufbrechen wollten. „Hier in Lenchi mußte man ohnehin schon auf alle Annehmlichkeiten des Lebens verzichten“, meinte der Zimmermann, „es gab kein Theater, keine Bücher, keine Zeitungen, ja, nicht einmal Straßenbeleuchtung, und trotzdem war alles brandteuer. Und wie wird es jetzt erst werden, wo Monate dazu gehören, bis Bretter herbeigeschafft sind, um nur wenigstens wieder feste Wände um sich herum zu fühlen? Ich bleibe nicht, Mr. Kroll! – Wollen Sie mit mir gehen?“

„Noch weiter in die Wildnis hinein?“

„Etwa hundert Meilen, ja.“

Robert schüttelte den Kopf. „Das muß ich mir wirklich erst überlegen“, antwortete er.

Und dann wanderten die drei weiter, um nach Lebensmitteln Ausschau zu halten. Der Lehmofen des einzigen Bäckers in der Stadt hatte natürlich von den Flammen nicht erfaßt werden können, daher dampfte hier ein tüchtiger Kaffeekessel, und das warme Gebäck lud zum Essen ein. Aber alle Preise waren über Nacht auf das doppelte gestiegen: die Tasse Kaffee kostete heute einen halben Dollar und ein Brötchen nicht viel weniger. Sich mit dem gesunden Appetit der Jugend sattessen, hieß sich arm machen.

In einer Gruppe sprachen mehrere Männer von dem, was jetzt zuerst angefangen werden müsse. Die nötigen Arbeiten zur Wiederherstellung der Waschrinne konnten etwa acht Tage kosten, aber während dieser verdienstlosen Zeit mußte man leben und würde dadurch in drückende Schulden geraten. Was war zu machen, – es gab keinen anderen Ausweg.

Dabei regnete es unaufhörlich, und viele der arbeitsfähigen Männer waren betrunken. Durchnäßt, von Ruß und Asche geschwärzt, vom Alkohol gerötet, mit verworrenem Haar, meistens ohne Kopfbedeckung, sahen sie aus wie böse Geister, die der Unterwelt entstiegen waren und auf Trümmern und Brandstätten ihr Wesen trieben. –

Robert versuchte, sie zu ernüchtern, zu einem gemeinsamen tatkräftigen Vorgehen aufzurütteln, aber ganz vergeblich. Sie verstanden ihn entweder gar nicht, oder sie lachten ihm offen ins Gesicht.

Entmutigt gab er die Sache auf. Wenn nicht ein paar hundert Hände Zugriffen, um die Waschrinne, die jetzt schon vollständig einem reißenden Gebirgsbach glich, wieder in ihren früheren Zustand zurückzuversetzen, so blieb alle Arbeit und Mühe des Einzelnen vollständig fruchtlos. Die umhertaumelnden Betrunkenen machten es den wenigen Besonnenen geradezu unmöglich, irgend etwas zur Verbesserung der gemeinsamen Lage zu unternehmen.

Robert knirschte vor Zorn. „Mongo“, sagte er, „jetzt erst durchschaue ich den Spitzbubenplan des Händlers. Er wollte uns zur Annahme seines Vorschlages drängen, bevor wir wußten, wie schwer es sein würde, die Waschrinne wieder instandzusetzen. Ich glaube, es ist das beste, wir schließen uns denen an, die von hier fortziehen.“

Der Neger wiegte den Kopf. „Willst du nicht erst einmal heute abend hinausgehen zum Brown-Creek?“ fragte er.

Robert war noch nicht entschlossen, ob er diesen Versuch machen sollte. „Mongo“, fragte er, „denkst du im Ernst daran?“

Der Alte zuckte die Achseln. „Das wäre zuviel gesagt, Bob, aber – ich an deiner Stelle würde den Versuch machen.“

Robert nickte. „Gut“, erwiderte er. „Du sollst deinen Willen haben, Alter. Bei Einbruch der Dämmerung bin ich am Übergang des Brown-Creek.“

Gottlieb hatte das ganze Gespräch mit angehört, ohne es zu verstehen. Jetzt wurde er neugierig. „Wohin willst du gehen, Robert?“ fragte er.

Der lachte. „Mongo“, rief er, „jetzt muß der Fuchs zum Loch heraus. Erzähle du die sonderbare Geschichte, Alter.“

Aber das war keineswegs eine leichte Aufgabe. Was Robert vorausgesehen hatte, trat sofort ein. Gottlieb bemühte sich mit allen Kräften, die Sache zu vereiteln. „Die bekannte Kriegslist der Indianer“, rief er, „du bist verloren, wenn du hingehst. Der Bösewicht skalpiert uns, um unter seinen Genossen mit dem Sieg über einen Weißen zu prahlen.“

Mongo fuhr ihm etwas ärgerlich dazwischen. „Du brauchst ja nicht mitzugehen“, brummte er.

„Aber das will ich doch unter allen Umständen“, rief lebhaft der sonst so schüchterne junge Mensch. „Robert ist hierher mitgegangen, um mich zu beschützen, es versteht sich also von selbst, daß ich mich jetzt an seine Seite stelle. Mich wird nichts zurückhalten, meiner Überzeugung zu folgen.“

Robert drückte die Hand seines ehemaligen Schulkameraden. „Ich danke dir, Gottlieb“, sagte er herzlich. „Du kannst getrost mit hinausgehen an die verabredete Stelle; der Pelzjäger führt nichts Böses im Schilde, dessen bin ich vollkommen sicher.“

Gottlieb schüttelte den Kopf. „Ich durchaus nicht“, seufzte er. „Die Comanchen wissen natürlich schon von dem Unglück, das Lenchi betroffen hat, sie kommen in hellen Haufen herangezogen und wollen plündern, morden und von allem, was gerettet wurde, Besitz nehmen. Der geheimnisvolle Pelzjäger ist ihr Kundschafter, weiter nichts.“

„Und du bist bei all deiner Liebenswürdigkeit und Treue ein Angsthase, Gottlieb, das nimm mir nicht übel, du siehst Gespenster am hellen Tage. Was würdest du sagen, wenn der Jaguar auch dich mit größter Freundlichkeit begrüßte?“

„Er soll mich möglichst gar nicht sehen“, gestand Gottlieb. „Ich verstecke mich, solange du mit ihm verhandelst, und bei der ersten verdächtigen Bewegung schieße ich ihn nieder, das ist alles.“

„Alle Achtung, wie tapfer! Aber ich bitte dich um Himmels willen, den Feldzug nicht eher zu eröffnen, bis du von mir dazu aufgefordert wirst.“

Mongo lachte. „Eben wollte ich dieselbe Bedingung stellen“, fügte er hinzu. „Denn daß auch ich mitgehen werde, hast du doch niemals bezweifelt, Bob!“

„Niemals!“ bestätigte Robert.

Und so machten sie die drei, nachdem sie noch für den Rest ihres Goldstaubes ein schmales und schlechtes Mahl eingenommen hatten, frühzeitig auf den Weg, um mit Beginn der Dämmerung am Brown-Creek zu sein.

Die Sonne war hinter den Regenwolken verschwunden, die nassen Zweige schlugen im Abendwind aneinander, und ringsumher war alles still. Nur eine Antilopenherde jagte über die Ebene, und ein paar aufgescheuchte Raben flatterten aus den nächsten Büschen.

Mongo legte die Hand auf Roberts Arm. „Du, wir wollen uns in nächster Nähe ein Versteck suchen, Gottlieb und ich“, flüsterte er. „Wozu den Jäger durch Mißtrauen beleidigen?“

Robert nickte. „Das finde ich auch, Alter. Ist es nicht seltsam – gerade heute, nach drei Tagen, muß ich den Trapper aufsuchen!“

Der Neger sah sich um. „Schau her“, sagte er, „in diesem dichten Gebüsch wollen wir bleiben, so daß uns der Jaguar nicht entdecken kann, während wir jedoch imstande sind, alles zu überblicken. Nur mußt du dich nicht überreden lassen, auf die andere Seite des Flusses zu gehen. Ohne Führer finden wir uns niemals durch das Steingewirr.“

Robert nickte. „All right, Mongo. Ich bin allerdings überzeugt, daß der Jaguar ein Freund ist.“

„Ich auch, Bob. Aber Vorsicht kann niemals schaden. Und jetzt, Gott befohlen! Mach, daß du auf deinen Posten kommst.“

Gottlieb drängte sich vor. „Robert – ich will bei dir bleiben“, bat er. „Ich kann dich nicht so allein lassen.“

Robert schob ihn mit sanfter Gewalt zurück. „Ich rufe dich, wenn ich in Gefahr kommen sollte, Gottlieb, ich rechne fest auf deine Wachsamkeit“, sagte er, „aber jetzt muß ich allein gehen. Was sollte der Jaguar von mir denken, wenn ich es nicht gewagt hätte, ohne Begleitung zu kommen?“

Der andere seufzte. „Du bist zu unvorsichtig“, antwortete er, zog sich dann aber doch an Mongos Seite in das Gebüsch zurück.

„Wenn es nun dunkel wird, bevor der Wilde kommt“, raunte er, „und wenn wir den armen Robert nicht mehr sehen können, was dann?“

„Und wenn nun der Jüngste Tag in diesem Augenblick hereinbricht, Gottlieb, wenn ein Erdbeben kommen sollte, was dann?“

Der eingeschüchterte Gottlieb wagte kein weiteres Wort. Mongo war nicht besonders geduldig, das wußte er schon aus Erfahrung. Es gab sofort eine tüchtige Lehre, wenn er einmal allzuviel Angst zeigte.

Im Gebüsch wurde also alles still, nur der Wind rauschte in den Zweigen.

Robert ging mit leichten Schritten bis an die Steinwand, deren Umrisse im Dämmerlicht klar erkennbar dalagen. Er überflog forschend die ganze Umgebung – niemand war in der Nähe; nichts verriet die Gegenwart eines menschlichen Wesens.

Eine Minute später hörten die beiden Versteckten den Ruf der wilden Elster laut hinaustönen in den dämmernden Abend. Nach kurzen Pausen folgte der zweite und der dritte Schrei.

„Jetzt müssen wir genau achtgeben“, flüsterte Gottlieb. „Wenn sich mehrere Indianer zeigen, dann müssen wir – –“

Er unterbrach seinen Satz durch ein leises „Ach, da ist er schon! – Mongo, sieh, ein wahrer Riese, aber doch nur einer!“

Und wirklich war der Trapper schon im nächsten Augenblick erschienen. Er stand auf dem steinernen Vorsprung wie der Geist des Gebirges, wie ein überirdisches Wesen. Die spitze Mütze warf ihren Schatten, und die ganze hohe Gestalt glich einer Marmorstatue.

„Der Jaguar grüßt dich!“ sagte die tiefe, klangreine Stimme. „Er hat seinen Freund an dieser Stelle und zu dieser Stunde erwartet.“

Robert drückte herzlich die Hand des Jägers, der inzwischen von der Steinwand herabgesprungen war. „Du weißt also schon, welches Unglück mich und ganz Lenchi betroffen hat, Jaguar?“ fragte er.

Der Jäger zeigte nach der Gegend des verbrannten Minenlagers hinüber. „Der Jaguar sah die roten Feuergarben, welche den drei weißen Wolken nachzogen“, erwiderte er. „Der Große Geist hat gesprochen, und seine Söhne werden gehorchen.“

Roberts Hoffnung begann sich wieder zu beleben. Der Jäger sprach mit so überzeugender Sicherheit, daß es wirklich schien, als wisse er einen Ausweg aus dieser Notlage. Robert legte bittend die Hand auf seine Schulter. „Jaguar“, sagte er, „kannst du mir helfen und willst du es? – Ich würde dir ewig dankbar sein.“

Der Trapper lächelte unmerklich. „Ist mein junger Freund in diesem Augenblick mehr geneigt, an die Macht des Großen Geistes zu glauben?“ fragte er halblaut.

Robert errötete etwas. „Das tat ich wohl immer, Jaguar“, antwortete er. „Aber ich sehe wirklich keinen Weg, wie du mir helfen, könntest. Bitte, sag mir, was hast du vor?“

Der Jäger schüttelte leicht den Kopf. „Das ist nicht so schnell erklärt“, antwortete er, „das ist nicht in zwei Worten gesagt. Außerdem wird unter den Söhnen des roten Volkes niemals anders als am Feuer und nach der Mahlzeit Rat gehalten. Rufe deine Freunde, damit sie im Lager des Jaguars mit ihm Salz essen und die Friedenspfeife rauchen.“

Dunkle Glut schoß über Roberts offenes Gesicht. „Meine Freunde?“ wiederholte er. „Was willst du damit sagen, Jaguar?“

Der Jäger sah ihm fest ins Auge. „Redest du mit gespaltener Zunge?“ fragte er in leise mahnendem Ton.

Robert fühlte sich beschämt. „Nein, wirklich nicht, Jaguar“, sagte er fest. „Du sollst mich nicht umsonst an das, was ich dir und mir schuldig bin, erinnert haben.“

„Mongo!“ rief er dann mit lauter Stimme, „Mongo! Gottlieb! Kommt hierher!“

Der Neger kam sofort aus seinem Versteck hervor, und Gottlieb folgte ihm äußerst widerstrebend, hatte aber doch nicht den Mut, allein zurückzubleiben. „Du, Mongo“, raunte er, während er den langen Schritten des Schwarzen nachzukommen suchte, „das klang nicht wie ein Hilferuf.“

„Weshalb denn auch, Junge? Wer denkt denn überhaupt daran?“

„Ja aber,“ verteidigte sich Gottlieb, „was man so im allgemeinen von den Indianern gelesen hat, das –“

„Pst, spare deine Weisheit für ein anderes Mal. Der Jaguar könnte dich hören, und außerdem ist er ein Weißer, wie du selbst, das habe ich dir schon zwanzigmal gesagt.“

„Ich weiß“, flüsterte Gottlieb, „ich weiß, aber der Name –“

„Sei ruhig, hörst du!“

Es blieb aber auch zu weiteren Reden keine Zeit mehr. Mongo begrüßte den Halbindianer mit kräftigem Händeschütteln.

Der Trapper gab auch Gottlieb die Hand. „Ist dieser junge Mann euer Freund?“ fragte er. „Wird er euch begleiten?“

„Wenn wir von hier fortgehen, ja.“

„Nun, so kommt denn. Das Feuer im Lager des Jaguars brennt, das Mahl ist bereit und die Pfeife gestopft. Der Jaguar wußte, daß seine weißen Brüder zu ihm kommen würden, daß er in der Wildnis ihr Führer sein soll und daß ihn der Große Geist gesandt hat, um sie zu beschützen, – er wird tun, wie ihm jener gebot.“

Er stand mit einem Satz auf dem Vorsprung und war im nächsten Augenblick jenseits des Felsens verschwunden. Ohne auch nur rückwärts zu blicken, folgten erst Robert und dann Mongo. Nur Gottlieb zögerte einen Augenblick, doch dann überwand er sich und sprang verzweiflungsmutig den Vorangegangenen nach.

Der Jaguar zog wie in der ersten Nacht seine Begleiter an der Hand durch das gewundene Felsentor und durch das Wasser, bei welcher Gelegenheit sich Gottlieb nicht enthalten konnte, laut aufzuschreien, „Robert! Robert! – Was ist das?“

Der bemühte sich, ernst zu bleiben. „Wir überschreiten den Brown-Creek, Gottlieb“, antwortete er.

„Ach so! – Gott, ich dachte – aber –“

Ein freundschaftlicher Rippenstoß des Negers bewog ihn, seine weiteren Mutmaßungen lieber unter Verschluß zu halten. Der Übergang war auch jetzt vollzogen und die andere Seite des Flusses erreicht, ohne daß sich etwas Verdächtiges gezeigt hätte. Dieselbe Ruhe trat wieder ein, dasselbe Rauschen und Flüstern des Windes in den Zweigen, nur von fern sah man einen Schimmer, als ob dort Feuer zwischen den Bäumen hervorleuchtete. – –

„Robert, Robert, siehst du den roten Schein dort hinten?“

Die unruhige Stimme zitterte so, daß sie Roberts Mitleid erregte. Er preßte heimlich die Hand seines Freundes. „Ich bitte dich, Gottlieb, sei doch vernünftig. Meinst du denn wirklich, daß Mongo und ich mit aller Gemütsruhe ins Verderben hineinlaufen würden?“

„Also du glaubst nicht an Verrat, Robert? Es lauern dort keine Comanchen hinter den Bäumen?“

„Ach, dummes Zeug!“

Der Jaguar schritt während dieser Unterhaltung voran, und schon sehr bald hatte man einen Felsvorsprung erreicht, wo an geschützter Stelle ein Feuer aus mächtigen Holzblöcken emporloderte. Moosbewachsene und von Büffelfellen überdeckte Sitze bildeten den Hintergrund einer Art Höhle, der nur der Tisch fehlte, um ganz behaglich und wohnlich auszusehen. In einer Ecke lag ein geräucherter Bärenschinken, eine am Spieß gebratene Hirschkeule und eine große Anzahl der flachen indianischen Maiskuchen, „Dampers“ genannt, die zwischen zwei heißen Steinen gebacken und warm verzehrt werden.

Eine Flasche und eine eigentümlich geschnitzte Pfeife aus rotem Seifenstein gehörten ebenfalls zur Einrichtung.

Gottlieb sah das alles auf einen Blick. Besonders die Pfeife beruhigte ihn sehr. „Wenn solch ein brauner Heide mit jemandem geraucht hat, dann tut er ihm kein Leid mehr“, dachte er, „das habe ich oft gelesen. – Ach, was würde ich geben, um jetzt in Pinneberg zu sein! Schrecklich, dies Leben zwischen Wilden!“

Er beobachtete mit pochendem Herzen jede Bewegung des Jägers. Nachdem sie Platz genommen und es sich nach Möglichkeit bequem gemacht hatten, entzündete der Jaguar die Pfeife, aus der er unter tiefstem Schweigen einige Züge tat und sie dann dem Neger als ältestem Gast weiterreichte. Von hier ging sie zu Robert und schließlich in Gottliebs Hände, der sie dem Trapper zurückgab.

Nachdem auf diese Weise die allen indianischen Stämmen geheiligte Sitte befolgt worden war, forderte der Jaguar seine Gäste auf, zuzulangen. Auch während der Mahlzeit wurde vollständiges Schweigen bewahrt; erst als die vier Männer satt waren und zum Abschluß die Flasche rundumging, brach der Jäger die Stille, die den drei Goldsuchern schon längst beklemmend geworden war.

„Haben meine Freunde die Absicht, wieder nach Lenchi zurückzukehren?“ fragte er.

Mongo stieß heimlich gegen Roberts Fuß, als wollte er ihm sagen: „Antworte du!“ – und der gab bereitwillig Auskunft: „In Lenchi haben wir kaum noch Aussichten auf nennenswerten Gewinn“, sagte er, „aber wir haben kein Geld, anderswo hin zu ziehen. Von hier bis nach Idaho ist es weit, wie sollten wir die teure Reise bezahlen?“

Der Trapper nickte langsam. „Ich habe für meine Brüder einen Vorschlag“, sagte er.

„Du?“ rief Robert mit gespannter Aufmerksamkeit. „Du, Jaguar, – und welchen?“

Der Trapper beschrieb mit dem ausgestreckten rechten Arm in der Luft einen Halbkreis. „Der Jaguar kennt das Land zwischen Fels und Meer, den ganzen Strich zwischen Oregon und Mexiko, ganz Kalifornien wie seine eigene Tasche“, erwiderte er. „Der Jaguar hat seit dreißig Jahren diese Jagdgründe durchstreift, – er weiß von einer Stelle, wo das gelbe Metall in Körnern zu finden ist und wo es fast unmittelbar unter der Oberfläche liegt, mühelos zu erreichen für den, der einmal diese Spur gefunden hat. Soll euch der Jaguar dorthin führen?“

Alle drei Männer hatten mit angehaltenem Atem die Worte des Pelzjägers verfolgt. Selbst Gottlieb vergaß, als er von Goldkörnern reden hörte, seine anfängliche Furcht und beugte sich lebhaft vor. „Wo ist das?“ stammelte er freudig und unruhig zugleich. „Wo ist das?“

Auch Robert konnte sich nicht zurückhalten. „Und wo liegt diese Stelle?“ fragte er den Trapper.

Der sah von einem zum anderen. „Weit in den Jagdgründen der Comanchen“, erwiderte er, „mehr als zwanzig Tagemärsche von hier.“

„Bei den Wilden also?“ rief der junge Auswanderer unbedachtsam.

Der Trapper lächelte. „Bei den Wilden, ja.“

Er winkte den anderen, als sie versuchen wollten, Gottliebs Taktlosigkeit wieder gut zu machen. In seinem Wesen offenbarte sich überhaupt eine eigentümliche Mischung zwischen Weißen und Indianern. Während er in Haltung und Sprache ganz den Rothäuten, seinen langjährigen Gefährten, glich, während er alle ihre Sitten und Gebräuche, vielleicht ohne es zu wissen, angenommen hatte, war er doch im Grunde ein Weißer geblieben. Er nahm das beleidigende Wort „die Wilden“ keineswegs übel auf, sondern sagte freundlich: „Die Goldschlucht liegt am Fuße der Sierra Nevada, im Lande der roten Kinder des Großen Geistes!“

Gottlieb senkte etwas beschämt den Kopf. „Ich wollte nichts Beleidigendes sagen“, stammelte er.

„Weiter!“ drängte Robert. „Ist dieser Ort schon als goldhaltig bekannt, Jaguar? Gibt es dort eine Niederlassung?“

Der Trapper schüttelte den Kopf. „Kein Weißer kennt die Stelle, keine Ansiedlung ist weit und breit, – nur die Comanchen haben in diesen friedlichen Tälern ihre Dörfer.“

Roberts Hand legte sich schwer auf die des Pelzjägers. Fest und fragend sah er ihn an. „Jaguar“, sagte er, „werden uns deine Brüder, die Comanchen, in ihren Wohnsitzen dulden? Können wir ungefährdet mit dir in die Wildnis ziehen?“

Der Jäger hob zwei Finger gegen den sternklaren Nachthimmel. „Bei dem Namen des Großen Geistes über den Wolken, bei der Macht dessen, der zwei Kugeln im freien Raum sich begegnen ließ als Wahrzeichen eines Bundes zwischen seinen Kindern, – du kannst es tun, ohne das mindeste befürchten zu müssen!“

Das war, wenn auch nicht ganz frei von den Riten indianischer Religion, beinahe ein christlicher Eid, und Robert wußte, daß er ihm glauben durfte.

Langsam sagte er: „Gut, Jaguar, ich vertraue dir vollständig, und ich bin bereit, dich durch die Steppe zu begleiten.“

Mongo nickte. „Und ebenso ich, Jaguar, wenn du es erlaubst.“

Gottlieb wollte sprechen, aber er brachte kein Wort hervor. Er reichte nur, den andern folgend, dem Jäger die Hand.

Der Jaguar ließ nochmals die Flasche herumgehen. „Wollen meine Brüder vorher noch nach Lenchi zurückkehren?“ fragte er.

Robert und Mongo wechselten einen schnellen Blick. Beide hatten keinen Grund, die Stadt noch einmal wiederzusehen. „Wir sind frei wie die Vögel unter dem Himmel“, antwortete der Neger, „uns hält dort nichts mehr zurück.“

Gottlieb wischte sich die großen Schweißtropfen von der Stirn. „Und was wird aus unseren Decken und unserem Gerät?“ seufzte er.

Der Jaguar lächelte. „Mein weißer Bruder soll sanft schlummern“, erwiderte er freundlich, als spräche er zu einem schüchternen Kind. „Der Jaguar hat Pelze und Büffelfelle überall am Wege in Höhlen versteckt. Und die Comanchen werden ihm bereitwillig ihre Werkzeuge leihen, um damit das Gold aus dem Boden zu graben, – mein Bruder mag sich vollständig beruhigen.“

Gottlieb sah zaghaft empor. „Soll es denn gleich weitergehen?“ fragte er.

„Nur für etwa zwei Stunden. Dort gibt es eine Hütte, in welcher der Jaguar zu übernachten pflegt. Meine Freunde werden von den Anstrengungen der letzten Nacht sehr ermüdet sein.“

„Wirklich!“ gestand Mongo, „ich spüre es.“

„So laßt uns aufbrechen“, ermunterte Robert. „Frisch gewagt ist halb gewonnen!“

Alle vier Männer ergriffen ihre Büchsen, und unter Führung des Trappers ging es in den schweigenden, nächtlichen Wald hinein.

Ein zweistimmiges starkes Hundegebell war das erste, was den Wandernden nach einigen Stunden scharfen Marsches entgegenscholl und was sogleich Gottliebs Befürchtungen wieder aufkommen ließ.

„Mein Gott, – Hunde! Sollten Sie sich in der Richtung geirrt haben, Herr Jaguar?“

„Durchaus nicht!“ erwiderte gutmütig der Trapper. „Meine Freunde werden sogleich erkennen, daß diese treuen Tiere unsere Bundesgenossen sind. Sie bewachen meine Hütte.“

Der Jäger schob zwei Finger in den Mund und pfiff auf eigentümliche Weise, so daß es weit hinausschallte in den regennassen Wald. Das Hundegebell verstummte sofort.

Gottlieb war jedoch noch nicht beruhigt. „Du“, raunte er, Roberts Arm berührend, „du, ob die Tiere an der Kette liegen?“

Der lachte im stillen. „Das glaube ich nicht!“ antwortete er, „aber sie gehorchen, wie du siehst, und werden uns bestimmt nicht auffressen. Du mußt dich übrigens etwas zusammennehmen, Gottlieb. Die Indianer verachten die Furcht, – sollen sie dich deiner Ängstlichkeit wegen über die Achsel ansehen?“

Gottlieb seufzte. „Offen gestanden, – das wäre mir ziemlich gleichgültig“, gab er zurück. „Ach du lieber Gott, ich gehe ja nicht wie ihr anderen zum Vergnügen in diese schreckliche Wildnis.“

Robert drückte ihm gerührt die Hand. „Du wirst immer an uns, und besonders an mir die eifrigsten Beschützer finden,“ versprach er, „und dann überlege dir doch, daß wir vielleicht jetzt nur wenige Monate brauchen, um zu unserem Ziel zu kommen. Wenn du nun in Pinneberg das kleine alte Haus wieder aufbauen könntest, und wenn du gewissermaßen imstande wärest, deinem blinden Vater das Augenlicht zurückzugeben, indem er alles an der altgewohnten Stelle wiederfände, alles durch sein Tastgefühl erkennen könnte, was ihm jetzt in fremder Umgebung verloren gegangen ist! Dafür mußt du ein Opfer bringen, Gottlieb!“

„Großer Gott, tue ich es denn etwa nicht in diesem Augenblick?“

„Sicherlich, aber mit innerem Widerstreben. Versuch doch einmal das Gute an der Sache zu sehen. Wir lernen doch soviel Neues und Schönes kennen.“

Aber Gottlieb schüttelte den Kopf. „Ich kann daran nichts Schönes finden.“

„Nicht? – Das darfst du nicht sagen. Aber still jetzt, der Trapper schlägt Feuer, wir werden ›zu Hause‹ sein.“

Gottlieb schob sich noch näher an die Seite seines Freundes. „Ein prächtiges Zuhause“, stöhnte er. „Das ist ein großer Maulwurfshaufen, weiter nichts. Und wo wohl die Hunde sind?“

Die Frage wurde ihm im nächsten Augenblick beantwortet. Eine niedere Tür knarrte in ihren Angeln, ein Kienspan flammte auf, und zwei große Bluthunde umdrängten die Knie ihres Herrn, seine Hände leckend, schweifwedelnd und mit leisen Schmeichellauten.

Der Trapper stellte gewissermaßen die Menschen und die Tiere einander vor. „Es ist gut, Antilope“, sagte er, „gut, Schlangentöter, – hier, begrüßt auch meine Freunde!“

Und die beiden Tiere mit dem furchtbaren Gebiß legten sich gehorsam den Fremden zu Füßen. Antilope und Schlangentöter, mit dem Pelzjäger schon durch Jahre verbunden, seine Gefährten, seine Freunde fast, streckten sich auf den Boden, als wollten sie die Herrschaft des Menschen hierdurch anerkennen.

„Und nun ruht euch aus,“ bat der Trapper, indem er von einem Haufen im Winkel mehrere Büffeldecken nahm und ausbreitete. „Schlaft, wie ich es tun werde, und der Große Geist behüte eure Nachtruhe.“

„An euren Posten, Antilope und Schlangentöter!“

Die Hunde erhoben sich, um vor der Hütte Wache zu halten, die vier ermüdeten Männer streckten sich auf das schnell bereitete Lager und waren bald entschlummert. Selbst Gottlieb schlief, obwohl ihm dauernd von abgerissenen Skalpen und Marterpfählen träumte. – –

Am folgenden Morgen begann nach einem kräftigen Frühstück die große Wanderung durch den grünen, taufrischen Wald.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Robert der Schiffsjunge