Kynast

Trauernd denk ich, was vor grauen Jahren
diese morschen Überreste waren:
Ein betürmtes Schloss voll Majestät,
auf des Berges Felsenstirn erhöht!

Matthißon.


Verdient je ein Teil Deutschlands, dass man ihn bereise, so ist es Schlesien. Man könnte es eine vollständige Enzyklopädie des Sehenswerten auf dem Erdboden nennen, wenn es im Besitze eines glänzenden Hofes wäre, der durch die Werke der Kunst, die nur in seinem Gefolge aufblühen, die Lücken füllte, welche hier noch zu finden sind. Wer Schlesiens schöne Natur noch nicht erblickte, seines Riesengebirges wilde Massen — über welchen Rübezahl einst waltete — noch nicht durchstrich, von den hohen Felsenzinnen dieser gigantischen Bergkette noch nicht herabsah auf Landschaften, welche unbeschreiblich schöne Gemälde bilden, der kann auch nicht sagen, dass er die schönsten Teile unsers immer kleiner werdenden Vaterlandes gesehen habe. Wer es aber bereiste, der bestieg auch gewiss die sehenswerten Ruinen der Burg Kynast, mit deren Beschreibung und Geschichte ich diese Galerie deutscher Burgen eröffnen will.

Drei Viertelstunden von dem bekannten Badeorte Warmbrunn liegt das dem Grafen von Schafgotsch gehörige Dorf Hermsdorf. Es liegt dicht unter dem Berge, auf welchem die Ruinen des Kynasts stehen; und wer diese besteigen will, den führt der Weg erst durch dieses Dorf. Über der Tür eines Hauses findet man hier eine große Tafel befestigt, mit den Worten:

Wer den Kynast will beschauen,
Kann sich hier mir anvertrauen..

Der Bewohner davon ist nämlich der Geleitsmann der Fremden auf die alte Burg, und man muss sich schon an ihn wenden, da er den Schlüssel zu dem Häuschen vor den Ruinen, so wie zu der Stube im ehemaligen Wachtturme hat, und zugleich der Wirt der Reisenden auf der Burg ist. Dies Ämtchen gibt ihm in Hermsdorf den glänzenden Titel eines Kommandanten des Kynasts.

Mit ihm steigt man einen bequemen, eine halbe Stunde langen Weg — der im Jahre 1800, wo die Königin von Preußen den Kynast besuchte, gemacht wurde — hinan. Wem er aber noch nicht bequem genug wäre, der kann sich auch in Sesseln, die zu dem Ende in Hermsdorf bereit stehen, hinauftragen lassen. Auf diesem Wege trifft man eine sehenswerte Naturmerkwürdigkeit an. Von über einander gestürzten Granitblöcken wird nämlich eine Kluft gebildet, die „der hohle Stein“ heißt. Wenn man sich mit etwas Mühe durch ihren Eingang gedrängt hat, so kommt man, nach ungefähr dreißig Schritten, an einer andern Stelle des Berges wieder heraus. Das allmähliche Entschwinden des Tageslichts beim Hineingehen , wo man zuletzt ganz im Finstern tappt, und das eben so allmähliche Wiedererscheinen desselben, je mehr man sich dem Ausgange nähert, macht einen eben so seltenen als schönen Eindruck. Schon oft hat diese Höhle denen, die durch Übermacht oder Unbilligkeit verfolgt wurden, in älteren und neueren Zeiten zum sicheren Schlupfwinkel gedient; und noch im Jahre 1807 verbarg sich eine Menge Soldaten des Freikorps des Prinzen von Anhalt-Pleß daselbst.

Von hier führt der Cicerone auf den „Wachtstein“, von welchem er erzählt, dass hier sonst eine Wache gestanden habe, um die benachbarte Gegend zu übersehen, und Angriffe auf die Burg zu verraten: und nun ist man vor dem Tore nach der alten Veste.

Das Äußere derselben, zu deren Befestigung die Natur schon so viel durch Felsengebirge und Steinklüfte mitgewirkt hat, bestand aus zwei, durch hohe und starke Mauern von einander abgesonderten Basteien, mehreren Rundeln und Streichwehren, und einem sehr hohen Turme. Im Innern befanden sich eine vortreffliche Kapelle, die zur öffentlichen Andacht bestimmt war, ein großes Wohnzimmer, vier kleinere Zimmer, neun Kammern, zwei Schüttböden, zwei Keller in Felsen gehauen, eine Küche, ein Backhaus, ein Stall für zwölf Pferde, ein Pulvermagazin, drei tiefe Brunnen und eine Waffen- oder Rüstkammer, ein Garten, und ein Gefängnis über und eins unter der Erde. Von allem diesem sieht man jetzt nur die Überreste, sowie auch eine steinerne Säule, an welcher die Arbeiter der Festung schwören mussten, nichts von ihrer innern Struktur zu verraten. Von den drei Brunnen gibt der eine noch Wasser; der zweite ist verschüttet, und der dritte ist ungefähr noch zwanzig Fuß tief. Ein Franzose, der im Jahr 1807 den Kynast allein besuchte, fiel in diesen, arbeitete sich aber doch mit unsäglicher Mühe wieder heraus, ungeachtet der Brunnen oben trichterförmig zuläuft.

Nebst der äußern geräumigen Terrasse gibt es noch drei Hofräume oder freie Plätze im Innern des Schlosses. In dieses kommt man durch drei Tore. Die sehr hohen Mauern, welche es umgeben, sind ohne Dach mit Bogen von Sandstein oder mit Zinnen ausgezackt. Ein hoher, runder Turm an der Südseite krönt diese große Ruine, welche zum Teil mit Rasen bezogen und mit dazwischen aufgesprossten Bäumen und Gesträuch umgrünt ist. Habichte horsten in den Spalten, ob es gleich den ganzen Sommer hindurch von besuchenden Fremden selten leer wird.

Auf dem innern Hofraum ist zur Belustigung der Bauern aus den nahen Dörfern eine Kegelbahn angelegt worden, und jährlich wird noch einmal am Sonntage nach Pfingsten ein Pfefferkuchenmarkt, als Schatten eines ehemaligen Jahrmarkts, unter diesen Mauern gehalten, welcher eine große Menge Landleute aus den umliegenden Dörfern zusammenlockt.

Schön und über alle Beschreibung herrlich ist die Aussicht von dieser Höhe. Zwischen Morgen und Mittag zeigt sich in einer malerischen Ebene, welche durch alle Reize holder Ländlichkeit entzückt, die Stadt Schmiedeberg. Das nahe im Süden unmittelbar ansteigende Riesengebirge, auf welchem die Schneekoppe gleich einem Dome ruht, überrascht dagegen wieder durch den Ernst und die Größe seines Charakters. Nach dieser Seite hin hört man ein dreifaches vortreffliches Echo. Gewöhnlich veranstaltet der Kynast- Kommandant das Losbrennen eines Böllers, um es den Fremden hören zu lassen; und wirklich ahmt es alsdann das stärkste Rollen des Donners nach. Von Abend gegen Mitternacht sieht man über Felder und Wiesen nach Greifenstein, an dessen rechter Seite der sieben Meilen weit entfernte Grädizberg im Fürstentum Liegnitz sich vorzüglich darstellt. Auf diesem stand vordem auch ein wichtiges Bergschloss, dessen Besatzung es mit der auf dem Kynast verabredet hatte, sich gegenseitig von der Ankunft des Feindes oder andern Gefahren durch Feuersignale Nachricht zu geben. Von Mitternacht gegen Morgen sieht man die Städte Hirschberg und Warmbrunn.

Eins kleine Hütte, am Eingange in die Burg erbaut, bewahrt einen großen Folianten, in den die Hiergewesenen ihren Namen schreiben. Seltsam ist es, als Titelblatt darin eine Handzeichnung zu sehen, die den Kynast und seine Umgebungen vor der Sündflut darstellt.

Wahrscheinlich hat der Berg Kynast von Kienbäumen oder Kiefern den Namen, vielleicht auch von einem solchen Baume, der wegen seiner vorzüglichen Höhe merkwürdig gewesen, und in den ältesten Zeiten da gestanden haben soll, wo jetzt die Ruinen des Schlosses stehen.

Über den Kynast gehen mehrere Legenden, welche durch Urkunden zu widerlegen oder zu bestätigen die Mühe lohnte. Zu diesen gehören vorzüglich die Prophezeihungen des Predigers Dühm in dem benachbarten Obergerstdorf. Dieser Mann wollte die Gabe besitzen, aus der Konstellation die Schicksale der Menschen vorherzusagen, wenn er die Stunde ihrer Geburt wüsste. Auf diese Kraft gestützt, deutete er auch dem unglücklichen, hernach in Regensburg enthaupteten Grafen von Schafgotsch, Besitzer von Kynast, einen unnatürlichen Tod Jahre vorher an. Er tat dies an dem Geburtstage des Grafen im Jahre 1634, zu dessen Feier eine große Gesellschaft auf dem Schlosse Kynast versammelt war. Der Saturn und der Mars hatten, sagte er, bei der Geburt des Grafen in dem vierten Hause der Sonne eine gefährliche Opposition gehabt, und das deute auf einen gewaltsamen Tod durch ein kaltes Eisen. Dabei geriet der Prophet selbst in ein so ernstes Erstaunen, dass er zu Gott betete, es zum Besten des Grafen zu kehren. Der Graf hatte zum Glück das Gesellschaftszimmer schon verlassen, hörte daher diese übel angebrachte Weisheitsäußerung nicht; aber die übrige Gesellschaft, welche aus dem Glase Fröhlichkeit geschlürft hatte, und sich durch diese Worte verstimmt fühlte, setzte den Herrn Pastor derb darüber zur Rede. Besonders erbittert war der Stallmeister des Grafen, welcher sagte: „er solle nicht so albernes Zeug sprechen, denn noch wäre kein Fernglas geschliffen, womit man in das „Kabinett der göttlichen Geheimnisse sehen könne,“ und drohte zugleich, dem Grafen Alles zu erzählen. Die Übrigen baten ihn zwar, nicht übel ärger zu machen; allein als sie fort waren, er den Grafen auskleidete, und dieser nach der Unterhaltung seiner Gäste fragte, war er schwach genug, ihm Alles zu erzählen. Der Graf lachte über den Pastor, schickte aber sogleich allen Gästen reitende Boten nach, mit dem Ersuchen, sich morgen wieder bei ihm einzufinden. Er war nämlich Willens, den Propheten durch eine neue Aufgabe vor allen Gästen aufs Bloße zu stellen. Was geschah? Als des andern Tages die Eingeladenen da waren, ließ er ein säugendes Lamm holen und sagte zum Prediger Dühm, er habe von seiner Weissagungsgabe gehört, und wünsche davon einen Beweis zu erhalten. Hier wäre ein Lamm, er möchte so gut sein, und diesem die Nativität stellen. — Herr Dühm weigerte sich zwar, und meinte, dass ein großer Unterschied zwischen einem Tiere und einem Menschen sei; allein der Graf ließ nicht nach, in ihn zu dringen. Noch hätte der Prophet seine Tags zuvor getane unüberlegte Äußerung wieder gut machen, und Unfähigkeit in diesem Falle vorschützen können, er wäre dann vielleicht ausgelacht, und das Ganze für einen Scherz gehalten worden; allein nicht also: er glaubte seinen Ruf begründen zu müssen, und bat daher, man möchte den Schäfer der Heerde, von welcher dies Lamm sei, kommen lassen. Diesen fragte er, in welcher Woche, an welchem Tage und in welcher Stunde das Lamm geboren sei. Nach erhaltener Antwort machte er seine astronomischen Berechnungen, und sagte dann: „dies Lamm wird der Wolf fressen!“

Alle lachten laut auf. Der Graf gab aber ins Geheim Befehl, das Lamm gleich zu schlachten, und es ganz zu braten, ohne jedoch dem Koche die Ursache davon zu sagen; und nun begab sich, bis zum Mittagsbrod, die Gesellschaft auf die Jagd.

Auf dem Schlosse lief nun schon seit zehn Jahren ein zahmer Wolf herum. Er ging, wie ein Hund, allerwärts hin, und auch in die Küche, wo er jedoch nie etwas angerührt hatte, was ihm nicht vorgeworfen war, und wo er sogar oft zum Drehen der Brat-Maschine gebraucht wurde. Zufällig kam er in die Küche, als das Lamm am Spieße stak und schon halb gebraten war; und da den Koch ein Geschäft aus der Küche entfernt hatte, machte sich der Wolf über den Lammbraten her und fraß ihn rein auf. Dem Koch war es zwar ärgerlich, als er bei seiner Rückkehr nur noch die Reste fand; er prügelte auch den Wolf tüchtig durch; da er aber die Wichtigkeit des Umstandes nicht kannte, so glaubte er, dass bei der Menge der übrigen Gerichte der Braten nicht vermisst werden würde, und war getröstet.

Die Jagdgesellschaft kam zurück, man setzte sich, fröhlich zur Tafel, scherzte mit dem Pastor Dühm, und der Graf freuete sich schon auf den Augenblick, wo er ihm das gebratene Lamm werde vorzeigen können. Aber das Lamm blieb aus. Der Graf ließ sich nach der Ursache erkundigen. Da trat der Mundkoch herein, warf sich zu seines Herrn Füßen, und erzählte das Geschehene zum Erstaunen aller Anwesenden. Der Graf legte ruhig und mit den Worten sein Messer auf den Tisch: „Der Wille des Herrn geschehe! Ich weiß, dass ich jederzeit meinem Kaiser treu gedient und des Landes Beste redlich gesucht habe! Herr du wirst meine Unschuld gewiss an den Tag bringen!“ Er musste sich zu Bett begeben, da er sich nicht wohl fühlte, und die Gäste schlichen traurig nach Hause. Dass die Prophezeihung bald darauf an ihm wirklich in Erfüllung ging, wird nachher erzählt werden.

Eine weit ältere Sage aus der fabelhaften Vorzeit ist die von der spröden und schönen Kunigunde. Im Taschenbuche für Freunde des Riesengebirges findet man sie sehr anziehend bearbeitet, woraus ich sie, im Auszuge, hier wiedererzählen will.

Kunigunde, das einzige Kind eines der frühesten Besitzer des Kynasts, hatte von ihrem Vater, der mit dem Himmel haderte, dass er ihm keinen Sohn gegeben hatte, eine männliche Erziehung genossen. Wenn sie recht wild umhertobte, mit den Waffen spielte, Pferde, händigte, mit seinen Reisigen sich unter, hielt, liebkoste er sie am zärtlichsten. Sie liebte ihn aber auch höchst innig, und war daher ganz untröstlich, als er in der Trunkenheit mit dem Pferde in einen Abgrund stürzte, und an den Felsen den Kopf zerschellte. Sie ließ den Entseelten an dem fast unzugänglichen Orte, wo er gefallen war, beerdigen, und machte es sich nun zur Gewohnheit, täglich das Grab zu besuchen. Ihre vorige Lebensart setzte sie fort, nur dass ihre Wildheit noch rauher und düsterer war. Ihre Besuche beim Grabe des Vaters nährten ihren Hass gegen die Felsen, welche ihr, wie sie sagte, ihren Vater geraubt hatten; und doch wollte sie die Bergwohnung nicht verlassen, ob sie gleich mehrere Burgen in fruchtbaren Tälern hatte. Sie schien ihren Aufentalt zu lieben, weil sie mit ihm zürnen konnte.

Nach ihres Vaters Tode fanden sich eine Menge stattlicher Ritter ein, die alle um die Hand des reichen Fräuleins buhlten. Keiner erhielt aber eine entscheidende Antwort, und keiner wusste woran er war, bis sie endlich erklärt, dass sie sich alle auf den nächsten Gertruditag einfinden möchten, um das Ultimatum aus ihrem Munde zu hören. Der Tag erschien, und - auf Kynast wimmelte es von Freiern, denn die sonderbare Bestellung Aller auf Einen Tag hatte auch Manchen aus bloßer Neugier herbeigeführt. An einer köstlich besetzten Tafel wurde wacker gezecht, und durch das Oel der Traube die Flamme der Hoffnung bei Allen lichterloh erhalten. Schon nahete der Abend, und noch hatte Kunigunde ihrer Erklärung nicht erwähnt. Mancher, durch den edeln Wein begeistert, stürmte auf sie ein, aber vergebens. Endlich fuhr sie, wie aus dem Traum erwachend, von der Tafel auf, und rief: „Nun ists Zeit, die so trotzig geforderten Bedingungen meiner Liebe und meiner Hand zu offenbaren. Wer sie hören will, folge mir.

Sie lief hinab in den Burghof, und das Freier-Heer folgte tobend nach. Sie trat aus dem Schlosstor, und eilte nun, auf einem neu gebahnten Wege, bei Fackelschein, zum Grabe ihres Vaters, wohin ihr die Menge nachtaumelte. Als sie angelangt war, riss sie dem Pater das Kruzifix aus der Hand, hob es in die Höhe, und rief nun begeistert aus: „Hier ruht der Einzige, den ich liebte. Hier schwör' ichs, keinen zu lieben, keinen zu ehelichen, der nicht im ritterlichen Harnisch, zu Rosse sitzend, den obern Rand der Burgmauer umreitet, und so den Felsen trotzt, die mit meines Vaters Blute gefärbt sind!“

So sprach sie, wünschte den Gästen eine gute Nacht, und ließ sie fluchend, lachend, murmelnd und schweigend stehen.

Das Gerücht von der sonderbaren Heiratsbedingung verbreitete sich bald weit umher. So gefahrvoll es aber auch war, sie einzugehen, so gab es doch Wagehälse, die ihr Glück versuchen wollten. Um aber bloße Neugierige von sich abzuhalten, hatte Kunigunde am Wege auf den Berg eine Wache postiert, welche jeden Ritter von der Bedingung, und der damit verknüpften Gefahr unterrichten musste. Wenn dieser nun versprach, sich ihr zu fügen, so würde er hinauf bis zur Burg geleitet, dem Fräulein vorgestellt, durfte in ihrer Gesellschaft einen Tag ausruhen, und musste dann, unter folgenden Zeremonien, das Abenteuer bestehen. Im Hofe bestieg er, unter dem Schalle der Trommele und dem Brüllen einiger Donnerbüchsen, das Ross; Kunigunde sah aus dem Erker auf ihn nieder, wiederholte ihre Versicherung, und wünschte ihm Glück. Er versprach ihr die Erfüllung der Bedingung, und nun ritt er, von seinem weinenden Gefolge begleitet, über die Zugbrücke und auf die Mauer. Die Trommeten blieben auf ihren Posten, die Büchsen wurden wieder geladen, um den Ritter, welcher die Aufgabe glücklich lösen werde, glorreich zu empfangen; aber nie ertönten sie zum zweiten Male, denn in den Abgrund hinab stürzten alle die Unglücklichen, die sich durch Eitelkeit oder Habsucht zu dem Wagestück entschlossen hatten.

Groß war die Zahl derer, die auf solche Art ihren Tod fanden, und ein trauriges Opfer einer unmenschlichen Bedingung wurden. Weit umher verbreitete sich die Kunde davon, und nach und nach wurde es auf Kynast still und leer, denn jeden schreckte das Beispiel seiner Vorgänger zurück. Kunigundens Wut darüber stieg von Woche zu Woche, aber die Landleute umher freueten sich, dass die Ritter endlich einmal klug geworden wären, und sich nicht mehr sichtlich in ihr Verderben stürzten.

So verging eine lange, lange Zeit, als plötzlich ein stattlicher Ritter, von einem einzigen Knappen beigleitet, den Berg herangesprengt kam. Die fahrlässig gewordenen Knechte am Wege fuhren ob der ungewohnten Erscheinung erschrocken durch einander, wollten sich in Eil ordnen und den Ankommenden prüfen aber ein trotziges: „Fort ihr Knechte“ entwaffnete ihren Mut. Sie ließen ihn durch, sahen ihm verwundernd nach, sahen sich erstaunt an, und meinten; dass das nicht gut für sie ablaufen werde.

Kunigunde lachte laut auf, als man ihr meldete, dass sich wieder ein Ritter eingefunden habe, und sprang voll stolzer Freude ans Fenster. Aber eine nie gefühlte Empfindung bemächtigte sich ihrer. Mit steigender Aufmerksamkeit, mit einer ihr sonst gar nicht eigenen Verwirrung, betrachtete sie des schönen Fremdlings majestätsvollen Anstand und sein schönes blaues Auge, das fest und sicher zu ihr hinaufblickte. Ehe sie es glaubte, trat er schon in ihr Zimmer, grüßte sie höflich, und sie verneigte sich unwillkührlich tiefer als je vor einem seines Gleichen.

„Fräulein,“ so redete er sie an, ,,ich kenne die Aufgabe, die Ihr der ganzen Ritterschaft gemacht habt. Wenn mir das Glück wohlwill, so bin ich der Letzte, der das Abenteuer besteht!“

Er betrug sich von diesem Augenblicke an mit einer edeln Unbefangenheit, sprach über vielerlei Gegenstände so eindringend, so rätselhaft, so entschieden und zuversichtlich, dass Kunigunde es gar nicht wagte, ihn, so wie andere seiner Vorgänger, auf die gewohnte Manier zu behandeln. Alles, was er sagte, klang ihr neu und reitzend. Sein stolzer Trotz beleidigte sie nicht, seine gefühlvollen Schilderungen weckten fremde Empfindungen in ihr, aber seine ganze Art, sich zu benehmen und sie zu behandeln, machte sie verlegen, und ließ sie fühlen, dass sie eine alberne Rolle spiele.

Indem sie dies entdeckte, fiel ihr zugleich ein, dass sie noch gar nicht wisse, wer der Fremde sei. Gewohnt, hiervon immer schon vor der Ankunft jedes Ritters unterrichteten sein, ergrimmte sie heftig über diese Nachlässigkeit ihrer Diener. Sie verließ das Zimmer plötzlich, jenes zu erfragen und diese auszuschelten. Aber kein Mensch wusste ihr befriedigende Antwort zu erteilen, und der Knappe des fremden Ritters war in seinen Antworten so lakonisch und rätselhaft, dass sie ihm voll Ärger eine Ohrfeige gab und nach dem Zimmer zurücklief, um von dem Unbekannten selbst den Namen zu erfragen. Sie wollte dies mit Ernst und Strenge tun; aber des Ritters neues Benehmen entwaffnete sie. Er hatte in ihrer Abwesenheit eine Laute ergriffen, auf welcher er eben phantasierte, als sie hastig eintrat. Die sanften Töne, durch welche fremde wohltuende Empfindungen auf sie einströmten, erweichten ihr ganzes Wesen. Der Zorn wich von ihrer Stirn. Sie setzte sich, mit niedergesenktem Blick dem Ritter gegenüber, der ihr mit männlich schöner Stimme ein Lied vorsang, dessen Inhalt so mächtig auf sie wirkte, dass sie die Tränen nicht verbergen konnte.

So verging der Tag; und als die Nacht einbrach, verließ der Ritter das Zimmer mit der Nachricht, dass er morgen in aller Früh die Burg auf der Mauer umreiten werde. Mit ängstlichem Herzklopfen hörte es Kunigunde, suchte Aufschub zu bewirken, und wünschte, dass der Ritter davon abstehen möchte; aber er blieb bei seinem Vorsatze.

Mit dem Gefühl einer erwachenden Liebe und der Quaal eines gebändigten Stolzes blieb Kunigunde allein. Sie warf sich auf ihr Lager; aber kein Schlaf erquickte sie, und erst nach längst gewichener Mitternacht versank sie in einen von wilden Träumen begleiteten Schlummer.

Beim ersten Anbrechen des Tages ließ sich der fremde Knappe das Tor öffnen und lief auf die Mauer. Und als der Himmel in Osten sich rötete, alle Gegenstände deutlich zu erkennen waren, ging er in den Burghof zurück, und zog die Rosse aus dem Stalle. Da kam der fremde Ritter in leichter Kleidung die Treppe herab, umarmte den Knappen, schwang sich auf sein Pferd, und ritt stolz zum Tor hinaus.

„Nun mache, Alles im Schlosse wach,“ rief der Knappe dem zitternden Torwächter zu, „aber lass niemanden der Mauer sich nähern.“

Bis an den Aufgang auf die Mauer begleitete der Knappe seinen Herrn. Mit einem freundlichen Blick auf ihn ritt dieser hinauf, hob die Füße aus den Bügeln, und ließ nachlässig auf dem Hals des Pferdes die Zügel hängen. Sichern Trittes ging es auf dem schmalen Pfade. Ruhig blickte der Ritter in das grässliche Tal, wo noch finstere Nacht war. In Osten sprang die Sonne herauf, die Lerche erhob sich; aber er sah weder Sonne noch Lerche: nur auf den neben der Mauer her gehenden Knappen blickte er bisweilen freundlich hin.

Unterdessen war Alles im Schlosse wach geworden, und lief ängstlich und verwirrt durch einander. Kunigunde war auch erwacht. Kaum hörte sie, dass der Ritter auf der Mauer sei, als sie ein fieberhafter Schauder ergriff. „Er ist tot!“ schrie sie, und flog hinab in den Burghof. „Wo ist sein Leichnam?“ Niemand antwortete, Alle standen mit gefalteten Händen.

Als nun das ängstigende Gefühl Aller den höchsten Grad erreicht hatte, siehe, da schwebte der Ritter auf seinem mit Schweiß bedeckten Rosse um die Ecke des an das andere Ende der Mauer stoßenden Gebäudes und näherte sich dem Ende des furchtbares Pfades. Kunigunde war einer Ohnmacht nahe, als er wohlbehalten von der Mauer herabritt und vom Pferde stieg. Die Knechte ergriff die lauteste Freude; sie jubelten, schrieen und tanzten. Auf dem Hofe schmetterten Trompeten, und das Geschütz donnerte es über die ganze Gegend hin, dass der Sieg errungen sei.

„Huldigt Eurem Herrn!“ schrie Kunigunde, und wankte auf den Ritter los. „Ihr habt die Bedingung erfüllt, edler Ritter,“ sprach sie; „Ihr habt den Geist meiner Vaters versöhnt. Ich übergebe Euch diese Burg und ihr Gebiet, und bin bereit, Euch Gemal zu nennen.“ Aufs neue schmetterten Trompeten.

Mit Hoheit und Adel erwiederte der Ritter in ernstem Tone: „Fraulein, der schreckliche Zauber ist gelöst, der so vielen Edeln das Leben kostete. Ich freue mich. Eurem Stolze und Eurer Grausamkeit Grenzen gesetzt zu haben, und danke Gott für seinen mir geleisteten Schutz dabei. Fluch und ewige Schande dem, der nach mir das Wagestück nochmals beginnen wollte. Dies laut zu erklären, dass es durch alle Länder schalle, war der einzige Zweck meiner Erscheinung auf dieser Burg. Seit einem Jahre ist dieses Ross geübt worden, auf schmalen Pfaden zu gehen, und es war nicht das erste Mal, dass das edle Tier auf einem solchen Pfade ging; aber es war das letzte Mal. Und du, die du mit unmenschlichem Herzen das Loos des Verderbens über so viele unglückliche Jünglinge warfst, kehre zurück, lass das Gefühl der Natur und der Menschlichkeit in deinem Herzen erwachen. Verabscheuung und Fluch der stolzen Kunigunde, Ehre und Freundschaft der fühlenden, der freundlichen. Zerschlage die Rinde, die Dein Herz umgab, wecke Gefühle, die dem Weibe ziemen. Werde Weib und Gattin, und ersetze der Welt die Leben, die dein Stolz opferte.“

„Ich kann dein Gatte nicht werden. Ich bin — Adelbert, Landgraf von Thüringen, den schon das edelste Weib liebt; aber ich beschwöre Euch, schenkt Euch der Welt und der Menschheit wieder. Und wollt Ihr einen Gehilfen in Eurem schönen Beginnen, so wählt meinen Freund, diesen Knappen, den biederen Hugo von Erbach.“

„Ihr aber, die Ihr voll Staunen mich umringt, ihr Zeugen des grausamsten Frevels, seid auch Zeugen der Reue und Besserung. Gehorcht Eurer Gebieterin; aber bedenkt stets, dass man Gott mehr als dem Menschen gehorchen müsse.“

„Und nun lebt wohl, Fräulein! Verzeiht die Demütigung, Ihr habt sie aber verdient. Wenn die Sichel des Mondes erscheint, kehrt mein Freund zurück, um Zeuge und vielleicht Teilnehmer Eurer veränderten Gesinnungen zu sein. Lebt wohl.“ Er schwang sich auf sein Ross, und ritt mit seinem Knappen den Berg hinab.

Kunigunde wurde ohnmächtig in ihr Gemach getragen. Sie lag acht Tage krank darnieder; dann betete und fastete sie in dumpfer Betäubung. Am Ende der vierten Woche erschien Ritter Hugo von Erdach mit einem glänzenden Gefolge vor dem Tore Künasts. Kunigunde wurde seine Gattin. Die gefährliche Mauer ward abgebrochen, und für die Seelen der Geopferten stiftete sie reichliche Messen. Die Liebe Hugos und die Freundschaft Adelberts milderten Kunigundens Reue, und ihr letztes Wort an ihre Kinder war die Bitte, nicht durch Trotz gegen die Natur Blutschulden auf sich und die Menschheit zu laden.

Wenn man auf den Kynast kommt, so bringen gewöhnlich die Kinder des Kommandanten ein ungestaltetes hölzernes weibliches Brustbild, mit Igelborjien statt der Haare. Dies soll die schöne Kunigunde vorstellen, die man zu küssen von ihnen eingeladen wird, oder sich durch ein Geschenk von dem Kusse befreien muss.

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Jetzt zur Geschichte des Schlosses. Der schlesische Fürst Bolko I., Herzog von Schweidnitz, mit dem verdienten Zunamen „der Streitbare,“ erbaute im Jahre 1292 Kynast, diese in vorigen Zeiten wichtige Festung, auf der Höhe des Kynastberges, worauf noch vierzehn Jahre früher ein Jagdhaus stand. Bald nach vollendetem Bau, 1301 starb er, und wurde im Kloster Grüstau beerdigt. Sein Enkel Borko II. war Erbe der großväterlichen Burg, und hatte eine Erzherzogin von Österreich zur Gemahlin. Da er in einer kinderlosen Ehe lebte, so vermachte er Kaiser Karl IV. seine beiden ansehnlichen Fürstentümer Schweidnitz und Jauer, unter der Bedingung, dass, wenn er ohne leibliche Erben sterben solle, seine Gemahlin bis an ihr Ende Regentin bliebe. Er starb ohne Erben im Jahre 1368, und seine Gemahlin vierundzwanzig Jahre nach ihm. Sein vertrautester Freund, Liebling und zugleich sein Waffenträger war Gottard Schof, gewöhnlicher Gotsche-Schof genannt. Diesem schenkte er aus Dankbarkeit für die ihm geleisteten Dienste das Schloss Kynast nebst den umliegenden Dörfern.

Im Jahre 1377 begleitete dieser den Kaiser Karl IV. in einem seiner Feldzüge, und bewies seinen Heldenmut auf eine ausgezeichnete Art bei der Belagerung der Stadt Erfurt. Der Kaiser, Augenzeuge seiner Tapferkeit, reichte ihm zum Beweise des Dantes und seiner Zufriedenheit die Hand. Gottard Schof, dessen Rechte mit Blut beschmutzt war, wollte sie nicht so dem Kaiser hinreichen, konnte sie aber auch sogleich nicht anders reinigen, als dass er sie an dem Küraß abwischte, wodurch vier blutige Streifen auf dessen blanker Fläche entstanden. Als ihn nun Karl zum Ritter schlug, erhielt er in sein Wappen vier rote Streifen zum ruhmvollen Andenken an diesen Tag. Diese Standeserhöhung war aber kein bloßer Titel. Karl gab ihm auch noch als Eigentum die um den Kynast herum gelegenen Städte Friedeberg und Greifenberg, das Schloss Greifenstein und die dazu gehörigen Dorfschaften. Seinen Nachkommen blieb sein Name in so rühmlichem Andenken, dass sie seinen Taufnamen Gotsche (d. i. Gottard) ihrem Geschlechtsnamen beifügten und sich seit der Zeit Schaffgotsch schrieben.

Kynast gehört unter die Zahl derjenigen Burgen, welcher die militärische Sprache das Beiwort „jungfräulich“ gibt. Sie ist einigemal belagert, aber nie erobert worden. Selbst die Hussiten, unter deren Streichen so manche Burg sank, mussten im Jahre 1426 eine langwierige Belagerung desselben unverrichteter Sache aufheben. Dies jungfräuliche Vorrecht wurde hier in ältesten Zeiten den Fremden dadurch kund gemacht, dass sie an die oben erwähnte steinerne Säule durch ein Halseisen gefesselt, und so, wie man es nannte, mit der Burg vermählt wurden. Was aber menschlicher Kraft und Kunst unmöglich war, das zerstörte ein Blitzstrahl in wenigen Stunden. Am 31sten August 1674 war es, wo der Blitz in den vorzüglich hohen und schönen Turm, an welchem sich eine Uhr befand, fuhr. Er zündete zugleich alle Gebäude an, und binnen zwei Stunden waren sie, nebst den darin befindlichen Kostbarkeiten und den Dokumenten, durch welche die Geschichte dieser Burg außer Zweifel zu setzen wäre, in Asche verwandelt. Das Unglück war um so größer, da gerade damals ein großer Teil der reichen Gebirgsbewohner, aus Furcht vor den Schweden, welche in die Mark Brandenburg eingefallen waren, ihre besten Sachen auf den Kynast in Sicherheit gebracht hatten, und dies alles die Flammen ihnen verzehrten. In ein Gewölbe, das mit sieben großen Pulverfässern angefüllt war, drang jedoch die wilde Glut nicht. Die eiserne Tür desselben war zwar schon glühend, die Reife der Fässer, welche der Tür zunächst waren, schon schwarz, aber dennoch blieben sie verschont. Wäre dieser Pulvervorrat aufgeschlagen, so würden wir jetzt nur noch wenige Spuren dieses Schlosses finden können.

Zum Schlusse will ich nun noch die merkwürdige Entauptungsgeschichte des Grafen von Schaffgotsch, die Erfüllung der oben erwähnten Weissagung, mitteilen.

Hans Ulrich Graf von Schaffgotsch, dem seine Freunde und Untergebenen den Ruhm einer wahren ungeheuchelten Frömmigkeit, und selbst seine Feinde das Lob der Rechtschaffenheit geben mussten, wurde am 25sten Junius 1635 nach Regensburg gefordert, um sich vor den Reichsständen wegen einiger Punkte zu verantworten oder zu entschuldigen, und wegen der Verwaltung seines Amts (er war General der kaiserlichen Truppen in Schlesien) Rechenschaft zu geben. Seine Freunde baten ihn mit Tränen, seiner zu schonen, und wollten ihn von der Reise zurückhalten; aber er reiste doch. Kaum war er in Regensburg angelangt, so besetzte ein Dragonerhauptmann mit zwanzig Mann seine Wohnung, kündigte ihm Arrest an, und forderte im Namen des Kaisers Ferdinand II. ihm den Degen ab, den er ihm aber mit den Worten verweigerte: „Ich habe ihn immer rühmlich geführt, habe ihn aus des Kaisers Händen empfangen, und werde ihn keinem Kapitain übergeben!“ Bald darauf kam ein Oberster, dem er ihn überreichte. Tags darauf führte man den Grafen aufs Rathaus, und legte ihm folgende drei Fragen vor: Ob er nicht mit dem Feinde seiner Majestät nach Schweden geheime Korrespondenz gehalten? Ob er nicht die an das in Ungarn zu versorgen habende Detaschement zu zahlenden Gelder untergeschlagen habe, um dadurch die Soldaten zu einer Revolte zu bringen? Ob er nicht seine lutherischen Untertanen in Schlesien aufgewiegelt habe, sich zusammen zu rotten und die Katholiken zu vertilgen! — „Das Erste,“ erwiederte er, „habeich, nie im Sinne gehabt; an das Zweite nie gedacht; das Dritte darf ich nicht erst widerlegen, weil meine katolischen Bedienten wissen, dass dies nicht ist.“ Man legte ihm falsche, untergeschobene Briefe vor, die er geschrieben haben sollte, woraus man ihm den Hochverrat beweisen wollte. „Wer diese geschrieben,“ sagte er ganz gelassen, „mag den Inhalt vor Gott verantworten.“ Er wurde öfters wegen der genannten drei Punkte befragt, da er aber immer bei seiner vorigen Antwort blieb, so schickte man ihm den Scharfrichter zu, welcher ihn mit der Tortur bedrohen musste. Nach einer harten Tortur, wodurch man aber auch nicht ein Wort erzwingen konnte, welches ihn etwa verdächtig gemacht hätte, kamen am 20sten Julius der Obrist Teufel und der Oberauditeur Götze von Wien zurück, welche dem Kaiser von dem Verlauf der ganzen Sache Nachricht gegeben und ihm die Prozessakten vorgelegt hatten. Am 21sten Julius kamen einige Offiziere zu ihm aufs Rathaus in sein Zimmer, entschuldigten sich mit bebender Stimme, dass sie ihm die traurige Nachricht brächten, dass er auf kaiserlichen Befehl sterben solle. „Ich weiß,“ sagte er, „dass mein Blut schon lange eingeschenkt ist; es darf nur getrunken werden! So gern ich sterbe, und lieber Unrecht leiden als Unrecht tun will, so jammern mich doch meine Kinder. Ich bitte nun um einen Prediger, mit dem ich mich Unterreden kann.“ Nach einer rührenden Unterhaltung fragten ihn die Abgeordneten: ob er in diesem Zimmer sterben wolle; man würde ihm dies nicht abschlagen? Er sagte: „ich habe so gelebt, dass dieser Schimpf und Spott zwar groß, mein Gewissen aber doch rein ist; und wenn ich das für Gnade halten soll, so bleibe es lieber bei der Ungnade! Ich will lieber unter meines Gottes freiem Himmel sterben, als im Dunkeln hingerichtet werden!“ Die Abgeordneten und alle anwesenden Offiziere entfernten sich und nahmen mit vielen Tränen von ihm Abschied. Er wurde nie traurig, nur wenn er an seine Kinder dachte. Nun kam der Superintendent M. Lenz zu ihm, der sich lange mit ihm unterhielt. Gleich nach ihm kamen mehrere Jesuiten, und hießen Herrn Lenz gehen. Sie blieben drei Stunden beim Grafen, redeten ihn hart an, und disputierten mit ihm. Er ließ während diesem Gesprach mit ihnen eine Bibel holen, worauf sie ihn sogleich verließen. An diesem Tage durfte Lenz beim Grafen nicht vorgelassen werden. Aber am 21sten Julius kam er und noch ein Prediger zu ihm, wo er mit der größten Andacht bei offenen Türen beichtete und das heilige Abendmahl empfing, so dass er selbst vor den lauten Tränen und Klagen der Anwesenden kaum sprechen konnte. Nachdem die Geistlichen ihn verlassen hatten, schrieb er noch mehrere Abschiedsbriefe an die Seinigen, verteilte seine Sachen unter die Bedienten, ließ sich den Sarg machen und bereitete sich zum Tode. Er brachte die letzte Nacht mit Gebeten zu. Früh am 22sten Jul. besuchten ihn noch einmal die Geistlichen, die er nach Versicherung des herzlichsten Danks mit den Worten entließ: „ich habe nun durch Gott einen solchen Trost gefasst, dass ich weiter keines Trostes mehr bedarf!“ Ein Offizier forderte ihn zur Richtstätte. Mit gelassenem Mute und bewundernswürdiger Standhaftigkeit ging er mit ihm vom Rathause und wurde auf den Platz zur Heide gebracht, wo in dem Gastofe zum Kreuz genannt, Standrecht über ihn gehalten und er dann zur Bühne auf einem Wagen geführt wurde. Es traten einige Jesuiten zu ihm, die ihn mit ihrer Fürsprache aber so beunruhigten, dass er sie gehen hieß. Er stieg mit heiterer Miene ab und die Bühnen hinauf, wo er auf das Tuch kniete, welches er sich selbst hatte aufbreiten lassen, und betete. Er stand, auf, segnete seine Kinder, seine Freunde, seine Bedienten, und zuletzt alle seine Untertanen mit der herzlichsten Rührung. Hierauf wandte er sich zum Obersten, zum Auditeur und den Beisitzern, und fragte zum ersten Mal: „Weil ich sterben soll, so mag man mir doch vor Gott und aller Welt sagen, welches die Ursache meines Todes sei, damit nicht jemand meinen dürfe, ich stürbe als ein Dieb oder Übeltäter!“ Der Richter gab ihm zur Antwort: Wir tun, was uns der Römische Kaiser befiehlt! Er fragte zum zweitenmal nach der Ursache seines Todes, und erhielt die vorige Antwort. Da er die Frage zum drittenmal wiederholte, ließ man die Trommeln rühren, um nicht mehr zu hören, was er sprach.

Nachdem ihm sein Kammerdiener den Oberrock ausgezogen und die Haare mit einem weißen Tuche hinaufgebunden hatte, sagte er: „nun so will ich mich hierher setzen, um meines Gottes Willen, dem ich mich mit Leib und Seele übergeben habe, und in Geduld seiner erwarten!“ Er setzte sich auf den für ihn bereiteten Stuhl nieder, wo ihn durch den Scharfrichter der Kopf abgeschlagen wurde. Einige seiner Bedienten nahmen den Körper von dem Stuhle herunter, fielen nieder und beteten, legten ihn und den Kopf in den Sarg, und trugen ihn in Gegenwart vieler tausend Zuschauer in sein Zimmer. Noch an diesem Tage wurde er ohne alle Zeremonie auf dem Kirchhofe zur heiligen Dreifaltigkeit in ein gewölbtes Grab gesetzt, welches er sich selbst hatte machen lassen, wohin ihn eine Menge Volks begleitete, die vor dem Sarge niederfielen und seinen Tod beweinten. Sein Leichnam wurde nicht abgewaschen, weil er dies selbst nicht haben wollte, sondern gesagt hatte: ich will so, wie ich nach meinem Tode sein werde, vor dem Richterstuhl Christi erscheinen.

Dies ist die wahre Darstellung einer Begebenheit, welche ein immerwährendes Denkmal und merkwürdiges Beispiel des Religionshasses und Verfolgungsgeistes der Jesuiten bleiben wird. Denn nicht wegen einer geheimen Verschwörung gegen den Kaiser und einer Korrespondenz mit dem Könige von Schweden wurde der unschuldige Graf hingerichtet, sondern aus Religionshass der Jesuiten.

In Hermsdorf unterm Kynast wird das Schwerdt, mit welchem er hingerichtet worden ist, noch aufbewahrt, aber nicht gezeigt.

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Abbildungen von den Ruinen des Kynasts befinden sich in folgenden Werken?

1) In den mahlerischen Wanderungen durch das Riesengebirge in Schlesien, von Nathe. Weimar 1806 (10 Rtlr.) Zwei Blätter in Querfolio stellen den Eingang des Schlosses und die Ansicht der Ruinen von der Südseite dar. Sie sind in Aquatinta von Nathe, Ebner und Häßel brav gearbeitet, und auch einzeln ohne den Text zu haben.

2) Im Taschenbuche für Freunde des Riesengebirges sind zwei kleine Abbildungen in 8., jedoch von keinem großen Werte.

3) Im Magazin der neuesten Reisebeschreibungen in Auszügen, Bd. 2. S. 214. Berlin 1808, ist ebenfalls eine Abbildung in 8.

4) Im ersten Hefte der malerischen Reise durch Schlesien, welche, der Ankündigung des Buchhändlers Salfeld in Berlin zu Folge, in diesem Jahre noch erscheinen soll, wird sich auch eine Abbildung, 9 1/2 Zoll hoch, 1 Fuß 3 Zoll breit, befinden.

Bei Bearbeitung des Vorstehenden habe ich benutzt: Bemerkungen auf einer Reise durch einen Theil des schlesischen Gebirgs und der Grafschaft Glatz. Breslau 1793. 8. — Reise durch Schlesien im Jahr 1801. Ister Bd. Berlin 1822. 8. — Das Riesengebirge, von Hoser. Wien, 2ter Bd. 1804. 8. — Morgenblatt, 208tes St. 1809. — Der Wintergarten von Arnim. Berlin 1809. 8.