Giebichenstein

Am Weg auf hohen Felsen stand
Vor Alters eine Burg;
Die alten Rüdera davon
Wies mit der Schwager Postillon.


Bürger.



Das Schloss Giebichenstein würde in der großen Galerie alter Vesten eine sehr untergeordnete Rolle spielen, und vielleicht schon längst das Schicksal vieler andern — kaum dem Namen nach gekannt zu sein — gehabt haben, wenn es nicht die romantische Fabel von Ludwig dem Springer aus seinem Dunkel herausgehoben und — wenn dieser Ausdruck hier anwendbar sein darf — unsterblich in der Geschichte gemacht hatte. Denn nimmt man diese Erzählung davon, so bleiben nur unbedeutende Begebenheiten übrig, welche die Geschichte seiner Schicksale bilden, für die man alsdann kein vorzügliches Interesse fühlen könnte. So aber hat es einen Namen erlangt, den es nicht wieder verlieren wird, wenn auch klar dargetan wäre, dass jene Erzählung nur das ist, was sie ist — eine Fabel. Von dieser hernach. Jetzt die Geschichte des Schlosses.

Das Schloss Giebichenstein liegt auf einem hohen steilen Felsen dicht an der Saale, eine halbe Stunde von der Universitätsstadt Halle entfernt. Das Jahr seiner Geburt ist, wie bei so vielen Burgen, die ein hohes Alter tragen, in undurchdringliches Dunkel gehüllt. Dies zu verdrängen, würde eine so unmögliche als mühevolle Arbeit sein, auch nur in noch größere historische Untiefen führen. So viel möchte aber wohl erweislich sein, dass es im zehnten Jahrhundert schon gestanden hat, und der Hauptort einer Burggrafschaft gleiches Namens war, deren Besitzer die Grafen von Wettin und Merseburg waren. Einer der Letztern, Markgraf Riddag von Merseburg, trat es an Kaiser Otto I. ab, behielt sich jedoch den lebenslänglichen Nießbrauch vor. Nach seinem Ableben wurde es daher, nebst den dazu gehörigen beträchtlichen Besitzungen, worunter sich auch die Salzquellen in Halle befanden, ein Eigentum der sächsischen Kaiser. Von diesen schenkte Kaiser Otto I. im Jahre 961 einen Teil an das Erzstift zu Magdeburg, und wenige Jahre später das übrige auch. Dessenungeachtet muss aber das Schloss auf gewisse Art noch zur Disposition der Kaiser gewesen sein, idenn es wurde noch lange Zeit von ihnen zur Aufbewahrung angesehener Staatsgefangenen gebraucht. So ließ im Jahre 1003 Kaiser Heinrich II. den Markgrafen Heinrich von Österreich ein Jahr lang hier eingesperrt halten, weil er zum Nachteil des Kaisers die Böhmen nach Bayern geführt hatte. Heinrich III. ließ den Herzog Gottfried von Lotringen zwei Jahre lang darauf einsperren. Herzog Ernst II. von Schwaben saß auch lange Zeit da, weil er wider seinen Stiefvater Kaiser Konrad II. kabalierte; und Ludwig Landgraf von Thüringen, der sogenannte Springer, saß wegen ähnlichen Vergehens zwei Jahre lang hier. Es entstand daher das Sprichwort:

Wer kommt nach Giebichenstein,
kommt selten wieder heim.

Giebichenstein war dabei dennoch die Residenz, oder vielmehr das gewöhnliche Absteigequartier der Erzbischöfe, wenn sie sich in dieser Gegend aufhielten. Nicht aber auf dem eigentlichen Schlosse war es, — denn dies sollte nur in Kriegszeiten zum letzten Zufluchtsorte dienen, — sondern am Fuße des Schlossberges. Hier standen die zur Aufnahme des ganzen Hofstaats und zur Wirtschaft nötigen Gebäude, welche von einem tiefen Graben umgeben waren. Hier befand sich ihre Kanzlei nebst dem Archiv, und hier starben auch mehrere Erzbischöfe, als Walther 1012, Adelgot 1118, Albert IV. 1403, Günther II. 1445, Friedrich III. 1464, und Johann 1475.

Während dieser Zeit hatte das Schloss mancherlei Schicksale. Im Jahre 1278 nahm es Markgraf Dietrich von Landsberg in einer Fehde ein, und gab es dem damaligen Erzbischof Bernhard erst vier Jahre nachher, und nur gegen Erlegung von 500, Mark Stendalschen Silbers, zurück. In einer Fehde zwischen der Stadt Halle und dem Erzbischof Burchard III. eroberte es Graf Bernhard IV. von Mansfeld; und ob er gleich mit den Hallensern alliirt war, so behielt er doch die Beute für sich, versetztest aber für 1.100 Mark Silbers an die Stadt Halle. Im folgenden 1328sten Jahre geriet diese in Bann und Achtserklärung. Warum? ist mir unbekannt. Der Erzbischof erbot sich, sie aus diesem politischen Fegefeuer zu reißen, wenn sie ihm Giebichenstein frei zurückgeben würde. Was wollte sie machen! sie willigte ein, und der Bannstrahl erlosch.

Ottos Nachfolger reparierte es 1363 durchaus, ließ auch am Fuße des Felsens eine hölzerne Brücke über die Saale bauen, die jedoch das Wasser bald wieder zerstörte. Günther III., der in den vielen Fehden mit den Städten Magdeburg und Halle fast alle seine Schlösser einbüßte, behielt nur noch Giebichenstein, und bekriegte von da aus seine Feinde. Er musste zwar auch dieses an Churfürst Friedrich von Sachsen pfandweise überlassen, löste es jedoch bald wieder ein. Nach hergestellter Ruhe befestigte er es im Jahre 1442 aufs neue, ließ um die untern Gebäude herum die zum Teil noch vorhandenen Gräben, Mauern und Türme aufführen, und sein Nachfolger Friedrich II. errichtete da viele neue Gebäude. Dessen Nachfolger Johann, ein Pfalzgraf am Rhein, vermehrte die Schlossgebäude, auf welchen er 1474 den König Christian von Dänemark einige Tage bewirtete, als dieser nach Rom reiste. Im folgenden Jahre starb Johann, und sein Nachfolger Prinz Ernst von Sachsen war der Letzte, der Giebichenstein bewohnte. In Halle läg nämlich der Rat und die Pfännerschaft seit langer Zeit schon in Streit mit einander. Dieser erhob sich 1478 mit einer solchen Heftigkeit, und der Magistrat sah sich dabei so in die Enge getrieben, dass er seine Zuflucht zu dem Erzbischof Ernst nahm, ihn zu Hilfe rief, und sogar die Schlüssel der Stadt auf dem Schlosse Giebichenstein in seine Hände lieferte. Halle hatte von jeher den Erzbischöfen angestanden, und gern hätten sie es längst schon an sich gerissen, wenn nur einiger Schein des Rechts dazu vorhanden gewesen wäre. Der Antrag der Stadt kam daher Ernsten sehr erwünscht, und er säumte nicht, sogleich mit seiner Mannschaft in die Stadt zu ziehen. Die Häupter der Rebellen ließ er gefangen nehmen, und erklärte sich zum Herrn von Halle. Ohne Schwerdtstreich, ohne dass ein Tropfen Bluts floß, ging dieses so in erzbischöfliche Hände über. Ernst, der diesen Ort schicklicher zu einem Wohnort fand, als Giebichenstein, verließ dieses, und bauete sich dort ein Schloss, welches die jetzt auch in Ruinen liegende Moritzburg ist. Seitdem stand Giebichenstein verlassen und verödet, wozu ein Wetterstrahl, der am 1sten September 1572 in eine Scheuer fiel, und mehrere Gebäude abbrannte, viel beitrug.

Der 30jährige Krieg gab ihm vollends den Rest. Der schwedische Feldmarschall Banner quartierte sich im Jahre 1636 mit einem starken Kommando Reiterei darauf ein, und zwar mit aller möglichen militärischen Ungezogenheit. Die Pferde wurden überall hingestellt, in Stuben und in Kammern; ja, sogar in die Amtsstuben wurden sie gebracht, und ihnen hier die Amtsakten und Dokumente untergestreuet. Im Malzhause kam durch die Nachlässigkeit der Soldaten Feuer aus, das die am Fuße des Felsens gelegene Kapelle und sämtliche Burggebäude verzehrte. Nur der Turm, der nachher reparirt ward, und worin noch jetzt die Uhr des Orts ist, und einige Mauern blieben stehen. Diese wenigen Mauern sieht man noch gegenwärtig. Auch die Mauern der Kirche stehen noch, und sind zu einem Brauhause eingerichtet worden. Von den sonstigen erzbischöflichen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden findet man auch noch hin und wieder Reste, welche zu den Wirtschaftsgebäuden des jetzigen Guts benutzt sind.

Die Lage des Schlosses Giebichenstein war vor der Erfindung unserer jetzigen Kriegsinstrumente sehr fest. Der Fels, auf dem es ruhete, steigt fast rings herum gerade in die Höhe. Auf der einen Seite fließt die Saale dicht daran hin, und wenn sonst die Aufgangsseite gut verwahrt wurde, so war es höchst schwierig, es zu erobern; denn auch tiefe Gräben sicherten es am Fuße gegen jede Annäherung.

Die Umgebungen des Felsens sind sehr angenehm, die Aussicht von ihm recht heiteren Charakters. Die sanftfließende Saale, welche nicht fern davon über eine Wehr brauset, das am andern Ufer liegende Dörfchen Cröllwitz, das große reinliche Dorf Giebichenstein, Halle mit seinen schönen hohen Türmen, und ringsum ein buntes Gemisch von Dörfern, Gebüschen, Wiesen, Saatfeldern und Landhäusern, von der Saale in mehrern Armen durchschnitten, das alles bildet, ein Gemälde, wovor man gern verweilt.

Von diesem Gemälde aus der wirklichen Welt führe ich meinen Leser nun zu jenem aus der romantischen, aus der Fabelwelt: ich meine zur Geschichte Ludwigs des Springers. Sie mag diejenigen entschädigen, denen das Vorhergehende trocken schien.

Im elften Jahrhundert herrschte über Thüringen Landgraf Ludwig II., ein Mann, weder von besonderer Tapferkeit noch strenger Moralität, aber feurigen verliebten Temperaments, und von der Natur sehr wohl gebildet. Minderjährig kam er zur Regierung, und kaum volljährig vermählte er sich mit einer Tochter Herzog Ulrichs von Sachsen, lebte jedoch ihres unersättlichen Stolzes halber unglücklich mit ihr, jo dass er sie den Eltern zurückschickte, bei denen sie bald darauf starb. Entfesselt von diesem traurigen Verhältnis, frei und jung, im vollen Besitz jugendlicher Kraft und noch ohne Erben, fühlte er das Bedürfnis; doppelt, sich an ein Wesen anzuschließen, das ihn mit Liebe umfing, suchte aber lange vergebens darnach unter den Burgfräuleins seiner Nachbarn. Allen gefiel wohl er, aber keine fesselte ihn,; und lange schwärmte er umher, bis ihm endlich die Stunde schlug. Auf einem großen Banquet, das der Graf Metzelinus zu Nebra angestellt hatte, traf Ludwig mit der, wegen ihrer besondern Schönheit berühmten Pfalzgräfin, Adelheid von Sachsen zusammen. Die Tafel würzte Frohsinn und muntere Laune, und der Becher löste die Bande der Konvenienz und Etikette. Mach der Tafel wurde getanzt, und wo nun noch Zurückhaltung herrschte, da scheuchte sie Musik, und die vom Walzer sanktionierte Erlaubnis, in verbotenen Graden sich zu nähern. Ludwig drehte sich mit Adelheid im Saale umher; seine Blicke begegneten den ihrigen, seine Hand berührte die ihrige, sein Arm umpfig ihren schönen Körper, ihre beiderseitigen Empfindungen drückte die Grazie aus, mit der sie tanzten, und unwillkührlich richteten sich die Augen Aller auf dieses schöne Paar. Gegenseitig entstand eine Neigung unter ihnen, die freilich besser unterdrückt worden wäre. Wer mag es aber dem jungen Manne verargen, dass er das Schöne schön fand; wer mag der blühenden Adelheid den Seufzer zum Vorwurf machen, der ihrer schwellenden Brust sich entwand, wenn sie den feurigen Ludwig mit ihrem phlegmatischen Eheherrn verglich. — Der Tag verstrich. Mit Blicken gaben sie sich das Wort, eine Neigung nicht zu dämpfen, in deren Fortdauer ein seliger Genuss für sie lag.

Einige Zeit darauf war Ludwig in Freiburg an der Unstrut, wo er ein Schloss erbauen ließ. Hier erfuhr er, dass der Pfalzgraf Friedrich, der auf dem nahen Schlosse Weißenburg *) wohnte, abwesend, und Adelheid allein sei. Rasch schwang er sich aufs Ross und flog hinüber, ließ sich anmelden, und Adelheid empfing ihn mit hochklopfendem Herzen. Die Unterredung war sittsam und einsilbig, bis Ludwig die Laute ergriff, und durch sie seine Gefühle sprechen ließ. Die Annäherung begann; Gefühle lösten sich in Worte auf; unumwundene Erklärungen folgten, und ewige Liebe wurde einander geschworen. Aber wie zum Genuss derselben gelangen? Diese Aufgabe löste — welche Aufgaben lösen Weiber nicht! — Adelheid. Ein schwarzer Anschlag, der ihren schlechten Charakter ins hellste Licht stellt, entquoll ihrem unedeln Herzen. Sie forderte nämlich Ludwig auf, ihren Eheherrn — zu morden. Nur ein von der leidenschaftlichsten liebe gepackter Mann, dessen Vernunft die Sinnlichkeit ganz umgarnt hält, konnte bei diesem Vorschlage nicht zurückbeben, das Weib doch noch an sich reißen, und durch Bande der Ehe, welche sie so eben auf die gewaltsamste Weise zu zerreißen verlangte, an sich fesseln wollen. Ludwig stutzte, leider aber mehr über die Schwierigkeit der Ausführung, als über die Zumutung selbst. Er wandte Einiges dagegen ein; aber Adelheid, hierauf vorbereitet, räumte alle Einwürfe aus dem Wege, und vermochte Ludwig, ihr zu schwören, dass er die Tat vollbringen wolle. Ihr Plan war folgender: In der Nähe des Schlosses Weißenburg war ein kleiner Wald, in welchem Friedrich oft jagte. Hier sollte sich Ludwig, wenn Ersterer im Bade säße, einfinden und mit seinen Reisigen jagen. Sie wollte dann sorgen, dass Friedrich aufgebracht darüber werden, und, um ihm das Jagen zu wehren, auch in den Wald kommen solle. Hier könnte er ihn durch Schimpfreden reitzen, zum Zweikampf auffordern, und — umbringen. Der Zweikampf werde den Mord bemänteln, und er zu weiter keiner Verantwortung gezogen werden. Nach verflossener Trauerzeit würde sie seine Gattin, und ihr Zweck sei erreicht.

*) Im jetzigen Königl. Sächs. Amte Freiburg, über dem Dorfe Zscheiplitz.
Ludwig gab wirklich sein Wort zur Ausführung dieser schändlichen Tat. Auf seiner Burg ließ er die Waffen in Stand setzen, Fangeisen, Armbrust, Pfeile, Alles bereit legen, um auf jeden Fall mit Allem Versehen zu sein, und wenn der Streich mit Einer Waffe misslänge, ihn mit der andern auszuführen. Er blieb in Freiburg, um auf den ersten Wink seiner Geliebten da zu sein. Dieser erfolgte. Adelheid ließ ihn benachrichtigen, dass ihr Mann so eben ins Bad gestiegen sei, er möchte jetzt in dem bestimmten Hölzchen erscheinen. Ludwig zog aus, von einem starken Jagdgefolge begleitet, und Hörner und Hunde verkündigten gar bald seine Gegenwart. Adelheid, die mit erheuchelter Sorgfalt sich um des Mannes Badewanne beschäftigte, hörte nicht so bald die süßtönende Musik, als sie ans Fenster lief, zu sehen, was es gäbe. Mit ereifernder Stimme fuhr sie auf den badenden Ehemann los, erzählte ihm, was sie gesehen, und forderte ihn auf, diesen Eingriff in seine Rechte nicht zu zdulden, und den jagenden Ludwig für einen solchen Frevel zu züchtigen.

Pfalzgraf Friedrich, der den Frieden liebte, gern allen Streit vermied, selbst mit Aufopferung eigenen Vorteils vermied, suchte Ludwig zu entschuldigen, erklärte das Überschreiten seines Jagdreviers für eine zufällige Verirrung, womit es Nachbarn nicht so streng nehmen müssten, und meinte, dass ein Hirsch mehr oder weniger kein großer Verlust für ihn sei.

Adelheid wurde aber heftiger, mahlte Ludwigs Vergehen mit den grellsten Farben aus, sprach ihrem Gatten allen männlichen Charakter ab, nannte ihn feig, weibisch, phlegmatisch, und brachte es endlich dadurch so weit, dass sich dieser aus dem Bade erhob. Was blieb ihm anders übrig, als das liebe Weib zu besänftigen; er musste ja wohl.

Wer war nun geschäftiger als Adelheid, den Gemahl anzukleiden, und ihn, von einigen Dienern begleitet, hinab in den Wald zu treiben. Die Schlange! sie hatte ihm das Sterbekleid angelegt; er kehrte nicht wieder.

Friedrich traf Ludwigen mit seiner Schaar im vollen Jagen an; und da dieser gar nicht tat, als wollte er sich entschuldigen, so wurde doch Friedrichs Galle rege. Er sprengte auf Ludwig zu, redete ihn barsch an, und verlangte Genugtuung. Ludwig antwortete keck; ein Wort holte das andere; sie gerieten in den heftigsten Wortwechsel; Ludwig drückte sein Armbrust auf den ganz unbewaffneten Pfalzgrafen ab, fehlte, nahm nun einen Schweinsspieß, rannte auf ihn los, und ehe Friedrich nur auszuweichen vermochte, lag er schon in Blute schwimmend an der Erde. Das ledige Roß lief nach der Burg zurück, die Diener Friedrichs trugen den entseelten Leichnam nach, und Ludwig begab sich auf sein am Türinger Walde gelegenes Schloss Schauenburg.

Adelheid spielte die Rolle der Untröstlichen, der tief Gebeugten meisterhaft. Sie rang die Hände, zerstoß in Tränen, zerraufte ihre schönen blonden Locken, warf sich in die tiefsten Trauerkleider, und ließ den Leichnam Friedrichs mit großem Pomp im Kloster Gosek beisetzen. Weg war nun das Hindernis, das ihrer Liebe zu Ludwig entgegenstand; und die Hoffnung, zu seinem Besitze zu gelangen, übertäubte die Stimme ihres Gewissens. Ludwig konnte diese nicht so leicht zum Schweigen bringen. Sie mahnte ihn oft und hart. Trotz der Rohheit der Sitten jener Zeit fühlte er das Schlechte seiner Handlung ganz, und suchte daher allerlei Zerstreuungen auf. Es gelang. Zeit und Umstände mindern Alles, und bald mahlte ihm die Hoffnung einer Verbindung mit Adelheid eine rosenfarbene Zukunft vor. Er sandte Spione aus, welche hören mussten, was man über den Vorfall spreche, was seine Geliebte mache, und er erfuhr, dass vielerlei Gerüchte darüber zirkulierten, dass die meisten den Mord als im Zweikampf geschehen betrachteten, vom eigentlichen Grunde desselben aber niemand etwas ahne, und Adelheid in stiller Eingezogenheit auf ihrer Burg lebe und trauere. Jetzt wurde er dreist, und schritt zur Ausführung des Plans. Eine zärtliche Korrespondenz, wie sie die bleierne Schreibart der Zeit nur zuließ, begann zwischen den beiden Liebenden; und noch war kein Jahr verflossen, als Ludwig die untröstliche junge Wittwe nach der Schauenburg führte und sie ehelichte. Mit aller Pracht jener Zeit wurde die Vermählung gefeiert. Acht Tage lang wechselten Turniere, Banquets, Musik und Tanz woran alle Edle der umliegenden Gegend Teil nahmen, und vergessen war bald im Taumel der Lust der blutige Pfad, auf welchem die Liebenden ins Ehebette wandelten. Nun aber war die Ermordung Friedrichs für Niemand mehr ein verhülltes Geheimnis. Die Ungeduld der Liebenden, sich zu besitzen, hatte selbst den Schleier zerrissen, der ihn verhüllte, und Ludwig erschien jetzt als absichtlicher Mörder. Friedrichs Verwandten suchten daher Alles hervor, sich an ihm zu rächen. Besonders tat dies Friedrichs Bruder, der Erzbischof Adelbert von Bremen. Dieser wusste sich beim Kaiser Heinrich IV. anzuschmeicheln und ihn gegen Ludwig einzunehmen; und da die Unruhen zwischen Heinrichen und den Türingern wegen des Mainzer Zehnden, — wovon wir bei der Geschichte des Schlosses Spatenberg mehr hören werden — damals obwalteten, so benutzte er diesen Umstand, und schilderte Ludwigen als einen Hauptäufwiegler der Türinger. Es gelang ihm auch — denn was gelang in diesen Zeiten den Pfaffen nicht! — den Kaiser so gegen Ludwigen aufzubringen, dass er Befehl gab, den unruhigen Kopf gefangen zu nehmen. Die Ausführung dieses erschlichenen Befehls erfolgte bald. Als Ludwig einst von Sangerhausen nach Halle ritt, ward er aufgehoben und nach dem Schlosse Giebichenstein geführt.

Ohne die eigentliche Ursache der Verhaftnehmung zu wissen, saß er gefesselt und eng verwahrt. Vergebens harrte er auf eine Anklage, vergebens auf Heinrichs Rückkehr aus Italien, um sich der Gnade, desselben unterwerfen zu können. Trostlos jammerte zu Hause seine Adelheid, und Beide weinten über ihr trauriges Schicksal. So verging ein, so vergingen zwei Jahre. Die Hoffnung, aus dem Kerker zu kommen, ward immer schwächer, und die Furcht vor einer traurigen Zukunft nahm zu. Endlich kehrte Heinrich aus Italien nach Thüringen zurück, und nun sollte Ludwigen der Prozess gemacht werden. In dieser peinlichen Lage nahm Ludwig seine Zuflucht zum heiligen Ulrich, flehte diesen Patron um Hilfe an, und versprach Kirchen und Klöster zu bauen, Tempel und Altäre zu errichten, wenn er ihn befreien würde. Der heilige Ulrich nahm dies gnädig auf, und sein Beistand äußerte sich dadurch, dass Ludwig auf den Einfall kam, durch einen Sprung aus dem Fenster seines Gefängnisses hinab in die Saale, zu entkommen. Dieser Gedanke gedieh immer mehr zum festen Entschluss, und seine Ausführung geschah folgendergestalt. Um der Fesseln entledigt zu werden, stellte er sich krank und immer kränker. Er wurde schwach und man, sprach von seinem Ende, verließ das Lager nicht, ließ Alles mit sich machen, wie mit einem Kranken, und erreichte dadurch unverlangt, was er wünschte. Man nahm als unnötig und für seine Genesung schädlich ihn, die Fesseln ab; doch verließen ihn die sechs Edelleute, welche Tag und Nacht bei ihm die Wache hatten, nicht. Nachdem einige Tage so verflossen waren, und er seine Schwäche recht täuschend hatte zunehmen lassen, verlangte er seinen Geheimschreiber, um ihm seinen letzten Willen diktieren zu können. Einer Person seines Ranges konnte dies nicht versagt werden, und der Geheimschreiber kam. Durch die zunehmende Krankheit sorgloser gemacht, und auch aus Bescheidenheit bei Abfassung des letzten Willens nicht gegenwärtig sein zu wollen, ließen die Wächter Ludwigen meistens allein mit seinem Diener. Statt des letzten Willens diktierte Ludwig aber demselben einen Befehl an seinen Amtmann in Weißenfels, welcher alle Anstalten zur Flucht entielt. Zwei Kähne sollten auf einen bestimmten Tag unterm Schlosse Giebichenstein bereit sein, ihn aufzunehmen, sein Leibross, der Schwan genannt, am andern Ufer der Saale dereit stehen, ihn weiter zu tragen, und der Geheimschreiber musste ihm einen Mantel von Wachstuch verschaffen, den er umnehmen wollte, damit sich der Wind darin fangen möchte und er sanfter in die Fluten hinabfiele. Alles dies geschah, und Niemand gewahrte das Mindeste. Es hieß, der letzte Wille sei nun verfasst, und der Geheimschreiber begab sich wieder zurück, der harrenden Adelheid hiervon Nachricht zu überbringen. Mit freudiger Unruhe sah Ludwig den Tag sich nähern, den er zu seiner Erlösung bestimmt hatte, und der ihn wieder in den Schooß seiner Familie zurückbringen sollte. Ängstlich - bange über die Ungewissheit des Gelingens seines gewagten Plans, warf er sich am letzten Abend auf das Lager, zog sein Rettungskleid an, und tat einen Mantel darüber, es zu bergen. Kein Schlaf winkte ihm; Gefühle gemischter Art hielten seine Lebensgeister in steter Spannung. Viel zu langsam krochen ihm die Stunden vorwärts. Jede Minute däuchte ihm, sechzig, der Gang der Uhr im hohen Turme über ihm schien zu stocken. So quälte er sich durch diese ewige Nacht, indes sie seinen schnarchenden Wächtern ein Augenblick war. Mit inbrünstigem Gebete begrüßte er am Fenster die ersten Strahlen der Sonne, die in seinen Kerker fielen. Mit Wehmut sah er hinab in die Fluten der Saale, in denen sich die Sonnenglut spiegelte, mit Wehmut, ob sie sein Grab oder seine Befreier sein würden. Er seufzte laut, hob die Hände empor und da entfiel ihm der Stab, mit welchem er der verstellten Schwäche halber immer herumging. Seine Wächter sprangen erschrocken auf, rieben sich den Schlaf aus den Augen, und wunderten sich sehr, Ludwigen so zeitig das Lager verlassen zu sehen. Mit der Antwort, dass ihm heute recht wohl sei, und er sich durch Herumgehen Bewegung machen wolle, beruhigte er sie jedoch wieder.

So brachst Ludwig fast den ganzen Tag mit Herumgehen in seiner Klause zu. Die Unruhe trieb ihn umher. Oft sah er durch das Fenster, ob nicht die bestellten Kähne auf der Saale erschienen, sein Pferd nicht ankäme; und schon glaubte er vergebens zu harren, da der Abend nahte, als endlich die ersehnten Rettungswerkzeuge anlangten. Mit hochklopfendem Herzen ging er noch einmal in der Stube auf und ab. Seine Wache, vertieft im Damenbrettspiel, beobachteten ihn nicht. Diesen Moment benutzte er, warf erst den Stab und den obern Mantel von sich, sprang dann in das offene Fenster und stürzte sich hinab in die Saale. Das künstliche Gewand blahete der Wind auf, und so fiel er sanft in die Wellen, aus denen ihn die Fischer hervorzogen und an das Ufer brachten. Hier setzte er sich auf sein getreues, flüchtiges Ross, und jagte nach Sangerhausen in die Arme seiner Adelheid.

Wie es möglich war, von einer so beträchtlichen Höhe herab in die Saale zu springen, ohne wenigstens sinnlos ans Ufer gebracht zu werden, das wollen wir ununtersucht lassen. Wahrscheinlich aber schützte ihn der Hexameter:

Suscipe virgo tuum nunc sancta Maria ministrum.

den er im Hinabspringen rezitierte.

Kurz, Ludwig hatte sich befreit, war glücklich gerettet, baute dem heiligen Ulrich die versprochene Kirche zu Sangerhausen, die jetzt noch steht, stiftete das Kloster Reinhardsbrunnen und seine Adelheid das Kloster Oldisleben. Nun war der Himmel beruhigt, die Menschen auch, und Ludwig hieß seit der Zeit der Springer.

Die ganze Legion der Chronikenschreiber von Thüringen erzählt die Geschichte dieses Sprunges. Sö wahrscheinlich sie sie aber auch darzustellen, so sehr sie sie aber auch mit der genauesten Angabe vieler kleinen Nebenumstände zu begleiten weiß, und so geneigt man ist, sich durch das Abenteuerliche und Romantische derselben bestechen zu lassen und ihr Glauben beizumessen, so auffallend zeigt doch das Lokal, dass es eine völlige Unmöglichkeit war, an der Seite, wo die Saale beim Schlosse Giebichenstein vorüberfließt, hinab zu springen. Denn es ragen einige Felsstücke so weit hervor, dass übermenschliche Schnellkräfte nötig wären, sich über sie hinaus zu schwingen. Dass die Saale nicht ganz dicht am Felsen wegläuft, wäre ein noch zu widerlegender Einwurf, da die Ufer eines Flusses steten Veränderungen ausgesetzt sind. Man kann daher diesen Sprung für nichts anderes als ein Mährchen halten, das dem von der Rosstrappe am Unterharze zugesellt werden muss. So wie man nun da dem Reisenden noch die Spuren des Pferdetrittes zeigt, so wird man auch hier auf das noch zur Hälfte stehende Fenster aufmerksam gemacht, aus dem Ludwig entwischte.

Ohne Zweifel geht es aber mit dieser Geschichte wie mit so mancher andern, die einen fabelhaften Anstrich hat. Etwas Wahres liegt immer zum Grunde, nur ist dies durch vieljährige Tradition, aus politischen Rücksichten, oder aus sonstigen Privatursachen, welche man in Urkunden oder öffentlichen Schriften vergebens, suchen möchte, in ein solches Gewebe von Unwahrscheinlichkeiten gehüllt, dass es nicht mehr zu erkennen oder ganz daraus verdrängt ist. Ludwig wurde vom Kaiser Heinrich IV. im Jahre 1081 wirklich gefangen genommen und auf Giebichenstein gesetzt. Nicht aber wegen der Ermordung Friedrichs, die er, freilich, wo nicht selbst verrichtete, doch verrichten ließ, sondern weil er an einer von den sächsischen Fürsten wider den Kaiser gestifteten Revolte Anteil genommen hatte. Auch befreite ihn kein Sprung, sondern seine Freunde. Die Wächter, welche entweder bestochen oder überlistet waren, erzählten aber seine Flucht auf jene wundervolle Art, um der Verantwortung zu entgehen, oder ihre Nachlässigkeit zu bemänteln, welche Zwecke sie auch erreichten. Mit Hilfe des heiligen Ulrichs fanden es ihre leichtgläubigen Zeitgenossen gar nicht unmöglich, und Ludwig erhielt den Beinamen des Springers, der ihm auch jetzt noch, nur mit dem Zusatze: „so genannt“ des Unterschieds wegen nicht entzogen wird.

Ludwig starb 1123, ein und achtzig Jahr alt. Adelheid funfzehn Jahr früher. Beide liegen in der Klosterkirche zu Reinhardsbrunnen begraben. Sein moralischer Charakter setzt ihn keinesweges unter die Zahl derer, die sich durch sittliche Tugenden hervortaten. Er beging bei der Erbauung der Wartburg, wie wir demnächst bei der Geschichte dieses Schlosses sehen werden, eine große Ungerechtigkeit; er ließ den Pfalzgrafen Friedrich aus unreiner Liebe ermorden, oder tat es selbst; er weigerte sich, seinem Stiefsohne die väterlichen Güter herauszugeben: lauter Züge, die seinem Herzen wenig Ehre machen. Man würde aber auf der andern Seite auch sehr irren, wenn man die Tugenden jenes Zeitalters nach unserm Maßtabe abmessen wollte. Die rohe Denkungsart jener Zeiten entschuldigt Manches, was unsere Moralisten aufbringen würde, und die damalige Verwirrung und stete Befehdung machten manche Handlung notwendig, welche außerdem schreiende Ungerechtigkeit gewesen wäre.

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Von den Ruinen des Schlosses Giebichenstein gibt es einige Abbildungen. Im dritten Hefte der Topographie pitoresque des états prussiens. Berlin, bei Merino, 1788. ist eine illuminierte von Mergel, welcher Treue der Darstellung nicht abzusprechen ist. Dreyhaupt in seiner Beschreibung des Saalkreises stellt sie im 2ten Teile auf der vierzigsten Tafel, von G. A. Gründler gezeichnet, dar, wie sie im Jahre 1752 aussahen. Der Unterschied zwischen damals und jetzt ist jedoch nicht groß, wenige Mauern standen damals mehr. Dieser Teil der Dreyhauptschen Beschreibung des Saalkreises; Vulpius Ludovicus desiliens, 1713; Müllers Streifereien in den Harz, 1ster Bd. 1800, und eigne Ansicht des Lokals sind die Quellen, aus denen ich bei Bearbeitung der Erzählung von Giebichenstein schöpfte.