Viertes Buch. - Rinaldo fand die Wohnung der schönen Olimpia verschlossen. – Das erinnerte ihn an etwas, das ihm Lodovico gesagt hatte, und er wünschte sich von ihrem Doppelquartier zu überzeugen. ...

Viertes Buch

Des Schicksals Ball! er fliegt zum Ziele,
Geschleudert durch des Zufalls Hand.
Wer nimmt aus diesem Zauberspiele
Des Wahnes Schleier, Stab und Band?


Rinaldo fand die Wohnung der schönen Olimpia verschlossen. – Das erinnerte ihn an etwas, das ihm Lodovico gesagt hatte, und er wünschte sich von ihrem Doppelquartier zu überzeugen. Er ging die Promenade hinauf und dachte darüber nach.

„Ei!“ – sprach er endlich, ganz ungeduldig, – „Mag sie doch wohnen, wo sie will. Wie kann mich überhaupt etwas beschäftigen, das dieses Weib betrifft? Ich will ja Neapel verlassen und weiß wenigstens – wie sie ist!“

Jetzt war er der Lorenzo-Kirche nahegekommen und ging – vielleicht von einer kleinen Ahnung dahin getrieben – hinein.

Der erste Gegenstand, der ihm in der Kirche in die Augen fiel, war Olimpia. Sie hatte gebetet, schlug eben ihr Buch zu, stand auf, gab einem Kavalier, der ihr das Weihwasser reichte, den Arm und verließ mit ihm die Kirche.

Rinaldo folgte ihr in der Entfernung und ging sogar ihr in das Haus, in welches ihr Begleiter sie führte. – Auf der Treppe begegnete ihm Olimpias Mädchen, die heftig erschrak.

„Wohnt ihr auch hier?“ fragte Rinaldo bitter, eilte, ohne ihre Antwort zu erwarten, bei ihr vorbei, öffnete die erste beste Tür und trat durch einen kleinen Vorsaal in ein Zimmer, in welchem Olimpia mit ihrem Begleiter auf einem Sofa saß.

Olimpia entglühte sichtbar, als sie den unerwarteten Gast eintreten sah. Ihr Begleiter sah wechselseits bald sie, bald den kühnen Unbekannten mit großen Augen an, und Rinaldo kam erst jetzt wieder zu sich, um zu fühlen, wie unbesonnen er gehandelt hatte. – Indessen war es jetzt nicht Zeit, Reflexionen über etwas anzustellen, das nun einmal geschehen war. Er suchte sich also so gut wie möglich zu fassen, machte beiden ein stummes Kompliment, gab Olimpien einen bedeutenden Blick, fixierte ihren Begleiter ein wenig stark und nahm mit einer zweiten stummen Verbeugung wieder Abschied. – Aber kaum hatte er die Tür des Vorsaals erreicht, als er die Tür des Zimmers öffnen und jenen Herrn sich nachrufen hörte:

„Mein Herr! Ein paar Worte?“

Rinaldo drehte sich herum und fragte gelassen:

„Was beliebt?“

„›Was habt Ihr hier zu suchen?‹“.

„Was ich gefunden habe.“

„›Deutlicher! – Was sucht Ihr hier?‹“

„Eine Überzeugung, die ich, wie gesagt, auch gefunden habe.“

„›Ohne Umschweife! Ich fordere bestimmte Erklärung.‹“

„Prinz! Ich bitte Euch“ – schrie Olimpia, – „laßt Euch von mir die Erklärung geben!“

Die Leser erraten nun, daß es der von Lodovico bezeichnete Prinz della Torre war, der jetzt so trotzig mit Rinaldo sprach.

PRINZ Hier waltet ein Geheimnis, zu welchem ich den Schlüssel haben muß!

RINALDO Die Signora will ihn Euch ja geben.

OLIMPIA Dieser Herr –

PRINZ Wer ist er?

OLIMPIA Er ist ein Bekannter des Kapitäns und will vermutlich mich sprechen.

Der Prinz warf ihr einen sehr sprechenden Blick zu. Sie schien ihre Fassung zu verlieren, wurde blaß und sank auf ein Sofa.

„Ihr habt doch nicht etwa gar eine Ohnmacht zu befürchten?“ – fragte der Prinz spöttisch und warf sich, heftig bewegt, auf einen Stuhl.

Rinaldo fragte ganz gelassen:

„Kann ich gehen oder soll ich bleiben?“

„Tut, was Euch beliebt“, – antwortete der Prinz ebenso gelassen, als gefragt wurde.

Sogleich nahm Rinaldo beiden gegenüber auf einem dritten Stuhle Platz. –

Die Gruppe blieb stumm.

Endlich sprang der Prinz auf, drückte seinen Hut tief ins Gesicht und verließ das Zimmer der sonderbaren Konversation, ohne eine Silbe zu sprechen.

OLIMPIA Was hast du getan?

RINALDO Du weißt, was Du getan hast.

Du hast mich hintergangen, getäuscht, belogen, betrogen, und ich weiß mehr, als du glaubst. – Signora, ich erinnere Euch an jene Szene, als uns der Kapitän beisammen fand; ich erinnere Euch an das, was er sagte, und bitte mir, wie er, meinen Ring aus.

OLIMPIA Der Kapitän fand uns ganz anders, als du uns gefunden hast.

RINALDO Euch nicht eben so zu finden, lag an mir. Ich hätte nur noch ein wenig verziehen sollen. – Ich bitte um meinen Ring. Ich will ihn Euch abkaufen.

OLIMPIA Elender! ich brauche dein Kaufgeld nicht, solange andere noch welches für dich selbst geben. – Was ist mehr wert, der Ring oder dein Kopf? – Beide sind in meiner Gewalt, edler – Graf! – Ich erwarte von Euch binnen vierundzwanzig Stunden tausend Dukaten. Denn nach diesem Vorfall muß ich Neapel verlassen. – Gebt Ihr mir das Geld nicht, so gibt es mir ein anderer für Euch. Ihr versteht mich doch? – – Mein Mädchen soll das Geld bei Euch abholen. Hier ist Eurer Ring. – Nochmals: Ihr habt mich verstanden? – Gott befohlen!

RINALDO Wenn Ihr glaubt –

OLIMPIA Ohne Einwendungen, Graf! oder ich nenne Euch – bei einem andern Namen.

RINALDO Doch nicht bei des Kapitäns eigentlichen Namen?

OLIMPIA Ein abgenutztes Stückchen! Ihr entkommt mir nicht! – Ich weiß, wen ich vor mir habe, und wir sind jetzt in keinem Hohlwege. – Es bleibt bei meiner Forderung. – Zahlt Ihr nicht, so zahlt man anderswo für Euch.

RINALDO Ihr sollt das Geld haben. – Gesteht mir aber, daß Ihr mich hintergangen habt.

OLIMPIA Wozu mein Geständnis, wenn Ihr das glaubt? Es kann Euch weder beruhigen noch verlegener machen, als Ihr schon wirklich seid. Ich lasse das Geld abholen, und Ihr wünscht mir glückliche Reise. Damit ist zwischen uns alles abgetan. Wenn Ihr klug seid, so macht Ihr es wie ich und geht aus Neapel. Der Prinz möchte uns beiden ein Bad zubereiten, das gewiß unser letztes sein würde. Auch habt Ihr den Kapitän zu fürchten. Ihr seid sein sicherstes Kapital in Neapel. Weiß er sich einmal gar nicht mehr zu retten, so greift er Euch, wie einen Sparpfennig an und macht Euch zu Gelde. Auf dieser Spekulation des Kapitäns ganz allein beruht Eure bisherige Sicherheit. Ihr seid sein Notpfennig. – Jetzt komme ich ihm zuvor. Ich greife den Schatz an. Aber ich weiß mir auf keine andere Art zu helfen. – Wann kann ich mein Mädchen zu Euch schicken?

RINALDO Sobald es Euch beliebt. – Ich wünsche Euch glückliche Reise.

OLIMPIA Ich Euch gleichfalls, gefürchteter Beherrscher der Apenninischen Schlupfwinkel. – Ha, ha, ha! Rinaldini! ‘s ist wahrlich ärgerlich, daß ein so gefürchteter Mann, wie Ihr einer seid, ein armseliges Weib fürchten muß, die so reich an Liebe als sie arm an Gelde ist, und die die Notwendigkeit zwingen könnte, um ein paar lumpiger Dukaten willen, Euch in Fesseln nach Toscana führen zu sehen. – Pfui! wozu kann Geldmangel nicht zuweilen die besten Menschen verleiten! Mich zur Verräterei und Euch zum Stehlen.

RINALDO Wir beide, Signora, tun wohl am besten, uns keine moralischen Vorlesungen zu halten.

OLIMPIA Gut dann! aber noch ein paar Worte über mich und mein Betragen, von mir selbst. – Da ich durch den Kapitän wußte, wer Ihr wart, da ich seine Absichten auf Euch genau kannte und Euch liebte, – auch noch liebe, – so lag mir viel daran, meinen Geliebten eines gewissen Schutzes zu versichern. – In dieser Voraussetzung liegt der Grund meiner Bekanntschaft mit dem Prinzen. Ich hätte Euch gelegentlich selbst miteinander bekannt gemacht. Ihr selbst habt das Gewebe zerrissen, in welches ich mich so selbstwillig für Euch hineingesponnen hatte. – Es war Zufall, daß es so kam, daß es so kommen mußte, und – wir wollen einander keine Vorwürfe machen.

RINALDO Demnach bin ich Euch ja aber noch Dank schuldig?

OLIMPIA Ich hoffe. – Wißt Ihr sonst noch etwas, das –

RINALDO Ich wüßte weiter nichts zu sagen, – als daß ich jetzt ein Stückchen Menschenkenntnis mehr erobert habe.

OLIMPIA Nun! so wendet es gut an.

RINALDO Es soll gewiß geschehen.

OLIMPIA Und sollten wir uns etwa einmal irgendwo wiedersehen, so –

RINALDO So kennen wir uns nicht mehr.

Er drehte sich langsam herum, ging und eilte in den Hafen.

Auf dem Wege dahin traf er ganz unvermutet auf den Kapitän, der ihm einen Wink gab und dem er unwillig an einen abgesonderten Platz folgte.

„Wir wollen“, – sagte der Kapitän, „nichts von alten Sachen sprechen, und was geschehen ist, sei geschehen, was vergangen ist, sei vergangen. Jetzt ist die Rede von dem Gegenwärtigen. Ich bedarf Geld und nehme in dieser gegenwärtigen Angelegenheit meine Zuflucht zu Euch, da ich weiß, daß Ihr mit dem, was mir fehlt, versehen seid. Ihr leiht mir 2000 Stück Dukaten, und ich setze Euch meine Verschwiegenheit als Pfand ein. – Die Sache sieht eigentlich einer Prellerei so ähnlich wie ein Ei dem andern, sie ist’s aber nicht. – Übrigens, wenn Ihr die Signora Olimpia ebensogut zu benutzen versteht, als sie den Prinzen della Torre vermutlich benutzen wird, so ist meine Forderung wirklich nur eine Anleihe auf ein weit besseres Kapital.“

„Ich weiß“ – antwortete Rinaldo, – „was ich Euch zu verdanken habe und was ich Euch schuldig bin. Ich weiß, welchen entschiedenen Anteil Ihr an mir und an meinem Schicksal nehmt und bin Euer Schuldner. Wenn ich Euch 2000 Dukaten gebe, so bitte ich Euch, dieselben als ein kleines Geschenk meines lebhaften Dankes anzunehmen. Bis übermorgen sollt Ihr, was Ihr verlangt, haben.“

„Freund“, – fuhr der Kapitän fort, – „meine Bedürfnisse sind, wie gesagt, dringend. Die Summe hätte ich lieber heute noch als morgen oder übermorgen.“

„Nun! so will ich zusehen, Euch das Geld bis morgen Abend zu verschaffen, da ich Kostbarkeiten verwechseln muß, wo ich Euch bei mir zu sehen hoffe.“

Er nahm mit einer stummen Verbeugung von dem Kapitän Abschied, der ihm schweigend nachsah, und ging in den Hafen. – Hier lag ein segelfertiges Genuesisches Schiff, das in einigen Stunden die Anker zur Abfahrt lichten wollte. Es wollte nach Malta. – Rinaldo sprach mit dem Kapitän des Schiffes und machte ihm sein Verlangen, bei ihm an Bord zu gehen, bekannt. „Ich werde Euch“, – sagte der Schiffskapitän, – „mit Vergnügen aufnehmen. Erlaubt mir aber, Euch etwas zu sagen, das Ihr vielleicht noch nicht wißt und das ich soeben erst erfahren habe. Es ist seit einer Stunde hier im Hafen der allgemeine Befehl publiziert worden, keinen Passagier bei Strafe der Konfiskation der Schiffsladung aufzunehmen, der nicht dazu einen Erlaubnisschein von der Stadtpolizei vorzeigen kann. Ich weiß nicht, worauf das zielt. Es muß sich etwa eine verdächtige Person, an der etwas gelegen ist, in der Stadt befinden, die sich davonmachen will und der man nachspürt.“

„Das wird’s auch sein!“ – antwortete Rinaldo anscheinend gelassen, unter heftigem Herzklopfen. – „Ich werde mir also einen Erlaubnisschein geben lassen.“

Ängstlich und unruhig erreichte Rinaldo wankend und wie ein Träumender sein Haus.

„Wird es denn“ – sprach er bei sich selbst, „auf einmal so hell um dich! O geh zurück und verbirg dich in das Dunkel deiner Höhlen und Wälder.“

Lodovico war auf seinem Zimmer. Er fand ihn, als er eintrat, mit Rosalien im Gespräch. – Er erzählte, was ihm in dem Hafen begegnet war. Rosalie zitterte, Lodovico wurde verlegen. Man sah sich an und sprach nicht.

Endlich begann Rinaldo und schien wieder zu Fassung gekommen zu sein:

„Lodovico, du bist ein ehrlicher Kerl. Dir vertraue ich das Mädchen und diese Koffer an. Bringe sie in Sicherheit. Ich entferne mich in der größten Stille aus Neapel. Ihr kommt mir nach. – Zu Cosenza ist der Sammelplatz, wo wir uns auf jeden Fall treffen. – Ich weiß es gewiß, daß mein Aufenthalt hier verraten ist. Meine Person muß ich also zu retten suchen. Ihr werdet unbemerkt reisen. Ich hoffe, mich durchzuschleichen.“

Hierauf warf er sich in Pilgerkleider, nahm so viel Edelsteine, als er schicklich vernähen und verbergen konnte, zu sich und verließ ohne Verzug seine Wohnung.

Lodovico schwur ihm Treue zu. Rosalie zerfloß in Tränen.

Rinaldo verließ unangehalten die Stadt und nahm seinen Weg auf Salerno zu. – Er erlaubte sich keine langen Ruhepunkte und verfolgte seinen Weg bis Clavimonte, wo er, auf das äußerste ermattet, ankam und wider Willen ein bleibendes Ruhelager aufschlagen mußte. – In einer elenden Herberge kämpfte er mit Leibesschmerzen und Seelenangst. Seine Füße waren wund, durcheitert und geschwollen, und in seiner Brust tobte es heftig. Er wünschte sich den Tod und getraute sich nicht, ihn herbeizurufen.

Ein rechtschaffener Arzt nahm sich seiner an, stillte seine körperlichen Schmerzen und suchte ihn durch freundschaftliche Unterhaltungen aufzuheitern. Das erstere gelang ihm ganz, das letztere kaum zur Hälfte.

Rinaldo machte sich endlich wieder auf den Weg und eilte den Gebirgen von Mormando zu, durch welche er nach Cosenza gehen wollte. Er ging an mancher Klause vorüber und gedachte seines Freundes Donato. Jedes Kloster erinnerte ihn an Aurelia, und jede wilde Gegend war ihm ein Schauplatz seines Lebens in den Apenninen.

Einst warf er sich, von der Hitze des Tages gedrückt, bei einer Quelle unter einigen Pappeln nieder und überließ sich stillen Betrachtungen, als er ganz unvermutet von einem nahen Geräusch aufgeschreckt wurde. Er blickte auf und sah ein paar Menschen neben sich stehen, deren Äußerliches sehr mit dem Ansehen seiner ehemaligen wilden Kameraden übereinstimmte.

„Wer bist du?“ fragte der eine.

„Wie ihr seht, ein Pilger“, – war Rinaldos Antwort.

„Wohin willst du?“

„Zum Gnadenbilde der heiligen Jungfrau nach Cosenza.“

„Kannst du nichts Klügeres tun?“

„Ich bin krank und schwach und hoffe dort Hilfe zu finden.“

„Wir wollen dir den Gang erleichtern. Zieh deine Börse und liefere sie uns aus.“

„Wer seid ihr?“

„Wir sind Menschen, die sich auf eine kluge Art zu nähren suchen.“

„Ich habe nur wenig Geld bei mir.“

„Nicht lange expostuliert! Wir haben keine Zeit, uns in Gespräche einzulassen.“

„Habt ihr von dem berühmten Rinaldini gehört?“

„O ja!“

„Dieser ließ keine armen Pilger plündern. Sein Freund Cinthio traf einst“ –

„Cinthio?“

„Warum fällt euch dieser Name auf?“

„Warum sollte er uns nicht auffallen? Eben so heißt unser Hauptmann.“

„Euer Hauptmann? – Wo ist er? Führt mich zu ihm. Er kennt mich. Ich habe ihm einst einen Dienst erwiesen, den er mir zu vergelten versprochen hat. Jetzt ist die Zeit da, wo er Wort halten kann.“

Die beiden Staudenhechte sahen sich schweigend an, und Rinaldo wankte auf. Er ergriff seinen Pilgerstab und machte sich marschfertig.

„Nicht vom Platze!“ – schrie ihm der eine zu und streckte ihm seine Pistole entgegen.

„Ich verlange zu euerm Hauptmann geführt zu werden“, – sagte Rinaldo gefaßt. – „Dieser wird mich nicht bestehlen lassen.“

„Kerl! rede nicht so frech.“

„Fürchtet ihr, ich würde euch verklagen, so gebe ich euch mein Wort, es soll nicht geschehen. – Ihr schweigt? – Bursche! ich halte Wort. – Ich ehre euch hoch, wenn ich euch bitte, mich zu Cinthio zu führen.“

„Oho! über die hohe Ehre!“

„Ich schwöre es euch zu, Cinthio wird euch wohl belohnen, wenn ihr mich zu ihm bringt. Ich bin ein Mann“ –

„Das sehen wir. Aber zum Hauptmann führen wir dich nicht. – Deine Börse, oder eine Kugel durchs Hirn. Wähle!“

„Schießt, wenn ihr Mut habt. Ich bin Rinaldini.“

Mit einem Tempo streckten beide ihre Gewehre und legten sie zu seinen Füßen nieder.

„Ich halte Wort. Führt mich zu euerm Hauptmann. Überdies schenke ich einem jeden von Euch zehn Dukaten.“

Die Kerle sprangen freudig hoch auf, warfen die Hüte in die Luft, küßten ihm die Hände und führten ihn mit sich fort. – Als sie sahen, daß Rinaldo so matt war, schlugen sie ihre Hände ineinander, ließen ihn sich auf ihre Arme setzen und trugen ihn bis zu Cinthios Residenz.

Diese Residenz war eine geräumige Höhle, vor welcher Cinthio jetzt unter einem Gezelte campierte. Er hatte sich auf ein Feldbett gestreckt und dachte eben an Rinaldo, als er den seltsamen Zug ankommen sah. Seine Leute setzten den verkappten Pilger vor dem Feldbette nieder, und der eine sagte:

„Hauptmann, das war eine kostbare Last. Diesen, den wir dir hier bringen, hätten die Sbirren nicht so sanft getragen als wir. Hier ist er. Sieh ihn selbst an und sage uns, wer er ist?“

Cinthio warf seine Augen auf Rinaldo und konnte kein Wort sprechen. Eine Ahnung flog durch seine Seele, und eine unerklärbare Ungewißheit nahm ihm die Sprache.

„Kennst du mich nicht mehr?“ – fragte Rinaldo mit schwacher Stimme.

Schnell flog Cinthio auf ihn zu, drückte ihn an seine Brust, und eine Träne zitterte aus seinem Auge über die braune Wange hinab. Still und betroffen standen seine Kameraden um ihn herum, und er schrie laut auf:

„Sehe ich dich wieder, Rinaldini, mein Freund? Höre ich dich wieder sprechen? Und es ist kein Traum?“

Wie aus einem Munde schrien die Umstehenden zugleich:

„Es lebe der große Rinaldini und Cinthio sein Freund, unser wackerer Hauptmann!“

Als es zu einer ruhigeren Unterhaltung unter vier Augen kam, teilte Rinaldo seinem Freunde seine Geschichtserzählung mit. Dieser unterbrach ihn in seiner Erzählung mit keinem Worte; als aber dieselbe geendigt war, begann er:

„Sieh, Rinaldini, nun wirst du endlich doch wohl glauben, daß wir nicht mehr unter die Menschen taugen?“

RINALDO Ich bin davon überzeugt und habe es empfunden.

CINTHIO Laß uns in einsamen Tälern und Wäldern leben und die hochgetürmten, belebten Städte fliehen. Auf Kalabriens Boden gedeihen unsre Werke. Die Natur scheint dieses Land für uns geschaffen zu haben. Je tiefer wir hineinkommen, je bessere Wohnung finden wir, und an Unterhalt kann es uns nie fehlen. Ich stehe an der Spitze von achtzig Mann und kann deren mehrere haben, wenn ich will. Ich trete dir meine Hauptmannstelle ab. –

RINALDO Behalte, was dein ist. – Mich laß als Klausner einen der verstecktesten Winkel Kalabriens bewohnen.

CINTHIO Bist du klug? – Könnte man dich nicht erkennen und dich so wehrlos, wie du dann bist, in die Arme der holden Justiz werfen? Aus deiner Erzählung sehe ich, daß du einen Feind hast, der gewiß zu fürchten ist. Spürt dich einer aus, so ist es der Kapitän, der sich, wie ich merke, nun einmal vorgenommen hat, auf deine Unkosten zu leben. Stehst du aber an der Spitze meiner Achtzig, wird er dir kein Härchen krümmen. Als ein wehrloser Klausner bist du jedem Zufall der Gewalt unterworfen. Die Menschen verfolgen dich, die Obrigkeiten haben dich geächtet, haben Preise auf deinen Kopf gesetzt, überallhin geht dir dein eigener Name als ein Verbrechen nach. – Nur an der Spitze deiner Kameraden findest du Ansehen und Sicherheit. Kannst du noch wählen?

RINALDO Laß mich nur erst wieder zu mir selbst kommen, und es wird sich alles fügen. – Hier ist Geld. Teile es unter deine Leute aus und mich bringe zur Ruh, daß ich wieder Rinaldo werde, denn mein Geist ist von mir gewichen, und meine Kräfte sind dahin.

Cinthio brach mit seinen Gesellen auf und zog den Ruinen eines Schlosses zu, in welchem er einige Plätze zu Zimmern eingerichtet hatte, wo er seinen Freund in das beste derselben einquartierte und wo sich dieser, nach guter Pflege und Wartung, wieder nach und nach erholte.

Er belehrte Cinthio, daß und warum er nach Cosenza gehen müsse, wo Lodovico und Rosalie ihn zu erwarten Weisung hatten. Cinthio wollte dies nicht zugeben, verlangte nur einen Brief von ihm an Rosalien und entschloß sich, selbst dahin zu gehen. Rinaldo konnte seinen Vorstellungen nichts entgegensetzen und mußte es endlich geschehen lassen, daß sein Freund nach Cosenza ging. Rinaldo übernahm indessen das Kommando über Cinthios Gesellen und erwartete mit Sehnsucht die Zurückkunft seines Freundes.

Den achten Tag nach seiner Abreise brachten einige der Gesellschaft Rosalien und Rinaldos Gepäcke und Koffer glücklich zu ihm. Lodovico kam auch mit. Er war mit Ketten geschlossen. Cinthio war nicht bei der Gesellschaft. Einer seiner Leute übergab Rinaldo folgenden Brief von ihm:

„Rinaldo! ich übergebe dir die Anführung meiner Gesellen. Wenn du mich wiedersehen wirst, will ich dir sagen, wo ich indes gewesen bin und was ich getan habe. Ich habe aus deinem Vorrat von Gelde 100 Dukaten genommen, die ich vielleicht zu meinem Vorhaben gebrauchen werde. Ist es nicht, so bekommst du das Geld wieder. Beruhige dich über alles. – Warum ich dir Lodovico geschlossen zuschicke, wird er dir selbst sagen. Du wirst wissen, was mit ihm zu tun ist. Gott befohlen!

Cinthio.“

Rosalie lag noch an Rinaldos Halse, als er befahl, Lodovico vorzuführen. – Er kam.

RINALDO Warum trägst du diese Fesseln?

LODOVICO Um meiner Verräterei willen.

RINALDO Verräterei?

LODOVICO Ich bin ein Schurke und habe mich Cinthio entdeckt. Von dir erwarte ich mein Urteil, denn dich trifft meine Verräterei.

RINALDO Mich?

LODOVICO Höre mein Bekenntnis und richte mich nach Verdienst. – In Neapel habe ich dich verraten. Durch mich wußte der verdammte Kapitän, wer du warst.

RINALDO Ist es möglich?

LODOVICO Allwissend ist jener Betrüger nicht. – Als ich wieder zu mir selbst kam, bereute ich, was ich getan hatte, und nahm mir vor, alles wiedergutzumachen. Du weißt, wie ich dir gedient habe. Mit Rosalien bin ich mit großer Gefahr aus Neapel entkommen und habe sie nach Cosenza gebracht. Dein Eigentum habe ich respektiert, und mit Reue über meine verfluchte Entdeckung habe ich mich zermartert wie ein Büßender mit der Geißel. Endlich mußte es heraus. Ich bekannte. Cinthio ließ mich schließen. Das verdiente ich. Aber er hätte es nicht gebraucht. Ich wär’ dennoch zu dir gekommen, um mein Urteil aus deinem Munde zu hören. Sprich es aus. Bestrafe mich.

RINALDO Ich vergebe dir.

LODOVICO Hauptmann!

RINALDO Ich vergebe dir alles.

LODOVICO Laß mich Schurken geißeln, laß mich hängen. Vergib mir nicht so leicht. Das zermalmt mich.

RINALDO Ich bin in Sicherheit. Rosalie und meine Schätze sind gerettet. Was will ich mehr? Du hast ehrlich an meinem Eigentum gehandelt; das hast du mir getan. Ich vergebe dir. – Und wenn du willst, kannst du bei mir bleiben. Du wirst mich nie wieder verraten.

LODOVICO Wahrlich nicht! – Sieh Hauptmann! ich weine. – Pfui über mich Buben! Laß mich windelweich schlagen! Bestrafe mich nur mit etwas, sonst kann ich dir nicht wieder ins Gesicht sehen. Ich kann nicht ruhig werden, wenn du mich so ganz frei ausgehen läßt.

RINALDO Nun gut dann! du sollst bestraft werden.

LODOVICO Recht so, Hauptmann! Laß mir das Fell über die Ohren ziehen.

RINALDO Erinnere mich in vier Wochen wieder daran. Bis dahin wird sich eine Bestrafung für dich finden.

LODOVICO Gut! Ich will dich gewiß daran erinnern.

RINALDO Jetzt gehe frei und losgesprochen zu meinen Leuten, zu denen du gehörst. Ich rechne in Gefahren auf dich.

LODOVICO Jedem deiner Winke gehört mein Leben.

RINALDO Ich rufe meine Leute herbei, so viele ihrer in der Nähe sind, und nehme dir die Fesseln selbst ab, damit sie sehen, daß ich dich für unschuldig erkenne.

LODOVICO Hauptmann! Wenn ich das je vergesse, so will ich an jeder Feige den Tod fressen.

Rosaliens Entzücken zu beschreiben, vermag keine Feder. Sie lebte ganz in und für ihren geliebten Rinaldo, und dieser erholte sich zusehends wieder bei der Pflege und Wartung des geliebten Mädchens. Seine Seele wurde nach und nach heiterer, er genoß die schönen Szenen der Natur mit herzlicher Empfänglichkeit, und sanfte Ruhe schwebte über seinen so glücklich entschwindenden Tagen.

Aber diese Ruhe war seinen wilden Gesellen nicht so willkommen als ihm selbst, und einer derselben sagte ihm das endlich im Namen aller.

„Bist du der berühmte und tapfere Rinaldini“, – sprach er, – „und liegst hier in schwärmerischer Untätigkeit nur deinem Mädchen im Schoße? – Mute wenigstens uns nicht zu, eben das zu tun. Willst du unser Hauptmann sein, so gib uns Beschäftigung.“

„Ich bin nicht gesonnen“ – antwortete Rinaldo – „euch auf die Straßen zu schicken, um armen Wanderern ihre paar Zehrpfennige abzupressen, denn soviel kann ich euch selbst geben, und es bedarf dazu keiner Dolchstiche. Wenn ihr mir aber ein Unternehmen nennen könnt, das meiner wert ist, so werde ich euch zeigen, daß ich Rinaldini bin.“

„Über so etwas zu urteilen“, – fuhr Albonicorno, dieser Sprecher der Gesellschaft, fort, – „ist nicht unsere Sache. Genug, daß wir da sind, um nicht wie faule Ölgötzen die Hände in den Schoß zu legen. Wir kommen nicht einmal aus diesem Neste, um uns frische Saiten auf unsere Guitarren kaufen zu können. Sie sind unbezogen und verstimmt. Uns bezieht auch niemand, und wir sind verstimmt wie unsere Instrumente. Sollen wir deshalb den berühmten Rinaldini zum Anführer haben, damit wir uns zwischen Felsen verschließen können? Das könnten wir auch ohne dein Kommando tun, und unsere Weinschläuche blieben nicht ebenso leer als unsere Taschen.“

RINALDO Nun! so holt euch Wein aus dem Keller des ersten besten Klosters.

ALBONICORNO Wer mag mit Kuttenhelden fechten, die dem Teufel das Brevier an den Kopf werfen?

RINALDO Fürchtet ihr euch davor? Seht, das kann ganz ruhig zugehen. Ihr fangt den Abt des Klosters und ihr habt Wein. Wollt ihr das nicht, so will ich mich im Tale umsehen. Vielleicht finde ich etwas für euch. – Ich stehe nicht schlecht mit dem Zufall.

Den folgenden Morgen ging Rinaldo in das Tal und näherte sich dem Flecken Fiscaldo, wo eben das Fest der Schutzpatronin des Ortes gefeiert wurde. Es gab da Tanz und Gesang. Buden waren aufgeschlagen, versehen und aufgeputzt mit mancherlei Waren, und Bühnen, von welchen herab Mönche Amulette, geweihte Rosenkränze und andere kleine Heiligkeiten verkauften. Die armen Kalabresen drängten sich an diese Bühnen und brachten ihre kärglich ersparten Pfennige dar, die alle, ohne Erlösung zu hoffen zu haben, in die große Büchse der geistlichen Empiriker fielen. Und so groß der geistliche Warenvorrat dieser Herren auch war, so wenig schien er doch hinreichend zu sein, die herbeiströmende Menge zu befriedigen.

„Dieses Geld“ – murmelte Rinaldo bei sich selbst, – „sollen die Scharlatane nicht mit nach Hause nehmen.“

Er schickte Lodovico zurück und ließ Albonicorno und einigen andern sagen, worauf sie aufmerksam sein sollten und was sie zu tun hätten, der Geistlichkeit die gefüllten Geldbüchsen abzunehmen. – Und das geschah gegen Abend auch wirklich.

An einer Ecke, wo ein Marienbild stand, brachten arme Kalabresen, die sonst weiter gar nichts zu geben hatten, um ihre Andacht so gut wie möglich zu bezeigen, der heiligen Jungfrau ein Ständchen.1 In diese glorifizierende Gesellschaft mischte sich Rinaldo, bezeigte den frommen Musikern seinen Beifall und schenkte den armen Leuten Geld, weil, wie er sagte, „ihm die heilige Jungfrau offenbart habe, sie verlange nichts umsonst, und er solle für sie zahlen“.

Die Musiker, die auf eine irdische Belohnung gar nicht gerechnet hatten, bedankten sich verbindlich, nahmen das Geld und trugen es an die geistlichen Krämerbuden. Dort wurde es auch in die Büchsen geworfen, und so kam es wieder in die Hände des milden Gebers.

Ein paar maskierte Damen, die in Gesellschaft einiger Kavaliere auf dem Markte umherspazierten, zogen Rinaldos Aufmerksamkeit auf sich, und er näherte sich ihnen nicht so bald, als die eine derselben ihn auch zu bemerken schien. Sie fixierte ihn stark und drängte sich absichtlich ihm immer näher, bis sie ihm endlich unbemerkt zulispeln konnte:

„Willkommen, Graf Mandochini!“

Rinaldo erschrak, fragte aber gleich zurück:

„Wer spricht mit mir?“

„Eine Bekannte“, – war die Antwort, und die Dame ging wieder zu ihrer Gesellschaft zurück.

Rinaldo blieb stehen und verfolgte sie mit den Augen, bis sie im Gedränge der Menschen verschwand.

Er trat beiseite und visitierte seine Pistolen, als er auf einmal von hinten zu auf die Achsel geschlagen wurde. – Er fuhr erschrocken herum und sah Cinthio vor sich stehen.

„Du hier?“

„Ich und noch einige Bekannte.“

RINALDO Wahrhaftig! das habe ich soeben mit Verwunderung gehört. – Eine maskierte Dame nannte mich hier, wie ich mich in Neapel nannte, Graf Mandochini.

CINTHIO Nun? Und du ahnst nichts? – Höre! In Cosenza kam ich deinen Neapolitaner Bekannten auf die Spur. Ich bin ihnen allenthalben hin nachgefolgt. Sie sind beide hier. Ich wünsche, sie möchten nun bald auch in unserer Gewalt sein.

RINALDO Wer?

CINTHIO Wer? – Wie du auch fragen kannst! Wer anders als der kunstreiche Kapitän und die wunder schöne Signora Olimpia.

RINALDO Ist es möglich?

CINTHIO Es ist Gewißheit. – Sie scheinen in der Nähe bei einem Edelmann zu leben, dem sie vermutlich mit vereinigten Kräften den Beutel fegen werden. – Wir wollen sie auch fegen, diese Beutelschneider, daß sie an uns denken sollen!

Indem kam Bramante, einer ihrer Gesellen, eilig auf sie zu und sagte:

„Hauptmann, dort sprach ein Herr in Gesellschaft einiger Herren und Damen den Namen Rinaldini ganz deutlich aus. Einer von der Gesellschaft winkte ein paar Sbirren herbei, und ein anderer sprach mit einem Offizier der Miliz. Ich eilte fort, euch dies zu sagen.“

„Siehst du nun, daß ich meiner Sache gewiß bin?“ – sagte Cinthio. – „Uns werden sie nicht fangen! Ich kenne hier herum die Wege. Bramante, spüre voraus! Wir gehen über die Klause St. Sepolchro. Triffst du welche der Unsrigen an, so ziehe sie an dich. Bei dem Pappelwäldchen unter der Klause erwartet uns.“

Bramante sprang davon, und Cinthio zog Rinaldo durch einen zerfallenen Aquädukt ins Freie, vor Fiscaldo hinaus.

Am Pappelwäldchen trafen sie Bramante und drei seiner Kameraden. Sie erreichten die Anhöhe St. Sepolchro, als sie in Fiscaldo die Trommel rühren hörten, und bald darauf hörten sie auch, daß mit den Glocken gestürmt wurde, worauf das ganze Tal in Aufruhr kam. – Sie schlichen über die Gebirgsrücken hin und trafen nahe bei ihrem Lagerplatz auf die jubelnde Kolonne ihrer Leute, welche den geistlichen Wunderkrämern zwei gefüllte Geldbüchsen abgenommen hatten, die ziemlich schwer waren. Gleich nach ihrer Ankunft ließen sie aufpacken und brachen auf. Sie gingen über die Gebirge, ließen bei St. Paolo und weiterhin Wachen zurück und zogen sich auf die Anhöhen von St. Lucito, deren Zugänge sie stark besetzten. Zwischen fürchterlichen Felsen schlugen sie auf steinigem Boden ihre Gezelte auf.

Es war nach Mitternacht, als sich Rinaldo höchst ermüdet auf sein Lager streckte. Rosalie goß vorsichtig noch Öl in die Lampe und legte sich an Rinaldos Seite. Dieser hatte eben die Augen geschlossen, als ein lauter Schrei von Rosalien ihn weckte. – Rinaldo fuhr auf und wollte fragen, was es gäbe? als er eine lange weiße Figur in der Tür seines Gezeltes stehen sah. Sie drohte zweimal mit der Hand und verschwand.

Rinaldo sprang vom Lager auf, trat aus dem Gezelte, fand die Wachen munter, und die nächsten an seinem Gezelte wußten ihm nichts zu antworten, als er fragte, ob nichts vorgefallen sei? Er ging zurück und fand Rosalien ängstlich. Sie erinnerte ihn an eine ähnliche Erscheinung in den Apenninen, deren sich die Leser auch noch erinnern werden, und Rinaldo wurde nachdenkend. – So schlief er ein und erwachte, von Cinthio geweckt, als der Tag anbrach.

„Ich nehme zwanzig Mann mit mir“, – sprach dieser, – „und will in den Tälern rekognoszieren.“

Als er fort war, rief Rinaldo Lodovico herbei und sagte:

„Jetzt, Lodovico, ist der Termin deiner dir erbetenen Strafe da. – Der bekannte Kapitän und die Signora Olimpia halten sich in der Gegend von Fiscaldo irgendwo auf. Du gehst und kommst nicht eher wieder zurück, bis du mir die Nachricht bringen kannst, wo diese feine Brut ihr Nest hat, damit wir sie ausnehmen können, denn ich denke, sie sind flügge.“

„Das waren sie schon längst!“ – sagte Lodovico. – „Ich danke dir, Hauptmann, daß du dich endlich meiner Bestrafung erinnerst, wiewohl diese ein wenig zu leicht ist. Aber du sollst sehen, was ich tun will. Erfahren sollst du, wo die Vögel stecken, und der korsische Hahn soll sich, kann ich ihn aufs Korn bekommen, gewiß am längsten haben füttern lassen.“

Das gesagt, machte er sich auch sogleich auf den Weg.

Hierauf suchte Rinaldo versteckte Winkel auf und vergrub daselbst, in Rosaliens Gesellschaft, seine erheblichsten Kostbarkeiten. – Als das geschehen war, gab er das Signal zum Aufbruch, musterte sein Corps, fand es 86 Köpfe stark, mit Waffen wohl versehen, gab das Losungswort und zog ins Tal hinab.

Er war noch nicht weit marschiert, als er in der Entfernung Trommelwirbel hörte. Er machte halt und sicherte sich den Rückweg ins Gebirge. – Bald hörte er entfernt Schüsse fallen und schickte Kundschafter auf die Anhöhen.

Das Feuern kam näher, und endlich kam die Nachricht von seinen Kundschaftern, Cinthio sei mit seinen Leuten mit Miliz und Sbirren im Tale bei St. Lucito handgemein geworden. – Er schickte sogleich zwölf Mann ab, ihm schnell zu Hilfe zu eilen, und zog diesen langsam nach.

Das Feuern wurde heftiger, und er kam endlich dem Tummelplatze näher. Aber noch kamen ihm keine Flüchtigen entgegen, was ihm gute Hoffnung gab. – Ganz unbefahrt rückte er immer weiter vor, als auf einmal, von einer Anhöhe herab, auf sein Corps Feuer gegeben wurde. Er sah hinauf und sah die Anhöhe mit Miliz besetzt. – Nun setzte er sich in den stärksten Marsch und kam endlich, gerade noch zu rechter Zeit, auf dem Wahlplatze an.

Cinthios Corps war sehr zusammengeschmolzen. Noch fochten kaum zehn Mann als Verzweifelte gegen eine ihnen mehr als zehnfach überlegene Macht. Ja, wären sie keine Räuber gewesen, man hätte sie, wie sie jetzt kämpften, Helden nennen können.

Jetzt stürzte sich Rinaldo mit seinen Leuten den Soldaten und Sbirren mit einer solchen Furie entgegen, daß diese, über den unvermuteten neuen Angriff verlegen, sich zurückzogen. – Rinaldo folgte ihnen Schritt für Schritt. – Cinthio sammelte indessen sein Häuflein, suchte die Zerstreuten und verstärkte sich wieder auf dreißig Mann.

Mit diesen eilte er Rinaldo nach und kam eben an, als dieser sich zurückziehen mußte. Die Miliz hatte ihre Kanonen vorgeführt und bediente sich derselben mit so gutem Erfolg, daß Rinaldo kaum noch zwanzig Mann um sich hatte, die Widerstand leisten konnten.

Als sich Cinthio herbeidrängte, vereinigten sich beide Corps und gingen dem Feinde rasch wieder entgegen. – Plötzlich brachen wohl vierzig Dragoner auf sie los, die von der Seite herbeigesprengt kamen. Im Nu war Rinaldo mit einigen seiner Gefährten von den Seinigen abgeschnitten und umzingelt. Bei einem Hiebe brach ihm der Säbel, seine Pistolen waren abgeschossen. Seine Gefährten fielen, von Kugeln durchbohrt, an seiner Seite. Er wurde zu Boden gedrückt und mußte sich ergeben. Dieser Fang kostete sechsen von den Reitern das Leben.

Wütend über den Tod ihrer Kameraden, schlugen die Reiter unbarmherzig auf Rinaldo los, der, ohne einen Laut von sich zu geben, die fürchterlichsten Streiche empfing. Zwei Reiter banden ihn endlich zwischen die Pferde und trabten mit ihm auf ein Schloß zu.

Hier wurde er gleich in einen finstern Kerker geworfen und bekam erst nach einigen Stunden etwas Stroh zu einem Lager, Brot und Wasser zur Nahrung.

Ermüdet sank er auf die elende Streu, von Schmerzen und Kummer gepeinigt, und konnte weder weinen noch klagen. Ganz ermattet entschlief er endlich. Er hatte lang geschlafen, als ihm träumte, Rosalie stünd’ an seiner Seite. Sie blickte ihn freundlich an, reichte ihm die Hand und rief ihm zu: Komm und folge mir! – Er erwachte, fuhr auf, sah Licht im Kerker, und ein verschleiertes Frauenzimmer stand an seiner Seite.

„Wer bist du?“ fragte Rinaldo.

„Fürchtet Euch nicht, aber antwortet mir getrost mit Wahrheit und Offenheit. Es könnte Euch vielleicht gereuen, es nicht getan zu haben.“

„Was wollt Ihr von mir wissen?“

„Seid Ihr der Graf Mandochini?“

„Der war ich.“

„So seid Ihr auch Rinaldini!“ – sagte das Frauenzimmer und verließ schnell den Kerker.

Rinaldo sann noch nach, was dieses zu bedeuten haben möchte, als die Tür des Kerkers geöffnet ward, ein alter Kerl hereintrat, ihm Wasser und Brot hinsetzte, fortging und schweigend die Tür wieder verschloß.

Der Tag mochte mit der Nacht gewechselt haben, und Rinaldo lag im stummen Unbewußtsein auf dem kärglichen Strohlager, als die Tür seines Kerkers wieder aufging und die verschleierte Dame mit einem Lichte hereintrat.

ER Wer ist hier?

SIE Und du fragst noch? – Was man einmal geliebt hat, kann man so leicht nicht hassen. Wir sahen uns einst und waren glücklich. Wie könnte ich das vergessen!

ER Heiliger Gott! ich kenne diese Stimme. –

SIE Um das Reisegeld hast du mich betrogen, aber ich bin doch weiter gekommen als Du.

ER Olimpia?

SIE Kennst du mich nun?

ER Was habe ich von Dir zu erwarten?

SIE Großmut.

ER Olimpia! Darf ich meinen Hoffnungen trauen?

SIE Hört, edler Graf! – Ich sah Euch, als man Euch hierher brachte, und erkannte Euch. – Im Schlosse weiß man nicht, welchen kostbaren Vogel man im Käfig hat, sonst lägt Ihr gewiß, wenigstens nicht ohne Ketten, hier. Es steht bei mir, sie Euch zu geben.

ER Gebt sie mir.

SIE Starrkopf!

ER Was wollt Ihr hier?

SIE Erratet es.

ER Mich quälen? Das kann ich ertragen. Mich beklagen? Das verlange ich nicht. Mich morden lassen? Das wünsche ich.

SIE Trotziger Mensch! – Retten will ich dich.

ER Du? – Olimpia?

SIE Die dich liebte, ja! die dich noch liebt. – Aber ich bin nicht uneigennützig.

ER Das glaube ich. Ich kann aber jetzt nichts geben als diese Börse, die ich bei mir habe.

SIE Geld verlange ich nicht. Die Zeiten haben sich geändert. Ich habe jetzt Börsen für dich. – Ich verlange bloß die schriftliche Versicherung von dir, daß du mir Dank schuldig bist, weil ich dich vom Tode gerettet habe.

ER Ist das schon geschehen?

SIE Es soll und wird geschehen, so, wie ich mir es ausgesonnen habe. O geliebter Verräter! was tät ich nicht für dich? – Ich führe dich jetzt selbst aus diesem Kerker. Vor dem Schlosse erwartet dich ein berittener Diener mit einem Pferde, das mit Kleidern für dich bepackt ist. Im Hafen liegt eine genuesische Galeere, die nach Sizilien segelt. Mit dieser gehst du nach Messina. Du führst den Namen Ritter de la Cintra. Hier ist ein Paß für dich auf diesen Namen. In Palermo meldest du dich im Hause des Marchese Romano und gibst ihm diesen Brief. Du wirst dort wohl aufgenommen werden. – Hier ist eine Börse mit hundert Dukaten. –

ER Geld brauche ich nicht.

SIE Gut! so behalte ich mein Geld. Aber, das verlangte schriftliche Bekenntnis muß ich erhalten. Hier ist Bleistift und Papier, schreibe es so gut, als es dir hier möglich ist.

ER Hat geschrieben Hier ist es. Aber wie soll ich –

SIE Keine Zögerungen! Wir wollen schon einmal, wenn es Zeit ist, Abrechnung halten.

ER Wenn ich aber –

SIE Keinen Aufenthalt! Du bist im Schlosse des Prinzen della Torre, den du kennst. Wird das geringste entdeckt, so sind wir beide verloren. – Ein paar Küsse für mich! – Und nun, folge mir!

Sie führte ihn aus dem Kerker durch den Schloßhof an ein offenes Pförtchen. Hier küßte sie ihn noch einmal und schlüpfte hinaus.

Sechs Schritte vom Schlosse fand er die Pferde und einen Reitknecht, der ihn erwartete. Er stieg auf und trabte mit ihm rasch zu. Sie erreichten bald den Hafen. Dem Begleiter drückte er Geld in die Hand und schnallte den Mantelsack vom Pferde. Der Knecht sprengte zurück, und Rinaldo kleidete sich, hinter einem Busche, in ein Reisekleid, das er im Mantelsack fand. Sein Rock nahm den Platz desselben ein.

Die Sonne ging auf. – Den Mantelsack unter dem Arme ging er nach dem Hafen zu.

Dem Offizier von der Hafenwache, der ihn anhielt, zeigte er seinen Paß und erhielt ohne Bedenken Erlaubnis, seinen Weg fortzusetzen.

Es lag wirklich eine genuesische Galeere in dem Hafen, die ihn aufnahm.

Die Anker wurden bald darauf gelichtet, der Wind schwellte die Segel, Rinaldo seufzte nach dem Lande zu: „Ach Rosalie!“ und das Schiff stach in die See.

Sie kamen nach Messina. – Rinaldo hatte kaum Quartier gefunden und sich anständig gekleidet, als er zu dem Marchese Romano eilte, seinen Brief von Olimpien abzugeben.

Er fand ihn in großer Gesellschaft in seinem Palais. – Sobald der Marchese den Brief gelesen hatte, wurde er sehr freundlich und stellte seinen Gast der Gesellschaft vor, welche aus Prinzen, Grafen, Gräfinnen und Baroninnen bestand, die sich höchlich seiner Bekanntschaft freuten und sich nichts weniger träumen ließen, als einen so verrufenen Räuberhauptmann in ihrem illustren Zirkel zu sehen.

Der jetzige Herr Ritter hatte tausend Fragen zu beantworten, beantwortete dieselben zu allgemeiner Zufriedenheit und zog sogar die Blicke von einigen der schönsten Damen der Gesellschaft auf sich. Man gestand sich, der Ritter sei ein schöner Mann, und die Herren fanden einen artigen, weitgereisten Kavalier in ihm. Man erbot sich zuvorkommend zu hundert Gefälligkeiten, und der Marchese Romano ließ nicht eher nach, als bis sein Gast versprach, Quartier in seinem Hause zu nehmen.

Wie sehr war jetzt die Szene um den nagelneuen Ritter herum verändert! Sonst unter Mördern und Räubern, auf dem Rücken irgendeines unwirtbaren Felsens, noch vor kurzem in einem stinkenden Kerker, und jetzt in einer der vornehmsten Gesellschaften Siziliens, in glänzenden Zimmern eines prachtvollen Hauses.

Und er schien hier ebensogut als dort zu Hause zu sein.

Ehe die Gesellschaft auseinanderging, erhielt er verschiedene Einladungen, und dann bat sich sein Wirt seine Gesellschaft und eine Unterredung unter vier Augen aus.

Beide begaben sich in den Pavillon eines schönen Gartens, der an dem Palais des Marchese lag; hier ließen sie sich nieder. Als der Marchese die Weingläser gefüllt hatte, erhob er das seinige mit einem Gesundheitszuruf.

MARCHESE Herr Ritter, unsre Freundin Olimpia hat Euch mir so vorteilhaft empfohlen, daß ich geradezu und ohne Umschweife Euch Freund nenne.

RINALDO Mir ungemein viel Ehre!

MARCHESE Ein Mann von Talenten und so vielen Kenntnissen, wie Ihr, kann allerdings den gegründetsten Anspruch darauf machen, mit einer Verbindung näher bekannt zu werden, die ihr zur Ehre und ihm zum Vorteil gereichen wird. Alle meine Gäste, die Ihr gesehen und gesprochen habt, Menschen von Kopf und Herz, werden sicher mit mir der guten Hoffnung leben, in Euch ein Mitglied ihres Bundes voll Mut und Geist zu finden.

RINALDO Ich bitte, Euch deutlicher zu erklären.

MARCHESE Ich nehme keinen Anstand dies zu tun. – Es gibt ein gewisses allgemeines Band in der Welt, welches Konvenienz und Verhältnisse nur allzuoft zerrissen haben. Dieses werde wieder hergestellt von Menschen von Geist und Sinn; es werde dann durch sie allgemeiner gemacht. Im Kirchenstaate, in den Königreichen Neapel und Sizilien kennen sich eine große Anzahl Menschen mit, durch und für diesen Beruf. – Ein gegenseitiges Bedürfnis schafft gegenseitigen Beistand, gegenseitige Teilnahme. Schon genug zu wissen, man kennt sich, man kann allenthalben auf Freunde rechnen.2

RINALDO Ein tröstlicher, willkommener Gedanke! Edler Mann, Ihr wißt nicht –

MARCHESE Ich weiß, was ich wissen darf. – Der Gesellschaft seid Ihr vor der Hand nur der Ritter de la Cintra, bis sie mehr von Euch erfährt.

RINALDO Herr Marchese! Ihr wißt also –

MARCHESE Ich grüße Euch als einen gefürchteten Mann. – Das Geheimnis Eures Namens bleibt bei mir so sicher wie bei Euch selbst verschlossen.

RINALDO Aber, was kann Euch bewegen, mich, dessen Name und Tun so verrufen ist, einer Gesellschaft einzuverleiben, deren Mitglieder so edel, vornehm und ohne bürgerlichen Tadel sind?

MARCHESE Was kann uns hindern, Euch Freund zu nennen? – Und wenn wir Euch nun einen neuen Wirkungskreis anweisen, dessen beabsichtigter Erfolg ganz für unsern Plan berechnet ist? – – Alles das wird Euch mit der Zeit deutlicher werden.

RINALDO Ich spiele glücklicher bei diesem Spiele als Ihr. Ich kann dabei nur gewinnen.

MARCHESE Durch Euch gewinnen auch wir. Vorteil und Gewinn verketten sich bei uns. Darüber seid ohne Sorge. – Ich gebe Euch den Bruderkuß.

Rinaldo ging mit schweren Gedanken umher und hoffte auf Entwicklung eines Rätsels, dessen Deutung er, trotz aller Anstrengung, nicht finden konnte. – Er stattete Besuche ab, machte Bekanntschaften und wohnte Tischgesellschaften und Bällen bei, die sehr glänzend waren.

Von einer Zerstreuung zur andern gerissen, kam er so wenig zu sich, daß er nach und nach ganz vergaß, Betrachtungen über sich und seine Lage anzustellen.

Unter den Damen, die er kennenlernte, waren ihrer zwei, die seine Aufmerksamkeit besonders fesselten. Ein Fräulein von hoher Schönheit, die einzige Tochter des Barons Denongo, genannt Laura, eine der ersten und reichsten Partien der Insel, und eine Gräfin Martagno, eine Dame von Geist, voll des feinsten einnehmenden Wesens, nicht so schön als Laura, aber dennoch ungemein interessant. Sie war in ihrem zweiundzwanzigsten Jahre, Witwe und Besitzerin eines ansehnlichen Einkommens von ererbten Gütern.

Diese beiden Damen interessierten, wie gesagt, unsern Ritter ungemein, und es war ausgemacht, daß auch er von ihnen nicht mit Gleichgültigkeit gesehen wurde. Besonders schien die Gräfin dies an den Tag zu legen. – Sie war eine interessante Frau, ein zartes, feines Gebild, das man wahrhaft reizend nennen konnte. Sie hatte viel Geist und ein sehr schnell einnehmendes Wesen. Voll sanftem Feuer waren ihre Augen; zierlich von der Stirn herabsteigend ihre Nase. Ihr Kopf war üppig schön umlockt. Um ihre Lippen schwebte stets ein heitrer Zug. Lächelnd gruben sich in Kinn und Wange zwei liebliche Grübchen ein. Eine sehr schön geformte Hand begleitete ihre Worte mit herrlichen Gesten. Ausdruck war ihr ganzes Wesen, wenn sie sprach. Ungemein edel war ihre Haltung, schwebend ihr Gang, harmonisch ihre Stimme. Eine wahrhaft hohe Sinnlichkeit schwebte über ihr ganzes Wesen; wirkliche Liebe in der schönsten Harmonie mit all ihren Reizen.3

Bei einer Fete, wo die Damen sich singend hören ließen, sang auch die Gräfin zur Guitarre:

Lied

Wo Liebe sich bettet, da ruht sich’s gar weich,
Da gründet die Freude ein fröhliches Reich.
Da scherzt man so freundlich, da kost man vertraut,
Da findet die Liebe der Jüngling als Braut.

Da findet das Liebchen der Freuden gar viel,
Sie wandelt durch Blumen zum rosigen Ziel,
Da kränzt sie die Liebe gar herzlich vertraut,
Sie findet den Jüngling, die zärtliche Braut.

Es wiegen die Scherze der Liebe sie ein,
Nun ruht sie so sicher, um glücklich zu sein.
Sie schlummert so friedlich, so zärtlich vertraut,
Im Arme des Lieben, die glückliche Braut!

Ein allgemeines Bravo! belohnte die Sängerin. Diese aber suchte den Beifall nur in Rinaldos Augen. Dann sprang sie auf und gab das Signal zum Tanz.

Darauf erklärte sie, sie wünsche einen guten Tänzer zum Bolero zu finden. Ein niedliches Mädchen, gekleidet als Jüngling, trat als ihr Tänzer auf. Die Gräfin schwebte mit dem verkleideten Jüngling in des Tanzes wollüstigen Touren dahin, ohne Rinaldo aus den Augen zu verlieren. – Die rauschende Musik ertönte. Aufeinander zu flogen die Tanzenden. Sie suchten, sie fanden sich. Ausgebreitet waren ihre Arme, zärtlich geöffnet ihre Lippen; ihre Küsse begegneten sich. Sanfte Trennung; zärtliches Zurückkommen. Beredter wurden ihre Blicke; jeder Muskel erzitterte. Ihre Herzen erbebten. – Zärtliche Pause. – Endlich sanken, wonneberauscht, sie einander in die Arme.4

Rinaldo stand unter den Zuschauern neben Laura, die ihn fragte:

„Wie findet Ihr diesen Tanz?“

„So“, – antwortete er, – „daß ich um keinen Preis in der Welt meine Geliebte ihn mit einem andern Manne, als mit mir, würde tanzen lassen.“

Die Gräfin warf sich auf einen Stuhl, wehte sich Luft mit dem Tuche zu. Rinaldo lispelte: „Wie reizend schön!“ – Die Gräfin lächelte mit einem Blick ihn an, der ihn durchdrang. Der Tanz wurde allgemeiner. Die Gräfin entfernte sich. – Umgekleidet erschien sie wieder, ging auf Rinaldo zu und sagte:

„Ritter! Man hat Depeschen an Euch bei mir abgegeben, die ich Euch überliefere und die Ihr hier in der besten Einsamkeit lesen könnt, wenn Ihr Euch nicht selbst stören wollt. Auch könnt Ihr hier Euch ganz dem Nachdenken überlassen, wie Petrarch an seine Laura. – Ich heiße nur Dianora, und mein Name ist nicht so schmelzend als jener. – Laßt Euch nicht stören!“

Sie verließ das Zimmer. Rinaldo erbrach den ihm gegebenen Brief.

Er war von Olimpia, mit beigelegten Einlagen an den Marchese Romano und den Baron Malvento. – Rinaldo öffnete seinen Brief und las:

„Geliebter Ritter!“

„Ich hoffe, du befindest dich wohl. – In den besten Händen von der Welt bist du wenigstens. Vermöge deines schriftlichen Versprechens bitte ich dich, mir deine Dankbarkeit dadurch zu bezeigen, daß du dem Marchese Romano in allem folgst. Er wird dir sagen, daß es Zeit wird, dich mit dem Alten von Fronteja bekannt zu machen. Das darfst du nicht versäumen. – Vielleicht sprechen wir uns bald persönlich.“

„Als Neuigkeit muß ich dir schreiben: Daß des berüchtigten Rinaldinis Räuberbande, wie man sagt, ganz aufgerieben ist. In St. Lucito sind gestern neun seiner Gesellen, die man lebendig bekommen hatte, erschossen worden. Alle haben ausgesagt, Rinaldini selbst sei, in Stücke zerhauen, an ihrer Seite gefallen. Man ist sehr froh, daß dieser gefährliche Mensch auf diese Art sein Leben geendigt hat. Ein gewisser Cinthio soll sich aber doch mit einigen Kameraden durch die Milizen durchgeschlagen haben. Ihm wird jetzt nachgespürt.“

„Die zweite Neuigkeit ist, daß ein gewisser, dir wohlbekannter Kapitän, von einem gewissen, dir gleichfalls bekannten Lodovico mit sechs Dolchstichen beinahe ermordet worden ist. Er liegt sehr schlecht darnieder. Der Täter ist entkommen.“

„Leb wohl! Es bleibt dir die Liebe

Deiner Olimpia.“

Rinaldo hatte gelesen und steckte die Briefe zu sich, als Laura in das Zimmer trat. Sie suchte, wie sie sagte, hier eine Freundin, da sie dieselbe aber nicht fand, blieb sie auch da.

Es entspann sich ein gleichgültiges Gespräch, unter welchem beide, ganz unvermutet, in die Galerie kamen, welche an das Zimmer stieß. – Sie gingen sprechend immer weiter und kamen in einen glänzenden Saal, in welchem die Tafel serviert wurde.

LAURA Das muß man gestehen, die Gräfin wohnt vortrefflich hier! Ihr Haus ist ohne Widerspruch eines der schönsten Häuser in Messina.

RINALDO Die Gräfin scheint –

LAURA Sie ist eine Frau von viel Geschmack und Geist und sehr liebenswürdig. – Man sagt, sie würde sich wieder vermählen.

Dergleichen sprechend waren sie durch die Galerie wieder in das Zimmer zurückgekommen, welches Laura schnell und unbemerkt verließ.

Er blieb hier, in Nachdenken verloren, unbemerkt, bis der Klang der Trompeten ihn zur Tafel rief. –

Hier kam er, als Fremder, neben die Frau des Hauses, die Gräfin, zu sitzen, und Laura saß ihm gegenüber. – Sein Nachdenken hatte ihn verstimmt, und sein Betragen wurde gegen seine Nachbarin sehr zeremoniös, worüber Laura viel heimliche Freude hatte.

Der Baron Malvento unterhielt die Gesellschaft mit Rinaldinis Untergang und Schicksal in Kalabrien. Die Unterhaltung über diesen Mann wurde allgemein. Jedes äußerte seine Meinung.

Laura meinte, der Straßenräuber sei viel zu ehrenvoll gestorben, er hätte sein Leben auf dem Rade beschließen sollen. Das gab Rinaldo einen starken Stich ans Herz, in welchem das unbarmherzige Fräulein sogleich ein wenig auf die Seite geschoben wurde. – Die Gräfin meinte, Rinaldini sei doch ein bedeutender Mann gewesen, der nur an der Spitze eines Heeres hätte stehen sollen, um sich seines Nachruhms zu versichern. Das gab der Gräfin Laurens ganzen Platz in Rinaldos Herzen.

Der Marchese Romano sagte der Gesellschaft, sein Freund, der Herr Ritter, habe ihm versichert, er habe Rinaldini gekannt. Sogleich bestürmte ihn die Gesellschaft mit Fragen. Laura fragte:

„Wie fandet Ihr denn diesen Gaunerkönig?“

„Mich“, – sagte Rinaldo, – „hat er gut behandelt. Ich war in seiner Gewalt, und er hat dieselbe nicht mißbraucht.“

„Wie sah er denn aus?“ – fragte die Gräfin.

„Edler, als es ihm sein Handwerk hätte erlauben sollen.“

Laura schimpfte auf Rinaldini fort, bis sich das Gespräch der Gesellschaft auf einen andern Gegenstand drehte, was Rinaldo sehr gern hörte.

Die Nacht verschwebte im Tanze, und der Morgen brach an, als Rinaldo nicht in seine Wohnung, sondern vor die Stadt, in die Gegend der Gärten und Landhäuser ging, dort den schönen Morgen zu genießen, der sich, auf tauenden Schwingen, in die blühen den Täler senkte. Seine Fußtritte ließen Streifen in den betauten Wiesenmatten zurück, und seine Blicke suchten einen Hügel, von welchem herab er die schöne Gegend übersehen konnte. Farbig spiegelten sich der Sonne goldene Strahlen im perlenden Tau; Himmel und Erde waren erwacht. Aurora hatte zugleich mit ihren Rosenpforten Rinaldos Sinne aufgeschlossen. Er lehnte sich an eine Pinie und überschaute das glänzende Tal. Seine Augen waren naß wie das Tal. Auch in seinen Tränen erglänzten der Sonne goldene Strahlen; auf seinen Wangen entglühte zurück das Purpurrot des Himmels.

Fernher ertönte das melodische Murmeln eines Wasserfalls, und drüben auf den Hügeln erklang hinter feisten Herden die ländliche Schalmei der frohen Hirtenwelt.

„Ach!“ – seufzte Rinaldo, – „daß auch ich noch hinter Herden einherging, wie ehemals in meinen väterlichen Fluren! Daß auch ich noch froh und munter, schuldlos und unbefangen die Töne meiner Schalmei mit schmeichelnden Lüften vermählen könnte! Wie? wenn ich in ein fernes Land gehen, wieder zu meinem Hirtenstabe greifen und mich in die Einöde Spanischer Triften verbergen könnte? O! daß ich dieses Glücks teilhaftig würde! Was hält mich im Taumelkreise der Welt noch zurück, wo ich, von Gefahren umlagert, gewiß noch ein Opfer eines gerichtlichen Todes werde? Fort, fort aus Siziliens Tälern, in Spaniens duftende, friedliche Auen!“

Er sprachs, und Tränen begleiteten seine Worte.

„Ich Unglücklicher, der ich bin!“ – seufzte er tief auf und verstummte.

Da kam ein Einsiedler den Hügel herauf, grüßte ihn freundlich und sagte:

„Du bist ein Unglücklicher, wie du seufzst? Warum bist du unglücklich? Bist du es durch deine eigene oder durch fremde Schuld?“

„Beides!“ antwortete Rinaldo mit einem gepreßten Seufzer.

„Lerne dulden und tragen“, – fuhr der Einsiedler fort; – „das ziemt dem Manne. Der Himmel hat Wege genug, dir einen sanften anzuweisen, wenn es dir nicht heilsamer ist, eine rauhe Straße zu wandeln. Bedenke, daß alles, was geschieht, zu deinem Besten dient.“

„Nimmst du Almosen?“ – fragte Rinaldo rasch.

„Um es andern zu geben; ja“, – antwortete der Eremit. – „Für mich habe ich immer genug, weil ich wenig bedarf. Aber es gibt Menschen, die auch dieses Wenige nicht haben.“

„Diesen gib!“ – rief Rinaldo, drückte ihm eine Börse in die Hand und eilte in die Stadt zurück.

Der Marchese sagte ihm, daß er auf einige Tage verreisen werde, und empfahl ihm indessen die Unterhaltung seiner Frau und Töchter an.

Den Tag nach der Abreise des Marchese ging Rinaldo hinaus in die Gartenfelder und suchte sein Lieblingsplätzchen auf.

Der Abend senkte sich über die Täler. Die Streifen der fliehenden Sonne zogen durch die Fluren, färbten die Gipfel der Berge purpurrot und schwanden. Die Abendlüfte trugen Wohlgerüche auf balsamischen Flügeln über die Auen. Die Abendfliegen erwachten, durchschwärmten summend die Gegend, und in der Ferne erklang des Hirten laute Schallmei in das Glockengeklingel seiner Herde. Schmachtend ertönte der Sang der liebeflötenden Nachtigallen, und jeder Zweig wurde zur Kehle.

Rinaldo stand an der Tür des Gartens einer geschmackvollen Villa. Die Tür war offen. Er ging in den Garten. Duftende Orangengerüche flogen ihm entgegen, laute Kehlen begrüßten ihn von blühenden Zweigen herab. Er nahte sich einem schönen Hause, das mitten im Garten stand.

Hier begegnete ihm ein Gärtnermädchen, leicht gekleidet und hochgeschürzt. Dieses fragte er: „Wem gehört diese schöne Villa?“

„Der Gräfin Martagno“, erhielt er zur Antwort.

„Ist die Gräfin hier?“

„Schon seit diesem Morgen“, – antwortete das Mädchen und ging die Allee hinunter.

Rinaldo hatte sich noch nicht entschlossen, ob er gehen oder bleiben wollte, als er in einer Orangenlaube sich etwas Weibliches bewegen sah. Er war noch unentschlossen, ob er weiter voroder weiter zurückgehen wollte, als die Dame aus der Laube trat und ihm zurief:

„Ritter! Darf ich meinen Augen trauen? Seid Ihr es selbst, oder ist es Euer Geist?“

Es war die Gräfin selbst, die das sprach, und nun war’s für Rinaldo zu spät fortzugehen. Er nahte sich ihr mit einer stummen Verbeugung.

„Um aller Heiligen willen!“ – fuhr die Gräfin fort, – „Wie habt Ihr meine Villa gefunden?“

ER Wie man oft mehr in der Welt als eine Villa findet, durch Zufall. –

SIE Der Zufall hätte Euch nur um ein paar Schritte weiter führen können, so wär’ Fräulein Laura die Schuldnerin dieses Zufalls geworden. Ihre Villa liegt neben der meinigen, und sie ist dort eben anwesend. – Oder habt Ihr Euch etwa verirrt und seid zu galant es zu gestehen? Ich will Euch zu rechte führen lassen.

ER Wollt Ihr mich vom Zufall annehmen und behalten?

SIE Heißt der Zufall nicht Laura, so seid Ihr mir willkommen.

Sie bot ihm, als sie das sagte, die Hand und führte ihn in die Laube, wo auf einem Tische eine Guitarre und ein Buch lagen. Es waren Petrarchs Sonette. – Die Ottomane hatte Platz für beide. Sie ließen sich nieder und es entstand eine starke Pause. – Endlich fragte die Gräfin ganz naiv:

„Wovon sprechen wir nun gleich?“

„Doch von dem schönen Abend?“ – lächelte Rinaldo.

Die Gräfin lachte laut auf.

Die Unterhaltung wollte nicht recht in Gang kommen. Man stand auf, wandelte in dem Garten umher, sprach von gleichgültigen Sachen und näherte sich endlich einem Pavillon, der der Standort einer weit interessanteren Unterhaltung werden sollte.

SIE Ich freue mich recht sehr, eben Euch, und so unvermutet, bei mir zu sehen, denn wahrhaftig, nur Ihr, Ritter! seid es, der die Laune, die mich quält, verscheuchen kann.

ER Darf ich fragen, was es ist, das Euch so übel gelaunt macht?

SIE Ihr könnt es erfahren. Ein unleidlicher Mensch dringt sich mir selbst auf; einen andern will mir meine Familie als Gemahl aufdringen. –

ER Und Ihr wollt nicht wieder heiraten?

SIE Diese beiden wenigstens nicht.

ER So nehmt einen dritten, der sich Euch nicht aufdringt.

SIE Wenn ich wieder wählen soll, so will ich einen haben, der sich mir gibt; sonst keinen.

Sie hatte, als sie das sagte, ihre Hand von sich gestreckt, und diese sank auf Rinaldos Hand. Sie zog sie schnell zurück, aber Rinaldo haschte sie noch im Fliehen, schloß sie in die seinige, drückte sie sanft und fühlte die seinige wieder gedrückt. – Von ungefähr fanden sich ihre Augen. Im Augenblick lagen sich beide in den Armen. Die Verkettung wurde immer stärker, und man hatte weder Lust noch Kraft sie zu lösen.

Ein lautes Gespräch, das die Allee herauf nach dem Pavillon zukam, riß das entzückte Paar aus einem der schönsten Träume, dem die Wirklichkeit stets vorhergeht. Sie sprangen auf, suchten sich zu sammeln, und Laura trat in Gesellschaft einiger Damen in den Pavillon.

Wie die Bewillkommnungs-Komplimente von beiden Seiten ausfielen, kann man sich denken. Die Verlegenheit nahm Platz in der Gesellschaft, und bis zur Ankunft der Kutschen, welche die Damen in die Stadt zurückbrachten, konnte auch nicht ein einziges zusammenhängendes Gespräch geführt werden.

Die Wagen kamen endlich. Rinaldo hob die Damen hinein, und Laura lispelte ihm zu:

„Ich gratuliere!“




Fußnoten

1 Eine Beschreibung und Abbildung einer solchen andachtsvollen musikalischen Szene findet man in der Voyage pittoresque en Naples et Sicile. T. I. p. 140. No. 111.

2 In wie weit dieses und das dahin Gehörige noch folgen wird, sich beziehend auf die Gesellschaft der Schwarzen, der Carbonaria, u. dgl. – davon ist zu lesen das Buch, welches nicht ungelesen bleiben muß: Lionardo Monte Bello. Fortsetzung der Geschichte Rinaldinis (Leipzig 1821) 1. T. S. 220 ff.

3 Lionardo Monte Bello. 1. T. S. 224.

4 Lionardo Monte Bello. 2. T. S. 113.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rinaldo Rinaldini der Räuberhauptmann.