Die Pfarrkirche zu St. Petri

Außer dem Bau der zweiten Pfarrkirche zu St. Jakob in der Neustadt, die 1226 zum erstenmal urkundlich erwähnt wird, fehlt es an Nachrichten über Kirchenbauten im 13. und 14. Jahrhundert fall völlig. Eine Kirche zu St. Paul wird genannt, die vermutlich in der Nähe des jetzigen Domes stand. Besser fließen die Quellen seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts, zu welcher Zeit die Bautätigkeit auf kirchlichem Gebiet mit dem von der Bürgerschaft unternommenen Neubau der Petri-Kirche kräftig einlegt. Die Stadt befand sich zu jener Zeit auf der Höhe ihrer Macht. Doch bald folgte ein Umschwung, als in der verhängnisvollen Schlacht bei Tannenberg am 15. Juli 1410 der Deutsche Orden gegen Polen unterlag. Die drückenden Bedingungen des Thorner Friedens wirkten auch auf Livland zurück. Dazu kamen erneute Zwistigkeiten zwischen dem livländischen Orden und dem Erzbischofe, die immer wieder um die Hegemonie im Lande zum Ausbruch kamen und die Stadt Riga in den meisten Fällen auf die Seite des Erzbischofs führten, schon des Handels wegen, in dem der Orden vielfach als Konkurrent austrat.

Erst um die Mitte des 15. Jahrhunderts nimmt die Bautätigkeit auf kirchlichem Gebiet wieder an Umfang zu. Die Klosterkirche der Franziskaner und die Klosterkirche der Zisterziensernonnen entstehen. Die Klosterkirche der Dominikaner wird einem Neubau unterzogen; der lange unterbrochen gewesene Bau von St. Peter wird wieder aufgenommen.


Den erhaltenen Kirchenrechnungen nach begann der Neubau der Petri-Kirche im Frühling 1408. Über den Bau der älteren Kirche, die 1209 zum erstenmal urkundlich erwähnt wird, fehlt es an Nachrichten. Dass sie wie die erste Domkirche anfänglich ein hölzernes Provisorium war, dem dann ein Steinbau folgte, ist wohl unzweifelhaft. Vom Turm dieser Kirche spricht in seiner Chronik der lübeckische Kanzler Albrecht von Bardewik (1298—1301) gelegentlich des Kampfes der Bürgerschaft mit dem Deutschen Orden im Jahre 1297. Die Bürgerschaft, so heißt es, befestigte ihn, richtete Blieden auf und beschoss damit den benachbarten St. Jürgenshof.

Auch der Grund des Neubaus ist nicht bekannt. Er wird wohl zunächst darin zu suchen sein, dass die Kirche für die bedeutend angewachsene Gemeinde nicht mehr ausreichte, dann aber mochte die wohlhabende Bürgerschaft selbst auf den Besitz eines Gotteshauses dringen, das künstlerisch hinter den monumentalen Kirchenbauten in den übrigen Hansestädten an der Ostsee nicht zurückzustehen brauchte. Wie sehr man bemüht war, etwas Bedeutendes zu leisten, beweist schon der Umstand, dass man sich an die großen befreundeten Hansestädte um Empfehlung eines erfahrenen Baumeisters wandte. Auf die Empfehlung eines Johann Petersen aus Rostock an den Rat in Riga wird der Rostocker Baumeister Johann Rumeschottel (Rumescotel), ein Sohn des in Rostock verstorbenen Kersten Rumeschottel, gewählt. Im Frühling beginnt der Bau nach den Entwürfen Rumeschottels unter der Leitung seines Sohnes Kersten und eines Hinrich Hauerbeke.

Meister Rumeschottel hielt sich in seinem Bauentwurf in Grundriss und Aufbau streng an die Marienkirche seiner Vaterstadt. Die geringen Abweichungen in der künstlerischen Durchbildung entsprangen den Kunstanschauungen seiner Zeit. Etwas völlig Neues gab er also nicht; die Architektur des Chors, den ein Kranz von fünf polygonalen Kapellen umgibt, fällt gegen die der etwa hundert Jahre älteren Rostocker Kirche sogar merklich ab. — Immerhin gehört der Chorbau der Petri-Kirche zu den vornehmsten Werken nordischer Backsteingotik und bei völliger Durchführung des Entwurfs hätte ein Bau von hoher Schönheit entstehen können. Doch, wie schon erwähnt wurde, die politische Lage gestaltete sich infolge des Kampfes zwischen Polen und dem Deutschen Orden auch für Riga in hohem Grade nachteilig. Die Arbeiten am Kirchenbau wurden eingestellt, als er im Jahre 1409 bis zum Querschiff vollendet war, und der fertige Teil konnte nicht einmal in Bemühung gezogen werden, weil der Erzbischof Johann v. Wallenrode seit 1403 außerhalb des Landes residierte und sein Nachfolger, der ehemalige Bischof von Chur in Graubünden, Johannes Ambundi, erst 1418 in Riga eintraf.

In diesem Zustand verblieb der Kirchenbau nahezu fünf Jahrzehnte. Erst 1456 treten Nachrichten auf über den Bau des Langhauses, und eine Urkunde des Erzbischofs Silvester Stodewescher vom 20. November desselben Jahres verheißt allen zum Bau Steuernden einen vierzigtägigen Ablass. Das Rumeschottelsche Projekt wurde aufgegeben; die geringen Baumittel ließen eine so großartige Anlage nicht zu. Das Querschiff kam nicht zur Ausführung; das Langhaus wurde dem bestehenden Chor ohne viel Rücksicht auf seine Architektur angeschlossen in einer Art, die ebenso den Mangel an Baugeldern, wie den eines künstlerisch geschulten Baumeisters erkennen lässt.

Wie schwer es der Bürgerschaft wurde, den Kirchenbau zu einem würdigen Abschluss zu bringen, ersieht man daran, dass erst im Jahre 1491 der Turm seine Vollendung erfuhr.

Ein Vierteljahrhundert später spielten sich im Chor der Petri-Kirche die ersten Vorfälle ab, die der Einführung der lutherischen Lehre vorausgingen. Eine Disputation zwischen Vertretern der katholischen Partei und dem vom Rat nach Riga berufenen Mitarbeiter Bugenhagens, Andreas Knopken, führte Rat und Bürgerschaft überraschend schnell der neuen Lehre zu. Knopken wurde zum Archidiakonus der St. Petri-Kirche bestellt und hielt als solcher am 23. Oktober 1522 seine erste Predigt.

Außer einigen Nachrichten über Beschädigungen, die durch Stürme und starke Gewitter und durch die russische Belagerung von 1656 verursacht wurden, begegnet man bis zum Jahre 1666 keinen wichtigen Mitteilungen. Dann aber trat ein Ereignis ein, das für lange Zeit die Gemüter in Aufregung hielt: am 11. März 1666, an einem Sonntag, stürzte der mächtige Turm ein, in seinem Falle ein Wohnhaus zerschmetternd und acht Menschenleben vernichtend.

Auch jetzt wandte man sich wieder an befreundete Hansestädte, um einen tüchtigen Baumeister zur Wiederherstellung der Kirche zu erhalten. Die Wahl fiel auf den Baumeister Jürgen Teuffel aus Lübeck, der aber den Erwartungen nicht entsprochen zu haben scheint, denn mit den Wiederherstellungsarbeiten wurde ein als „Kunst- und Strommeister" (wie wir heute sagen würden als Wasserleitungsingenieur und Hafenbaumeister) in städtischen Diensten stehender Holländer, namens Jacob Joost betraut. Teuffel zog nach Narva, wo er nach dem großen Brande, der die Stadt im Jahre 1659 fast völlig in Asche gelegt hatte, zum Bau des Rathauses berufen wurde. — Joost verließ 1675 Riga, um einem Ruf nach Danzig zu folgen, und zu seinem Nachfolger im Amt und beim Kirchenbau wurde wein Gehilfe Rubbert Bindenschu, der aus Straßburg i. E. eingewandert war, vom Rat ernannt. Bindenschu stand dem Bau als Leiter vor, bis am 21. Mai 1677 der sogenannte Francke-Andresensche Mordbrand neben 200 Häusern und Speichern auch die der Vollendung nahe Petri-Kirche wieder vernichtete.

Die Wiederherstellungsarbeiten wurden sofort in Angriff genommen, doch erst am 17. Juni 1686 bestätigte der Rat ein Projekt des Stadtingenieurs Friedrich Statius v. Dahlen zum Turmbau. Dieses Projekt kam nur teilweise zur Ausführung. Es fand nicht den Beifall der Bürgerschaft, die deshalb eine Veränderung des „schlechten und unproportionierten turmleins" beantragte. Nun wurde Bindenschu mit der Abfassung eines Projekts betraut. Am 24. August 1686 stellte er drei verschiedene Entwürfe vor, von denen unter allgemeiner Zustimmung von Rat und Bürgerschaft das Projekt eines in schlanken Verhältnissen, mit drei durch Säulenrotunden geschiedenen Kuppeln, aufsteigenden und in eine schlanke Spitze auslaufenden Turmes zur Ausführung gewählt wurde. Als besonderen Schmuck trug die obere Spitze eine Krone.

Am 10. Mai 1690 zwischen 8 und 9 Uhr morgens vollendete Bindenschu sein Werk durch die feierliche Auflegung des Turmknopfes und des kupfernen Hahnes.
                  Abb. 16. Der Turm der St. Petri-Kirche.

Gleichzeitig war die Westfassade von Grund auf in Haustein neu aufgeführt und mit drei Portalen versehen worden, zu deren reichen Säulen- und Figurenschmuck ein Rigaer Bürger, Klaus Missthäd mit Namen, im Jahre 1690 testamentarisch die Mittel anwies. Die noch erhaltenen Entwürfe lieferte 1686 ein Steinmetz Hans Walter. Der Giebelabschluss läuft in geschwungener Linie an das untere Turmviereck. Dieses erhebt sich nur wenig über das Mittelschiff, geht von dort in ein von jonischen Pilastern beseitetes Achteck über, das unterhalb der ersten Kuppel mit einem kräftigen Konsolengesims abschließt.

Die Bürgerschaft hatte mit offenen Händen zu dem stolzen Turmbau gesteuert. Der Bürgermeister Hans Dreiling schenkte 1695 noch ein Glockenspiel, das in Holland angefertigt worden war und 8.000 Thaler Alberts gekostet hatte. Für die Aufstellung dieses Glockenspiels und für die Aufstellung einer Turmuhr verausgabte die Stadt noch 4.128 Thaler. Und den Baumeister zeichnete der Rat durch ein Ehrengeschenk aus, bestehend in einer silbernen vergoldeten Kanne, deren Deckel ein Hahn zierte.

Doch auch diesem prächtigen Bauwerk war kein Beliehen vergönnt. Am 10. Mai 1721 schlug der Blitz in das Dach über dem Chor und zerstörte die Kirche samt dem Turme in wenigen Stunden. Der in Riga anwesende Kaiser Peter I. leitete persönlich die Rettungsarbeiten. Am nächsten Morgen ließ er sich von dem Oberburggrafen Benkendorff die noch erhaltenen Bindenschuschen Baupläne vorlegen und befahl die Wiederherstellung des Turmes nach diesen. Doch dazu kam es bei der Verarmung der Stadt seit dem nordischen Kriege erst im Jahre 1743.

Am 10. Oktober 1746 erlebte dieses Wunderwerk deutscher Zimmerkunst, der Stolz der Stadt Riga, seine zweite Vollendung durch den Zimmermeister Johann Heinrich Wülbern.

Im Dommuseum wird ein kleiner gläserner Römer aufbewahrt, aus dem Meister Wülbern, auf dem neuen Hahn stehend, nachdem er nach altem Handwerksbrauch den Richtspruch gesprochen, das Wohl der Stadt und seines Baues trank. Er warf das Glas von der Höhe herab, doch es erlitt nur geringe Beschädigungen und erhielt darauf auf seiner Kupa die folgende Inschrift:

      Weil mich der Fall nicht gar zersprenkt
      hat man mir diesen Schmuck geschenkt.
      Verzagter, dieses kann dich lehren
      unschuldiger Fall bringt oft zu Ehren

Daneben ist das Stadtwappen und eine Ansicht der Petri-Kitche eingegraben. Auf dem Fuß des Glases liest man ferner: Den 10. Oktob. 1746 ist DER HAN aufgesetzt. DES TUHRMS HÖHE. 436 Fuss Holl. MAss.

                  Abb. 17. Hauptportal der St. Petri-Kirche.

Wie durch die Aufführung des prächtigen Turmes Rat und Bürgerschaft ihre Anhänglichkeit an die alte Pfarrkirche der Stadt bezeugten, so bezeugten sie sie weiter durch die Ausschmückung des Innern mit kunstvollen Epitaphien, wertvollen Leuchterkronen und Wandarmen. Aus dem Jahre 1596 ist ein 2 ½ m hoher siebenarmiger Leuchter erhalten, eine Arbeit des Rigaschen Glocken- und Geschützgießers Gert Meyer.

Die Kanzel mit ihrem schönen Portal zur Kanzeltreppe ist eine Arbeit des klassizierenden Barocks; sie wurde im Jahre 1791 nach einem Entwurf des Rigaschen Baumeisters Christoph Haberland (getauft den 6. Jan. 1750 in Riga; gest. das. 7. April 1803) in Livorno aus weißem Marmor mit farbigen Marmorinkrustationen ausgeführt und 1793 aufgestellt. Über dem Eingang zur Kanzeltreppe das von Putten gehaltene Wappen der Stifterin Gertrud von der Horst, geb. Gößler. Die Vorgängerin dieser Kanzel, von der man rühmte, „dass keine schönere in allen Städten an der Ostsee zu finden gewesen", hatte im Jahre 1613 der Ältermann der Schwarzenhäupter Franz Werner gestiftet.

Ein Werk moderner Gotik ist der Altar, entworfen von dem Kölner Baumeister Vincenz Statz, in Eichenholz ausgeführt von dem Bildhauer Christoph Stephan in Köln. Das Altargemälde, Petrus in Jerusalem predigend, malte Eduard v. Steinle in Frankfurt a. M.

Hinter dem Chor der Kirche erheben sich von einzelnen Bäumen beschattet niedrige Häuschen und bilden einen der malerisch anmutigsten Winkel des alten Riga. Der Maßstab des Turmes aber wird durch die mäßig hohen Häuser zu seinen Füßen ins Riesenhafte gesteigert.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Riga und Reval. Mit 121 Abbildungen
016 Riga, Der Turm der St. Petrikirche

016 Riga, Der Turm der St. Petrikirche

017 Riga, Hauptportal der St. Petrikirche

017 Riga, Hauptportal der St. Petrikirche

040 Postreiter

040 Postreiter

034 Hafen mit Hanseschiff

034 Hafen mit Hanseschiff

041 Straßenszene

041 Straßenszene

043 Landsknechtslager

043 Landsknechtslager

044 Kriegsrat vor belagerter Stadt

044 Kriegsrat vor belagerter Stadt

045 Bauernkrieg

045 Bauernkrieg

030 Waffenschmiede

030 Waffenschmiede

Luther, Anschlag der 95 Thesen

Luther, Anschlag der 95 Thesen

RA 047 Luther und seine Gattin

RA 047 Luther und seine Gattin

Bugenhagen, Johannes (1485-1558) Bedeutender Reformator und Weggefährte Martin Luthers

Bugenhagen, Johannes (1485-1558) Bedeutender Reformator und Weggefährte Martin Luthers

alle Kapitel sehen