Alberts Stadtplan

Alberts Stadtplan nutzte die durch die Wasserflüsse gegebene Lage in glücklichster Weise aus. Im Nordosten und Südosten bildete der Rigebach, im Südwesten der mächtige Dünastrom die natürliche Grenze und den Wasserschutz der Stadt. Im Nordwesten wurde der Wasserschutz durch die Aushebung eines Wallgrabens erreicht, der aus heute nicht mehr mit Sicherheit feststellbaren Ursachen in gekrümmter Linie vom Rigebache, dem Zuge der heutigen Pferdestraße, und der Rosenstraße folgend, dann etwa in der Mitte des Häuserblocks zwischen der gr. Neustraße und der gr. Jungfernstraße zur Düna hinlief. Ziemlich im Mittelpunkt dieses von Wasserläufen umzogenen verhältnismäßig kleinen Planes ordnete Albert den Bau der Pfarrkirche an, die er dem heil. Petrus weihte, und östlich daran, in der Nähe der Stadtmauer, etwa auf dem Grunde der heutigen St. Johanniskirche, wurden der bischöfliche Dom, die Wohnungen des Domkapitels und die bischöfliche Pfalz erbaut, alle natürlich vorläufig aus Holz. Die Ausführung in Stein musste kommenden Zeiten vorbehalten bleiben. Nur die Stadtmauer wurde, wie auch Alberts Geschichtsschreiber ausdrücklich hervorhebt, sogleich aus Stein gebaut, jedoch vorläufig nur zu mäßiger Höhe aufgeführt, um den notwendigsten Schutz zu gewähren. In den Jahren 1207 und 1209 wird von Erhöhungen der Stadtmauer gesprochen.

Es lässt sich mit ziemlicher Sicherheit aus dem alten Stadtplan ablesen, wie die ersten Bewohner sich um die Pfarrkirche ansiedelten und wie allmählich drei einander nahezu parallel laufende Hauptstraßen entstanden, die als Verbindungen zwischen der Düna und dem Bischofshof die neue Ansiedlung durchschnitten, die platea divitum oder Rikenstrate (Reichenstraße), jetzt bezeichnenderweise „Sünderstraße" genannt, die platea porcorum oder Swynestrate, d. i. Schweinestraße, die sich in Schwimmstraße verfeinert hat, und die platea marschalci, die jetzige Marstallstraße. Nach Südosten ist die Besiedlung erst später vorgedrungen, denn hier lag bei Gründung der Stadt noch ein Ellernbruch, in dem viele Biber ihr Wesen getrieben haben müssen. Das „Ellernbrok" wird in älteren Stadtbüchern mehrfach genannt, auch trug ein in der Nähe gelegener Turm der Stadtbefestigung den Namen „Ellerbrokturm". Für den Aufenthalt von Bibern in diesem Bruch spricht die heutige Weberstraße, die einst durch den Bruch führte und im Laufe der Zeit aus einer platea castorum oder Bewerstrate, d. i. Biberstraße zur Weberstraße geworden ist.


Die weitere Ausdehnung der Besiedlung hat ziemlich konzentrisch um die Westecke des St. Jürgenshofes, der Niederlassung der Brüder des Schwertordens, des heutigen Konvents zum heil. Geist, stattgefunden. Die kleine Münzstraße und die Kaufstraße, radial durchschnitten von der zum Markt führenden platea cementi oder Kalkstraße, die auch nordwärts ins Land führte, und der platea sutorum oder Schohstrate, jetzt Scheunenstraße, die als Fortsetzung der platea marcellorum, der Scharrenstraße vom Bischofsund St. Jürgenshof her die Verbindung mit der nordwestlich von der Stadt allmählich entstehenden villa extra muros vermittelte, lassen sich als die nächsten Straßenzüge erkennen. Erst zuletzt scheint das Westviertel, wo heute das Rathaus und der Markt sich befinden, besiedelt zu sein. Das erste Rathaus stand noch in der Kaufstraße, und das erste Gildenhaus der Kaufleute wurde in der Nordecke des Stadtgebiets erbaut.

In der Fastenzeit des Jahres 1215 zerstörte ein in der Nacht ausgebrochener Brand einen Teil der Stadt und den Dom. Es brannte, wie der Chronist Heinrich von Lettland schreibt, „der erste Teil der Stadt, nämlich der zuerst erbaut und zuerst mit einer Mauer umfangen war, von der Kirche der heil. Maria, die mit ihren großen Glocken verbrannte, bis an den Hof des Bischofs mit den anliegenden Häusern, bis zur Kirche der Brüder der Ritterschaft". Der etwas unklare Bericht lässt sich nur dahin deuten, dass etwa der südöstliche Teil der Stadt mit dem Dom dem Feuer zum Opfer gefallen sei.

Die Feuersbrunst wurde Anlass, die villa extra muros (auch als suburbium civitatis bezeichnet), die zum größten Teil von Liven bewohnt war, ebenfalls zu befestigen und als Neustadt mit dem älteren Stadtteil zu vereinigen. Auch hier lässt sich an den Straßenzügen die Entwicklung des Stadtplanes leicht erkennen. Die über den Wallgraben verlängerte Schohstrate (jetzt Scheunenstraße) führte zum kleinen Kohlenmarkt, von dem drei Hauptstraßen abzweigten. Die Reder-(Ritter-), jetzt Schlossstraße, führte zu dem im Nordwestwinkel der Stadtbefestigung gelegenen Heil. Geisthospital, die nach Norden führende große Jakobsstraße wurde bestimmt durch die Lage der wahrscheinlich schon im ersten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts als zweite Pfarrkirche gegründete St. Jakobikirche, und die platea arene, die Sandstraße, verband das an der Nordwestecke der Befestigung gelegene Sandtor mit dem Kohlenmarkt. Der Stadtteil zwischen Sandstraße und Pferdestraße war vermutlich die erste Ansiedlung der Liven, derer schon früh Erwähnung geschieht.

Den zur Düna gelegenen, nördlich von der Schlossstraße begrenzten Platz außerhalb der ersten Stadtmauer hatte Bischof Albert für den Bau des Domes und für die bischöfliche Residenz ausersehen. Bereits im Jahre 1211 war er feierlich dazu geweiht worden. An die Stelle des Hospitals zum Heil. Geist trat im Jahre 1330 das Schloss des Deutschen Ordens mit seinen Befestigungen und Gräben, wodurch ein großes Dreieck vom Stadtgebiet abgetrennt wurde.

          Abb. 4. Ansicht des Sandturmes von der Turmstraße her.
              (Nach einer Aufnahme des Architekten E. Kupffer.)

Wie das Straßennetz sich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entwickelte, besteht es im wesentlichen heute noch. Auf die reizvollen Straßenbilder, die durch die zwanglosen Krümmungen der Straßen hervorgerufen werden, denen da und dort ein stattliches Gebäude, oder ein mächtig aufstrebender Kirchenbau als malerischer Abschluss dient, ist schon oft hingewiesen worden, doch immer noch nicht genug, denn die Regulierungswut bringt manchen malerischen Teil zu Fall, um ihn in den meisten Fällen durch weniger Malerisches, aber angeblich vom Bedürfnis Geforderten zu ersetzen.

                        Abb. 5. Der ehemalige Wachtturm.

Von der ehemaligen Stadtmauer und ihren im Laufe der Zeit entstandenen Türmen zeugen nur noch spärliche Reste, die zum größten Teil auch noch in die Wohnhäuser, die sich an sie lehnen, verbaut sind. Nur ein einziger Turm, der alte Sandturm, gewöhnlich der „Pulverturm" genannt, ist völlig erhalten. Aber keine Karthaunen strecken mehr die drohenden Schlünde aus seinen Stückpforten, dagegen hallen seine Mauern heute von fröhlichem Studentenleben wieder. Er ist zum Konventsquartier der Korporation Rubonia geworden, die das Innere namentlich durch künstlerischen Schmuck in anziehender Weise bereichert hat.

Wie der alte Befestigungsgürtel einst aussah, veranschaulichen eine stattliche Anzahl alter Pläne und Anflehten der Stadt, deren älteste sich in der 1550 zuerst erschienenen Münsterschen Kosmographie erhalten hat.

Vor die alte turmbewährte Mauer, die manchem Feinde getrost hatte, traten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Wälle, Ravelins und Bastionen des neuen Befestigungssystems, die nach mannigfachen Umgestaltungen im Jahre 1857 abgetragen wurden, um die jüngste Ära der Stadtentwicklung einzuleiten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Riga und Reval. Mit 121 Abbildungen
004 Riga, Ansicht des Sandturmes von der Turmstraße her. (Nach einer Aufnahme des Architekten E. Kupffer.)

004 Riga, Ansicht des Sandturmes von der Turmstraße her. (Nach einer Aufnahme des Architekten E. Kupffer.)

005 Riga, Der ehemalige Wachtturm

005 Riga, Der ehemalige Wachtturm

002 Enge Gasse

002 Enge Gasse

007 Rathausplatz

007 Rathausplatz

034 Hafen mit Hanseschiff

034 Hafen mit Hanseschiff

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