Riga und Reval. Mit 121 Abbildungen

Berühmte Kunststätten. Band 42.
Autor: Neumann, Carl Johann Wilhelm (1849 in Grevesmühlen †1919 in Riga) deutsch-baltischer Architekt und Kunsthistoriker, Erscheinungsjahr: 1908

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Riga, Reval, Ostseehandel, Hansezeit, Hansebund, Hansestadt, Deutscher Orden, Dom, Dombau, Bauweise, Stadtbrand, Livland, Polen, Schweden, Russland, Stadtplan, Gilden

                                Abb. 1. Riga um 1650.

                                        RIGA

RIGA dankt seinen Ursprung dem deutschen Ostseehandel und hat seine größte Machtfülle als Mitglied des Hansebundes gesehen. Ein vortreffliches Bild von dem Aussehen Rigas als deutsche Hansestadt bietet ein aus dem Jahre 1612 stammender, aus drei großen Folioblättern bestehender Kupferstich im Dommuseum zu Riga. Er wurde in der Offizin des ersten Rigaschen Buchdruckers Nikolas Molyn hergestellt und trägt die Überschrift: „Vera delineatio celeberrimae civitatis Rigensis Livoniae metropolis". Dieser mit großer Sorgfalt hergestellte Stich, der ursprünglich aus vier Blättern bestand, ist heute ein Unikum. Wir sehen die Stadt von der Dünaseite, die hohe Umwallung und Palisadierung längs des Flusses, hinter dieser die alte Stadtmauer mit ihren Türmen, und über den Mauergürtel hinausragend die zackigen mittelalterlichen Giebel der Häuser, die schlanken Türme der Kirchen und des Rathauses. Vor dem Wall dehnt sich der Kai, gewöhnlich „die Kaje" genannt, von Menschen wimmelnd. Im Norden der Stadt, durch einen Graben von ihr getrennt, erhebt sich die turmbewehrte Burg des Deutschen Ordens. In der Ferne, außerhalb der Umwallung breiten sich die Vororte aus; hinter dem Häusermeer erkennt man die Windmühlen der Stadt und hinter St. Johann die gefürchtete Richtstätte mit Galgen und Rad. Im Vordergrunde die Düna, bedeckt mit kleinen und großen Segelschiffen, mit Booten und Flößen. Auch ein Rigasches Kriegsschiff ankert im Strom. Und damit nichts dem Bilde fehle, hat der biedere Stecher auch das diesseitige Ufer dargestellt mit seinen kleinen zerstreut liegenden Häuschen und seinen von Palisaden umschlossenen Gehöften, den „Höfchen" im Volksmund, wo der begüterte Bürger im Sommer seine Erholung suchte. Auch den alten roten Wachtturm neben der Marienmühle hat er nicht vergessen. Daneben zeigt er uns die modische Tracht jener Tage in einer lustig daherschreitenden Gesellschaft von Damen und Herren aus den vornehmen Bürgerkreisen, die hier in üppiger spanischer Tracht prunkt. Ein Herr schlägt die Laute. Weiter sieht man Gruppen von Bürgern und Kaufherren, auch den lettischen Bauern neben der Bäuerin. — In den Wolken gruppiert sich eine große allegorische Gesellschaft um das Wappen des Königreichs Polen, dem Riga zu jener Zeit schon dreißig Jahre unterworfen war. Zwei geflügelte Genien halten die Krone über dem Wappen, zu dessen Seiten bedeutsam links Neptun, rechts Merkur flehen. Neptun deutet auf eine von links mit ihren Waren nahende Gruppe fremder Völkerschaften, Merkur hält einen straff gefüllten Geldbeutel den von rechts ihm mit ihren Waren entgegenkommenden Vertretern der heimischen Völkerschaften entgegen. Die Stärke zu Meer und zu Lande, weibliche Figuren auf Wolken thronend mit entsprechenden Attributen schließen sich zu beiden Seiten der Mittelgruppe an; dann folgt rechts das von Fahnen schwenkenden Putten umgaukelte Wappen von Riga, dem links wahrscheinlich das Wappen von Livland entsprochen hat, und schließlich in einer schwungvoll gezeichneten Umrahmung ein begeisterter lateinischer Hymnus auf die alte prächtige Hansestadt, verfasst von dem damaligen Oberpastor der Domkirche Mag. Hermann Samson. Wahrlich, ein stolzes Städtebild!

Die Stadt hatte trotz der langwierigen Kriege, die dem Untergange der livländischen Selbständigkeit vorausgingen und mit der Zerstücklung des Landes ihr Ende fanden, wenn auch schwer gelitten, doch noch nicht ihre alte Bedeutung als reiche Handelsstadt und als einstiges wichtiges Mitglied im Kranze der Hansestädte verloren; sie hatte es sogar möglich gemacht, sich zwanzig Jahre lang gegen Polen, das sich fast ganz Livland unterworfen hatte, als deutsche freie Reichsstadt zu behaupten, hatte aber schließlich doch, als auch die letzte Hoffnung auf deutsche Hilfe dahingeschwunden war, nach langem Feilschen um ihre Rechte und erworbenen Privilegien am 7. April 1581 dem Polenkönige Stephan Batory huldigen müssen.

Nach furchtbaren Kämpfen gewann endlich Schweden, das seit 1562 schon Estland besaß, auch den Hauptteil Livlands, und am 16. September 1621 hielt König Gustav Adolf von Schweden seinen Einzug in Riga. Das anfänglich milde schwedische Regiment schien lindernden Balsam in die Wunden des zerschlagenen Landes und der Stadt gießen zu wollen, aber die Kriege, die Gustav Adolf um die Großmachtstellung Schwedens führte, kosteten Geld, und Riga, das zur zweiten Hauptstadt des schwedischen Reichs erhoben worden Riga war, musste diese Ehre mit Geld aufwägen, ebenso wie Reval, das sich in noch schlimmerer finanzieller Lage befand.

Auch der östliche Nachbar, der schon seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts die begehrlichen Blicke auf das wohlhabende Land gerichtet hielt, vorläufig aber noch in Schranken gehalten worden war, begann von neuem seine Beutezüge. Doch noch war seine Zeit nicht gekommen; noch konnten die Einfälle russischer Heere zurückgewiesen werden. Aber der Drang nach Westen, nach dem Besitz der Ostseeküsten blieb als eine der Hauptaufgaben in der Politik Russlands bestehen. Erst Zar Peter, den die Geschichte den Großen nennt, hat diese Aufgabe gelöst, als er auf dem Schlachtfelde von Poltawa seinen gewaltigen Gegner, Karl XII. von Schweden, wiederwarf. Am 4. Juli 1710 kapitulierte Riga, das vom 14. bis 27. Juni ein furchtbares Bombardement ausgehalten und gegen 22.000 Menschen durch den Tod verloren hatte. Am 10. Juli empfing der siegreiche russische Feldherr Scheremejew die goldenen Schlüssel der Stadt. (Abb. 3.)

Von den glanzvollen Tagen aus der Hansezeit zeugen nur noch die alten Kirchen, wenige alte Privatgebäude, spärliche Reste der ehemaligen Stadtbefestigung und die malerisch sich krümmenden Straßen der inneren Stadt. Hier und da ein verträumter Winkel in der Nähe der vom Hauptverkehr unberührt gebliebenen Kirchen. An die Stelle der ehemaligen die Stadt umgürtenden Wälle sind freundliche Gartenanlagen getreten und an Stelle der alten hochgiebligen Kaufmannshäuser erheben sich mit jedem Jahre mehr dem modernen Bedürfnis und Geschmack entsprechende Bauten.

Neumann, Wilhelm (1849-1919) deutsch-baltischer Architekt und Kunsthistoriker

Neumann, Wilhelm (1849-1919) deutsch-baltischer Architekt und Kunsthistoriker

Riga und Reval Titelblatt

Riga und Reval Titelblatt

000 Blick auf St. Peter und die reformierte Kirche in Riga

000 Blick auf St. Peter und die reformierte Kirche in Riga

001 Riga um 1650

001 Riga um 1650

002 Riga um 1570

002 Riga um 1570

003 A. v. Kotzebue. Die Huldigung Rigas am 10. Juli 1710

003 A. v. Kotzebue. Die Huldigung Rigas am 10. Juli 1710

Hansewappen

Hansewappen

Hanse Kogge

Hanse Kogge

Stephan Batory (1533-1586) König von Polen

Stephan Batory (1533-1586) König von Polen

Gustav II. Adolf (1594-1632) König von Schweden

Gustav II. Adolf (1594-1632) König von Schweden

Karl XII. (1682-1718) König von Schweden um 1700

Karl XII. (1682-1718) König von Schweden um 1700

Karl XII. (1682-1718) König von Schweden zusammen mit Hetman Masepa bei Poltawa

Karl XII. (1682-1718) König von Schweden zusammen mit Hetman Masepa bei Poltawa

Zar Peter der Grosse

Zar Peter der Grosse