Wie das Goldfischlein wieder zum Vorschein kam und was es von dem alten Vater Rhein und den Kindern erzählte.

Wie das Goldfischlein wieder zum Vorschein kam und was es von dem alten Vater Rhein und den Kindern erzählte.

Als die Mainzer Bürger sich durch Essen und Trinken ein wenig herausgefüttert hatten und mit der Pyramide fertig waren, wurden sie durch die Inschrift derselben wieder gar sehr an den traurigen Verlust ihrer Kinder erinnert und waren wieder gar sehr betrübt. In solchen traurigen Gedanken lag auch an einem Sonntagmorgen Marzibille und der Fischer im Bett und sprachen von ihrem Ameleychen. „Ach!“ sagte der Fischer, „was die Sonne so schön über dem Rhein aufgeht; gehen wir hinaus und rufen dem Goldfischchen, vielleicht bringt es heute Nachricht.“ Sogleich machten sich beide auf, füllten das Glas des Fischchens mit frischem Wasser und streuten Brosamen hinein, und nun gingen sie, da die ganze Stadt noch schlief, an den Fluß und setzten sich an die Stelle, wo das Fischchen vor einem Jahr dem Ameleychen in den Schoß gesprungen war, und nun rief Marzibille:


Sonnenschein
Überm Rhein,
Goldfischlein
Im Wellenschein,
Sag geschwind
Wie der Wind,
Ob mein Kind
Wolle oder Seide spinnt!

Siehe, da machte das Wasser einige Ringe, und hopp! sprang das Goldfischlein der Fischerin in das Glas, das sie auf dem Schoß hatte, und sprach:

Seide, Seide, Seide
Spinnt dein Kind voll Freude;
In dem Sonntagskleide
Sitzt es auf dem Wasserschloß
In des alten Rheines Schoß;
Spielt ihm in dem grünen Bart
Mit den kleinen Händen zart;
All die andern Kinder sitzen
Rings und tun die Ohren spitzen,
Weil der alte Wassermann
Märchen schön erzählen kann;
Und die fromme Prinzessin
Sitzt im Kreise mittendrin;
Ameleychen läßt euch grüßen
Recht von Kopf bis zu den Füßen,
Danket euch für Rock und Schuh,
Für das Hemdlein auch dazu!

Als der Fischer und die Fischerin diese Worte des Goldfischchens gehört hatten, waren sie ganz außer sich vor Freude; sie liefen geschwind mit dem Goldfischlein nach Hause, deckten ihr Tischchen mit einem weißen Tuch, stellten das Fischlein drauf und setzten sich beide dazu, und nun sprach Marzibille: „Erzähle, Fischchen, erzähle“; aber da kam Weißmäuschen auch unter der Wiege hervor und sprang voller Freuden herum, daß das Goldfischchen wieder da war, und sie ließen das Weißmäuschen auf den Tisch springen, und da saß es ganz aufmerksam, und sie hörten alle drei zu, was das Goldfischchen erzählte:

„Als Ihr mich in den Rhein warft, Frau Marzibille, und das Bündelchen Kleider hinter mir drein, kamen gleich ein paar große Hechte herangeschwommen und glaubten, die roten Schuhe wären was zu fressen; ich schlüpfte aber in den einen Schuh und hörte, wie sie sagten:

Das ist wieder nur ein Klumpen
Bunter Lumpen,
Mag den Kindern wohl gehören,
Die wir täglich lachen hören,
Die wir gar zu gerne fräßen,
Wenn sie nicht im Schlosse säßen.

Und nun schwammen sie fort; ich war voller Freude, daß ich gehört hatte, die Kinder säßen in einem Schlosse und lachten; doch blieb ich in meinem Schuhe sitzen und lauerte weiter. Sieh, da kamen ein paar dicke Rheinkarpfen anspaziert, ein paar alte Leutchen, sie hatten graues Moos vor Alter auf dem Kopfe wachsen; da sagte die Karpfin zum Karpfen:

Alterchen! das wär so was,
Zieh das Jäckchen an zum Spaß,
Ich will in das Hemdchen schleichen,
Daß wir so den Menschen gleichen,
Und dann schwimmen wir zum Schloß,
Machen tolle Sprünge groß,
Und die Kinder werden meinen,
Daß wir seien, was wir scheinen:
Ich ein Mädchen, du ein Bübchen;
Und sie werden dann, mein Liebchen!
Zu uns vor die Türe kommen,
Daß wir werden aufgenommen;
Dann paß auf, wie ich dann schnappe,
Einen Jungen mir ertappe,
Du ein Mägdlein magst erwischen,
Jeder soll sich eines fischen.

Der alte Karpfen war ganz bereit zu der Maskerade, die ihm sein närrisches Weib vorschlug; sie half ihm in das Jäckchen und schlüpfte selbst in das Hemd und dann schwammen sie lachend, von vielen andern Fischen verfolgt, den Rhein hinunter. Nun wäre mir das eine schöne Gelegenheit gewesen, mit ihnen nach dem Wasserschloß zu kommen; aber ich wollte die schönen roten Schuhe nicht zurücklassen, und auch ängstlich war es mir, daß sie mit Ameleychens Kleidern auf und davon gingen. Als ich kaum einige Minuten nachgedacht hatte, was ich anfangen sollte, siehe, da ging der Mond auf und ergoß sein erquickendes Licht von den Rebenhügeln hinab bis auf den Grund des Rheines, und die Flut schimmerte unter und ober mir wie ein fließender Smaragd, meine goldenen Floßfedern schimmerten, und die roten Schuhe, in denen ich steckte, glänzten wie eine Koralle; es war mir durch und durch wohl und selig; da rauschte etwas mit den gelben Wellen des Mainstromes an mich heran, und bald erkannte ich eine heitere Schar von Nymphen. Es zogen voraus zwei schöne mutige Jünglinge, der Weiße Main und der Rote Main, die kräftigen Söhne des Fichtelberges; sie schwammen mit verschlungenen Armen und sangen ein Doppellied, um sie her gaukelten viele schöne Nymphen, ihre Gespielinnen, Geliebten und Bräute: die freudige Rodach, die freundliche Itsch, die lustige Baunach, Lautenbach und Ellern, dann die edle Nordgauerin, die Regnitz, mit ihren Gespielen, der kunstreichen Pegnitz, der Wiesent und Aysch, weiter die kluge Saale und die sinnreiche Sinna, dann die spielende Lohr und die berauschte Tauber, und zuletzt die liebliche Nidda; alle diese rauschten, mit Weinlaub, Früchten, bunten Wimpeln, Harfen und Hörnern geschmückt, um die beiden Jünglinge, singend und klingend, mit lautem Jubel in den mondglänzenden Rhein. Als sie über mir waren, sangen sie alle miteinander:

Himmel oben, Himmel unten,
Stern und Mond in Wellen lacht,
Und in Traum und Lust gewunden
Spiegelt sich die fromme Nacht.

Welch entzückend laues Wehen!
Blumenatem! Traubenduft!
Wie die Felsen ernsthaft sehen
In des Widerhalles Kluft!

Rhein, du breites Hochzeitbette!
Himmelhohes Lustgerüst!
Wo sich spielend um die Wette
Stern und Mond und Welle küßt.

Und nun sangen die Brüder, der Weiße und Rote Main:

Aus dem alten Fichtelberge
Rauscht zu dir das Brüderpaar,
Im Gestein die klugen Zwerge
Machten uns manch Märlein klar.

Mit uns ziehen zu dir nieder
Viele Nymphen schön und klug,
Und wir bringen alte Lieder,
Alte Märchen dir genug.

Rhein, du hast uns eingeladen
In dein grünes Wasserschloß
Zwischen jauchzenden Gestaden
In den kühlen Felsenschoß.

Und wir wollen jenen Kindern,
Die du drin gefangen hast,
Märchen singend, bald vermindern
Ihres Heimwehs bittre Last.

Und nun sangen die Nymphen eine nach der andern:

Freundlich bin ich, Rodach heiß ich,
Roter Röslein manchen Strauß
Von gebückten Büschen reiß ich,
Teil' sie frommen Kindern aus.

Ich bin heimlich, heiße Itsche,
Wenn, wo Dorn und Schlehe blüht,
Still ich durch die Felsen witsche,
Lausche ich der Hirtin Lied.

Baunach, Lautenbach und Ellern
Sind wir, bringen Kiesel rund,
Die wir in den Felsenkellern
Ausgesucht hübsch glatt und bunt.

Ich bin edel, heiße Regnitz,
Stamme aus dem Nordgau her,
Aysch und Wiesent und die Pegnitz
Tragen meine Gaben schwer.

Aysch bringt rote Pfaffenhütlein,
Wiesenblümlein Wiesent bringt,
Und manch Märlein und manch Liedlein
Wissen wir, das lieblich klingt.

Ich, die Pegnitz, sinnreich heiter,
Bring den Kindern Spielerei:
Trommeln, Pfeifen, Puppen, Reiter
Führ aus Nürnberg ich herbei.

Arche Noä, Gänsespiele,
Pfefferkuchen, buntes Wachs,
Bilderbücher, ei wie viele!
Und manch Liedlein von Hans Sachs.

Ei! die Kindlein werden lachen
Über all den lieben Tand,
Breit' ich erst die schönen Sachen
Ihnen aus im klaren Sand.

Heisa! lustig! Rockenstube,
Jahrmarkt, Niklas, heilger Christ,
Freu dich, Mägdlein, freu dich, Bube,
Alles hier beisammen ist.

Ich die kluge Saale heiße,
Bin ein Nixchen wunderbar,
Stell verwandelt mancherweise
Bald als Kind, als Greis mich dar.

Sinnreich bin ich, Sinna heiß ich,
Wandle durch den Erlenwald,
Und vom Erlenkönig weiß ich
Auch manch Lied, das rührend schallt.

Rauschend durch die Mühlen spring ich,
Spiele gern und heiße Lohr,
Von dem Müllerburschen sing ich,
Der sein treues Lieb verlor.

Tauber heiß ich, Reben schwing ich
Trunken in dem Taubergrund,
Und den Kindern Tauben bring ich,
Um die Hälse golden bunt.

Und ich heiße Nidda, Nidda,
Im Gebüsch versteck ich mich,
Rufe immer: Nit da, nit da,
Mit den Kindern neck ich mich.

Und nun sangen sie wieder alle zusammen:

Seid gegrüßt, ihr Rebenhügel!
Seid gegrüßt, ihr Felsenstein!
Die ihr unter Gottes Flügel
Also süß geschlummert ein.

Felder, Korn und Blumen tragend,
Hirtenflöten, einsam klagend,
Hohe Türme, Glocken schlagend,
Kirchlein, Schloß, am Felsen ragend.

All ihr hochgeherzten Helden,
Die zu Bacchus Hochaltar
Sich zum blauen Spiegel stellten,
Seid gegrüßt von unsrer Schar!

Und nun wollten sie eben selig den Rhein, der unter dem blauen Sternhimmel wie eine herrliche Gruft voll Edelsteinen hinaus schimmerte, hinabziehen, als die beiden Brüder Weiß-Main und Rot-Main die roten Schuhe, in denen ich lauschte, bemerkten und niedertauchend also sangen:

Aber sieh da! auf dem Grunde,
Wie das schimmert, sieh doch zu!
Ei potz tausend! ein paar bunte,
Neue, rote Kinderschuh!

Ei! die nehm ich mir geschwinde,
Ehre leg ich damit ein,
Schenke sie dem frömmsten Kinde,
Das ich finde bei dem Rhein.

Da nahmen sie die roten Schuhe mit, und ich versteckte mich ganz vorn in der Spitze des Schuhes, damit sie mich nicht etwa herausjagen sollten, und so rauschte ich mit ihnen den Strom hinab, noch immer besorgt, wo der alte Karpfen und seine Frau mit dem Jäckchen und dem Hemde möchten hingekommen sein. Als wir an dem Bingerloch ankamen, wo der Rhein einen tiefen Strudel macht, tauchten die Nymphen unter und wir sahen einen hellen grünlichen Schein, und je tiefer wir kamen, je heller ward es, und endlich erkannten wir schon einige Lichter, und nun standen wir vor einem durchsichtigen gläsernen Haus; rings war es von unzähligen Fischen umgeben, die dem Lichte nachgezogen, und mit den Nasen an den glatten gläsernen Wänden herumschnupperten und nicht hineinkonnten; da pochten nun die Jünglinge Weiß-Main und Rot-Main leise an, und es fragte ein alter Wassermann drin:

Ei wer klopfet? wer ist draus?
Wer klopft an dies stille Haus?
Wo die Kindlein alle schlafen,
Träumen von den Wolkenschafen;
Seid ihr es, ihr tollen Fische?
Wart! wenn einen ich erwische!

Aber nun antwortete der Main:

Tu auf! tu auf die grüne Tür!
Der rot und weiße Main ist hier
Mit vielen holden Wasserfrauen,
Sie wollen nach dem Rheine schauen,
Sie bringen seinen Kinderlein
Manch Lied und schöne Spielerein.

Nun kam der alte graue Wassermann heraus, der da Torwächter war, und sprach:

Wie viel seid ihr, daß ich zähle,
Daß kein Fisch herein sich stehle.

Nun sprachen die zwei Brüder:

Wir zwei Brüder, vierzehn Frauen,
Sechzehn sind wir, du darfst trauen.

Nun sprach der Wassermann, indem er einen nach dem andern hereinließ und mit einem Ruder die Fische, die sich herzudrängten, zurückstieß:

Leise! Leise! plätschert nicht,
Wecket mir die Kinder nicht,
Die da rings in gläsern Wiegen
In dem süßen Schlummer liegen;
Wenn ihr alle seid herein,
Räume ich euch Betten ein.
Ihr kommt wohl zur rechten Zeit,
Von hier sind gereiset heut
Erst der Neckar und die Lahn,
Ich weis' euch die Betten an,
Wo sie lagen ausgestrecket,
Sie sind alle frisch gedecket.
Leise! leise! plätschert nicht;
Weckt den Vater Rhein mir nicht;
Er da in der Mitte lieget,
Und nachdem er eingewieget
Ameleychen hold, ein Kind,
Selbst jetzt stille Träume spinnt;
Folget mir in einer Kette,
Stoßet nicht an jenes Bette
Auf korallenroten Füßen,
Goldsand füllt die blauen Kissen,
Ameley, die Prinzessin,
Schlummert drin.

Und nun schlüpften die Jünglinge und Nymphen, eines nach dem andern, bei dem Wassermann zur Türe hinein, und er zählte sie alle. Sieh! da kam auch ein siebzehnter und ein achtzehnter; aber der wachsame Wassermann erwischte die beiden bei den Ärmeln, und da blieb ihm das Jäckchen und Hemdchen in den Händen, und der alte Karpfe mit seiner listigen Frau kriegten eine solche Ohrfeige mit dem Ruder, daß sie sich auf den Rücken legten, was bei uns Fischen ein Zeichen des Todes ist.

Nun könnt ihr euch gar nicht denken, welche Herrlichkeit da zu sehen war; die Nymphen machten einen halben Kreis und gaben nur mit Winken sich ihr Entzücken zu verstehen. Wir waren unter einem gläsernen Gewölbe, und über uns sahen wir das Gewässer mit Millionen bunter Fische, die sich mit ihren glänzenden Schuppen an das Glas anlegten und mit ihren Goldaugen hereinsahen, so daß die ganze Decke wie tausend Regenbogen durcheinander schimmerte; wo sich die Fische wegbewegten, sah man wieder zwischen wunderbaren Felsen die Sterne und den Mond durch die dunkle Flut leuchten, es war nicht zu beschreiben wie schön. Ja, wenn aller blaue Himmel eine Wiese wäre, und alle Sterne bunte Blumen, und alle Wölkchen Lämmer, und der Mond ein Schäfer, und die Sonne ein goldener Brunnen, und die Morgenröte eine erwachende Hirtin, und die Abendröte ein ermüdeter Jäger, und die Liebe zöge wie ein Lüftchen durch die Blumen und bewegte sie, und die bunten Bänder der Hirtin spielten in ihr, und die Locken des Jägers wehten in ihr, und der goldene Brunnen spränge und ergöße sich durch die Wiesen, und die Lämmer tränken aus ihm und der Schäfer stellte einen bunten Stab in den Brunnen vor die Augen der Lämmer, und alles wäre selig, und ihr läget unschuldig wie euer Ameleychen in der Wiege und sähet alles das im Traum: so wäre es doch nicht halb so schön, als was ich da sah.“

„Nun, nun,“ sagte der Fischer, „du machst es auch gar zu schön; Fische bleiben doch Fische, und Wasser Wasser.“ – „Ach!“ sagte Marzibille, „es ist mir nur lieb, daß es schön ist; ich wollte, es wäre noch tausendmal schöner, wegen Ameleychen, das nun einmal dort ist; aber erzähle fort, Goldfischchen! ich vergehe vor Ungeduld, von meinem lieben Kinde zu hören.“

„So sah es aus, wenn man über sich sah,“ fuhr Goldfischchen fort, „ein solcher Himmel lag über Ameleychen und den übrigen Kindern. Aber als ich hinabsah, da ging mir das Herz erst auf, und wäre ich schier vor Freuden aus dem roten Schuh gesprungen! Rundherum ging eine breite Stufe nach der andern hinab, und auf allen standen im Kreis herum eine Wiege, ein Bettchen am andern, und wir sahen in einen offenen Himmel von tausend schlummernden Kindergesichtern; auf der einen Seite des Kreises schlummerten alle Mägdlein, auf der andern alle Knaben. Tief unten aber stand auf der einen Seite ein schönes Bett von lauter Korallen, darauf schlummerte die Prinzessin Ameley; auf der andern Seite stand ein Bett von Felsenstein mit Goldsand gefüllt, darauf schlief der alte Vater Rhein, ein gar ehrwürdiger, großer und starker Greis, sein langer grüner Schilfbart hing von seinem Lager herab über eine artige gläserne Wiege, und, ach Frau Marzibille! wer schlummerte in dieser Wiege?“ – „Ach mein blondes Ameleychen“, schrie die Fischerin und weinte vor Freude.

„Ja, Ameleychen schlummerte da“, sagte Goldfischchen, „und lächelte im Traume und hatte rote Bäckchen, wie hier, und hatte seine Händchen gefalten, wie hier, und seine Kleiderchen lagen ordentlich und reinlich zusammengelegt auf dem kleinen Schemel, der bei seinem Bette stand, wie hier.“

„Ja, es war immer ein gutes und frommes Kind“, sagte jetzt der Fischer und weinte auch.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rheinmaerchen