Erste Fortsetzung

Kurt Huldschinsky, der Assistent K. Biesalskis am Oskar-Helene-Heim zur Heilung und Erziehung gebrechlicher Kinder in Berlin-Dahlem, hat kürzlich eine aufsehenerregende Schrift über Behandlung der Rachitis durch Ultraviolettbestrahlung veröffentlicht, in der vierundzwanzig Fälle dargestellt sind. Anfänglich vermutete er, die Methode der künstlichen Höhensonne sei nur zur Ergänzung der bisherigen Behandlung der Rachitis wertvoll. Nach den Ergebnissen der Bestrahlung in vierundzwanzig Fällen an Kindern im Alter von anderthalb bis sechseinhalb Jahren, wobei es sich um Rachitis jeden Grades, frische und alte, handelte, ergab sich, dass die Ultraviolettbestrahlung als spezifisches Verfahren gegen die Rachitis anzusehen ist, dass in jedem Falle die Krankheit in kürzester Zeit zum Stillstand und zur Abheilung bringt. Es gelang ihm, sämtliche Fälle durch zweimonatige Lichtbestrahlung in zweiundzwanzig bis sechsundzwanzig Sitzungen auszuheilen. Die nach Röntgenaufnahmen hergestellten Zeichnungen in Huldschinskys Abhandlung sind ein überzeugender Beweis für seine Erfolge mit künstlicher Höhensonnenbestrahlung. Diese Behandlung kann bei ihrer leichten Anwendbarkeit nicht nur allen Volkskreisen zugutekommen, es must erreicht werden, dass die zynische englische Prophezeiung, in zwanzig Jahren sei das deutsche Volk an der englischen Krankheit zugrunde gegangen, zunichtegemacht wird. Ohne nennenswerten Zeitverlust kann eine große Zahl von gefährdeten und erkrankten Kindern behandelt werden. Mit einer Lichtquelle ist es möglich, bei einer Bestrahlungsdauer von äußerstens zwanzig Minuten und zwölf Behandlungstagen für jedes Kind im Monat einhundertzweiundneunzig Kinder gleichzeitig zu behandeln. Rechnet man für jedes Kind eine zweimonatige Behandlung, so käme man im Jahr auf weit über tausend mit einer Lampe zu heilende Rachitiker. Eine Berliner Spezialanstalt besitzt zwölf künstliche Höhensonnen. Eine Kur von fünfzehn Bestrahlungen, die wochenlange Badereisen ersetzt, kostet dort zurzeit neunzig Mark. Bis jetzt sind daselbst dreißigtausend Bestrahlungen erfolgt.

Dr. Hermann Putzig, Oberarzt im Charlottenburger Kaiserin-Auguste- Viktoria-Haus, Reichsanstalt zur Bekämpfung der Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit, der gleichfalls Rachitis mit Höhensonne behandelt, schrieb im April1920: „Die künstliche Höhensonne hat in den letzten Jahren bei so vielen Krankheiten Anwendung gefunden, dass es eigentlich erstaunlich ist, dass man so spät erst auf den Gedanken kam, die Rachitis mit Ultraviolettlicht zu behandeln.“


Worauf beruht nun diese erstaunliche Heilkraft? Die künstliche Höhensonne setzt den Blutdruck im menschlichen Organismus herab und steigert den Stoffwechsel. Die inneren Organe werden durch Ableitung des Blutes nach der Haut entlastet; es kommt zur Ladung des Blutes mit Lichtenergie, welche die Bindung des Sauerstoffs an das Bluteisen begünstigt. Dadurch ergibt sich Linderung und Heilung zahlreicher Krankheiten, die als Folgeerscheinungen verringerten Stoffwechsels und erhöhten Blutdrucks auftreten, also ein bedeutender Heilerfolg. Wie unter der Einwirkung der natürlichen Höhensonne wird das Allgemeinbefinden durch Kräftigung des Körpers außerordentlich gehoben, die darniederliegenden Kräfte werden geweckt und der gekräftigte Körper dadurch in den Stand gesetzt, gegenüber der Erkrankung zur Selbsthilfe zu schreiten. Bei Tuberkuloseverdacht, der chirurgischen Tuberkulose, Skrofulose und der Rachitis werden sichere Heilerfolge erzielt.

Professor R. Hagemann schreibt: „Es zeigt sich, dass die Bestrahlung keine spezifische Wirkung hat, sondern im Allgemeinen kräftigend wirkt, das allerdings in so außerordentlichem Maße, dass sie darin alle bisherigen Methoden übertrifft.“ Dass die Wirkung der ultravioletten Strahlen außer, wie bereits oben gesagt, bei der Rachitis keine spezifische ist und die Heilung fast immer auf indirektem Wege erfolgt, wies Professor Jesionek überzeugend nach. Er hatte die Krankheitsherde bei Lupus, der furchtbaren, entstellenden Hauttuberkulose, versuchshalber abgedeckt, der unmittelbaren Strahleneinwirkung entzogen, den übrigen Körper aber ausgiebig bestrahlt und fand, dass auch unter dem sonst indifferenten, nur abdeckenden Verband die Heilung in gleichem Grade fortschritt wie vordem, wenn bei der Behandlung die eigentliche Krankheitsstelle besonders bevorzugt wurde. Dadurch wird die Lichtheilung bei sonst so verschiedenartigen Erkrankungen erklärt. Bestrahlung mit künstlicher Höhensonne sollte nicht nur auf Heilung schwerer, bereits ausgebrochener Leiden gerichtet sein, sondern vielmehr auf deren Vorbeugung und Verhütung. Selbstverständlich ist, dass die Bestrahlung bei verschiedenen Leiden ohne ärztliche Anordnung und Überwachung nicht erfolgen kann. Denn bei zahlreichen Krankheitsfällen werden erst durch Verbindung medikamentöser Behandlung mit Höhensonne Erfolge erzielt. Wenn heute auch nahezu zehntausend Ärzte und ärztliche Institute die mannigfachen Heilkräfte der Hanauer Höhensonne erprobt und die segensreiche, oft wunderbar anmutende Wirkung schätzen gelernt haben, so sollte dies bequeme Heilmittel doch immer mehr und allen Volksgenossen zugutekommen. In jeder Stadt kann leicht ein Raum eingerichtet werden, wo künstliche Höhensonnenbäder angewendet werden können. Keiner Orts-oder Fabrikkrankenkasse, vor allem keiner Schule sollte dieser Apparat fehlen. Das muss sich durchführen lassen, da neuerdings gemeinnützigen Instituten die Apparate auch leihweise, gegen laufende Entrichtung einer geringen Miet- und Abnützungsgebühr für jede Bestrahlung von der Quarzlampengesellschaft in Hanau geliefert werden. Die Rettung vor den vernichtenden Volkskrankheiten ist möglich. Es darf nur der feste Wille zur Tat nicht fehlen.


Kinderelend. Diese Aufnahme ist ein Zufallsbild von einem öffentlichen Spielplatz in Berlin. Bei allen Kindern finden sich deutliche rachitische Merkmale: krumme Beine, aufgetriebene Gelenkenden und übergroße Köpfe.
Rachitisches Kind. Phot. Quarzlampengesellschaft, Hanau.
Längsdurchschnitt eines gesunden und eines rachitischen Knochens. Der gesunde Knochen ist schlank, und man erkennt scharfe Grenzen zwischen dem knöchernen Schaft und dem knorpeligen Gelenkende, der Stelle des Längenwachstums. Der rachitische ist verbogen, die Grenze zwischen Knochen und Knorpel ist unscharf, das Wachstum daher gestört. Der Schaft ist an seiner Krümmung durch eine kalklose, schwammige Auflagerung verdickt. Der ganze Knochen ist daher kürzer und plumper als der gesunde.
Rachitisches Kind. Phot. Quarzlampengesellschaft, Hanau.
Bestrahlung mit „künstlicher Höhensonne“. Mehrere Kinder können gleichzeitig bestrahlt werden. Bestrahlungshalle nach Professor Jesionek im „Krankenhause links der Isar“ in München.
Bestrahlung mit künstlicher Höhensonne im Sanatorium des Geheimen Sanitätsrats Dr. Köhler in Bad Elster.
Von chirurgischer Tuberkulose(Skrofulose) geheilte Kinder. Aus der chirurgischen Universitätsklinik Marburg.