Reitergeist.

Ganz besonders nutzbringend erscheint endlich der Einfluss der Rennreiterei auf die Soldatenreiterei durch den Reitergeist, der durch den Sport in die Offizierkorps gebracht wird. Reitergeist! Was ist Reitergeist? Reitergeist liegt nicht in der Bahn, nicht auf dem ebenen Exerzierplatz, er liegt in dem fröhlichen Galopp im Terrain. Geht ein Schwadronschef mit der Eskadron über schwieriges Terrain und auf den Gesichtern der Leute ist zu lesen: das war wohl unnötig, dabei brechen wir uns Hals und Beine — da herrscht kein Reitergeist; sondern da, wo, wenn auch einige fallen, doch Mut und Fröhlichkeit aus den Mienen spricht.

Die Disziplin tut viel, aber der wahre Reitergeist kommt nur durch das Beispiel der Offiziere.


Einer Kavallerie, in deren Offizierkorps ein solcher Geist weht, kann man getrost das weittragende Schießgewehr in die Hand geben; sie wird die Ansicht, daß dadurch der zu unseren Erfolgen mehr denn je nötige ungestüme Schneid verloren gehen werde, schlagend widerlegen.

Die heutige Bewaffnung des Feindes hat auf die Verwendung der Kavallerie im Felde einen großen Einfluss ausgeübt.

Gegen schlechte Schießwaffen oder auf Kavallerie zu attackieren, war nicht gar so schwierig, und leicht konnte ein schneidiger General eine Truppe begeistern. Jetzt soll eine Armee von einer halben Million Soldaten durch die Kavallerie verschleiert werden. Das kann nicht ein schneidiger General, dazu gehören Hunderte von schneidigen Offizieren, die selbständig auftreten.

Der dazu erforderliche Schneid, die Umsicht und Geistesgegenwart wird nicht durch Instruktion und Tradition erhalten, sondern nur durch das fortwährende Üben des Verhaltens in Gefahren, wie sie auch der Hindernissport bietet; nur dadurch wird das Überwinden derselben zur Gewohnheit und geht in das Blut über, und nur mit dahin ausgebildeten Offizieren kann man den Ansprüchen der modernen Kriegführung genügen.

Um dies zu beweisen, wollen wir die Gedanken vergleichen, die sich bei einer schwierigen Rekognoszierung dem Schulreiter und dem Rennreiter unvermerkt aufdrängen werden. Wie komme ich wieder zurück? wird ersterer überlegen, wenn die Chaussee abgeschnitten wird, wie mag das Terrain seitwärts beschaffen sein? Werde ich auch nicht von schnellerer und stärkerer feindlicher Kavallerie angegriffen werden? Das schnelle Laufen ist nicht Sache meines Braunen. Für heute habe ich wohl genug gesehen, vielleicht sieht ein anderer morgen mehr; auch fangen die Pferde wohl schon an müde zu werden etc.

Der Steeplechasereiter kennt solche Gedanken nicht, oder er ist keiner. Dessen Charakter ist dahin ausgebildet und geübt, die Pointe zu erfassen und die Schwierigkeiten der Nebenumstände zu überwinden: er denkt: Im coupierten Terrain hat sich der Feind nicht so gut sichern können, da kann ich besser rekognoszieren als auf der Chaussee. Ich muss noch weiter vordringen, denn ich will etwas sehen; im schlimmsten Fall verliere ich ein paar Leute — ich komme schon durch, denn ich bin besser beritten als der Feind — entweder mit Nachrichten zurück oder gar nicht!

Das sind aber die wahren Gedanken für einen rekognoszierenden Offizier; in denen liegt der Sieg und nicht in jenen.

So geben wir uns denn der Hoffnung hin, daß in unseren Offizierkorps die Jagd- und Rennreiterei — als Gegengewicht für die unumgängliche Schulreiterei — immer mehr Verbreitung finden möge, und sie wird es, denn das Wagliche und Kühne derselben und die öffentlichen Triumphe haben für frische und mutige Herzen ihren besonderen Reiz. Das Klare in dem, was sie will, und die einfache und praktische Art, in der sie sich die Erfolge sichert, steht dem Unklaren, Unbestimmten, Verschwommenen, vielfach phrasenhaft Traditionellen, der schnörkelhaften und mattherzigen Art der Schulreiterei glänzend gegenüber.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rennreiten