Renaissance und Bewegung*)

Aus: Die jüdische Bewegung. Erste Folge 1900-1914
Autor: Buber, Martin (1878-1965) österreichisch-israelischer jüdischer Religionsphilosoph und Bibelübersetzer, Erscheinungsjahr: 1903
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Ostjuden, Einwanderung, Einwanderer, Deutschland, Russland, Polen, Progrome, Gewalt, Krieg, Vertreibung, Wohnungsnot, Gründe, Not, Elend, Arbeitsplätze, Flüchtlinge, Solidarität, Glaubensfreiheit, Religion, Nächstenliebe, Wahrheitsliebe, Berichterstattung, Medien, Wahrheit, Öffentlichkeit, Kultur, Parteien, Gerechtigkeit
Um das Phänomen der jüdischen Renaissance zu begreifen, muss man es als Ganzes erfassen, es bis in seinen Ursprung zurückverfolgen, in jene Zeit in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, da in das erstarrte Dasein des Judentums von innen und von außen zugleich in zwei mächtigen Strömen — Chassidismus und Haskala — ein neues, unerhörtes und ungeahntes Leben eindrang.

Bis um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts war die Kraft des Judentums nicht bloß von außen niedergehalten, von Angst und Qual, von Lebensenge und Lebensnot, nicht bloß von der Knechtung durch die „Wirtsvölker", sondern auch von innen, von der Zwingherrschaft des „Gesetzes", d. h. einer missverstandenen, verschnörkelten, verzerrten religiösen Tradition, von dem Bann eines harten, unbewegten, wirklichkeitsfremden Sollens, der alles triebhaft Helle und Freudige, alles Schönheitsdurstige und Beflügelte verketzerte und vernichtete, das Gefühl verrenkte und den Gedanken in Fesseln schlug. Und das Gesetz erlangte eine Macht, wie sie in keinem Volke und zu keiner Zeit ein Gesetz besaß. Die Erziehung der Generationen geschah ausschließlich im Dienste des Gesetzes. Es gab kein persönliches, gefühlgeborenes Handeln: nur das Handeln nach dem Gesetze konnte bestehen. Es gab kein selbständiges, schöpferisches Denken: nur dem Grübeln über die Bücher des Gesetzes und die Hunderte von Büchern der Deutung des Gesetzes und die Tausende von Büchern der Deutung jener Deutungsbücher war die Mitteilung gewährt. Gewiss, es gab immer und immer wieder Ketzer; aber was konnte der Ketzer wider das Gesetz? Dogmen, die zu glauben sind, können von Ketzern erschüttert werden, die die Vernunft wider den Glauben anrufen. Aber ein Lebensgesetz, dass das Tun bestimmt, kann nur durch die Entwicklung der Menschen zur Selbstbestimmung aufgehoben oder durch die Entwicklung der Menschen zu einem höheren Lebensgesetz überwunden werden. Hier geschah endlich beides. Jahrhundertelang wird es wohl gleichsam unterirdisch gerungen haben und jene täglich von neuem auftauchenden und täglich von neuem erstickten Ketzereien waren doch wohl Kundgebungen dieses das Gesetz unterminierenden Ringens. Dann aber gab es sich in einem doppelten Ansturm gegen die Weltanschauung und Doktrin des Gesetzes, gegen den Rabbinismus, die jüdische Scholastik, kund. Zuerst gelangte zum Ausdruck die Entwicklung zu einem höheren Lebensgesetze: in dem Chassidismus, der neujüdischen Mystik, der Befreiung des Gefühls; dann die Entwicklung zur Selbstbestimmung: in der Haskala, der neujüdischen Aufklärung, der Befreiung des Gedankens. Beide führten zu geistigen und leiblichen Kämpfen, die oft von einer ergreifenden Tragik erfüllt waren, zuweilen ins Groteske ausarteten. Beide führten, ohne es zu wollen und ohne es zu wissen, die jüdische Renaissance herbei.

*) Ich habe hier zwei Stücke aus verschiedenen Zeiten zusammengefügt, weil das zweite das erste in einem wesentlichen Punkte ergänzt.

Chassid bedeutet: der Fromme, und Chassidismus wäre somit fast mit Pietismus zu übertragen. Das wäre falsch, wenn man dieses Wort in seinem gewöhnlichen Sinne nimmt. Die chassidische Lebensanschauung entbehrt aller Sentimentalität; es ist eine ebenso kräftige wie gemütstiefe Mystik, die das Jenseits durchaus ins Diesseits herübernimmt und dieses von jenem gestaltet werden lässt wie den Körper von der Seele: eine durchaus ursprüngliche, volkstümliche und lebenswarme Erneuerung des Neoplatonismus, eine zugleich höchst gotterfüllte und höchst realistische Anleitung zur Ekstase. Es ist die Lehre von dem tätigen Gefühl als dem Band zwischen Mensch und Gott. Das Schaffen währt ewig; die Schöpfung dauert heute und immerdar fort, und der Mensch nimmt an der Schöpfung teil in Macht und Liebe. Alles, was reinen Herzens geschieht, ist Gottesdienst. Das Ziel des Gesetzes ist, dass der Mensch selbst ein Gesetz werde. Damit ist die Zwingherrschaft gebrochen. Aber die Stifter des Chassidismus waren keine Verneiner. Sie negierten die alten Formen nicht, sie taten in sie einen neuen Sinn, und damit befreiten sie sie. Der Chassidismus, oder vielmehr die tiefe Seelenströmung, die ihn erzeugte und trug, schuf den im Gefühl regenerierten Juden.

Einen anderen Weg ging die Haskala, die natürlich gegen den Chassidismus ebensowohl ankämpfte wie gegen den Rabbinismus, weil sie beide auf „Glauben" und nicht auf „Wissen" beruhten. Die Haskala tritt im Namen des Wissens, der Zivilisation und Europas auf. Sie will aufklären und ist ebenso oberflächlich wie alle Aufklärung, insofern sie von der Erkenntnis als von einem sicheren und unproblematischen Ding ausgehen zu dürfen glaubt; sie will: popularisieren und ist ebenso geistlos wie alle Populärphilosophie, die wie ein rechter Parasit von dem Blute anderer lebt. Was sie vor den meisten voraus hat, ist zunächst ihr Feind, die starrste und gefestigteste aller Orthodoxien, dann ihr frisches junges Losgehen, und dass sie in jedem Augenblick durchdrungen war von dem Gefühl eines heiligen Krieges um die Selbstbestimmung, um das Bestimmtwerden des Handelns nicht durch die Tradition, sondern durch eigenes Denken. Aber auch positiv jüdische, zukunftsvolle Elemente trug sie in sich, so sehr sie auch glaubte, alle Überlieferung aufzuheben. Sie wollte die Juden europäisieren, aber sie dachte nicht daran, sie zu entnationalisieren. Sie widmete der Sprache der Bibel einen intensiven Kultus. Sie machte das erstarrte und der Wirklichkeit entfremdete Hebräisch zum Werkzeug eines lebendigen Kampfes und so bereicherte und kräftigte sie es. Und was für die Sprache getan ist, ist für das Denken getan. So diente die Haskala auch mittelbar der gedanklichen Regeneration des jüdischen Volkes.

Aus den inneren Umwälzungen, deren Äußerung und Werkzeug zugleich Chassidismus und Haskala waren, wurde die jüdische Renaissance geboren. Es ist beachtenswert, dass hier dieselben Elemente einander bekämpfend zusammenwirkten wie in der großen Zeit des Trecento und Quattro cento: das mystisch-gefühlsmäßige, das dort als Gottesweisheit auftrat, und das sprachlich-ideelle, das dort Humanismus hieß, und dass wie dort beide Geistesbewegungen nicht etwas Neues, sondern nur Erneuerung versunkener Größe sein wollten: die Anknüpfung an die klassische Zeit des Judentums ist Chassidismus und Haskala gleich eigen; den Inhalt des altjüdischen Geisteslebens, das große Gottgefühl, nimmt der Chassidismus, dessen Sprachform die Haskala auf; jener hat die jüdische Uridee, dieser den Hebraismus erneuert. Erneuert: nicht wiederholt. Die jüdische Renaissance ist, wie ihre größere Namensschwester, mehr als eine Neuknüpfung zerrissener Fäden. Auch sie bedeutet — dies sei noch einmal hervorgehoben — nicht eine Rückkehr, sondern eine Wiedergeburt des ganzen Menschen: eine Wiedergeburt, die sich sehr langsam, sehr allmählich von den Tagen der Haskala und des Chassidismus an bis in unsere Zeit vollzieht und weiter vollziehen wird. Langsam und allmählich entsteht ein neuer Judentypus.

Der Jude der Gesetzesära war ein passiver Held. Er ertrug alle Stadien des Martyriums ohne Schrei und ohne Stolz, mit stummen Lippen und stummem Herzen, regungslos. Sein einziger Widerstand war seine Verschlossenheit, und nichts konnte diesen Widerstand brechen. Aber die Passivität hatte nicht nur Größe, sondern auch Elend und Erbärmlichkeit. Der Jude kämpfte nicht bloß, er handelte und dachte auch passiv. Ein einziger, Spinoza, hatte der natura naturans genug in sich, um schaffend und ruhevoll aus dem Ghetto in den Kosmos zu treten und Fuß zu fassen im Unendlichen wie keiner vor ihm; aber wie viel der köstlichsten Endlichkeit musste er aufgeben, wie viel des unersetzlichsten Gefühlszusammenhangs mit seines Blutes gewesenen und kommenden Geschlechtern, welch neues und unsägliches Martyrium musste er auf sich nehmen und hinübernehmen in seine große Ruhe; welches kaum geahnte Rätsel einer ungeheuren Verschlossenheit hat uns dieser befreite Jude der Gesetzesära hinterlassen! Der neue Jude, der Jude der Befreiungsära, wandelte in den Wegen Spinozas, ohne Genie, aber mit einem dämonischen Wagemut. Er war nicht mehr passiv, sondern freitätig; er handelte nicht mehr nach dem Gesetze, sondern nach eigenem Denken und Gefühl; und er strebte nach dem Schöpferischen. Das Schöpferische blieb ihm lange versagt und hat sich ihm in seinen letzten Geheimnissen — Selbstentladung, Selbstläuterung, Selbsterlösung - auch heute noch nicht geschenkt. Aber auch die ruhige Betätigung war ihm zunächst nicht gewährt. Der befreite Gott stürmte ins Uferlose, statt im Gegebenen zu wirken oder Neues zu geben. Der unersetzliche Zusammenhang wurde geopfert und nichts Größeres gewonnen. Die Wiedergeburt des Juden setzt mit einer tragischen Episode ein, die noch heute nicht zu Ende ist und die nicht einmal die Bedeutung einer Befreiung der Rasse von unedlen Elementen hatte: denn auch manche der Besten konnten ihr nicht standhalten; ja gerade diese waren es, die der Wagemut am wildesten durchglühte und am weitesten fortriss. Immerhin erlangten einzelne originale Naturen am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts einen eigentümlichen Kosmopolitismus, ein Zuhausesein im Kosmos; aber dieser konnte in seiner Schönheit nur so lange bestehen, als der Geist dieser Menschen sich die Freiheit erobern musste und dadurch eine faszinierende Leuchtkraft gewann. Als die „Geistesfreiheit" aber für den Juden ein fertiges Gut geworden war, das man nur zu übernehmen brauchte, artete auch dieser Kosmopolitismus in Assimilation aus. Die europäische Zivilisation war von außen über die Juden zu rasch und zu unvermittelt hereingebrochen, als dass die Haskala sie hätte in Ruhe verarbeiten können. So wurde ein Teil des Volkes verlockt, dessen unausgesprochenen Selbständigkeitsidealen untreu zu werden und statt das Neue sich langsam zu erwerben und zu eigen zu machen, es fertig und auf Kosten der eigenen Seele aus den Händen der zivilisierteren Nationen zu nehmen. Diese pathologische Erscheinung wurde durch zwei Umstände begünstigt: durch die räumliche Zersprengung und durch die von der großen Revolution bewirkte ganz anormale Beschleunigung des Emanzipationsprozesses.

Dass trotz alledem die Assimilation die Renaissance nicht aufzuheben vermochte, dass sie für diese nur ein retardierender Akt geworden ist, ist in einer Haupttatsache des jüdischen Problems begründet: in der fundamentalen Verschiedenheit des östlichen und des westlichen Judentums in Wesen und Schicksal. Das östliche Judentum war seit jeher weniger zersprengt als das westliche; es hatte mehr den Charakter einer großen und geschlossenen Gemeinschaft und in der Folge auch mehr eigene Kulturelemente. Dazu kam, dass die Zivilisation nach dem Osten nur langsam hinströmte und dass der Emanzipationsprozess hier fast gar keine Gültigkeit hatte. So konnte die Haskala, die wie alle Faktoren der Renaissance hier ihre eigentliche Stätte hatte, das Zivilisationsmaterial allmählich und organisch verarbeiten. Mussten ferner die westlichen Juden der Umwelt schon deshalb erliegen, weil sie keine Sprache hatten und mit den fremden Worten auch fremdes Vorstellungsund Gedankenwesen aufnahmen, so gewannen die östlichen einen Halt in einer überaus merkwürdigen, durchaus anormalen und doch durchaus heilvollen Sprachentwicklung. Es entstand nämlich auf der einen Seite eine reiche, alle Gebiete umfassende hebräische Literatur und Publizistik, und die Sprache der Bibel wurde immer mehr zu einem vollkommenen Werkzeug der modernen Wissenschaft und der modernen Ideen und zugleich zu dem herb aber voll tönenden Instrument einer originalen Dichtung; daneben aber und gleichzeitig entwickelte sich das Idiom des Volkes, das Jüdische, der fälschlich so genannte „Jargon", der keineswegs (wie gewöhnlich angenommen wird) ein Dialekt schlechthin, sondern eine res sui generis ist, zu einer völlig gleichberechtigten Sprache, weniger abstrakt aber wärmer als die durch sie ergänzte hebräische, ohne deren reingeistiges Pathos, aber voll unvergleichlich sanfter und derber, zärtlicher und boshafter Akzente; im Jüdischen ist das Volkstümliche selbst Sprache geworden; und diese vielverachtete Sprache hat die Anfänge einer reizvollen Poesie, eine schwermütig verträumte Lyrik und eine kräftige, mit guten Augen beobachtende Novellistik geschaffen. Dieser Dualismus ist das stärkste Symptom der jüdischen Renaissance in dem Reichtum ihrer Strebungen und der Pathologie ihrer Äußerungsformen.

Man sieht nun, wie es kam, dass, während im Westen Stück für Stück abbröckelte, im Osten die Renaissance Fuß fassen und positive Werte schaffen konnte. Ihr stärkster Ausdruck wurde die jüdische Bewegung, die man auch mit einem mitunter irreführenden Namen als national-jüdische Bewegung zu bezeichnen pflegt. Sie ist weiter und tiefer angelegt, als nationale Bewegungen zu sein pflegen, ursprünglicher und tragischer. Ihr Inhalt ist national: das Streben nach nationaler Freiheit und Selbständigkeit, aber ihre Form ist übernational. Der Ideenkomplex, den sie erzeugt hat, gehört dem Denken der Menschheit an. Und die Befreiung, die sie meint, rührt an das große Symbol der Erlösung.

Die jüdische Bewegung ist in ihrem letzten Sinn das Streben nach freier und vollkommener Betätigung der neuerwachten Volkskräfte. Wenn man sich das Volk in der Renaissance (ohne Berücksichtigung aller widerstrebenden oder noch unentwickelten Elemente) im Bilde eines Organismus vorstellen will, so ist die nationale Idee sein Bewusstsein, die nationale Bewegung sein Wille. Und wie der Wille zuerst reflexmäßig und triebhaft auftritt, dann unter dem Einfluss des sich entwickelnden Bewusstseins immer differenzierter und -geistbestimmter wird, so entwickelte sich die jüdische Bewegung unter dem Einfluss des Renaissancegedankens vom Selbsterhaltungstrieb zum Ideal.

                                ***** 1910 *****

Die innere Befreiung des Judentums ging der äußeren „Befreiung", der Emanzipation, voraus. Hätte erst die eine, dann die andere die ganze Judenheit ergriffen, so hätte die Renaissance sich in konstanter Entwicklung durchsetzen können; denn dann wären die Juden fähig gewesen, aus der bereits gewonnenen seelischen Erneuerung heraus die neu zufließenden Güter der europäischen Zivilisation schöpferisch zu verarbeiten. Aber es gab damals, wie früher und später, ein östliches und ein westliches Judentum, zwei Welten, ein Judentum der Gemeinschaft und ein Judentum der Versprengtheit. Und das Tragische geschah: die innere Befreiung in Chassidismus und Haskala ergriff nur das östliche, das Judentum der Gemeinschaft, die äußere Befreiung, die Emanzipation, wurde nur dem westlichen, dem Judentum der Versprengtheit zuteil. Und so fehlte dem östlichen Juden die Materie, dem westlichen die Gewalt des Schaffens. Der östliche hatte sich auf die Urelemente seines Wesens besonnen, die Kräfte seiner nationalen Persönlichkeit waren losgebunden, aber er war nach wie vor tausendfältiger Pein und Schande preisgegeben, er hatte nicht die Unbefangenheit und nicht den Frieden zum Schaffen, die neue Sehnsucht zerrieb sich im Kampfe um die Luft, die er zum Atmen brauchte, die neue Macht zerrann in Lebensnot und Auflehnung. Man fragt, warum der Chassidismus entartete, warum die Haskala keine „Flora unsterblicher Werke" hervorbrachte. Dass sie überhaupt entstanden, dass sie — Gestirne, die keiner voraussah, keiner vorausahnte — am Nachthimmel des Judenvolkes aufgingen und eine gnadenreiche Stunde lang leuchteten, das ist das Wunderbare. So war es im Osten. Und der westliche Jude hatte alles, nur nicht das Element der Elemente, die wiedergeborene schöpferische Urkraft; statt der innerlichen Befreiung durch Anknüpfung an die klassische Zeit seines Blutes und Volkstums erwarb er von außen die „Geistesfreiheit"; er nahm die Güter des Geistes fertig und auf einmal aus den Händen der kultivierten Nationen, statt sie im Feuer einer befreiten Seele allmählich umzuschmelzen und umzuschmieden.

So erfuhr die jüdische Renaissance eine schwere Hemmung, die es verhinderte, dass der neue Judentypus, der sich in Chassidismus und Haskala vorbereitet hatte, zu voller Entfaltung kam. Diese Hemmung aber war nur solange unüberwindlich, bis sie ins Bewusstsein trat. Das erwachende Bewusstsein der Hemmung erzeugte die nationale Bewegung; der neue Wille, die Hemmung zu beseitigen, wird Zionismus genannt. Darum habe ich den Zionismus als den bewussten Willen der Renaissance bezeichnet. Die Renaissance des Judentums will sich erfüllen; sie weckt das Verlangen nach dem neuen, freien, selbständigen Leben, in dem allein sie sich erfüllen kann. Sie verbindet den Westen mit dem Osten. Indem Westen und Osten einander durchdringen, entsteht neue Fruchtbarkeit — spezifisch jüdische Fruchtbarkeit, die jüdische Art, jüdische Anschauung, jüdische Werte zur Gestalt werden lässt.

Buber, Martin (1878-1965) österreichisch-israelischer jüdischer Religionsphilosoph

Buber, Martin (1878-1965) österreichisch-israelischer jüdischer Religionsphilosoph