Bildnis eines vornehmen Polen. Irrtümlich Johann Sobieski genannt.

In guter alter Zeit war es Mode, jeden Kopf, jede Studie von Rembrandt auf irgend einen Namen zu taufen. Jeder alte Mann war sein Vater, jede alte Frau seine Mutter; die phantastisch ausstaffierten Orientalen oder Halborientalen galten als Sultane, polnische oder russische Fürsten und Herrscher, und in den Judenköpfen glaubte man bestimmte jüdische Mitbürger Rembrandts zu erkennen, mit denen er bekannt war. Als dann die Kritik anfing diese angeblichen Bildnisse untereinander und mit der Biographie des Künstlers zu vergleichen, sah man ein, dass alle diese unter sich oft ganz verschiedenen Köpfe, deren Entstehung zudem gelegentlich dreißig oder vierzig Jahre auseinander lag, unmöglich alle einen und denselben Mann oder dieselbe Frau darstellen konnten. Man fiel nun in den umgekehrten Fehler, indem man jeden eigentlichen Porträtcharakter dieser Bilder ableugnete und nur einfache Studienköpfe darin erkennen wollte. Seitdem wir aber durch die neuere Urkundenforschung mit dem Leben des großen holländischen Meisters etwas näher vertraut geworden und auch über seine Verwandten und Bekannten einigermaßen unterrichtet sind, haben wir wieder daran gehen können, aus dem außerordentlichen Vorrat solcher „Studien“ zahlreiche als eigentliche Porträts oder studienartig behandelte Bildnisse von Persönlichkeiten, die dem Künstler nahe standen, herauszusuchen. Es lassen sich jetzt Dutzende von Porträts der Mutter, des Vaters, der Gattin Saskia und der Freundin Hendrikje, von Bildnissen des Bruders, der Schwester, des Sohnes mit mehr oder weniger Sicherheit feststellen. Auch jene für unsere Anschauung phantastisch ausstaffierten Orientalen sind nicht alle bloß arrangierte Studien; es sind offenbar auch eigentliche Porträts darunter. Amsterdam, damals eine Weltstadt neben Paris und die Beherrscherin des Meeres, sah zahlreiche Fremde in seinen Mauern, selbst aus dem fernen Osten: aus Polen, Russland und den slawischen Teilen der Türkei. Als ein solches eigentliches Portrait haben wir das weltberühmte Bild der K. Galerie der Eremitage anzusehen, dessen Nachbildung wir hier geben.

Es geht seit langer Zeit unter dem Namen von Johann Sobieskij da dieser im Jahre 1637 als das Bild nach seiner Inschrift gemalt wurde, erst im dreizehnten Jahre stand, so wird jene, Benennung schon dadurch hinfällig: das Bildnis eines vornehmen Slawen, wahrscheinlich eines Polen, haben wir aber zweifellos darin zu erkennen. Der ganze Typus verrät den Südslawen; auch der starke Schnurrbart und seine Form, das kurze Haar und die Tracht sind dafür bezeichnend. Einzelheiten, die Rembrandt gewiss nicht frei erfunden hätte, verraten sogar eine bestimmte hohe Stellung des Dargestellten: so die Krone und die drei Rossschweife darunter, die an einer großen goldenen Kette von der Schulter herabhängen, ein Zeichen der Beziehungen des Mannes zu der Türkei; er war „Pascha von drei Rossschweifen“. Durch das helle, schräg am Gesicht vorüberfallende Sonnenlicht, durch die kräftigen Schatten, durch die außerordentlich breite und doch sehr studierte Behandlung erhielt das Bild dieser imposanten Persönlichkeit jene mächtige Wirkung, die es in neuerer Zeit zu einem der gefeiertsten Bilder des heute im Vordergründe des Interesses stehenden Meisters der Malerei gemacht hat.


Rembrandt van Rijn. Bildnis eines vornehmen Polen
Irrtümlich Johann Sobieski genannt
Kaiserliche Eremitage, St. Petersburg

Rembrand van Rijn. Bildnis eines vornehmen Polen. Irrtümlich Johann Sobieski genannt. Kaiserl. Galerie der Eremitage, St. Petersburg (1)

Rembrand van Rijn. Bildnis eines vornehmen Polen. Irrtümlich Johann Sobieski genannt. Kaiserl. Galerie der Eremitage, St. Petersburg (1)

Rembrand van Rijn. Bildnis eines vornehmen Polen. Irrtümlich Johann Sobieski genannt. Kaiserl. Galerie der Eremitage, St. Petersburg (2)

Rembrand van Rijn. Bildnis eines vornehmen Polen. Irrtümlich Johann Sobieski genannt. Kaiserl. Galerie der Eremitage, St. Petersburg (2)

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