Der 1. Oktober brach an, und wir hatten bald den Ort unserer jetzigen Bestimmung, ...

Der 1. Oktober brach an, und wir hatten bald den Ort unserer jetzigen Bestimmung, Syra, vor Augen. Der Anblick der Insel ist kahl, die Stadt aber, wie eine Bischofsmütze bis zur höchsten Spitze eines Berges emporgebaut, nimmt sich nicht übel aus. Gegenüber der Stadt auf einem ganz kahlen Felsen das Lazarett der Quarantäne. Im Hafen lagen schon zwei französische und ein östreichisches Dampfboot. Unser Schiff hatte die gelbe Pestflagge aufgesteckt. Boote mit demselben Wimpel umkreisten uns. Endlich ward eine Barke mit uns und unsern Effekten beladen. Vier Engländer, zwei konstitutionelle Griechen und einiges Gesindel gesellten sich bei, und so wurden wir nach dem Lazarett hinübergerudert. Dort angekommen, warf man unser Gepäck brutal an die Felsen des Ufers und überließ uns unserm Schicksale. Der Major blieb zur Aufsicht zurück, und ich ging in die Quarantäne, konnte aber niemand finden, der italienisch verstand, so daß, als ich endlich in die Kanzlei kam, der griechische Lohnbediente der Engländer die einzig übrigen guten Zimmer weg hatte, und wir mit einem elenden schmutzigen Loche mitten unter stinkenden Türken und Griechen vorlieb nehmen mußten. Wir sandten sogleich Botschaft an den östreichischen Konsul und an den Direktor der Anstalt Pio Terenzio. Letzterer kam auch; da aber alle Zimmer vergeben waren, mußten wir in unserem Loche aushalten, und das einzige, was wir erreichten, war, noch an selbigem Abende spoglio machen zu können und so statt zehn nur neun Tage gefangen zu bleiben. Der spoglio selbst war die lächerlichste Ceremonie, die sich denken läßt. In kleinen Kämmerchen nächst der Kanzlei hatte man jedem von uns ein heißes Bad bereitet. Die Kleider mußten wir in eine Art Schublade legen, die, so wie wir ins Wasser stiegen, nach außen fortgezogen und erst, als das Bad vorüber war, wieder hereingeschoben wurde. Da fanden wir denn statt unserer Kleider einen Schlafrock, ein Hemd ohne Haft oder Knopf, Unterhosen, die uns den Bauch zusammenklemmten, eine weiße Schlafmütze. Kurz, wir mußten laut auflachen, als wir uns wechselseitig erblickten. Mein Geld ward während des Bades ebenfalls in ein Gefäß mit Wasser geschüttet. Nur die Uhr durfte behalten werden, der ich motu proprio meine Cigarren beifügte, um sie vor dem Gestank der Räucherung zu retten. Während wir nämlich uns in der Brühe befanden, wurde unser Zimmer mit den ausgepackten Kleidern und den geöffneten Koffern durchstänkert, wir selbst aber für diese Nacht ins erste Geschoß in ein Zimmer geführt, das zu den für den erwarteten Fürsten Mavrokordato aufbewahrten Appartements gehörte. Die Möblierung übrigens war nichts weniger als fürstlich, namentlich die Betten nicht viel besser als ein Brett und ein Bund Stroh, welche Beschaffenheit unsere Lagerstätten während der ganzen Dauer der Quarantäne beibehielten. Morgens erhielten wir unsere Kleider wieder, begaben uns wieder in unsere stinkende Wohnung, die von den Pesträucherungen nunmehr doppelt stank. Fürchterlicher Kaffee zum Frühstück. Zu Mittag gute Suppe, leidliche Fische, vortreffliche Trauben, mittelmäßiger Wein, aber alles Fleisch so ausgesucht schlecht, so zäh und hart, daß kein Messer, viel weniger Zähne dessen Herr werden konnten. Das Quarantänegebäude ist ganz zweckmäßig, ja hübsch, gegenüber der Stadt auf einem ganz kahlen Felsen erbaut. Da ist kein Baum, kein Strauch, kein Grashalm. Der Boden mit Felsen und spitzen Steinen bedeckt, so daß jeder Tritt schmerzt, und wir uns erst mit unserer Hände Arbeit durch Aufräumen der Steine einen Spazierweg bahnen mußten. Noch dazu wird der Aufenthalt im Freien durch die immerwährenden Stürme verleidet, die, wie vorher aus Süd, jetzt aus Nord und Nordost über die Inseln herrasen. Unser Gesichtskreis wird gegenüber durch die Hauptstadt der Insel Syra, links durch kahle Berge mit dürftigen Bepflanzungen, rechts durch die Insel Tino mit vielen, wie Schwalbennester an den Klippen hängenden Ortschaften und die Ausläufer von Mikone begrenzt. Ein und aus laufende Schiffe beleben einigermaßen die Gegend. Da werden denn mit dem Fernrohr die Wimpel beobachtet, von einer einlaufenden englischen Kriegsbrigg die Kanonen gezählt, die Manöver beobachtet. Die vier Dampfschiffe, die anfangs im Hafen lagen, haben uns verlassen, und der Sturm verscheucht neue Gäste. Ich bezeichne nicht mehr die einzelnen Tage, denn eine große Langeweile verschlingt alle Unterschiede. Glücklicherweise hatte ich in meinen Koffer Chalybäus' Geschichte der neuen Philosophie eingepackt, die mußte nun vorhalten. Die Seiten wurden gezählt und fünfzig für jeden Tag schien genug, um die neun Tage der Gefangenschaft auszufüllen. Da wird denn aufgestanden, der entsetzliche Kaffee getrunken, ein wenig im Winde spazieren gegangen, dann gelesen, wo uns denn Herbarts Monaden an dem gescheiten Manne unerklärlich, Schellings System aber höher als die Klippen, widriger als der Wind und unfruchtbarer als das Meer vorkamen.