Sonntag, den 15. Tag der großen Sonnenfinsternis und meiner Abreise. Ich war in dem unliebenswürdigsten Humor von der Welt. ...

Sonntag, den 15. Tag der großen Sonnenfinsternis und meiner Abreise. Ich war in dem unliebenswürdigsten Humor von der Welt. Die Chezy brachte einen jungen deutschen Dichter auf mein Zimmer, der mir die Visierung meines Passes auf den Affaires étrangères zusagte, endlich aber mit der Nachricht zurückkam, daß er niemand von den Beamten da gefunden, was meine üble Stimmung vermehrte, da ich Anstände befürchtete. Koreff, der mir einen Besuch zugesagt, kam nicht. In medizinischer Hinsicht unangenehm. Many Neuwall wollte mich ins Diorama führen, was ich ablehnte, teils weil ich nicht gestimmt war, teils um Koreff nicht zu versäumen, wenn er doch kommen sollte. Die Chezy hielt treulich bei mir aus, besserte mir ungeniert einen Schaden an meinen Beinkleidern aus, wozu sie, da die poetische Frau weder Zwirn noch Seide führte, den Faden aus einem ihrer Hüte herauszog. Frühstückte à la fourchette. Meine Freundin aß die Reste und nahm ein Glas Chablis an. Endlich die Stunde der Abreise. Brant kam, leidlich ausgesöhnt. Er ist ein vortrefflicher Mensch, und die Ursachen unserer minderen Harmonie lagen gewiß in mir. Wir machten noch einen Gang durch ein paar Straßen. Die Sonnenfinsternis war eben auf ihrem höchsten Punkte. Ich hatte keine Lust, hinzusehen. Es schlug halb vier Uhr, und wir gingen in den Packhof, Rue St. Honoré, Lafittes und Gagliards Etablissement. Der Wagen ist bereit. Im Coupé außer mir nur noch eine kranke Frau aus Boulogne. Brant, meine Schweden standen am Wagen. Abschiedszurufe. Die fünf Pferde setzen sich in Gang. Ich hätte nun viel über meinen Aufenthalt in Paris nachdenken können, aber ich dachte nichts und war verstimmt. Diese Plackereien und Beschwerlichkeiten, ganz allein, genötigt, für alles selbst zu sorgen, und dazu noch in den Ausgaben höchst beschränkt. Was sollte nun erst in London werden? Es ging weiter und weiter. Das Land recht hübsch. Muntere Bauersleute. Die Mädchen elegant, am Wege Ball schlagend, im Kreis tanzend. Es wird Nacht. Gegen alle Erwartung schlief ich recht gut, Folge der letzten Aufregungen und darauf notwendiger Abspannung. Der Morgen leidlich hübsch. Frühstücke in Abbéville, wenn ich nicht irre. Das Interieur des Wagens bloß mit Engländern besetzt, die von meinem Englisch so wenig verstehen, als ich von dem ihren. Das wird gut gehen. Endlich Boulogne. Schon eine Post vorher schrie ein Mann englisch in den Wagen, daß ein Paketboot noch diese Nacht unmittelbar nach London abgehen werde. Das änderte auf einmal alle meine Entschlüsse. Sollte ich nun einen halben Tag und Nacht in Boulogne bleiben, dann nach Dover übersetzen, dort wieder schlafen und, weiß Gott wie lange, mich nach London hinrädern lassen? Ich zog eine zwölfstündige Wasserreise vor. In Boulogne, im Hôtel de l'Univers, abgestiegen. Leidliches Mittagsmahl. Dann sogleich in den Hafen, Anstalten für die Ueberfahrt zu machen. Es lagen, statt einem, zwei Dampfschiffe da. Ich zog das teurere vor, da ich das andere mir überfüllt dachte. So war es auch. Da ich, der Seekrankheit wegen, doch in keine Kajüte gehen wollte, mietete ich mich im second cabin ein, d. h. da die Betten schon von Damen in Beschlag genommen waren, auf dem Verdecke. Ging ein wenig auf dem Hafendamm spazieren und sah die Sonne im Meere untergehen. War nicht mehr übellaunig, sondern traurig. Daß ich so von allen Banden des Lebens losgetrennt bin, ebenso unwillig, das Vergessensein zu ertragen, als die Lasten der Berühmtheit, wenn ich dies Wort brauchen darf.

Endlich zum Gasthaus zurück. Fand dort schon einen Franzosen mit einer Engländerin, die die Ueberfahrt auf demselben Dampfboote machen wollten. Wir vereinigten unser Gepäcke und gingen nach dem Hafen zurück, der unterdes dunkel geworden war und vom Verwirre der Einschiffung ertönte. Der Platzbediente besorgte das Gepäck, wir traten ins Schiff. Ich wählte mir einen Platz auf dem Verdeck, den ich für die Nacht nicht zu verlassen beschloß. Eine gute Bank in der Mitte des Schiffs, wo die Bewegung am geringsten sein mußte. Wickelte mich in meinen Mantel und erwartete die Dinge, die da kommen sollten. Die Nacht wird immer dunkler. Große Sterne am Himmel. Die Schiffsglocke läutet, die Seile rasseln. Es ist Flutzeit, das Schiff wird beweglich. Immer dickerer Rauch qualmt aus dem Schornstein, wir sind im Gang. Der » Esmerald«, so hieß das Schiff, bewegt sich langsam an dem andern Fünf-Schilling-Dampfschiffe » Sovereign« vorüber. Das Verdeck des letzteren ist mit Passagieren bedeckt, die uns den Abschiedsgruß zujubeln. Wir nahen uns dem Ausgang des Hafens, wir sind in See. Meine Eingeweide verhielten sich ganz leidlich, obgleich ein ziemlich starker Wind die Wellen erregte, der noch dazu sehr kalt war, so daß ich den Mantel hart an die Augen emporzog. Die Passagiere verloren sich in die Kajüten, wo sie gespieen haben mögen oder nicht. Ich blieb zuletzt allein mit dem Steuermann, der ein Lied knarrte, und dem Kapitän, der auf und nieder ging die ganze Nacht. Selten überfiel mich der Anfang eines Schlummers, von dem ich jedoch bald wieder emporschreckte und jedesmal ein Uebelbefinden fühlte, das sich aber glücklich wieder verlor. Endlich bleicht sich die dunkle See; im Osten rötet sich hinter Wolkenmassen der Himmel, der Wind aber nimmt zu. Es war greulich kalt. Die englische Küste zeigt sich links. Eine Stadt, fern, fern. Es war Southampton, sagte man. Die Küste entschwindet wieder. Es wird Tag. Schon früher waren Schiffe aller Art, ununterscheidbar im Dunkeln, an uns vorübergezogen, jetzt wächst die Menge. Fischerboote, Handelsfahrzeuge, Dreimaster. Bald ist kein Punkt des Horizonts, in dem nicht irgend etwas die Anwesenheit eines Schiffes bezeichnete. Die Reisenden kamen wieder aufs Deck mit sonderbar überwachten Gesichtern. Die Bewegung des Schiffes wird milder, die Wasser der Themse machen sich fühlbar. Endlich geht es hinein in den Strom, die Ufer werden von beiden Seiten sichtbar. Ein paar Wachtschiffe, Handelsfahrzeuge vor Anker. Die Küste ziemlich kahl. Endlich zeigen sich nahe liegende Häuser, von London durch keine Zwischenräume mehr getrennt. Im Flusse ein Wald von Kohlenschiffen vor Anker. Die Stadt beginnt. Zwischen unbedeutenden Häusern herrliche einzelne Gebäude; Schiffswerften, Docks. Wieder eine Handelsflottille vor Anker. Nun Türme und Säulen und Häuser rechts und links. Vor uns Brücken, rechts der Tower. Wir nähern uns dem Lande, es ist das Zollhaus, neben der Londoner Brücke.


Haufen von Menschen. Wir steigen aus. Die Gesellschaft des Paketboots zerstreut sich, scheinbar nach allen Seiten. Ein einziger Jude war noch in meinem Bereich. Ich fragte ihn, wohin es nun ginge: ins Custom-house. Und ich folgte seinen Schritten. Wir kommen an. Die Zöllner sind mit andern Gepäcken beschäftigt; wir müssen warten. Man führt uns in ein Zimmer, wo an allen Wänden die Warnung angeschrieben steht, nicht Mäntel oder Hüte liegen zu lassen, wegen der Gefahr des Gestohlenwerdens. Ich als Fremder muß in die Alien-Abteilung, meinen Paß abzugeben und eine Aufenthaltskarte dafür zu erhalten. Ein deutscher Jude ist da, ein Platzbedienter, der mich in seine Klauen zu bekommen sucht. Die Beamten sind höflich, betrügen mich aber, wie ich später sah, mit einem veralteten Plan von London und einem schlechten Guide des Voyageurs. Endlich nach ein paar Stunden Wartens kommt die Reihe an das Gepäck unsres Schiffes. Einzeln werden die Eigentümer eingelassen. Ich warte drei, vier Stunden. Mein Name erscheint immer nicht. Endlich erinnere ich mich, daß der französische Platzbediente in Boulogne beim Einsteigen ins Schiff gesagt, er habe alles Gepäck auf den Namen des französischen Mitreisenden abgegeben. Ich ging damals als gleichgültig darüber hinaus, merkte aber nun, daß mein Name gar nicht auf der Liste der Passagiers stehen müsse. Mit Mühe machte ich endlich den Zollbeamten auf diesen Umstand aufmerksam, und mit noch größerer Mühe erhielt ich endlich, daß meine Sachen, die letzten, visitiert und gegen Vorzeigung des Passes und weiß Gott welchen Verklausulierungen mir ausgefolgt wurden. Es war nun nahe an fünf Uhr, und ich wußte noch nicht, wohin mich wenden in der ungeheuren Stadt. Ich war an einen Deutschen Namens Friedmann gewiesen, der ein Boarding-house in Percy-street hielt, hörte aber im Alien-office, er sei ausgezogen, und man wisse nicht, wohin. Ein anderes Boarding-house in Golden-square, das mir Sengel empfohlen, wußte ich meistens mit Fremden überladen. Da fiel mir ein, daß Kapitän ... in Paris mir eine Mde. Williams in Charlotte-street Floomsbury-square, genannt, und ich beschloß, dahin zu gehen. Ein Fiaker wird geholt, die Effekten eingepackt, und es geht nun endlos durch die ungeheure Stadt, die im Vorüberfliegen eben nicht den besten Eindruck auf mich machte. Endlich komme ich an. Ich werde zur Hausfrau geführt, die mit einer recht artigen Tochter im Erdgeschoß sitzt. Ich merke bald, mein Englisch reicht nicht zu, nur die Tochter spricht etwas Französisch. Endlich verständigen wir uns. Man führt mich in den ersten Stock in ein Zimmer, das, dreieckig und klein, die Form und Größe eines gewöhnlichen Bügeleisens hat. Ein besseres bei erster Erledigung wird mir versprochen. Ich bin nur froh, unter Dach zu sein, und nehme an. Der Kutscher begehrt viereinhalb Schilling, d, h. etwa dritthalb Gulden Konventionsmünze! Ich nehme Besitz, wasche mich, kleide mich um. Es geht um sechs Uhr zu Tische. Der ist nun nicht glänzend bestellt, wie ich sehe. Ein Hammelbraten, eine pie, etwas Käse, dazu dünnes Bier oder Wasser – voilà tout. Man muß sich fügen. Ich bemerke bald, daß man allenfalls noch mich verstehe, ich aber nicht die andern. Ich hatte eben in meinem ganzen Leben früher kaum zweimal englisch sprechen gehört; selbst mit Brant in Paris las ich nur; und so war denn die gesprochene Sprache eine Art Chaldäisch für mich. Zum Glück befanden sich einige Deutsche im Hause, die aber da waren, um Englisch zu lernen, und die also sich wohl hüteten, ihre Muttersprache über Tisch hören zu lassen. Sonst recht liebenswürdige gefällige Leute. Nach Tisch führte mich einer der Kostgänger, ein Däne, durch ein paar Straßen: Great-Russel-street, Oxford-street, bis zum Eingang des Hydepark. Oxford-street fand ich recht schön, aber die Boulevards von Paris wog es nicht auf. Als es dunkel wurde, kehrten wir zurück, tranken Thee. Die Leute charmant, aber für mich sehr langweilig, da ich kaum das dritte Wort von dem verstehe, was sie sagen. Um zehn Uhr war ich froh, ein Licht zu bekommen und schlafen zu gehen, denn ich war müde zum Niedersinken. Das Bette ziemlich schlecht. Dennoch gut geschlafen.