Sonntag 17. Gewaltig verstimmt aufgewacht. Dieses leere Herumschlendern ist am Ende doch gar zu armselig. Sollte mich ein wenig mit der Gesellschaft bekannt machen, kann mich dazu aber nicht entschließen. ...

Sonntag 17. Gewaltig verstimmt aufgewacht. Dieses leere Herumschlendern ist am Ende doch gar zu armselig. Sollte mich ein wenig mit der Gesellschaft bekannt machen, kann mich dazu aber nicht entschließen. So angenehm es mir einerseits ist, hier immer mit Deutschsprechenden umzugehen, so hindert es mich anderseits, mich ins Französische hineinzudenken, und ich weiche der Unterhaltung in dieser Sprache aus. Ueberdies mein Widerwille gegen jede Gesellschaft und Unlust, zu sprechen. Ich werde nach Wien zurückkommen, wie ich es verlassen, der Zweck der Reise läge im Gegenteil.

Meine gewöhnliche Zuflucht zu Brant. Er ist es zufrieden, da er denn doch keine Geschäfte hat. Den jungen Dithfield dort getroffen. Konnte mich nicht entschließen, englisch zu sprechen, schwieg daher ganz und war ziemlich unangenehm. Spaziergang in den Tuilerien. Ausflug zu den Invaliden, Marsfeld, Militärschule. Alles schön, großartig. Letzteres herrliches Gebäude. Die Invaliden sehr gut gehalten. Küche, Speisezimmer reinlich, elegant. Silberne Suppentöpfe der Offiziere. Die Statue Napoleons im Hofe nicht gut placiert.


Bei Neuwalls gegessen. Die Familie gefällt mir sehr wohl. Eine französische Dame da, französische Konversation. Macht sich ganz leidlich. Behauptung, daß Viktor Hugos theatralische Successe mehr die Sache einer Partei sei, die eigentlich Gebildeten aber nur an seinen Romanen teilnehmen. Woher dann aber die vielen Auflagen seiner Dramen?

Abends mit Many ins Théâtre porte St. Martin, um die Lucrece Borgia zu sehen, die man dort zugleich mit einem Lustspiel von zwei Akten und der Tour de Nesle von fünf Akten gibt, zusammen als zwölf Aufzüge. Zum Schluß der Tour de Nesle gekommen, wo die zwei Hauptschauspieler ein Geheul vollbrachten, wie Wölfe im Winter.

Lucrece Borgia, die schlechteste Vorstellung, die ich hier noch gesehen. Kein Schauspieler seiner Rolle gewachsen. Die George ein widerliches Weibsbild. Das Stück ist gewiß nicht gut, wenn es aber Tieck so de haut en bas traktiert, so sollte er sich vorher erforscht haben, ob er im stande sei, eine einzige Scene davon zu schreiben. Es hat große Schönheiten, und mit einigen Aenderungen, wozu besonders das unkünstlerische Wiederkehren derselben Vergiftungs- und Entgiftungsverwicklung gehört, könnte ein, wenn auch nicht in jeder Hinsicht befriedigendes, doch höchst achtbares Werk daraus gemacht werden. Die reine, unschuldige Haltung des Gennaro ist ein Meisterstück. Die Figur des Herzogs; die Scene zwischen den beiden Ehegatten. Dazu die eigentliche Sprache der Leidenschaft. Ich wüßte niemand in Deutschland, der das machen könnte. Bei dieser Aufführung ging aber alles verloren. Sogar die äußere Anordnung, mit Ausnahme des letzten Nachtmahles, schlecht. Der Calembourg mit dem Orgia fand in einer Bicoque statt, die unmöglich für das Portal eines fürstlichen Palastes gelten konnte. Ebenso das Arrangement des herzoglichen Zimmers ganz gegen die Absicht des Verfassers. Oder wenn er es so gemeint, so habe ich ihm mehr Phantasie zugetraut, als er hat. Die Tischscene im letzten Akt vortrefflich. So was können sie nur in Frankreich. Wie malerisch, wie natürlich. Und wenn dann die Lichter ausgelöscht werden, welche wunderliche Beleuchtung waltet dann über dem Ganzen. Die Totenchöre, Mönche und Särge, ganz so wirkungslos, als ich sie mir beim Lesen vorgestellt hatte. Hier einer von den wenigen Fällen, wo das Theatralische und Dramatische voneinander abweicht. Dramatisch läßt sich nichts dagegen einwenden. Es ist übrigens die Frage, ob es sich denn doch nicht auch darstellen ließe.

Vor dem Ende fortgegangen, es war dreiviertel auf ein Uhr. Das Publikum benahm sich, besonders während der Zwischenakte, ziemlich unanständig. Man pfiff, krähte, heulte. Liebespaare in den höhern Logen wurden mit dem Finger bezeichnet, ausgelacht, aufgefordert, sich näher zu rücken. Besonders unterhielt es die oberste Galerie, kleine Papierchen wie Schneeflocken herabregnen zu lassen. Bedenkt man aber, daß die Leute von sechs bis ein Uhr da saßen, so muß man ihnen schon einige Aufheiterung zu gute halten.