Sonntag, 1. Mai. Sollte ein großer Tag sein, als erster Mai und als Namenstag des Königs, der höchst glänzend gefeiert werden sollte, und wozu die Vorbereitungen schon seit vier Wochen getroffen worden. Aber schon seit ein paar Tagen ist es ungeheuer kalt, und heute droht es zu regnen. ...

Sonntag, 1. Mai. Sollte ein großer Tag sein, als erster Mai und als Namenstag des Königs, der höchst glänzend gefeiert werden sollte, und wozu die Vorbereitungen schon seit vier Wochen getroffen worden. Aber schon seit ein paar Tagen ist es ungeheuer kalt, und heute droht es zu regnen.

Many kommt, der Verabredung gemäß, mich abzuholen. Wir gehen zu Brant. Es war noch zu früh für Leute, die erst um halb sieben Uhr essen und bis dahin fortwährend auf den Beinen bleiben wollten. Endlich, um halb zwei Uhr machten wir uns auf. Doch treten wir kaum aus dem Hause, als ein ungeheurer Platzregen uns zurückjagt. Nach einer halben Stunde konnte man's von neuem versuchen, und wir gingen durch den Tuileriengarten, an den drei Fronten eines prächtigen Feuerwerks – derzeit noch im Embryo – vorüber in die Champs Elysées, deren lange Hauptallee, von der einen Seite zum königlichen Schloß, von der andern zum Stern der Barriere von Neuilly führend, mit der Aussicht auf beide, durch zusammenhängende Festons sehr großer Talglampen verbunden waren, so daß der Stern von Neuilly, der ganz mit Lampen und Feuerwerkshülsen bedeckt stand, einen zauberischen Schluß- und Augenpunkt abgeben mußte.


Trotz des Regens, der nie ganz aufhörte und von Zeit zu Zeit goß, wimmelte es von Menschen, obgleich, wie man mir sagte, nicht der fünfte Teil der sonstigen Anzahl. Unter den Bäumen auf erhabenen Bühnen vollzählige Orchester, die abwechselnd spielen, ohne daß man aber vor dem Lärm mehr als je und dann eine Trompetenpassage vernehmen könnte. Obsthändler, Orangenverkäufer, Fleisch- und Würstebrater, die ihr Erzeugnis, in ein Stück vortreffliches Brot eingeklemmt, nicht unappetitlich dem Käufer überliefern. Vor einer solchen Braterin stand ein Savoyardenbube, schmutzig, zerlumpt, in versunkener Betrachtung der allzu kostbaren Speise, die Miene halb aus der Witterung eines Wachtelhundes, halb aus dem Tiefsinne zusammengesetzt, mit dem Newton dem Gravitationsgesetze der Welt auf die Spur kam. Ich weiß aber noch nicht, ob die Ursache seiner Betrachtung Dürftigkeit oder Sparsamkeit war. Denn als wir ihm ein paar Sous schenkten, war seine erste Bewegung, mit dem Geschenke fortzugehen, erst später kehrte er zurück und holte seinen Anteil aus dem Glückstopfe, der wie so oft in der Welt ein Fleischtopf war. Von allen Seiten Geschrei der Lotterie- und Glückshafenunternehmer, bei denen man vom Biskuit bis zur silbernen Uhr gewinnen und auf der andern Seite, nur etwas leichter, auch wieder bis zur silbernen oder goldenen Uhr verlieren kann. Eine Unzahl ist dieser Lotterien, die nebst dem Scheibenschießen die Hauptlust des gemeinen Parisers ausmachen. Geschossen wird mit Armbrüsten, doch auch – mitten im Gedränge – mit Feuergewehr; wenigstens knallt das Gewehr wie ein solches. Die Scheibe gibt häufig ein ohne Schmeichelei gemalter Kosak zu Pferde ab, oder man schießt nach kleinen Gipsfiguren. Keine der tausend und tausend solch kleiner Schießstätten steht einen Augenblick leer. Ein anderer hat einen Popanz aufgestellt, auf den man, mit einer übergestülpten grotesken Maske vermummt, also blind, losgeht und ihn abzustechen versucht. Selten gelingt's. Das Gelächter ist groß. Dort schreit ein Kreis Zuseher wie Wütende. Wir gehen hinzu. Es ist eine Art Blindekuhspiel, wobei einer mit verbundenen Augen einen andern zu fangen sucht. Die Umstehenden schreien dabei aus vollem Halse: à droite, à gauche! und zappeln vor Vergnügen. In einigen der vielen aufgeschlagenen, sehr hübsch dekorierten Tanzsäle fängt man jetzt schon zu tanzen an, Ladenbursche und Grisetten, viel geringer angezogen als die gleichen bei uns, sich aber tausendmal anständiger benehmend. Schon das ist schön, daß nicht der plump-sinnliche Walzer, sondern Kontertänze getanzt werden, die nicht den Ausbruch, sondern den Verlauf des Vergnügens bezeichnen und die Teilnehmenden zu einer Art Anstand nötigen.

Endlich das Hauptvergnügen: spectacle gratis. Zwei große, hübsch dekorierte Theater, in der Entfernung von ein paar hundert Schritten einander gegenüber aufgeschlagen, in denen nur bei Tage und abwechselnd so gespielt wird, daß, wie der Vorhang bei einem sinkt, er bei dem andern aufgeht. Die Zuseher im Zwischenraum, unzählig, glücklich, aufjubelnd, sich in seliger Bequemlichkeit nur rechts und links wendend, je nachdem hier oder dort die endlose Lust sich anknüpft. Die Stücke wie natürlich à grand spectacle. Auf einer Seite Franzosen und Spanier, die endlos fechten und feuern. Dazwischen wird gesprochen, wovon man natürlich kein Wort versteht. Das andere Theater beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Orient. Scenen aus Algier. Indianer und Wilde beiden Geschlechts. Dazwischen regnet es unaufhörlich auf Zuseher und Schauspieler, welche letztere durch nichts geschützt sind. Die Zuseher spielen mit, indem sie laut aufschreien, ihre Landsleute auf dem Theater zur Tapferkeit ermuntern und sich über ihre Siege und Heldenthaten erfreuen. Dabei nicht ohne Gedräng, aber ohne Unhöflichkeit. Der Franzose geniert ohne Bedenken, läßt sich aber auch ebenso gutwillig wieder genieren. Nichts wird übel genommen als die Absicht zu beleidigen. Ich habe keinen Streit vernommen, keine Unartigkeit gesehen, und obschon viele ihre Parapluies aufgespannt hatten und dadurch den übrigen die Aussicht benahmen, hörte man zwar häufig à bas les parapluies, aber lachend ausgesprochen. Die Rückstehenden ließen sich's gefallen, nichts zu sehen, weil die Vorstehenden doch nur von ihrem Rechte Gebrauch machten.

Zwischen beiden Theatern ein mat de cocagne. Ein ungeheurer, fettbestrichener Baum, mit Uhren, einem silbernen Becher u. dgl. behängt, auf dem man hinanzuklimmen versuchte. Der eine hatte sich fast nackt ausgezogen. Alle hatten Säcke mit Asche oder derlei anhängen, mit denen sie während des Klimmens die Hände rauh zu erhalten suchten. Aber der Regen hatte die Glätte des Baums verdoppelt. Keiner brachte es höher als auf die Hälfte. Nun strömte der Regen wieder von neuem. Er hatte uns schon einmal vertrieben, und wir waren im Omnibus nach Hause gefahren und hatten uns wärmer angezogen, denn es war zugleich unerträglich kalt. Nun war es nicht mehr auszuhalten. Der Magen wollte auch nicht mehr gehorchen. Zudem nahte die verabredete Stunde des Mittagsmahls, sechs Uhr, um welche Zeit die Eltern Neuwall uns bei den frères provençaux erwarteten. Vortreffliches Diner. Suppe, filet de bœuf, ragout, morue à la maître d'Hôtel, homard, meringue à la glace, was weiß ich noch alles. Die Kochkunst in ihrer höchsten Ausbildung. Saucen von einer Feinheit, die unsern Fürsten und Schmeckern unbekannt bleibt. Verhältnismäßig wohlfeil. Samt zwei Flaschen Chablis fünf Franken auf den Kopf. Nach Tisch im Wagen die Beleuchtung anzusehen. Konnten nicht weit fahren, mußten anhalten, eben als die ersten Raketen des Feuerwerks auf dem Platze Louis XV. platzten. Ich mit Many aus dem Wagen. Sahen eben noch die letzte prächtige Fronte und mehrere échappés von Tausenden dreifarbiger Raketen, von denen besonders die letzte einem feuerspeienden Berge glich, der sich in ein Firmament von Steinen auflöste. Damit die französische Effektmacherei nicht fehle, entwickelte sich, da alles schon sich zum Gehen wendete, eine neue Feuergarbe, die mit einem Kanonenschlage alles endete. Das Publikum war in bester Laune, obschon die beabsichtigte Beleuchtung größtenteils zu Wasser wurde, namentlich in der großen Allee nur einzelne Lampen unausgelöscht blieben, welchem Schicksale nur die Gaslichter entgingen, als z. B. am Hotel des Finanzministeriums. Auch der alte Talleyrand hatte beleuchtet. Die übrige Einwohnerschaft setzte sich in keine Unkosten, auch fiel niemand ein, die Lustbarkeit auf dessen Geber und Gegenstand zu beziehen. Von einem Vivat oder dergleichen nichts zu hören, obschon sie Louis Philipp wirklich lieben. Der Enthusiasmus will eben, wie alles andere Feuer und Licht, nicht vom Regen gestört sein. Bei gutem Wetter wäre es vielleicht anders gewesen.

Unabsehbare, unabwartbare Massen, die sich durch die Straßen nach Hause wälzen. Tuilerienplatz und -Garten öde. Der Tambour gibt das Schlußzeichen. Gehen nach Hause. Schon um halb zehn Uhr klappernd vor Kälte in meiner Stube angekommen, die noch etwas kälter ist als die Straße.