Dienstag, den 3. Mai. Fühle noch immer die Folgen des gestrigen Uebelseins. Unerträgliche Kälte. Muß zum erstenmale während meines Hierseins Feuer im Kamin anmachen lassen ...

Dienstag, den 3. Mai. Fühle noch immer die Folgen des gestrigen Uebelseins. Unerträgliche Kälte. Muß zum erstenmale während meines Hierseins Feuer im Kamin anmachen lassen und genieße nun das in Frankreich so gerühmte Vergnügen, mir Kopfweh zu holen durch Herumstören, Ab- und Zulegen an dem widerwillig brennenden Feuerherde. Gott möge das alles zum besten lenken. Wäre meine Heimat nicht gar so entwürdigt, ich würde mich dahin zurücksehnen.

Ich sehe immer mehr, der hiesige Zustand der Dinge ist befestigter, als man bei uns glaubt. Nicht Louis Philipp und seine Dynastie. Man liebt ihn, oder vielmehr, man ist der Ueberzeugung, daß er für die Bedürfnisse des Landes paßt. Er dürfte aber nur gewisse Grenzen überschreiten, an denen er beinahe schon hinstreift, und es wäre um ihn geschehen. Aber auch der Herzog von Bordeaux, wenn man ihn, um einer Republik zu entgehen, die niemand will, nähme, müßte als erster König einer neuen Rasse regieren. Eine Fortsetzung der Bourbonherrschaft ist undenkbar. Man müßte Frankreich erst arm machen, wenn man ihm eine Ungleichheit, ein aristokratisches System aufdrängen wollte. Der allverbreitete Wohlstand, der Reichtum jedes Tüchtigen und Fähigen ist es mehr als die Freiheitsliebe, was sich jeder Rückkehr widersetzt. Der Franzose ist genußsüchtig und eitel. Er unterscheidet sich aber von den Eiteln und Genußsüchtigen unter uns dadurch, daß ihm keine Anstrengung zu groß ist, um zu seinem Ziele zu gelangen. Er ist immer bereit, eine Gegenwart zu opfern, um sich eine Zukunft zu sichern. Müßig sein mag der Franzose so gern als ein anderer, wenn er nicht zu arbeiten braucht, ja das Ziel ungeheurer Anstrengungen der hiesigen erwerbenden Klasse ist nur, sich für spätere Tage Freiheit von Sorgen und Geschäften zu sichern. Er ist aber nie träge. Trägheit ist ein deutsches Laster. Vielleicht ein russisches noch mehr. Die praktischen Folgen davon sieht jedermann ein.


Wollte den Besuch in der Bibliothek wiederholen, teils konnte ich mich aber nicht entschließen, bei der unerträglichen Kälte die Wohlthat meines Feuers aufzugeben, das erst nach zwei Stunden Flamme etwas Wärme zu geben anfing, teils fürchte ich die kalten, ungeheizten Säle, die schon neulich bei gutem Wetter und besserer Gesundheit mir arg zugesetzt hatten. Ich blieb daher bis ein Uhr zu Hause und machte dann nur eine Wanderung von meinem zu Brants Kamine. Wir lasen an zwei Stunden Englisch. Mir geht's hier, wie einst in den Schulen. Während des philosophischen Kurses holte ich die alten Sprachen nach, die ich im Gymnasium hätte lernen sollen, in den juridischen Hörsälen die Philosophie; so daß ich die Rechte eigentlich nie lernte. Ebenso treibe ich in Paris Englisch, das ich zu Hause hätte betreiben sollen, und mein Französisch vergesse ich da, wo ich mich darin hätte völlig ausbilden können. Es gibt eben absurde Menschen! Aber mich befällt ein Schauder, wenn ich an London denke, und daß die Leute da englisch sprechen, eine Sprache, die ich ohne Meister gelernt, in der ich nie zehn Worte geredet und worin meine Aussprache, aus dem pronouncing dictionary zusammengelesen, so originell ist, als Grabbes Tragödien oder die Romane des jungen Deutschland.

Um vier Uhr wollten wir einen Gang durch die Stadt machen. Erneuter Regen zwang uns aber bald, durch bedeckte Passagen uns ins Palais royal zu flüchten, wo wir in den Gängen Motion machten, bis die fünfte Stunde erlaubte, uns im Café français an einer rauchenden Suppe und ein paar Gläsern Chablis zu erwärmen. Nach Tisch kaufte ich bei Baudry Bulwers Rienzi, um vor dem Schlafengehen etwas zu lesen und nebstdem Uebung im Englischen zu haben. Dann verließ ich Brant und ging ins Théâtre français, wo man Delavignes neuestes Trauerspiel in einem Akt: Une famille au temps de Luther und ein Lustspiel: Les deux Anglais gab. Ueber ersteres enthalte ich mich zu reden; ja ich will versuchen, in Zukunft auch nicht mehr daran zu denken. Wäre mir nicht manches entgangen, so würde ich es eine bis zum Unsinn gesteigerte Gräßlichkeit, oder einen bis zur Gräßlichkeit gehenden Unsinn nennen. So aber bescheide ich mich und bin froh, daß es überstanden ist. Hatte die hiesige Darstellungsweise mir neulich imponiert, so mußte ich dafür heute das Lehrgeld zahlen. Ligier, der tragische Schauspieler par excellence, ist, wie alle, in den gehaltenen Momenten gut, oft sehr gut. In den Ausbrüchen aber schlägt er eigentliche Triller der Wut. Er dehnt nämlich die letzte Silbe des prägnanten Wortes ungeheuer, heult nach Möglichkeit und füllt den Zwischenraum mit einer Art Trommelwirbel aus. Musikalisch würde sich das Ding ungefähr so bezeichnen lassen:

das macht nun, so oft es vorkommt, auf die Zuseher einen solchen Eindruck, daß sie in vollem Sturm losbrechen und ich nicht begreife, warum die übrigen Schauspieler es ihm nicht nachthun, da es die leichteste Sache von der Welt ist. Aber nur die Mutter, Mad. Dorval, trat in Wettkampf mit ihm und traf es mitunter ganz genau. Herr Volans, der zweite der (mir) feindlichen Brüder, spielte natürlicher und wurde nur von dem Stücke gehindert, einen guten Eindruck zu machen. Der Diener Marco, Herr Samson, qui a, wie die hiesigen Blätter sich ausdrücken, créée cette rôle (bei uns thut das der Dichter), gefällt sehr. Er ist nicht übel. Einen angenehmen Eindruck machte anfangs Mde. Plessy. Schön aussehend, mit einem Organ und einer Aussprache, wie kein deutsches Theater es aufzuweisen hat, schien sie ein Himmelslicht unter diesen Höllenbreughels; gegen das Ende aber nahm sie sich zusammen und that einige Quitsche und Notsignale, daß mein Mittagmahl sich mir im Leibe umkehrte und ich glaubte, der eine der Brüder habe im Eifer des Spiels dem andern wirklich das Messer in den Leib gestoßen. Ein paar Franzosen, die neben mir saßen und mit denen ich mich recht gut unterhielt, meinten: ( C'est horrible, mais c'est beau. Auf meine bescheidenen Zweifel ließen sie doch mit sich handeln und äußerten die Ueberzeugung, daß diese gräßliche Epoche der Litteratur bald vorüber sein werde, wie denn das Publikum schon anfange, das Ding satt zu haben.

Das Lustspiel I Les deux Anglais ist auch in Wien schon gegeben worden. Die Darstellung war im allgemeinen nicht besser als bei uns, weshalb ich mich auch langweilte, wie bei uns, und das Ende kaum abwarten konnte. Höchstens mochte man Perrier, der den Lord spielte, vorzüglich nennen. Im ganzen finde ich überhaupt das sogenannte höhere Lustspiel durchaus unbedeutend. Ich glaube, es ist in Wien besser, wenigstens entspricht es durchaus seinem Rufe nicht. Nur die Schauspieler der kleinen Theater sind vortrefflich. Nicht bloß die Hauptpersonen, die die foule machen; alle, alle!

Um halb zwölf Uhr nach Hause in mein kaltes Bett.