Dienstag, den 24. bis Montag den 30. ...

Dienstag, den 24. Kann mich durchaus auf die tagweise Folge der Begebenheiten nicht mehr erinnern, will daher nur einiges, wie es mir einfällt, kumulativ hinsetzen; nur für die Abende geben mir die aufbewahrten Theaterzettel einige Richtung. Guildhall besehen, ein sonderbar altertümliches Gebäude, in der großen Halle die beiden Kolosse, Gog und Magog genannt, eigentliche Kinderschreck. Die Bank, die Exchange, Post-office, wo ich einen Brief abgab, aber keinen vorfand. Mansion-House. St. Pauls Kathedrale: Gebäude in neuerem Geschmack, prächtig, ungeheuer, ohne sonderlichen Eindruck von außen und innen. Mit Denkmälern angefüllt, großenteils besser als die in Westminster-Abbey.

Abends in Drurylane, Richard III. Ein neuer Debutant in der Titelrolle. Nicht schlecht, aber ohne alle Großartigkeit. Wütende Parteien im Publikum. Förmliche Gespräche zwischen Galerie und Parterre. Der dort im schwarzen Rocke hat gezischt, rief mein Nebenmann, let him be gone! Das Beste: der kleine Herzog von York, von einem kleinen Mädchen recht brav dargestellt. Die Kostümes ohne individuelle Wahrheit, die Komparserie ärmlich.


Desto mehr Pracht verschwendet auf die Jüdin, das zweite Stück, eine Paraphrase der gleichnamigen französischen Oper. Einzüge, Harnischmänner, zu welchem Ende man einen eigenen Gang ums Orchester herum gebaut hatte, der schon während Shakespeares Richard die Aussicht auf die Bühne störte. Mit aller Anstrengung doch nur ein schwaches Abbild des geschmackvollen Aufwands der Pariser Großen Oper. Hatte das Ding im zweiten Akte satt.

Mittwochs den 25. beschloß ich, den Tunnel zu sehen. Fuhr daher im Omnibus bis zur Bank und suchte von da meinen Weg, da ich nicht wußte, daß eigene Wagen dahin gehen. Hatte mir meinen, ungeheuren, Weg aufgezeichnet, am linken Ufer des Flusses. In die unbekannten Regionen des rechten wagte ich mich nicht. Fand mit vieler Mühe endlich die Wapping Stairs an der Themse und ließ mich hinüberrudern. Eingang. Eine ungeheuere Dampfmaschine empfängt den Besucher. Dann auf hölzernen Treppen hinab. Da liegt nun das Riesenwerk, von Gaslampen taghell beleuchtet. Ein dumpfes Getöse, man weiß nicht, ob von den rauschenden Wassern des Flusses oder (was wahrscheinlich) von der arbeitenden Dampfmaschine, umfängt einen. Tonnengewölbe, unten vom Zirkel nach einwärts abweichend. Beträchtliche Strecke, und doch noch nicht bis zur Hälfte des Flusses fortgeführt. Man kann dem Werke allen Fortgang wünschen, und doch zweifeln am Gelingen. Meinen Namen ins Buch eingeschrieben, und wieder zurück über den Fluß. Aufs höchste ermüdet, bei der Bank in einen Omnibus eingesetzt und nach Hause.

Abends ging ich in ein Theater, weiß aber nicht mehr in welches, und was man gab.

Donnerstag, 26., waren die Docks zu besehen, ein ungeheueres Unternehmen, da die ostindischen wohl zwei deutsche Meilen von meiner Wohnung entfernt liegen.

Erinnere mich erst, daß ich gestern die Londondocks und nebenbei den Tower gesehen hatte. Die ersteren machten mir eben Lust, die übrigen Docks auch zu besuchen. Der Tower weit unter meiner Erwartung. Das Aeußere imposant. Das Innere kostet sieben Schillinge und ist nicht sieben Pence wert. Rüstungen, Waffen; die Kronjuwelen über alle Beschreibung prächtig, besonders die Krone, die allein mehr wert sein dürfte, als das Königreich Dalmatien. Ich war allein. Der altertümlich gekleidete, mit einem Degen in der Hand vor mir herschreitende Aufseher suchte mir daher so viel möglich von den Sehenswürdigkeiten zu entziehen, und ich kümmerte mich wenig, noch mehr alten Wust zu sehen.

Heute also nach den indischen Docks. Bis zur Bank gefahren. In Oldgate fand ich einen neuen Omnibus, der bis zu den East India Docks geht. Bald verlor ich alle Richtung und fürchtete für den Rückweg, wenn ich den Omnibus verfehlen sollte. Ich redete daher einen mitfahrenden Commis an, der ein Kistchen mit sich führte, nach Madras überschrieben, so daß er notwendig meinen Weg nehmen mußte. Er war auch gleich bereitwillig, mir, wenn ich mit ihm auf das Douanenzimmer gehen wollte, alles in den ostindischen Docks zu zeigen und mich dann auf den Weg zu den westindischen zu bringen. Wie gesagt, so gethan. Ich begleitete ihn, dann er mich. Ich staunte die ungeheuern, kokett geschmückten Schiffe an. Groß wie Linienschiffe, scheinbar neu zur Abreise bereit, und wie halb neu von der halbjährigen, stürmischen Reise zurückkommend. Letztere, fremde Tiere, Gazellen, Papageien, seltsame Schweine auf dem Verdecke. Ein Orignalindier in weißem Kaftan. Wir bestiegen zwei der Schiffe. Ein Steuermann war gleich bereit, uns überall herumzuführen. Mahagonimöbel, blendende Reinlichkeit. Der Schiffe kein Ende. Warenhäuser auf allen Seiten. Ein- und Ausladen. Nachen mit Handelsleuten, die sich zu den Schiffen hinrudern lassen. Endlich gingen wir. Bei den westindischen Docks angekommen, schüttelt mir mein neuer Freund die Hand und freut sich, mir behilflich gewesen zu sein. Die Westindia Docks. Wiederholung der vorigen, aber, wenn ich mich recht erinnere, noch ungeheurer, die Schiffe aber kleiner und minder prächtig. Es war schon spät, und ich mußte zu Fuße fort. Auf dem Wege aber holte mich ein Omnibus ein, und ich benützte ihn. Wunderschönes Frauenzimmer unter den Mitfahrenden, scheinbar höchst sittsam. Als sie aber ausgestiegen war, versicherte mich ein Seemann, der neben mir saß und sich um den alten Begleiter derselben sehr zu thun gemacht, ihn auch mit Cigarren beschenkt hatte, es sei leichte Ware und der alte Herr ihr Hüter oder Mäkler. Es war zu spät, um nach Hause zu gehen. Suchte daher einen dining room und geriet zufällig in einen der schlechtesten. Mutton chops, eine Art gerösteter großer Nieren, guter Käse, keine Mehlspeise zu haben. Gutes Ale, recht guter Portwein.

Abends in English Opera House. The middy ashore. Mrs. Keely, der Midshipman, recht gut, ebenso Herr Salter als Bootsmann.

Hierauf Yeoman's daughter, ein weinerliches Drama, aber vortrefflich dargestellt. Dieselbe Mistreß Keeley, die im ersten Stücke den Seekadetten, einen lustigen Burschen, gespielt, jetzt als sentimentale Yeoman's daughter, aber so vortrefflich, so weiblich, so sanft und englisch liebenswürdig, daß ich nicht so bald einen gleich vorteilhaften Eindruck empfangen habe. Gleich gut Herr Serle, als ihr Liebhaber. Der Yeoman, Herr Williams; der Konstabler, Herr Salter; der Rattenfänger, Mr. Romer; alle nach Wunsch.

Man about town durch das ausgezeichnete Spiel eines Mr. Wrench in der Titelrolle ungemein ergötzlich.

Freitag, 27. Ging in den zoological-garden, Regentspark. An der Kasse angekommen, verweigert man mir den Eintritt, weil die Erlaubnis eines Direktors dazu notwendig sei, was ich, da man einen Schilling bezahlt, nicht vorausgesetzt hatte. Während ich nicht weiß, was zu thun, tritt ein hübscher Mann, eine Dame am Arm, hinzu; unterschreibt eine Karte, gibt sie mir, schreibt eine zweite in der Voraussetzung, daß ich noch ein zweites Mal zu kommen wünschen möchte, und macht endlich von seinem Rechte Gebrauch, mich, als einer der Direktoren, gratis einzuführen, so daß ich mein Geld und noch dazu zwei Karten in der Tasche hatte. Er spricht französisch mit mir und macht mich anfangs auf alles aufmerksam, bald aber trennt uns die Menge, So thätige Gefälligkeit findet man nur in England. Ich durchstreife den wunderschönen Garten und besehe die Menagerie, die ihresgleichen in der Welt nicht hat. Und alles durch Subskription von Privaten. Auf einmal werde ich in meiner Muttersprache angeredet. Es ist ein Deutscher, ein Herr Bulwering aus Livland, den ich schon neulich auf dem Dampfboote nach Windsor getroffen. Wir tauschen unsere Namen aus. Er ist erfreut u.s.w. Fordert mich auf, des nächsten Tages mit ihm und einem seiner in London bewanderten Freunde die Feierlichkeiten des königlichen Geburtstages mitanzusehen. Ich nehme mit Vergnügen an, und wir trennen uns, da seine Tour schon vollendet ist. Ich genieße noch nach Herzenslust den schönen Garten, die warme Sonne und den Anblick der merkwürdigen Tiere. Zwei Elefanten, wovon ein ostindischer der größten Art. Ein Nashorn. Vier, sage vier Giraffen. Was weiß ich noch alles.

Abends ins Haymarkettheater. The housekeeper. Miß Taylor, ausgezeichnet. Ein Herr Vining, zugleich Herr Korn und ein Mann. Er gleich gut, sie etwas schwächer, ja ein wenig gemacht im zweiten Stücke atonement. Ein Bruder des erstern, J. Vining, höchst ergötzlich in der Rolle des Dandy, Captain Popinajy. Alles andere gut. Das Lustspiel ist auf einem hohen Grade der Vollkommenheit in England.

Samstag, den 28. Holte mich Herr Bulwering zur Ausfahrt nach St. James ab. Ich gehe mit ihm in seine Wohnung, wo noch zwei Deutsche und ein alter in London eingebürgerter Franzose sich uns anschließen. Durchstreifen den St. Jamespark, stellen uns am Palaste auf und sehen die Wagen vorbeipassieren. Die Anzahl der Wagen ungeheuer, die Pracht minder, als ich sie mir vorgestellt habe. In Wien ist sie, leider, bei ähnlichen Gelegenheiten größer. Prinzessin Viktoria ein gut aussehendes Mädchen. Die königliche Garde königlich, da kaiserlich zu wenig wäre; vorausgesetzt, daß hier von einem Regiment die Rede ist, und nicht von 60 galonnierten Invaliden auf ausgeborgten Pferden, oder ebenso vielen adeligen Strohjunkern.

Um vier Uhr sollte erst der Einzug der mail-coaches sein, wir beschlossen daher, noch vorher eine Dampfmaschinendruckerei zu besehen, die des Atlas nämlich, in der Nähe des Strand. Gefällig eingelassen, besehen wir das Ganze. Zauberartige Menschenthätigkeit der Maschine.

Den Zug der mail-coaches versäumen wir aus Unkenntnis ihres Weges, und ich gehe mit meinen neuen Freunden in ihr Boarding-House zu Tische. Man ißt recht sehr gut da.

Abends mit ihnen ins Haymarkettheater zu halben Preisen. Sehen ein Ballett Zulema. Nicht so übel. Besonders ein junger hübscher Tänzer, Mr. Massot, und die Favoritsultanin Mlle. Josephine Danse, die auch andern Leuten als Favorite angestanden hätte.

Darauf ein Lustspiel in fünf Akten, married life oder so. Das Stück gut, die Darstellung vortrefflich. Uebersetzt würde es auch bei uns sehr gut gefallen. Gegen ein Uhr morgens nach Hause.

Sonntag, den 29., machte ich mit mehreren meiner Mitkostgänger einen Ausflug nach Highgate und Hamstead in der Nähe von London, berühmt wegen ihrer hübschen Lage. Alles zu Fuß, ermüdend und nicht ganz belohnend. Die Gegend, außer dem wunderschönen Grün, mit unsern nicht zu vergleichen. Ein Lunch, an dem ich aus Erschöpfung mit teilnahm, bloß aus Ale und Käse bestehend, setzte meinen Magen in eine etwas unbehagliche Verfassung. Wir kamen mittags nach Hause, was mir unlieb war, da bekanntlich der Sonntag das langweiligste Ding in London ist. Im Nachhausegehen auf offener Straße ein junger Methodistenprediger, der sich das Heil seiner Mitmenschen sehr zu Herzen nahm, recht gut sprach, aber nur wenig Zuhörer fand. Nach Tisch mochte ich mich mit der häuslichen Unterhaltung nicht begnügen, besonders da am Sonntag nicht einmal Kartenspiel oder Musik geduldet wird. Ging daher aus und durchstrich die Straßen, die ich nur wenig belebt fand zu meinem großen Erstaunen, da ich bei dem Geschlossensein aller öffentlichen Unterhaltungsplätze nicht begreife, was die ungeheure Volksmenge an diesem Jammertage beginnt. Ging aus Ermüdung in eine Weinstube und trank Sherry-Wein, der nicht übel schmeckte, aber, wie die Folge zeigte, doch verfälscht sein mochte.

Montag, den 30. Fühlte gleich beim Erwachen Kopf und Magen widerlich beschwert, wie denn überhaupt gestörte Verdauung und Hartleibigkeit die beiden Plagegeister meiner Reise sind.

Ging demungeachtet, ein paar Kunstanstalten zu besehen. Zuerst in die Nationalgalerie Pallmall, die ich anfangs Mühe hatte zu finden, so unbekannt war sie allen, die ich fragte. Endlich, in einem Kupferstichladen, gab man mir richtige Anweisung. Im gegenwärtigen Lokale ist sie nur provisorisch aufgestellt, daher das Gebäude nicht sonderlich. Die Wahrheit zu gestehen, gefiel sie mir auch nicht besonders. Große Namen, wie mir schien, und mittelmäßige Bilder. An der Echtheit der Claude Lorrains wollte ich zweifeln; ein guter norwegischer Maler versicherte mich aber vom Gegenteile und ihrem hohen Werte. Er mag wohl recht haben und meine Unkenntnis oder kränkelnde Mißstimmung die Schuld tragen. Ebenso kamen mir die Correggios sonderbar vor. Ich bin kein Kenner, obgleich sonst ein ziemlich richtiger Empfinder. Doch das glaubt jedermann zu sein. Die Wilkies jedermann einleuchtend und gewiß vortrefflich. Hogarths Heirat nach der Mode, im Original und, wie natürlich, die Kupferstiche im Ausdrucke weit hinter sich lassend. Für die Wests gebe ich nicht viel. Rembrandts Ehebrecherin vortrefflich angeordnet und beleuchtet, sonst wohl ein wenig gemein. Rubens, wie überall u. s. w.

Hierauf in die British Institution; eine Ausstellung von Privaten, aus ihren Kunstschätzen zusammengestellt. Hier ging mir das Herz auf. Gleich der Galerie im Vatikan, braucht man sich nicht durch Schund und Mittelgut durchzuarbeiten. Nicht viel Bilder, aber alles von Wert. Murillos, die ihren Meister in die erste Reihe der Maler stellen. Velasquez voll strengem Ernst. Niederländer wie gestern gemalt. Die vier Menschenalter von Tizian ließen mich kaum von sich. Den sieben Sakramenten von Poussin konnte ich keinen Geschmack abgewinnen. Diese Claude Lorrains leuchteten mir ein. Zwei Landschaften von Ruysdael, wie man nichts Schöneres sehen kann. Ein Magdalenenkopf von Guido, der an weicher Schönheit nicht übertroffen werden kann, besonders der Mund. Eine heilige Familie von Raphael, entweder nicht von ihm, oder aus einer Zeit, wo er noch nicht Raphael war.

Ich hatte mich mit meinen neuen Freunden schon um halb fünf Uhr zum Essen in eine Taverne zusammenbestellt, da Charles Kemble im Julius Cäsar auftreten sollte und rätlich war, schon um sechs Uhr im Theater zu sein, eine Stunde, wo man in den Boarding-Häusern erst zu Tisch geht. Ging daher nach dem Strand, fand die Gesellschaft, und wir aßen gemeinschaftlich, eine halbe Krone per Kopf. Dafür hatte man Suppe ( real turtle), sehr guten Fisch, in Portionen, daß Christus mit sieben derselben allerdings hätte dreißigtausend Mann speisen können, roast beef, nach Belieben sich selbst von einem Riesenstücke herabzuschneiden, und Käse. Ich hütete mich sehr im Essen, obgleich die Anstrengung des Sehens mir gewaltigen Hunger gemacht hatte. Auf etwas Ale setzte ich guten Sherry, mit heißem Wasser und Zucker gemischt, ein Magenmittel nach hiesigem Gebrauch.

Darauf ins Theater. Dr. Bulwering bestand darauf, ins pit zu gehen, wir fanden aber schon die ungeheuerste Menschenmasse, die sich auf englische Art, d. h. wie die wilden Tiere drängte. Ein paarmal in Gefahr, die Brust zerdrückt zu haben, machte ich mich von meinem Begleiter los und nahm einen Platz in den Boxes, wo ich anfangs ziemlich gut daran war.

Die Vorstellung gut. Sheridan Knowles, als Brutus, nicht besonders, Cassius, Macready, lobenswert. Kemble, der den Antonius gab, vorzüglich in der Scene nach Cäsars Tode und in der Leichenrede ausgezeichnet. Die Volksscenen viel besser, als Aehnliches bei uns. Ich hätte gern das Ganze mit angesehen. Aber als um neun Uhr die Halbpreise eintraten, wurde das Theater im eigentlichen Verstande gestürmt. Die Thüren der Logen aufgerissen. Die kalte Luft drang schneidend in den erhitzten Raum, Keine Möglichkeit, die Eingedrungenen wieder zu vertreiben. Hinter den Rücken der Sitzenden stiegen sie auf die Bänke. Huren drängten sich in jede Oeffnung. Unausgesetzter Wortwechsel, selbst Handgemenge. Da sagte ich Shakespearen im vierten Akte Valet, riß mich durch die Menge und erreichte wie ein gehetzter Hirsch meine Wohnung.