Des andern Morgens ziemlich gestärkt aufgestanden. Das Leben in einem solchen Boarding-house will mir durchaus nicht gefallen. ...

Des andern Morgens ziemlich gestärkt aufgestanden. Das Leben in einem solchen Boarding-house will mir durchaus nicht gefallen. An eine bestimmte Essensstunde wollte ich mich noch allenfalls gewöhnen, meine Schäferstunde aber, die Zeit des Frühstücks, einzubüßen, das ich seit meiner Kindheit immer allein eingenommen und das als eine Vorbereitung auf den ganzen Tag, ein Moment der Sammlung, für mich so ungeheuren Wert hat, das war zu hart! Man mußte jedoch vorderhand sich fügen. Um neun Uhr läutet's zum Break-fast. Dieselbe Versammlung, dasselbe englische Gestammel, dieselbe Langeweile. Dazu die Wahl zwischen Thee, der mir nicht bekommt, und Kaffee, den man hier nicht zu bereiten versteht. Dazu Brot mit Butter, die mich krank macht. Kaltes Fleisch, das ich nicht verdaue. Ich greife jedoch zu, bis auf das Fleisch, das mir vorderhand noch zu englisch war, was, wie ich wohl sah, die Hausfrau etwas beleidigte. Ein paar Engländer, die auch da wohnten und die, wie alle ihrer Nation, im Anfange einer Bekanntschaft höchst unangenehm sind, vermehrten mein Mißbehagen. Ich wünschte mich auf tausend Meilen fort, wußte aber noch nicht, wohin. Nach dem Frühstück ging ich in mein Zimmer zurück, in das der kalte Wind in Strömen einzog, durch ein Fenster, das nicht schloß, wie ich erst später bemerkte. Ein Umstand, der mir bereits eine Art Augenentzündung zugezogen hatte, die ich notgedrungen vermehren mußte, denn es galt, den Plan von London zu studieren mit seinen kleinen Buchstaben und verwischten Konturen. Ich weiß nicht mehr, wo ich des ersten Tages überall hingeriet. Nur suchte ich, anfangs fruchtlos, wieder die Oxford-street zu erreichen und wollte mich des Weges nach Drurylane versichern, wo man schon gestern Hamlet gegeben hatte und das ich heute nicht versäumen wollte. Ich irrte eben in den ungeheuren Straßen umher und mußte fürchten, wenn auch den Weg ins Theater, doch den Rückweg nach Hause sicherlich nicht zu finden.

Unerträgliches Mittagsessen. Der unabhängigste Mensch unter der Sonne von einer lumpigen Sprache abhängig. Der unabhängigste Mensch? Ja, wenn's nur wahr wäre. Es gibt der Sprachen und der Abhängigkeiten noch viele. Abends ins Theater. Man gab drei Stücke, Lustspiele. Das erste weiß ich nicht mehr. Das zweite: »Etikette« oder so, wurde vortrefflich gegeben. Viel besser, als man es in Deutschland oder selbst in Paris aufführen könnte, an welchem letzteren Orte nur noch die Boulevardposse blüht, aber auch unerreichbar dasteht. Die englischen Schauspieler haben etwas Festes, auf sich selbst Beruhendes, Männliches, das außerordentlich wohlthut. Wenn, wie man einmal von den Bourbons und der Herzogin von Angouléme sagte, unter den Wiener Schauspielern ein einziger Mann ist, Madame Schröder nämlich, so sind hier Alle Männer, selbst die Weiber, versteht sich im besten Sinne. Unbekannt mit den hiesigen Sitten, hatte ich mir keinen Theaterzettel beigelegt und weiß daher nicht, wie die Schauspieler hießen, die mir so wohl gefielen. Da ich wenig von den Worten verstand, ermüdete ich doch auf die Länge und ging gegen elf Uhr, fand auch nach mancher Mühseligkeit den Weg nach Hause. Einer der Schauspieler, erinnere ich mich, war Mr. Farren, der im Scape-goat, oder wie das Ding hieß (unser Hofmeister in der Klemme), den alten Präzeptor unnachahmlich spielte.


Doch nein, eben finde ich den Theaterzettel und ersehe daraus, daß ich das erste Mal Fidelio mit der Malibran, Scape-goat! und die Oper Masaniello hörte. Jene drei Lustspiele waren am 19. in Coventgarden, wo ich im Drurylane keinen Platz mehr fand, um Wild oats und Heart of Mid-Lothian zu sehen.

Also die Malibran. Ich kam der späten Essensstunde wegen zu spät zum Anfange, hörte daher den ersten Akt nicht. Von vornherein fand ich jene berühmte Sängerin weit unter ihrem Rufe. Sie singt jedoch hier englisch, was, obgleich sie es sehr gut spricht, einen nicht vorteilhaften Einfluß auf ihre Gesangsweise haben mag. Die große Arie im zweiten Akt vortrefflich. Die Passagen scheinen nicht immer so gerundet, als bei den andern großen italienischen Sängerinnen, manchmal sogar etwas gestoßen, auch haben offenbar die hohen Töne gelitten, heißt das die ganz höhere Oktave, denn die höchsten nimmt sie wieder mit Leichtigkeit. Die tiefe Lage noch immer vortrefflich. Sie hat offenbar die Manie des Spiels, wodurch sie sich so in Bewegung setzt, daß ihre Töne notwendig darunter leiden müssen. Keinen Augenblick ruhig, wird dieses immerwährende Hervordrängen geradezu lästig. Aber das gerade gefällt hier. Im dritten Akte, beim Grabmachen, gräbt sie wie ein Taglöhner, daß ihr der Schweiß an der Stirne steht, wo denn nun freilich an kein Singen zu denken ist. Das berühmte Kerkerduett habe ich nicht leicht schlechter singen gehört, ihre Mitteltöne waren unhörbar. Das hiesige Publikum aber, das von Musik rein nichts versteht, bewundert gerade dieses Auftragen, und während sie grub, und als sie die Pistole dem Gouverneur geradezu ins Maul steckte, ihn auch nicht mehr losließ, war des Beifalls kein Ende. Von den übrigen, Herr Templeton, Florestan, gute Stimme, scharfer, mitunter harter Vortrag, sonst lobenswert. Pizarro, Mr. Giubelei, schöne Stimme, wütender Vortrag. Rocco, Herr Seguin, so, so. Jacquino, Duruset, der unleidlichste Spaßmacher, hier aber sehr beliebt. Chor schwankt vom Mittelmäßigen zum Schlechten.

Den Eindruck von Scape-goat habe ich oben angegeben.